Festhalten und Loslassen

Frankfurt School of Finance & Management, Frankfurt a. M.

„Wie kombiniert man die städtebauliche Vorgabe eines Verwaltungsgebäudes der 50er-Jahre mit den Anforderungen einer modernen Hochschule? Der Lösungsansatz des Büros Henning Larsen war, das Volumen zu teilen und auseinanderzuziehen. Dadurch entstand ein langes, alle Funktionen verbindendes Atrium, an das sich offene und geschlossene Gruppenarbeitsplätze, Gänge, Brücken und Treppen anlagern. Diese „Zeil des Wissens“ ist die horizontale Verbindungs- und Erschließungsachse für alle Nutzer und lädt zum Aufenthalt ein. Die Vorlesungs- und Seminarräume sind entlang der Fassaden angeordnet und haben Tageslichtbezug.“ 

⇥DBZ Heftpate Werner Frosch

Vom Festhalten und Loslassen und dem kreativen Prozess dazwischen

Die Hochschule in Frankfurt, geplant von Henning Larsen und MOW Architekten, zeigt, wie kompliziert der Umgang mit dem Erbe der Nachkriegsjahre ist, städtebaulich, architektonisch und pädagogisch. Der Patient war nicht mehr zu retten. Die Hochhausscheibe an der Adickesallee in Frankfurt a. M. litt unter einer Vergiftung durch Naphthalin, eine Sanierung war nicht möglich. Seit 1955 beherbergte der Bau des Architekten Hans Köhler die Oberfinanzdirektion. Aber fast 60 Jahre später war diese längst ausgezogen, das Grundstück verkauft und der Abbruch des leerstehenden Baudenkmals unvermeidbar. Was bleiben durfte, war ein davor aufgeständerter, filigraner Pavillon im typischen Schwung der 1950er, der Präsidialbau. Aber ein Pavillon ohne Scheibe, das reichte der Stadt Frankfurt nicht. Deshalb sollte das Volumen und die stadträumliche Position des Altbaus maßgeblich sein für einen Neubau. Dabei war die Scheibe weder besonders flexibel in der Nutzung, noch bildete sie besonders qualitätsvolle Innen-, Außen- und Stadträume. Die Vorgabe, sich trotzdem am Alten zu orientieren, machte einen Neubau kompliziert.

Organisieren

2012 kaufte die Frankfurt School of Finance and Management, eine private Wirtschaftshochsschule, das Gebäude samt Grundstück, um dort einen zukunftsfähigen Campus aufzubauen. Aber wie baut man die Zukunft mit einer Gussform aus der Vergangenheit? Denn seit den 1950er-Jahren wurden aus klaren, hierarchischen Ordnungen längst komplex strukturierte Organismen. Was früher stark zweidirektional war – die menschlichen Bezüge zueinander, die Kommunikation, die Bewegungsrichtungen, die Lehrmethoden, hat heute viele Richtungen und eigene Dynamiken.

Was baulich kaum vereinbar scheint, schafft das dänische Architekturbüro Henning Larsen 2013, als die Frankfurt School einen Wettbewerb zum Neubau auslobte, betreut vom Frankfurter Planungsbüro MOW: Henning Larsens entwarfen ein längs gerichtetes Sockelgebäude, darauf ein Ensemble aus fünf Türmen. Der Entwurf erinnert an das Volumen der alten Scheibe und bietet trotzdem im Inneren mehrdirektionale Bezüge und flexible Flächen. Bis zur Umsetzung folgte ein langer Diskurs zwischen Bauherr, der Stadt Frankfurt und den beiden Büros Henning Larsen und MOW.

Lernen

Eine viergeschossige Halle teilt das Sockelgebäude in zwei lange Riegel. Hier gelangt man in das Gebäude wie in eine Schlucht, 140 m lang und nach oben schmale Streifen Himmel, rechts und links zerklüftet die Fassaden der beiden Riegel. Die Halle mit der enormen Raumwirkung und den wechselnden Perspektiven ist der Anker für den Entwurf. In ihrem Erdgeschoss liegen die zentralen Funktionen: die vier Zugänge zum Gebäude, das Entree, der Empfang und die Aufgänge. Daran gliedern sich die öffentlichen und anmietbaren Räume, wie das Audimax, das Café, das Restaurant und ein sogenanntes Learning Center. An den Hallenseiten darüber wechseln sich offene Galerien und geschlossene Lochfassaden ab, dazwischen schieben sich verglaste Balkone, Treppenaufgänge und Aufzüge in die Halle. Es entstehen Durch- und Einblicke, die sich mit der Bewegung über die Galerien, Treppen oder in der Halle selbst stetig verändern. Ursprünglich war die Halle breiter geplant, doch für mehr Abstand zur hinteren Grundstücksgrenze mussten die Architekten sie verschmälern. Ein Glücksfall, wie der Projektleiter bei Henning Larsen, Werner Frosch, sagt: „Die Bezüge im Innern werden so viel intimer und intensiver.“  So sehen die Mitarbeiter der Studienberatung die diskutierende Studentengruppe auf der Galerie gegenüber; die wiederum schauen hinauf zu den Sitzgruppen der Executive Lounge; von dort blickt man zurück auf konzentriert arbeitende Studenten hinter Glas. Lernen durch den stetigen Perspektivwechsel, durch die Begegnung, Verarbeitung und Diskussion verschiedener Standpunkte, das ist der Kern von Larsens Entwurf. Werner Frosch sagt: „Wir haben heute einen veränderten Anspruch ans Lernen und wir suchen dafür den sozialen Raum.“ Für die Architektur bedeutet das „einen sozialkonstruktivistischen Ansatz, der neue Kreativität und Wissen hervorbringt.“ Das passiert hier in den Pufferzonen, die die Halle innen mit den geschlossenen Seminarräumen an den Außenseiten des Gebäudes verbinden. Aber es setzt sich auch in den Seminarräumen fort: Dort findet man u-förmig angeordnete, abgetreppte Arbeitsplätze oder rollende Drehstühle mit Klapptischen, um Debatten und Gruppenarbeiten zu ermöglichen. Interaktives und introvertiertes Arbeiten ergänzen sich: So bilden das Learning Center über drei Geschosse sowie die verglasten Balkone einen Ruhepol zu den offenen Gruppenarbeitsplätzen. Dieses pädagogische Ideal eines demokratischen, interaktiven und abwechslungsreichen Lernens ist längst bekannt, findet aber kaum einen gebauten Raum in deutschen Hochschulen. Zum einen, weil viele unserer Hochschulgebäude älter sind als dieses Ideal. Zum anderen, weil sich Hochschulen noch schwer tun, feste Hierarchien zugunsten einer demokratischen Bildungsstruktur aufzugeben und die Lehrenden und Lernenden auf Augenhöhe zu bringen. Werner Frosch sagt: „Wir sind da in Dänemark ein ganzes Stück
weiter.“

Erinnern

Die Frankfurt School versteht ihr Lehrangebot als exklusive Dienstleistung, daher ist alles auf die Erwartungshaltung der unterschiedlichen Nutzer, internationale Studierende, Doktoranden und sich weiterbildende Führungskräfte, ausgerichtet: Stühle mit dicker Lederpolsterung, Tische aus Eichenholz und mit Filz gepolsterte Vitra- und Jacobsenmöbel im 1950er-Jahre-Stil. Über das Design und den Innenausbau sagt Stephan Lücke, Partner bei MOW: „Die Materialwahl bei den Möbeln und den Oberflächen erinnert an die Historie des Präsidialbaus und seiner Entstehung in der Zeit des Wirtschaftswunders.“ So finden sich dort z. B. holzvertäfelte Funktionswände. Das übertrug MOW auf den Neubau und schuf u. a. bei den Seminarräumen mit Holz verkleidete Akustikwände und beim Audimax eine Schrankwand aus Eichenholz, als Stauraum für die Bestuhlung. Auch die Lochfassade mit ihren roten Keramikplatten ist eine Reminiszenz an das Alte. Die Fassadenfarbe wurde eigens entwickelt und in drei Abstufungen auf die Fassade gesetzt, so dass die changierende Farbstruktur des Neubaus an die braunen Spaltplatten des Altbaus erinnert.

Die Erinnerung an das Alte betraf auch die Kubatur: Zuguns-ten des städtebaulichen Denkmalschutzes glichen die Architekten die Höhe der Türme aneinander an; zugunsten der Nachbarschaft rückten sie sie zueinander und wechselten deren Abfolge. So verbinden sich die Türme zu einer mäandernden Einheit, statt eines Turmensembles entsteht eine Großstruktur. Doch dabei entstehen neue Qualitäten, die der Altbau, wie viele Gebäude seiner Zeit, vermissen ließ: Mit vier Dachterrassen von insgesamt ca. 1 100 m² Fläche schaffen die Architekten Freiräume, die der Fassade einen menschlichen Maßstab und dem Gebäude und seinen Studierenden einen Bezug zur Stadt geben, sowohl im direkten Stadtumfeld als auch in der Fernsicht. Auch hier geht es um den Wechselbezug: Das Gebäude wirkt nicht nur als Erinnerungsbild in die Stadt. Die Stadt wirkt auch als Gegenwarts- und Zukunftsbild auf die Studierenden im Gebäude. Alles eine Frage der Perspektive. Rosa Grewe, Darmstadt

Baudaten

Objekt: Neuer Campus Frankfurt School of Finance & Management

Standort: Adickesallee 32-34, Frankfurt am Main

Typologie: Bildungsgebäude

Bauherr: Frankfurt School of Finance & Management gGmbH

Nutzer: Frankfurt School of Finance & Management

Architekt: Henning Larsen (Lph 1-4, Leitdetails Lph 5, künstlerische Oberleitung), München,

www.henninglarsen.com; MOW Architekten (Lph 5-8), Frankfurt a.M., www.mow-architekten.de

Mitarbeiter (Team): Werner Frosch, Markus Böhm, Danijel Schneider, Melissa Ang-von Naso, Alen Hausmeister, Irena Nowacka, Marsyas von Naso, Georg Brennecke, Juliane Demel

Bauleitung: MOW Architekten, Frankfurt a.M., www.mow-architekten.de

Bauzeit: März 2015 – Oktober 2017

Fachplaner

Tragwerksplaner: osd – office for structural design, Frankfurt a.M., www.o-s-d.com

TGA- und Energieplaner: solares bauen GmbH, Freiburg i. Br.,

www.solares-bauen.de

Innenarchitekt: MOW Architekten, Frankfurt a.M., www.mow-architekten.de

Bauphysikplanung: osd – office for structural design, Frankfurt a. M., www.osd.com

Akustikplaner: Kurz und Fischer, Winnenden, www.kurz-fischer.de

Landschaftsarchitekt: Man Made Land, Berlin, www manmadeland.de

Brandschutzplaner: Endreß Ingenieurgesellschaft, Frankfurt a.M.,

www.brandschutz-gutachter.de

Elektroplanung: BWP B. Wiegand + Partner Planungsges. für Industrie- und Haustechnik mbH, Essen,

www.bwp-gmbh.de

Gastronomieplanung: PROFIL Gastronomie Planung + Innovation GmbH, Kriftel, www.profil-gastronomieplanung.de

Entwicklungsmanagement: rheform GmbH, München, www.rheform.de Kleibrink Smart in Space Organisationsplanung: KLEIBRINK. SMART IN SPACE, Winterthur,

www.smartinspace.ch

Projektdaten

Grundstücksgröße: 18 575 m²

Geschossflächenzahl: 1,7

Nutzfläche gesamt 23 673 m²

Nutzfläche: 23 673 m²

Technikfläche: 2 483 m²

Verkehrsfläche: 7 354 m²

Brutto-Grundfläche: 37 880 m²

Brutto-Rauminhalt: 180 470 m³

Baukosten (nach DIN 276)

Gesamt brutto 109,4 Mio €

Kosten/qm BGF

1 693,35 € (KG 300+400)

1 949,63 € (KG 300 – 600)

2 364,31 € (KG 200 – 700)

Energiebedarf

Primärenergiebedarf:

116,9 kWh/m²a nach EnEV 2014

Endenergiebedarf: 77,6 kWh/m²a nach EnEV 2014

Jahresheizwärmebedarf:

30,6 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2014

Energiekonzept

Gebäudehülle 

U-Wert Außenwand = 0,035 W/(m²K)

U-Wert Bodenplatte = 0,040 W/(m²K)

U-Wert Dach = 0,030 W/(m²K)

Uw-Wert Fenster = 0,83 W/(m²K)

Hersteller

Fenster: HUECK System GmbH & Co. KG, www.hueck.de

Fassadenelemente: Mosa bv,

www.mosa.com

Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de

Systemtrennwände: feco Systeme GmbH, www.feco.de

Linoleum: Forbo Flooring GmbH, www.forbo.com,

Holzdielen/Parkett: Bauwerk Parkett GmbH, www.bauwerk-parkett.com

PU-Beschichtung: BASF SE,

www.basf.com

Fliesen: Mosa bv, www.mosa.com

Sanitär: Keramag, www.keramag.de

Trockenbau: Knauf Gips KG,

www.knauf.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 03/2019

Mit dem steten Wandel in der Lehre mithalten

Hochschulbauten spielen in den sechzig Jahren der Geschichte und des Portfolios von Hennig Larsen eine entscheidende Rolle. Wir sind uns bei dieser Gebäudetypologie sehr bewusst, dass wir durch...

mehr
Ausgabe 05/2012

Soll nicht saniert werden: OFD, Frankfurt a. M. www.frankfurt.de, www.frankfurt-school.de

In Frankfurt am Main wird immer noch massenhaft gebaut. Teils auf Restflächen (der Bahn bespielsweise), teils auf Flächen, die ebenfalls im Rahmen eines Strukturwandels andere Nutzungen als...

mehr
Ausgabe 09/2018 Fassadenmodule in Schwarz

Institutsgebäude des ZSW, Stuttgart

ZSW-Stuttgart-Henning-Larsen-Strassenansicht-Jens-Willebrand

Bis 2050 strebt Deutschland einen klimaneutralen Gebäudesektor an, von 2020 an müssen sogar alle Nichtwohngebäude in der EU als Niedrigstenergiegebäude gebaut werden. Heizung, Warmwasser, Lüftung...

mehr
Ausgabe 01/2021

Büro Henning Larsen / Andreas Schulte, Heftpartner in DBZ 03 2019

„Challenge the programme! Dieser Ausspruch begleitet uns gegenwärtig mehr denn je; seien es Büro- oder Hochschulbauten. Begreifen wir die aktuelle Lage als Chance, in eine neue Realität zu treten....

mehr
Ausgabe 07/2017 Wie wollen wir morgen arbeiten?

Siemens Headquarter, München

Der 1847 in einem Mietshaus in Berlin gegründete Konzern hat seitdem an vielen Standorten in Deutschland und in der ganzen Welt repräsentative Adressen. Doch die Verwaltung des Unternehmens ist den...

mehr