Nr. 327, Feltrinelli Porta Volta, Mailand/IT

Giangiacomo Feltrinelli war ein radikaler Publizist, ein Agitator aus bestem bürgerlichen Haus, ein Unruhestifter und politischer Macher, der fundamental über Gesellschaft und die Möglichkeiten ihrer Veränderung schrieb, sprach und das Gesprochene durchaus auch in Taten umsetzte. Dem italienischen politischen Establishment war er zusehends ein Dorn im Auge, die Ursachen seines plötzlichen Todes am 14. März 1972 sind bis heute ungeklärt: Unfall oder Mord?!

Doch so aufgeladen diese Biografie erscheint, die zurzeit regelmäßig im Zusammenhang mit dem Projekt von Herzog & de Meuron kolportiert wird, so wenig hat sie am Ende mit dem neuen Stiftungssitz in Mailand zu tun. Denn es war der Onkel Giangiacomos, Antonio Feltrinelli, der den größten Teil seines Vermögens in eine Stiftung umwandelte. Die verleiht seit 1950 in mehreren Disziplinen hochdotierte Preise vergleichbar der Nobel Stiftung: Literatur, Naturwissenschaften, Kunst, Medizin ... Ihr selbstgesteckter Auftrag, gesellschaftlich relevante Leistungen zu fördern und bekannt zu machen, hat die Stiftung schließlich bewogen, sich eine neue und wie nun ersichtlich ist, höchst transparente Zentrale zu bauen. Als Bestandteil eines städtebaulichen Masterplans für das Viertel um die Porta Volta, das aufgrund seiner städtebaulichen Dimension und seiner Platzierung an einer historischen Nahtstelle ein bedeutendes, planerisches, strategisches Potential besitzt, sollen die Neubauten sich einerseits aus dem lebendigen Umfeld bedienen können, wie andererseits ihre vielfältigen Aktivitäten wirkungsvoll in Szene setzen.

Permeable Mauerarchitektur

Die Planungen von Herzog & de Meuron aus dem Jahr 2009 umfassen neben dem Gebäude der Fondazione – gegenüber den Resten der Porta Volta und noch nicht begonnen – zwei weitere Bürogebäude und eine, ebenfalls noch nicht realilsierte Grünanlage. In Anlehnung an die Zwillingsbauten an der Piazza del Duomo wie an die Körperhaftigkeit lombardischer Bauernhöfe entwarfen die Basler entlang der Linie der ehemaligen Stadtmauer eine filigrane Mauerarchitektur, die von weitem gesehen undurchlässig und fließend ist, sich im Vor-übergehen öffnet und den nur wenige Meter weiten Spalt zwischen den Bauten zeigt (Längenteilung in ca. zwei zu ein Drittel). An diesem Schnitt zeigen die Volumen einander ihre Betongiebel, die lediglich von kleinen Rundfenstern geschossweise geöffnet sind.

Im Gegenteil dazu die jeweils zu den historischen Stadttoren weisenden, vollverglasten Giebel, die nicht das Gegenüber, sondern
dessen Nachbarschaft auf irritierende Weise widerspiegeln. Die Verschiebung der Giebel aus dem rektangulären Raster ist dabei eine, die sich über die ganze Länge des Volumens zieht. Frontal wird sie allein sichtbar, weil die schlanken Fertigbetonrippen im Dachgeschoss am First fixiert sind und durch den Versatz am Traufende über fast drei Achsen zur Seite gezogen werden. Damit wird nicht bloß die Verschiebung des Volumens konsequent, die Architekten erreichen damit auch die Darstellung einer geneigten Dachfläche, die in der frontalen Ansicht sonst nicht so leicht möglich wäre.

Die Skelettierung ergibt maximale optische Durchlässigkeit − Blickbezüge reichen durch das schlanke Volumen bis zum anliegenden Bestand − und umgekehrt können die Anwohner die neue Mauer größtenteils als eine Art Vorhang wahrnehmen, der zudem den Straßenlärm der vielbefahrenen Viale Francesco Crispi mildert. Dass die Transparenz der skelettierten Bauten durch die Stores gemindert wird, die vor allem auf der Südfassade nötig sind, spiegelt das übliche Dilemma solcherart geöffneter Bauten, zumal, wenn in ihnen auch wertvolle Bücher gelesen werden können.

Emblematischer Charakter

Restaurants, Cafés und kleinere Läden sollen die Stiftungsbauten mit Büros, Lese- und Vortragssälen in das Viertel implementieren. Der noch anzulegende Park auf der Südseite (auch Sonnenschutz!?) über dem unterirdischen Parkdeck könnte Gleiches leisten.

„Die Neustrukturierung des Gebiets Porta Volta ist ein typisch mailändisches Projekt, das Themen der Mailänder Stadtplanung und Architektur aufnimmt. Diese Themen haben im Laufe der Geschichte eine ganze Reihe emblematischer Bauten hervorgebracht, für welche die Stadt Mailand heute berühmt ist“, schreiben die Architekten und deuten damit an, dass ihre Bauten für die Stiftung ebenfalls emblematischen Charakter haben. Dem ist zuzustimmen. Be. K.

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