Ein Bungalow auf der Architekturbiennale Venedig 2014
Auf dieser 14. Architekturbiennale sollte alles anders werden; naja, fast alles, denn natürlich steht immer noch und bis zum 23. November die Architektur im Zentrum der internationalen Schau. Allerdings steht sie nicht mehr wie ein Star überheblich schön im Rampenlicht, auch nicht als kostbares Unikat in einer Vitrine, die mittels ausgeklügelter Beleuchtung auch noch den letzten Rest ihres Schaupotentials herauskitzelt – so wie beispielsweise auf der MIPIM, auf der nicht selten die gleichen Modelle gezeigt werden. Nein, der künstlerische Kurator der Biennale 2014, Rem Koolhaas mit Team, hat allen Beteiligten (und uns, den Rezipienten) kein Motto über den Ausstellungseingang gehängt, er hat Hausaufgaben verteilt. Jeder nationale Beitrag – in diesem Jahr sind es 65 – sollte sich mit dem Thema „Absorbing Modernity 1914-2014“ auseinandersetzen. Und man kann – jetzt schon – schreiben, dass das immerhin das bisher oft praktizierte Laufsteg-ambiente verhindert hat. Ausnahmen allerdings bestätigen die Regel.
Gespannt waren wir natürlich auf den deutschen Beitrag, der in diesem Jahr wie sonst kaum einmal sich einer medialen Vorabdiskussion durch beredtes Schweigen entzog. „Bungalow Germania“, der Titel wurde dann doch vor der Präsentation bekannt und er wollte etwas verheißen, das wohl irgendwie zwischen spießiger Großbürgerlichkeit und spießiger Großdeutschtümelei oszillieren mochte. Die Spannung stieg.
Ausstieg aus dem kaum gefüllten weil für die Menge viel zu früh fahrenden Vaporetto der Line 4.2. Die Fermata „Giardini“ kommt nach „Arsenale“, alles ziemlich weit weg vom großen Geschiebe, dessen Kulminationspunkt – der Campanile di San Marco – im Dunst des frühen Morgens aber noch sehr gut zu erkennen ist. Durch den Park geht es auf kurzem Weg zum umzäunten Ausstellungsgelände. Die Zugangskontrollen passiert geht es weiter rechts hoch über einen fein geschotterten Weg am Schweizer Pavillon vorbei („Palazzo F.“ balanciert in großen Lettern auf der Hofummauerung), am russischen Pavillon vorbei („Fair enough“ steht hier auf der Wand, man wundert sich – noch uninformiert –, weil man Herrn Putin kaum mit Fairness verbinden mag), vorbei am (süd)koreanischen Pavillon, der auf den ersten Blick gar nicht wie der Sieger im Wettbewerb um den besten Nationenbeitrag wirken will, und dann kommt noch der Pavillon der Japaner, der mit „In the Real World“ bewusst oder nicht ein Paradoxon formuliert, das im Deutschen Pavillon schließlich in eine ganz schlichte Form gebracht wird.
Hier, in dem immer wieder als unbespielbar, als ideologisch belastet, als architektonisch ungenügend verurteilten „Padiglione Bavarese“ von 1909ff. haben die beiden für die Gestaltung veranwortlichen Generalkommissare, die in der Schweiz lebenden und arbeitenden deutschen Architekten Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis, einen schönen Versuch unternommen. Sie haben den Pavillon in Venedig mit dem Kanzlerbungalow in Bonn überlagert. Und umgekehrt. Wie das geht? Sie haben, ganz vereinfacht gesagt, die Grundrisse der beiden Bauten, die vordergründig für konträre Auffassung von Gesellschaft stehen, übereinandergelegt. Und sie so lange gegen- und miteinander verschoben, bis sich beide zu einem Dritten gefügt haben, einer neuen, bisher noch nicht gedachten Realität.
Praktisch wurde dann der (öffentliche, repräsentative) Teil des aus zwei Grundrissquadraten bestehenden Bungalows aus Bonn in Grundriss und Materialität dem Original nachgebaut. Klinker, Fensterrahmen, Gardinen, Lichtschalter, Fliesen, Farben generell wurden mit den beteiligten Firmen/Sponsoren nachproduziert und installiert. Dabei sind die Setzungen so exakt gemacht, dass die Übergänge, also die Berührungspunkte zwischen den Bauten nahtlos geschieht. Die so erzeugte Präsenz bildet einen dritten Raum, dessen Unkommentiertheit dem Besucher einen möglichst großen Assoziationsraum schaffen soll (s. auch das Interview mit Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis hier auf S. 10f.) Was aber ist dieser dritte Raum? Die gestenarme Versöhnung mit deutschen Geschichten? Oder doch der „Schaukampf zwischen Gut und Böse“, wie im Feuilleton geschrieben wurde? Man kann den Generalkommissaren aber glauben, dass Letzteres nicht gemeint und ihr Konzept frei von moralischen Kategorien ist. Ihr Versuch, zwei Gebäude miteinander sprechen zu lassen scheitert allerdings schon daran, dass sich beide ständig verändern. Mal geht der eine, mal der andere im Gegenüber auf. Dennoch haben wohl die, die ein Kind der Sechziger des vergangenen Jahrhunderts sind, beim Betreten des Pavillons ein Déjà-vu: Man riecht ihn förmlich, den Geist der rigiden/
widerspenstigen Zeit damals, die in heute gelb patinierten Braun- und Beigetönen offenbar einen sicheren Platz im Unterbewussten inne hat.
„In the Real World“ ist hier nicht (in Japan auch nicht). Doch an vielleicht keinem anderen Ort auf dem Ausstellungsgelände wird die Frage nach dem Realen in der Architektur so konkret wie vage gestellt wie im Padiglione Bavarese, den 1964 ein Kunsthistoriker (Eduard Trier) und nicht ein Architekt mit der Herausnahme der drückenden Lichtdecke in einen Ausstellungsraum mit „wahnsinnig schönem Licht“ (Savvas Ciriacidis) verwandelte. Die Überlagerung und Verschneidung der Geschichten zweier Bauten, die mit unserer Geschichte untrennbar verbunden sind – von daher ist es schon mehr als fragwürdig, eine Diskussion um Erneuerung, ja Abriss zu führen –, diese Überlagerung produziert Fiktion, eine Geschichte über Geschichten. Die wird jeder anders lesen, der eine enttäuschter, der andere begeisterter. Aber jeder wird der paradoxen Situation ausgesetzt sein, die Wirklichkeit als Konstrukt in seine Erzählung einbauen zu müssen. Diese Erfindung von Realität ist widersprüchlich insofern, als sie der Wirklichkeit das Objekthafte entzieht und sie aufweicht und ausfranst bis zur Unkenntlichkeit.
Dass die Arbeit von Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer am Ende doch nicht die von Rem Koolhass gestellte Hausaufgabe erfüllt, nämlich der Frage nachzugehen, wie die Moderne in Zeiten der Globalisierung die nationale Architektur zum Verschwinden bringt, erscheint beinahe nebensächlich angesichts des Scheiterns auch der Nachbarn an dieser Aufgabe. Dass andere Architekten die Biennale zum Anlass nehmen, über die Fortschreibung des deutschen Pavillons Statements zu verfasssen und Entwürfe zu entwickeln, die zwischen Erhalt, Sanierung, Umbau und Abriss alles was möglich ist in Texten und Bildern diskutieren, erscheint fast überflüssig und riecht ein wenig nach Nabelschau („This is Modern“, eine Ausstellung des Deutschen Werkbundes). Die Installation „Bungalow Germania“, die weniger eine künstlerische Intervention sondern tatsächlich eine Art von kommunikativer Spielerei mit den Mittel der Architektur ist, beweist, dass der vielfach architektonisch überformte Bau des venezianischen Architekten Daniele Donghi modern, weil lebendig in der Gegenwart, und antimodern, weil unangepasst und unaufgeklärt rückständig ist. Das, was in dem Pavillonprojekt des Werkbundes als modern beschrieben (angedeutet?) wird (This), ist am Ende gut oder weniger gut. Aber mit dem der Moderne inhärenten Zukunftsoptimismus haben die Vorschläge von Kleihues und Co. nichts zu tun.
Es bleibt allerdings generell zu fragen, ob wir es uns leisten können, uns angesichts drängender Probleme in der Welt auf der Architekturbiennale immer wieder bloß auf ästhetisch anspruchsvolle oder philosophisch unterhaltsame Themen zurückziehen; Probleme beispielsweise im Wohnungsbau, im Stadtumbau, in der Ökonomisierung von Bildung oder öffentlichem Raum, in Fragen von Energiewende oder ganz konkret angesichts des Themas Flüchtlingsströme. Das hat mit „Intermundi“ immerhin im Ausstellungskonzept „Monditalia“ in der Corderie der Arsenale einen kleinen Platz in der Nationenreflektion gefunden. Aber gleich, noch während das hier geschrieben wird, kommt der Gedanke auf, genau das bereits schon einmal geschrieben zu haben, vor zwei, vor vier, vor … Jahren. Generell kann man ohnehin nicht auf all das Genannte eine Antwort finden. Rem Koolhaas hat mit seinem Ansatz, die Grundvoraussetzungen für Architektur wieder ins Zentrum zu stellen, eine Art von Reset-Knopf gedrückt. Jetzt könnte, nach der wirklich beeindruckenden Koolhaas-Inszenierung im zentralen Pavillon (Elementals) und der Corderie (Monditalia) die Architekturbiennale 2016 als internationaler Orientierungspunkt für ein neues Ethos in der Bau- und Planungslandschaft so richtig durchstarten. Vielleicht zusammen mit der Industrie und ihren Lobbyisten?! Be. K.