Durch die Fassade
gesagt
Kring-Gumho Kulturzentrum in Seoul/ROK

Immobilienwettrüsten in Seoul überrascht nicht wirklich - es über Markenskulpturen auszutragen schon. „Spatial Design Marketing“ nennen die koreanischen Architektur-Jungstars von UnSangDong die spektakuläre Kring-Fassade am Gumho Kulturzentrum.

Haushoch sticht der metallisch glänzende ‚Lautsprecher‘ in Seouls aufstrebendem Geschäfts- und Shoppingviertel GangNam-Gu hervor. Doch statt Musik spendieren die sieben stilisierten ‚Membranen‘ dem Stadtraum Hingucker. Gleich einer Kraterlandschaft rahmen sie Eingang und Lichtflächen des Multi-Kulturzentrums ein. Des Nachts erinnert das markante Objekt an eine frei nach van Gogh interpretierte ‚Sternennacht‘. Die integrierten LED-Punkte lassen die Fassade zum Himmelszelt mutieren, auf dem mit blauem Licht akzentuierte Sternenwirbel dominieren. Im Größten unter ihnen, appliziert ein LED Panel archetypische Cityscape Animationen.


„Kring ist eine „urbane Markenskulptur“. Im metaphorischen Sinne inhaliert sie die Energie vom städtischen, gesellschaftlichen Leben und exhaliert Bilder und Botschaften. Eigentlich funktioniert sie wie ein gigantischer ‚Echolot‘ (= Echo-Container), das Eindrücke wie im Traum reflektiert“, erläutert Jang Yoon Gyoo, einer der zwei UnSangDong Geschäftsführer, und geht zur Namensklärung über. „“Kring“ ist das holländische Wort für Ring und zielt auf die sogähnlichen Öffnungen ab. Kombiniert mit den Schwingungswellen nachempfundenen Mustern auf der Fassade, lädt dies zum Assoziieren mit Wasser und der Natur ein. Dies schließt vom Miniaturorbit subatomarer Teilchen bis zu uferlosen Planetenumlaufbahnen, die die Sonne umkreisen alles mit ein.“ In diesem Sinne hebt das Architekturstatement Gegensätze zwischen Natur, Kunst und künstlich Geschaffenem auf, was zum Hauptthema überleitet, der ‚Harmonie‘:
Beurteile das Buch nicht nach seinem Umschlag! De facto handelt es sich bei dem spacigen Bauwerk in Seouls aufstrebendem Geschäftsviertel um ein Markenstatement der neuen Generation, das als vitaler Kulturtreffpunkt und Showroom für Musterappartements dient. Besitzer und Nutzer ist die Kumho Engineering & Construction Gesellschaft - einer der größten Immobilienplayer des Landes und Bauadel verpflichtet! Statt Kunden nur Einblick in bemusterte Wohnungen zu gewähren, sollen sie im Gumho Kulturzentrum erleben, wie sich ein Leben in Harmonie anfühlt. Denn „Uwoolim“ (zu Deutsch ‚Gemeinschaft in Harmonie‘) heißen die Appartements, die das wichtigste Produkt der Firma sind.
 
Nach der spärlich englischsprachigen Informationspolitik der Koreaner in Netz, Wort und eMail zu urteilen, muten die Luxuswohnungen rein äußerlich betrachtet so gar nicht harmonisch an, sondern reihen sich nahtlos ins gesichtslose Heer fantasieloser Investorenbauten ein. Doch Erschaffern scheußlicher Bauwerke kann geholfen werden! Zumindest fand UnSangDong einen Kunstkniff: Sie bemühten Jean Baudrillards Konsumtheorie, die Produkte nicht nur als funktionale Objekte sondern als Träger ideeller Zeichen betrachtet. Letztere entstehen mit der gesellschaftlichen Praxis und gewinnen auch hier ihre Bedeutsamkeit. Lässt man sich auf diesen Gedanken ein, wird das Buch gewissermaßen nicht nach seinem Einband sondern nach der Story beurteilt, die in ihm steckt – demnach kann selbst die grässlichste Betonhütte zum Zeichenträger für Harmonie werden, indem sie ihre inneren Werte zur Schau stellt: So wie die Luxusheime ihre Bewohner in Harmonie mit dem (im Kumho Firmenagglomerat entwickelten) nachhaltigen Design (z.B. regenerative Energie), der hochmodernen Technikausstattung und ihrer Nachbarschaft bringen will, serviert das Kumho Kulturzentrum einen Vorgeschmack aufs Leben in Einklang mit Natur, Kultur und Gesellschaft: „Soziale Identität steht dem Konsum näher als der Herstellung „ kommentiert Jang. „Der designte Raum kann im Kaufprozess das Verlangen des Konsumenten stimulieren.“
 
Wie also sieht in Erlebnisraum gegossene Harmonie aus? Hinter der Fassade wartet ein technozider Wohlfühlort, der vor aufgeräumter Phantasie sprudelt. Der metallische Glanz weicht klinisch weißer Weite; die nun konkaven ‚Krings‘ verbreiten Industrieästhetik und in Glasröhren verpackte Luftbrücken addieren Zukunftsvisionen. Das Atrium ist voluminöse drei Stockwerke hoch. Das „große Klangloch“ repräsentiert die Leerheit des Träumens und ist blanke Leinwand für Wünsche und Visionen. Um es Besuchern nicht zu schwer zu machen, helfen Künstler bei der Vergegenständlichung: Aus dem Fußboden sprießenden Blumen, in der Luft fliegende überdimensionale Deckenskulpturen und hauchen der futuristischen Aseptik eine Alice-im-Wunderlandreife-Surrealistik ein - frei nach dem Motto ‚Erwarte immer das Unerwartete‘. Die beiden ersten Etagen sind Galerie und Eventräume, im zweiten Stock folgen Konferenzsäle, im Dritten Musterappartements und all das krönt ein holzdielenbeplankter Dachgarten mit Café und Blick in den Himmel. 
Bezeichnenderweise kehrten die kunstaffinen Architekturjungstars den Entwurfsprozess um: Nicht der Raum sondern die „urbane Markenskulptur“ war entwurfsleitend. Und um Krings austauschfreudigen Charakter mit der Umwelt zu unterstreichen, verlängerten sie die verjüngenden Lichtöffnungen zu röhrenförmigen Gehwegen, die in Raumschiffmanie die diversen Event-, Gastronomie- und Ausstellungstrakte im Gebäude miteinander verbinden. „Die raumdurchdringenden Zylinder sind Ausdruck von Träumen, Leidenschaft und Kommunikation“, erhellt Jang ihre verbindend-metaphorische Bedeutung für Harmonie. Überhaupt steht das Runde für Harmonie und gestaltet Wände, Böden und Decken des 4-etagigen 71.000-qm-Ensembles. Manche Räume wirken, als wenn sich die Kreislöcher der Außenhaut nahtlos nach Innen gebohrt hätten. Doch spätestens auf den zweiten Blick wird klar, dass die Fassade vorgehängt, und die gipsverschalten Innenkreise losgelöst von der Außenstruktur gestalten.
 
Baulicher Blick auf die Fassade

Die Edelstahlfassade setzt sich aus einer Reihe übereinander gelagerter konzentrischer Ringe und Verbindungsstücken zwischen den sich ausbreitenden Wellen zusammen. Am schwierigsten war es, die Grundstruktur so zu planen, dass der Edelstahl heute wie aus einem Guss wirkt. Ein 3D-Programm half den Entwurf zu simulieren und in vorzufertigende Module zu gliedern, die dann vor Ort nur noch montiert werden mussten. Zuerst entstand der Skelettbau, der die kreisförmigen Stahlformen mit den linearen verband; dann wurden die verbindenden Flächen installiert.
Die unterschiedlich hohen Lagen der Außenhaut setzen sich aus einem Grundgerüst aus Stahl, einem Befestigungsrahmen (assistant frame) und mehrschichtigen Frontplatten (complex panels), die mit einer plastisch verzierten Edelstahlschicht abschließen. Die abschließende Schicht wurde Spezialfolie befestigt, um den glatten Abschluss zu gewähren. Konstruktiv ist die Außenhaut kulissenartig vorgehängt und generiert durch die verjüngenden Löcher massive Hohlräume, die teilweise zur Unterbringung von Haustechnik und Feuerschutz genutzt werden.
Baulich-deutsch betrachtet lässt die ‚Harmonie‘ einige Wünsche offen. Die städtebauliche Integration war kaum Thema, da sich das Umfeld eh im dynamischen Wandel befindet; auf Maintainance lag kein ausgeprägtes Augenmerk, weil hiesigen Showrooms oft ähnlich schnell verschwinden, wie sie entstanden (wenngleich das Gerücht grassiert, das Kumho nicht der landesüblichen Abrisspraxis zum Opfer fallen soll) und ‚Betriebsoptimierung‘ dürfte dem Entwurfsansatz nach keine planungstragende Rolle gespielt haben.
Aber unter Strich war es vielleicht gerade die Abwesenheit vieler Baurestriktionen, die ein erfrischend anderes Gebäude entstehen ließ - das vor Inspiration strotz. Dass es Betrachter nicht immer gelingen mag, der in Konzepte gegossene Harmonieideen Folge zu leisten, tut der Bauskulptur keinen Abbruch. Laut Architekten trifft die kulturelle Identitätsaufladung ins Lifestyle-Mark der Appartementkäufer – ob dabei die Paarung mit Kunst und Kultur nachhaltig zum Markenimage beiträgt, wäre zu prüfen. Früher hätte man derartige kulturelle Erhöhungspraktiken banaler Dinge als fiese Manipulation verteufelt - heute gibt es kaum mehr ein Luxuslabel, das sich nicht der Kunst und Architektur zur Aufladung seiner Marke bedient. Kurzum: die Dynamik gesellschaftlichen Bedeutungswandels macht auch vorm Brandingprozess nicht halt. So gesehen schuf UnSangDong ein so originelles wie durchaus zeitgemäßes Stück Firmenkommunikation, das dem dröschen Seouler Geschäftsviertel zu einer skulpturalen Sehenswürdigkeit verhalf. Rahel Willhardt

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