Eine Kuppel als Fußgängerbrücke
Puente Cascara,
Madrid/E

Brücken sind in erster Instanz funktionelle, ingenieursmäßige Bauwerke um Flüsse zu überqueren. In Madrid überrascht West 8 mit einer spielerisch-künstlerischen Neuinterpretation einer Fußgängerbrücke, die zum Verweilen einladen soll.

Die beiden Brücken sind Teil des Arganzuela Parks, eines Teilabschnitts der etwa 6 km langen Parklandschaft, die von West 8 urban design & landscape architecture zusammen mit ihren lokalen Partnern MRIO entworfen worden ist. Der langgestreckte Grünraum liegt im Südwesten des Stadtzentrums, unweit des Königspalasts, und folgt dem Lauf des Rio Manzanares.

Ziel des von der Stadt Madrid ausgeschriebenen Wettbewerbs war es, ein Konzept zu finden, das den Fluss, der bis zum damaligen Zeitpunkt durch die beiderseitige Schnellstrasse M30 von seiner Umgebung getrennt wurde, wieder für die Bewohner zugänglich zu machen und neue Grünflächen zu schaffen.

Die Projektentwicklung erfolgte in zwei Abschnitten: In der ersten Phase wurden die beiden Unterflurtrassen mit ihren Ein- und Ausfahrten beiderseits des Flusses angelegt. In der zweiten Phase erfolgte die Parkgestaltung auf den Dächern der Tunnels und der angrenzenden Brachflächen. Neben den bereits bestehenden Autobrücken und technischen Brücken werden in Zukunft vier neue Fussgängerbrücken die beiden Ufer des Rio Manzanares miteinander verbinden. Die zwei von West 8 selbst entworfenen Brücken liegen am südlichen Ende des Parks in direkter Nachbarschaft eines ehemaligen Schlachthauses, dem Matadero, das zu einem Veranstaltungszentrum und Ausstellungszentrum für zeitgenössische und experimentelle Kunst umgebaut worden ist.


Idee

West 8 spielt beim Entwurf ihrer Brücken gekonnt mit allen Unterteilen, wie der eigentlichen Tragkonstruktion, dem Gehweg oder dem Geländer (z.B. das Simcoe Wavedeck in Toronto). Bei den Fußgängerbrücken in Madrid aber akzentuieren sie das Dach über der Brücke. Schatten ist in dem heißen, trockenen Klima von Madrid ein wichtiges Thema. Deshalb plante West 8 nicht nur die Pflanzung von unzähligen, gut angewachsenen Bäumen im ganzen Parkgebiet, sondern entwick­elte aus diesem Grund die Entwurfsidee aus der Fußgängerbrücke einen schattenspendenend Aufenthaltsort zu machen. Mittels mehrerer Studienmodelle versuchten sie den parabolischen Querschnitt der Brücke so zu krümmen und zu drehen, dass der Fußgänger den Eindruck hat in und nicht auf einer Brücke zu stehen. Durch diese an den Auflagerpunkten tunnelartige Krümmung schufen sie eine zusätzliche Torsituation, die das Betreten und Verlassen der Brücke nocheinmal markiert. Neben der rein funktionellen Bedeutung der Verbindung, und des Schattenspenders soll sie auch Kunstobjekt im öffentlichen Raum sein, was durch das Mosaik an der Kuppelinnenseite klar zu erkennen ist.



Konstruktion

Die Tragkonstruktion der Puente Cascara ist eine Schale aus Ortbeton, die sich elegant über 41,5 m von einer Uferseite zur anderen spannt und einseitig auf der Wand des Straßentunnels aufliegt.

Ursprünglich sollte die Brücke aus sechs vorgefertigten Teilschalen zusammengesetzt werden. Aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit des Ortes – die großen Einzelteile, die Tragfähigkeit der Tunneldecke, die für die Kranfahrzeuge nicht ausreichend gewesen wäre – fiel die Wahl auf Ortbeton.

Durch den Bau vor Ort mussten beim Entwurf Abstriche gemacht werden, zum Beispiel entfiel das Relief der Farnblätter an der Außenseite. West 8 bestand allerdings auf die Beibehaltung des Kontrasts zwischen der rauen Außenseite und der schönen gestalteten, glatten Innenseite. Durch die Ortbetonschale erhielt die Kuppel eine sehr hohe Steifheit, die eine Betondicke von 15 cm zuließ.

Zum Bau der Kuppel wurde in der Flussmitte eine temporäre Insel aufgeschüttet, auf der man die Stützstruktur für den Gehweg aufgebaute. Letzterer diente in der Folge als Plattform für das Schalungsgerüst der Kuppel. Die Unterkonstruktion der Schalung wurde in Seg­menten vorgefertigt, die Schalungsbretter vor Ort an die Krümmung angepasst und fixiert. Die Segmente der Deckschalung wurden als Gesamtes vorgefertigt. Nach dem Gießen der Kuppel in einem Arbeits­­gang versiegelte man die Rüttellöcher, mit einem eigens entworfenen Stempel. Die Randflächen der Schale drehen sich im Bereich der Brückenmitte bewusst aus der Horizontalen nach außen, um den Effekt des Innen und Außens noch zu verstärken. Nach dem Austrocknen der Betonkuppel wurde der Gehweg mit ca. 120 Stahlseilen im Abstand von 60 cm abgehängt. Die im Abstand von 20 cm fixierten, achillessehne-förmigen Stäbe des Brückengeländers sind aus Gussaluminium, der Handlauf aus Holz.


Ingenieurleistung

Als Cascara werden im Spanischen die Fruchtschale von Orangen ­bezeichnet, womit auch der Kräfteverlauf und das Tragverhalten des Daches klar wird: die Kräfte werden nicht über die Bögen an der Längs- bzw. Querseite und diagonale Kreuzrippen abgeleitet, sondern gleich­mäßig über die gesamte zweiseitig gekrümmte Schale. Die im Bereich der Auflager entstehenden, nach außen wirkenden Druckkräfte der Schale werden durch die Stahlkonstruktion der auf Zug beanspruchten Fußgängerplattform kompensiert.

Die größte Herausforderung und die zeitintensivste Arbeit für die Statiker und die Baufirma lag darin, die Schalungselemente zu bauen. Hierfür wurden Fachkräfte aus Portugal engagiert, die die Technik des Schiffbaus beherrschten. Aufgrund der komplexen Geometrie und aus Sicherheitsgründen beschloss man die Innenschalung vor Ort zu fertigen, während die Deckschalung aus vorfabrizierten Elementen bestand. Durch den händischen Zuschnitt der Rippen und der Bretter der Innenschalung gelang es die exakte Drehung der Seitenkanten zu erzielen und deren Verlauf präzise zu kontrollieren. Die Schalungen dieser Kanten waren auch die einzigen Teile, die für den Bau der zweiten Brücke nicht wiederverwendet werden konnten. Obwohl die Kuba­tur der Brücken für Acciona kleine Projekte darstellten, waren sie aufgrund ihrer Konstruktion Prototypen. Der Bau der ersten Brücke war gleichzeitig ein Test, der zu Veränderungen beim Gießen der zweiten Brücke führte: so mussten die Schalungselemente, die sich durch die Betonfeuchtigkeit stark verformten nachadjustiert werden. Gleichzeitig entschied man sich zur Verwendung flüssigeren Betons und langsameren Gießens, um sicherzugehen, dass alle Ecken gleichmäßig ausgefüllt sind. Durch das schnelle Gießen der Kuppel bei der ersten Brücke (6 Stunden) kam es zu leichten Verschiebungen und zum stellenweise Hervortreten der Bewährungseisen, was jedoch an der Steifigkeit des Daches nichts veränderte. Michael Koller, Den Haag

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