Erst die Nutzung klärenScharounschule, Marl
Die Bewahrung eines Denkmals unserer jüngeren Zeit ist eigentlich nur möglich, wenn dieses seine Aufgabe – sei es die ursprüngliche oder eine neue – auch unter veränderten ökologischen, aber auch ökonomischen Anforderungen verlässlich erfüllen kann. Auch ein Bau von Hans Scharoun muss sich diesem Anspruch stellen, den die mit der Sanierung beauftragten Architekten von Anfang an vor Augen hatten.
Denkmal- und Sanierungsgeschichte
Die von Hans Scharoun entworfene und in den Jahren 1962–1971 in mehreren Bauabschnitten realisierte Volksschule in Marl (mit Ober-, Mittel- und Unterstufe) ist das dritte der von Scharoun geplanten Schulprojekte. Realisiert wurde neben der hier besprochenen Schule noch die in Lünen. Scharouns Entwurf dort wie in Marl ist von der damaligen Vorstellung einer alternativen Pädagogik geprägt. Licht und Luft in allen Räumen war hier ebenso Programm wie eine Organik in der Grundrissbildung, die sich gegen eine Hierarchisierung wandte, die auch noch Jahrzehnte nach Lünen und Marl in Deutschland den Schulbau prägte.
In gewisser Weise schuf der ehemalige Berliner Stadtbaurat in Marl mit seiner Anlage von vernetzten Klassenräumen eine Lernlandschaft, wie sie heute im Schulneubau angestrebt wird. Dabei allerdings konnte sich der Architekt den Luxus erlauben, im Großen eingeschossig zu planen. Außer der im Zentrum stehenden Aula, der Hausmeisterwohnung und der Verwaltung verteilen sich die vier zu Vierergruppen zusammengefassten Klassenräume als beinahe solitäre Pavillonbauten (Waben) entlang der Erschließungsachsen.
Das Denkmal ist von einer vielfältigen Raumlandschaft geprägt, die mit Sichtachsen, Niveausprüngen oder unterschiedlichen Raumweiten spielt. Klassen- und zahlreiche Werkräume, aber auch die Pausenhalle oder die großzügigen Vorräume vor den Klasseneinheiten haben Außenbezug, entweder unmittelbar oder über Außenblicke. Die Klassenräume mit ihrem wabenförmigen Grundriss haben jeweils zwei so genannte Konchen für Rückzug aus der Mitte. Aus diesen Raumerweiterungen gelangt man auf die jedem Klassenraum zugeordnete Terrasse oder einen kleinen Innenhof, der ursprünglich Pflanzbeete bereithielt.
Auf der städtischen Denkmalliste steht die Schule erst seit 2004. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Verfall schon im Gange. Die Unterschutzstellung hatte offensichtlich die Funktion, die Öffentlichkeit auf den möglichen Verlust eines wertvollen Baudenkmals aufmerksam zu machen. 2003, ein Jahr vor der Unterschutzstellung wurden die Architekten Pfeiffer Ellermann Preckel aufgefordert, ein umfassendes Sanierungskonzept in Form eines Gutachtens zu entwickeln. Die Münsteraner hatten sich über zahlreiche Sanierungsaufgaben einen guten Ruf in der Region und darüber hinaus erarbeitet.
Gutachten ergibt Nutzungskonzept und Finanzierungsstrategie
Das 2003 erstellte Gutachten hätte, so Christoph Ellermann im Gespräch, nicht die Tiefe haben können, wäre es nicht von Anbeginn an mit vertrauten wie neu hinzugewonnenen Fachplanern erarbeitet worden. Insbesondere die Problematik der thermischen Ertüchtigung bei gleichzeitigem Erhalt möglichst großer Anteile der Originalsubstanz erforderte die frühzeitige Hinzuziehung von Haustechnik und Energieberatung. Die exakte Bauaufnahme, Schadensanalysen und die Erarbeitung einer Sanierungsstrategie sollten dazu führen, dass die Stadt Marl, die solcherart aufwändige Maßnahmen nicht annähernd hätte finanzieren können, ein bedeutendes Denkmal retten konnte. Und – das ist den Architekten fast noch wesentlicher – sie erhielt die Räume, die sie benötigte.
So waren die Architekten aufgefordert, neben allen baulichen Strategien eine Nutzungsstrategie zu entwickeln und die einer Finanzierung. Nachdem hier viele mögliche Varianten durchgespielt worden waren – unter anderem gab es die Überlegung, hier Betreutes Seniorenwohnen unterzubringen – kam man schnell wieder zum ursprünglichen Gebrauch: dem einer Schule. Einziehen könnten die Aloysius-Grundschule und die städtische Musikschule. Dieser Mix ermöglichte es, auf zwei Fördertöpfe zugreifen zu können: Die Maßnahmen „Grundschule und Turnhalle“ werden aus Zuwendungen des Landes NRW, dem „Investitionspakt zur energetischen Erneuerung sozialer Infrastruktur“ realisiert. Grundlage dieser Förderung ist eine energetische Sanierung auf Grundlage der EnEV. Die Maßnahmen „Musikschule und Aula“ werden aus Zuwendungen des Landes NRW zur Stadterneuerung finanziert. Beide sollten über die Sanierung und die Entwicklung der Scharounschule zu einer musischen Kultur- und Begegnungsstätte gewährleisten, dass die kulturelle Betreuung des Marler Stadtteils gegeben ist.
Sanierungsumfang / Wettbewerb / Mustersanierung
Die Sanierungsstrategie umfasste im Gutachten die Punkte: 1. Dachsanierung inklusive Dachrand, 2. Fassadensanierung, 3. Wiederherstellung der Innenhöfe,
4. Sockelabdichtung und -ausbildung, 5. Sanierung der schadhaften Decken, Wände und Fußbodenaufbauten und 6. Wiederherstellung des scharounschen Farbkonzeptes. Insbesondere das Letztere deutet an, dass alle Sanierungsarbeiten neben der Berücksichtigung energetischer Gesichtspunkte auch den denkmalpflegerischen Belangen zu genügen hatten.
Nachdem der Stadt das Gutachten vorlag, geschah erstmal nichts. Immerhin konnte eine Notsanierung der Dachlandschaft geleistet werden. Erst 2008, also lange nach Unterdenkmalstellung 2004, schrieb die Stadt ein VOF Verfahren aus, das 2009 die Gutachterarchitekten aus Münster für sich entscheiden konnten. Sie überzeugten den Bauherren, die Arbeiten komplett an einem Klassenraum für alle Gewerke auszuschreiben. Diese Mustersanierung ergab – weil exakt auf die meisten Bauteile übertragbar – für die Gesamtsanierung eine genaue Zeit- und Budgetübersicht. Die verlorene Zeit von etwa 9 Monaten konnte später nicht zur Gänze wieder eingeholt werden. Ein Manko, dass die exakte Erfüllung der budgetären Vorgaben aber mehr als ausglich.
Dächer / Fenster / Mauerwerk / Farben
Der größte Kostenfaktor im Sanierungsprozess war die Reparatur und energetische Ertüchtigung der weitläufigen Dachlandschaft. Nach heutigen Erkenntnissen mit baukonstruktiven Fehlern behaftet hatte der Gebäudeabschluss gravierende Schäden, die sich bis tief in den konstruktiven Teil fortsetzten. Neben den Reparaturen wurde die Dachhaut um eine Dämmlage (ca. 12 cm) ergänzt.
Der komplette Dachaufbau wird von einer Stahlkonstruktion getragen, die nach innen hin über eine hölzerne Abhangdecke versteckt wurde. Da die Stähle wie damals üblich mit PCB-haltigen Anstrichen versehen worden und die Deckenuntersichten teils vom eindringenden Wasser geschädigt waren, mussten sämtliche Decken entfernt, der Stahl vom PCB befreit und die Deckenunterverkleidungen neu gemacht werden.
Die Holzfenster, ursprünglich einfach verglast und durch falsche Reparaturanstriche (schwarz) teils vermodert, wurden durch fast baugleiche, doppelverglaste ersetzt.
Die Außenwände aus dem regionalen, eher weichen Ziegel, wurden lediglich gesäubert, eine Dämmung schied aus Denkmalschutzgründen aus. „Der Mix aus hochdämmend und gleichsam ungedämmt“, so Christoph Ellermann, „ergab dann den Mittelwert, der ausreichend war.“ Eine Strategie, die mehr und mehr auch bei energetischen Sanierungen von Stadtvierteln zur Anwendung kommt.
Klimatisierung
Die von Hans Scharoun geplante und realisierte Klimatisierung der Klassenräume über ein jeweils dem einzelnen Raum zugeschaltetes mechanisches Lüftungssystem musste schon nach ein paar Jahren aufgegeben werden. Die für diesen frühen Prototypen der mechanischen Klimatisierung installierten Bodenschächte, die warme Luft unter dem Boden bis an die Fenster brachte, wurden sämtlich geöffnet und für eine Fußbodendämmung genutzt. Die in der zurückliegenden Gebäudegeschichte ins-tallierten Heizkörper unter den Fenstern konnten abgebaut werden. Jetzt gibt es im ursprünglichen Klimaraum eine kleine Wärmeanlage mit Wärmerückgewinnung. Die temperierte Luft wird über in die Wand eingebrachte Weitwurfdüsen unterhalb der Decke bis zu den Fenstern geführt, dort abgekühlt und unten wieder abgesaugt.
Fazit
Es gäbe noch viel zu schreiben über Abdichtungen im Sockelbereich, über den Ersatz des Waschbetons in Teilflächen, über akustische Planungen insbesondere im Musikschultrakt. Über die Bedeutung der Aula als kleiner Philharmonie. Über den Kampf der Architekten mit Normen bezogen auf die Unfallverhütung. Absturzhöhen wären hier ein Stichwort. So hätten bei den Sitzbänken auf dem Abschluss der Terrassen die Sitzlehnen erhöht werden müssen. Die Architekten wussten das zu umgehen, indem sie ganz einfach den Boden unterhalb der Bänke so aufschütteten, dass eine Absturzsicherung nicht mehr nötig war. Die Erhöhung des Brüstungsgeländers auf den Rängen der Aula konnte so unauffällig geschehen, dass nur ein Kenner die Hinzufügung eines weiteren Rundstahls oberhalb des originalen Geländerabschlusses bemerken würde.
Zentral für die Sanierung sind aus Architektensicht allerdings nur drei Dinge: erstens die Phase des Gutachtens weit vor allen Maß-nahmen, dann das Durchspielen der Sanierung an einem Musterteil
und schließlich ganz wesentlich die Entwicklung eines nachhaltigen
Nutzungskonzeptes. Christoph Ellermann im Interview mit der
DBZ (10 | 2015): „Das sieht man ja nicht selten: Erst wird ein Gebäude wiederherstellt, dann schaut man auf den möglichen Nutzen. Vergessen Sie’s!“ In Marl lief es anders herum, weshalb wir die Schule in Marl heute als ein lebendiges Denkmal erleben können. Be. K.
Scharounschule
Liegnitzerstr. 5, 45768 Marl
Jansen, 48157 Münster, www.pgsj.de
Sanierung EnEV 2007