Eine Momentaufnahme

Meier Unger Architekten ist ein junges Büro aus Leipzig. Wir, die DBZ Redaktion, arbeiteten vergangenes Jahr zum ersten Mal mit ihnen zusammen und wollten für das neue Jahr von ihnen wissen: Welche Auswirkungen haben die aktuellen Veränderungen auf euch und eure Arbeit? Und welchen Fragestellungen möchtet und müsst ihr euch stellen?

Vor dem Hintergrund aktueller ökologischer und klimatischer Gegebenheiten führen wir ein immer wiederkehrendes Streitgespräch über unsere eigene Methodik im Entwurfsprozess. Inwieweit müssen wir die Lehren unserer eigenen Ausbildung, die Faszination für das Werk vergangener Architektinnen und den Wunsch nach eigener architektonischer Entfaltung zur Diskussion stellen? Vor dem Hintergrund der Ressourcenknappheit, der zunehmenden Versiegelung von Boden und dem Wohnungsmangel erscheint das Privileg einer individualisierten Erstellung eines eigenen Werks zweifelhaft. Natürlich schafft man innerhalb einer Karriere immer ein Werk, nur stellt sich die Frage nach der Motivation. Versucht man sein eigenes Werk über eine theoretische Auseinandersetzung zu legitimieren oder schafft man es, die Zeichen der Zeit richtig zu lesen und auf gesellschaftliche und ökologische Umbrüche adäquat zu reagieren? Es muss natürlich beides sein, sagt in unseren Gesprächen immer die eine zum anderen. Nur ist dem so? Oder gerät Architektur nicht allzu oft in die Mühlen der Selbstdarstellung. Wir müssen uns immer wieder ins Gewissen reden, ob die Leidenschaften, die wir verfolgen, einen Mehrwert generieren oder ob es um einen rein architektonischen Ausdruck geht. Wir glauben, und da sind wir uns dann meistens einig, dass die wiederkehrende Debatte, junge Menschen, die auf die Straße gehen, Wissenstransfer über Herstellung von Baustoffen, die Sichtweise schärft und zur Disziplin animiert.

Debattenkultur

Waren politische und gesellschaftliche Debatten bisher geprägt von etablierten Protagonisten, wird nachvollziehbare Kritik von jüngeren Generationen immer lauter und einflussreicher. Wir hoffen, dass dieses Umdenken auch in die Architekturdebatte Einzug hält. Nach wie vor ist der Einfluss festgefahrener Strukturen und etablierter Bewertungshaltungen groß. Wir, wie auch eine Vielzahl von jungen KollegInnen, merken, dass wir an den immer gleichen Hürden, Wettbewerbsbedingungen und überalterten Kommissionen scheitern. Das scheint vor dem Hintergrund der anstehenden Probleme und Krisen paradox, erscheint uns die junge Baukultur wesentlich flexibler im Umgang mit Veränderung. Der Diskurs über den Umgang mit architektonischem Ausdruck, Vorbildern und Fragestellungen wird wesentlich offener und progressiver geführt und unterliegt weniger den Zwängen zeitlich be­stimmter Ästhetik.

Planungsprozess und Zeit

Die Potentiale, die sich in Krisenzeiten auftun, sind zudem mannigfaltig. Wir glauben, dass eine große Chance besteht, Planungsprozesse neu zu denken. Bauen wird immer komplexer, Regeln und Normen immer undurchschaubarer, die zivilisatorischen Anforderungen an die Behaglichkeit nehmen kontinuierlich zu, die Kehrseite der Medaille ist der stetige Wunsch nach Kostenreduktion, Energieeinsparung, Ressourcenschonung und selbstverständlich ein zeitlich optimierter Planungsprozess (Baukultur sei hier ausgeklammert, da sie schon seit langem zum Nebenprodukt degradiert wurde). Jetzt scheinen aktuelle Krisen wie ein Katalysator zu wirken und das fragile Konstrukt beginnt zu schwanken. Wenn nicht jetzt, wann dann wäre die richtige Zeit, um das System nicht nur in Frage zu stellen, sondern auch neu zu gestalten? Und diesen Anspruch können wir zweifelsfrei stellen. Wer sonst sollte die komplexen Abhängigkeiten koordinieren? Es mag kokett klingen, wenn wir behaupten, dass wir das bei unseren eigenen Bauaufgaben so einfordern, sind sie doch von überschaubarer Größe. Dennoch führen wir diese Auseinandersetzung und es ist erstaunlich, wie selbstverständlich und konstruktiv unser Anliegen den Planungsprozess bestimmt.

Resilienz

Neben der Rekultivierung von Zeit im Planungsprozess halten wir es für unumgänglich, einen Diskurs über die Anforderung an das Bauen zu führen. Die stetig steigenden Anforderungen an ein Schutzbewusstsein und Komfort benötigen immer mehr Ressourcen, Energie und Technik. Das steht unserer Meinung nach diametral zu den ökologischen wie klimatischen Veränderungen, welche bereits omnipräsent spürbar sind und sich in naher Zukunft noch verschärfen werden. Wäre es nicht anspruchsvoll und zeitgemäß, Neubauten mit einer solchen Robustheit auszustatten und mit so wenig Anforderungen wie notwendig, dass sie flexibel und nachhaltig genutzt werden könnten? Und nicht mal nur, um einen Funktionswechsel zu ermöglichen, sondern um Kommunen, InvestorInnen oder BewohnerInnen die Möglichkeit zu geben, die Architektur ohne markante Eingriffe so zu nutzen, wie es zu einer bestimmten Zeit angemessen wäre. Es müssten noch vielfältigere Erprobungsräume entstehen, bei denen z. B. Wohnbauprojekte realisiert werden könnten, die in der Aufgabenstellung bereits einen reduzierten Anspruch von Komfort vorschreiben, dafür aber den Schwerpunkt in der Partizipation von Flächen ansetzen. Wir behaupten, die Erkenntnisse wären nachhaltiger und ökologischer als die stetige Verdickung von Dämmschichten.

Was wir aber nicht meinen, wenn wir von Anspruch und Robustheit sprechen, dass die Gebäude zu charakterlosen, unspezifischen Hüllen werden. Die Resilienz, die man im Städtebau fordert, muss auch beim einzelnen Gebäude eine Rolle spielen. Vielleicht hätte das zur Folge, dass das hochwertige Bauen in unserem Land eine Renaissance erfahren sollte. Allzu oft haben wir das Gefühl, dass man hochwertig gleichsetzt mit höherem Ressourcenverbrauch. Das ist ein fataler Irrtum. Unter hochwertig verstehen wir eine intensivere Auseinandersetzung mit der Fügung aller am Bau verwendeten Teile und welche Aussage sie für den Betrachter einnehmen. Das müssen nicht zwingend hochwertigere Materialien sein und auch nicht unnötig unterschiedliche. Aber es muss einen konstruktiven Diskurs geben. Ist dieser sorgfältig und folgt einer ideellen Auseinandersetzung, erzeugt er Qualität und im besten Falle Schönheit. Wir haben für uns die ­Möglichkeit entdeckt durch die konstruktive Auseinandersetzung in den Entwürfen, dass architektonischer Ausdruck nicht im Widerspruch zu logischen Bauen steht und unsere Entwürfe legitimiert und Beliebigkeit eliminiert.

Mehr als Konstruktion

Konstruktion ist immanenter Bestandteil von Architektur. Dass das Verständnis und die Aus­einandersetzung jedoch architektonische Legitimation bedeuten kann, ist ein Erkenntnisprozess, dem wir uns abseits von Haltung und Idealen in unserem Metier bewusst wurden. Produktionsmethoden, vor allem bei der Aufbereitung von Bauelementen und Vorfabrikation, folgen in erster Linie gesetzmäßig einer ökonomischen Optimierung. Jedoch stellen wir fest, das neue oder vereinfachte Prozesse der Produktion auch Poten­tiale aufweisen. Beim Haus Scholl in Selzach konnten wir die Erfahrung machen, dass alle beteiligten Holzbauer den Abbund über CNC-gesteuerte Abbundstraßen vollzogen. Das Potential dieser computergesteuerten 3d-Fräsen nutzen wir, um die gesamte Deckenbalkenstruktur des Hauses mit Schwalbenschwanzverbindungen realisieren zu können. Eine Holzverbindung, die ohne Kleber, Nägel oder Schrauben auskam. Das Zunutze-Machen dieser traditionellen Holzverbindung war aufgrund der technischen Produktionsbedingungen wieder ökonomisch tragbar. Zudem konnte in den statisch irrelevanten Bereichen des Schwalbenschwanzes zusätzliches Holz ausgefräst werden, was jeden einzelnen Balken zudem auszeichnete. Diese Eingriffe waren aufgrund des notwendigen Abbundes minimal, für den architektonischen und räumlichen Ausdruck jedoch ein Gewinn. Diese handwerklichen Momente finden über wirtschaftliche Optimierungsprozesse den Weg zurück in die Architektur. Wir mussten sie uns nur bewusstwerden und zu eigen machen.

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