From Blob to Box
Das Mumuth in Graz/A

Das Mumuth-Haus für Musik und Musiktheater der Kunstuniversität in Graz öffnete im März 2009 seine Türen. Es ist weitaus mehr als ein kleines Theater oder ein einfacher Konzertsaal.

Das Taxi in der Grazer Lichtenfelsgasse fährt fast vorbei, ohne dass sich irgendwie die normalerweise frechen Bauskulpturen des UN Studios gezeigt hätten. Allerdings weiß der Chauffeur sehr wohl, dass drinnen die Post abgeht. Was das heiße, will der angereiste Kritiker wissen? „Da steht kein Stein auf dem anderen!“ Ein schönes Bild – es passt
leider nicht (das Mumuth ist im Kern ein Stahlbetonbau!), und es ist auch metaphorisch übertrieben. Im Gegenteil. Das Herzstück des „Mumuth“ ist die Reminiszenz an die Schuh­box und den Musikvereinssaal von Wien, Urmutter aller klassifizierten Musiksäle.

Im Wettbewerb von 1998 war das Mumuth noch anders gedacht, nämlich mit einem wirren Formknäuel einer „Spiral-Figur“. Heute ist in der Anfahrt „gepflegte“ Langeweile zu erleben, aber eine mit winzigen witzigen Fehlern, die letztendlich zum Hinschauen zwingen. Die Drahtbox bewegt sich, ist nicht nur orthogonal. Die Box biegt sich, streckt sich. Und später am Abend wird klar: Das glühende und glimmende Nachtgesicht ist wild bis fröhlich und wird zum offensiven Vermittler dessen, was innen abgeht.

Tagsüber ist diese Zurückhaltung im biedermeierlichen Ambiente der Grazer Vorstadt ein Segen, denn der Schönheitspreis gehört ohnehin dem altprächtigen Palais Meran schräg gegenüber. Dort sitzt die Uni-Verwaltung. Erschlossen wird das Mumuth über den parkseitigen Eingang für Studierende und Lehrende und über die beiden Publikumspforten an der Lichtenfelsgasse. Bei Veranstaltungen wird der funktionale Eingangsbereich zur unteren Lobby. Ein mobiler Kassenschalter hilft dabei. Erster Hinweis zum Thema Flexibiltität.

Aus Tradition offen für Neues

Was war das Raumprogramm? Ein Theatersaal mit 300 Sitzplätzen, ein großzügiges Foyer, Probenräume und Werkstätten unterschiedlicher Größe sowie Büroräume bestimmen das Raumprogramm auf drei Stockwerken, verteilt in einem Quader von 71 x 22 m Grundfläche und 17 m Höhe. Das Mumuth muss aber noch mehr sein: innovativer, artifizieller Klangraum, mit dem Potential, traditionelle, tektonische Zwänge zu überwin­den.

Ben van Berkel von UN Studio hatte schon im Wettbewerb mit der plakativen Aufforderung „From Box to Blob“ eine Transformation der konventionellen orthogonalen Theaterbox in eine frei geformte Figur im Bereich des Foyers eingeleitet. Die heutige Lösung entwickelte sich dann in einzelnen Schritten, zunächst als eine Fortführung und gleichzeitiger Verdrehung der Theaterlängswände. Durch das Verdrehen der parkseitigen Theaterlängswand in die Horizontale entstand die Decke des dritten Obergeschosses. Die straßenseitige Wand verwandelte sich in die Decke über dem Erdgeschoss. Die Decken im Foyerbereich sind etwa 22 x 26 m groß und lassen nahe der Mitte ein großes Treppenloch aus. Die Verbindung beider Decken in einer weiteren freien Form als Twist ist sozusagen der Urknall Ben van Berkelschen Denkens, listig fügte er hinzu: „Die Beziehung zwischen Musik und Architektur ist eine klassische. Zu klassisch für unsere Zeit? UN Studio mag es klassisch verdreht …“

Gleichzeitig sollte dieses Zeichen als Rückgrat einer Verbindungstreppe zwischen den Geschossen dienen. Die Tragwerksplaner von Ove Arup schlugen daraufhin vor, den „Twist“ so weiterzuentwickeln, dass er in der Lage ist, von der Theaterbox auskragend, die Geschossdecken in der Mitte zu stützen. Das spart zusätzliche Stützen ein. Und das freute die Architekten.

Höhepunkte in Rot und Aubergine

Es gilt, aus der Fülle der Raumeindrücke über die zwei wichtigsten zu berichten: Einer ist diese Showtreppe, mit einer rot glühenden Farbe belegt, als gehöre sie zur Berlinale. Sie läuft wie in einem Betonbett, das sehr betont die Kurve kriegt. Was kein Besucher ohne Nachdenken realisiert: Es ist die eleganteste Stütze der Welt, zu der viele Überlegungen bis zur Vollendung notwendig waren (siehe auch Kapitel Technik). Ansonsten entwickelt sich ein Milieu der sanfteren (Farb-)töne, die zum Tagträumen verführen. Das ist dem vorherrschenden Beton als Trägermasse geschuldet und dem klimatauglichen zweischaligen Käfig, dessen außen liegende Drahtpaneele das Licht so schön diffus machen. Der Twist ist die Show fürs Auge, jene längst notwendige neue Entsprechung moderner 12-Tonmusik und dem Wesen des Free Jazz – keine Tektur, sondern Fluss! Der Rest ist sanft zurückhaltend. Dann der zweite Höhepunkt, der Musiksaal. Unverschämt einfach und perfekt, wieder geschickt gestört, denn die Wände sind gebeult, geknittert. Auch der Saalboden ist bewegte Topografie, weil er durch szenisch verfahrbare 108 elektromechanisch angetriebene Podeste variabel zwischen 0 und 3 m verändert werden kann und für die gesamte Saalfläche auf Knopfdruck Landschaften von flacher Reihenbestuhlung über eine Tribüne bis hin zur Arena entstehen. Die abtrennbare „Montagehalle“ dient raumadditiv, beispielsweise auch als Guckkastenbühne. Konsequenterweise ist auch die Raumakustik mit elektronischer Steuerung als mögliche Erweiterung der natürlichen Grundakustik flexible. Alles ist vom Milieu her möglich: der Jazz-Club oder die Philharmonie, das Experimentiertheater oder die große Oper. Alles in einer Hülle. Ein begehbarer Gitterrost über dem Saal erleichtert die Bedienung von insgesamt 224 Scheinwer­fern. 24 Punktzüge auf zwei Montageträgern sind jeweils frei verfahrbar und ermöglichen, dass Kulissen und Menschen im ganzen Saal „geflogen“ werden können. Insgesamt also ein gebauter Aufforderungs­schrei an die Studierenden: Seid neugierig und experimentiert! Versucht, die Grenzen dieser Architektur zu erkunden! Sie zu finden, wird schwierig sein.

Was, Herr Prof. Schmid, ist eigentlich ein Twist?

Twist stammt aus dem Englischen und kennzeichnet eine Verdrehung. In diesem Bauwerk werden Ebenen verdreht, Wände zum Beispiel, so dass sie zu Geschossdecken werden und umgekehrt. Dieser spezielle Übergang ist also das Twisten und ist inzwischen beim CAD als Begriff eingegangen.

So ein Twist war natürlich bisher beim Bauen die Ausnahme?

Natürlich kann das noch kein etablierter Begriff im Ingenieursbau sein, weil Wand und Decke, Stütze oder Balken lange klassische Tragwerkselemente waren, die weder verdreht noch vermischt wurden. Wir haben den Begriff für diese frei geformte Struktur selbst gefunden, wie auch das konstruktive Vorgehen innovativ zu nennen ist...

Das führt zu der Frage oder Feststellung, ob das Mumuth kein gewöhnliches Projekt war und zunächst an der Grenze zum nicht Baubaren stand? 

Das Mumuth steht an der Grenze dessen, was man mit unseren üblichen Materialien – Stahl, Stahlbeton oder Stahlverbund – bauen kann. Deshalb bestand am Anfang der Problemlösung die Aufgabestellung, sich eine möglichst einfache plausible Vorstellung vom Tragverhalten zu machen. Das war der in die Theaterbox eingespannte, liegende Rahmen (vgl. auch S. 34ff), später erst kamen die Finite-Elemente-Berechnung, und die konkreten Entscheidungen für das Material, also welche Betonqualität auszuwählen ist, welche Profile man ansetzen muss usw.

Sie waren schließlich sehr erfolgreich?

Ja, aber nach den Berechnungen muss man diese dann auf der Baustelle umsetzen. Nicht nur schön zeichnen, nicht nur schön rechnen, sondern es auch umsetzen. Wenn wir das geschafft haben, dann ist es eben dem gesam­ten, sehr effektiv zusammenarbeitenden Team aus Architekten, Tragwerksplanern und Baufir­men dieser komplexen Aufgabe zu verdanken.

Architekten und Ingenieure müssen immer öfter zusammenarbeiten, die großen kom­-plexen Aufgaben erfordern es. Das gilt auch für ihre Tools, die kongruent sein sollten; wie funktioniert das? Oder genauer nachgefragt, was hat sich in der langen Bearbeitungszeit des Mumuth verbessert?

Zu Beginn unseres, inklusive Pausen, fast zehn­jährigen Planungsprozesses war es noch viel schwieriger. Viele Informationen aus den Architektenprogrammen mussten wir damals noch händisch nacharbeiten und mühsam die architektonischen Daten und Informationen zur modellierten Twisteroberfläche in unseren FE-Daten nachtragen. Das geht heute bedeutend einfacher und schneller.

Kann man feststellen, dass ein sehr anspruchsvoller Architekt auch einen kongenialen Ingenieur als Partner braucht?

Ja, das ist unsere Hoffnung. Denn es reicht ja nicht, dass die Programme immer besser werden, sie sind ja auch nur ein Tool wie es früher der Taschenrechner oder Rechenschieber waren. Stattdessen ist entscheidend, dass der Ingenieur versteht, wie der Architekt denkt. Und der Architekt weiß, was der Ingenieur zu beachten hat. Was die Tradition von Arup ausmacht, ist das bewusste Zugehen auf die Architekten und die Analyse ihrer Arbeitsweise.

Gab es während der Planungsarbeit Momente, in denen Sie den Architekten am liebsten in die Wüste geschickt hätten?

Eigentlich nicht (lacht), vor allem deswegen, weil es uns schnell klar wurde, dass unsere Vorstellungen gut zusammenpassten. Einen Teil der Schwierigkeiten haben wir uns selbst eingebrockt, weil wir Ingenieure selbst vorgeschlagen hatten, den Twist frei auskragen zu lassen. Das hatten die Architekten so nicht gefordert. Aber sie waren sehr froh darüber, dass durch die Idee des freitragenden Twists einige funktionale und gestalterische Probleme elegant überwunden wurden. Gemein­sam erarbeiteten wir eine Geometrie, die einen tragfähigen Lastpfad entlang der Innenkante des Twistes enthält. 

Das Büro UN Studio wünschte sich im Rahmen der eigenen Materialregie und Milieu­-bildung Sichtbetonoberflächen im gan­zen Ge­-bäude, also auch im Twistbereich. So wurde es dann auch ausgeführt. Aber das war nicht allein mit Stahlbeton zu bewältigen?

Eine konventionelle Stahlbetonkonstruktion mit Sichtbetonoberflächen wäre schwerer und dabei weniger leistungsfähig gewesen. Der Twist ist also keine reine Stahlbetonkon­ s­truktion, sondern eine Stahlverbundkonstruk­tion, dabei wirkt der Stahl, das heißt die innenliegenden Rohre, zusammen mit dem Beton an der Oberfläche konstruktiv. Gemein­sam zeigen sie die Möglichkeiten und den Charakter dieser Bauweise auf, und im übrigen Mumuth geht es dann als frei geformte Stahlbetonstruktur weiter. Eine Ausführung nur in Stahl hätte eine aufwendige Verkleidung und eine geringere Steifigkeit des Twistbereiches zur Folge gehabt. 

Zusammengefasst, was lernen wir daraus?

Für die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur ist eine verständliche Kommunikation der strukturellen Zusammenhänge unabdingbar. Die klaren Stabwerkmodelle waren im Vorentwurfsstadium ein hervorragendes Hilfsmittel. Die Darstellung der komplexen Geometrie erfolgte hier mit einem architektonischen Programm zur Oberberflächenmodellierung. Besonders hilfreich waren die Arbeits- und Präsentationsmodelle, die im Zuge der komplexen Formfindung mit computergesteuerten Modellbaumaschinen gefertigt wurden.

Der Bauteil „Twist“

Der Reiz frei geformter Raumkurven und Oberflächen hat im digital gesteuerten Entwurfsprozess für Architekten aller Spielklassen einen immensen Anreiz entwickelt, mittlerweile den Bachelorstudiengang erreicht. Die Realisierung ist am Ende keine Zauberei, sondern harte Ingenieursarbeit, wenn die vom Architekten ausgewählte Geometrie des Bauwerks umgesetzt werden soll.

Der Architekt besitzt zunächst einen Vorteil, eine Carte blanche, denn er ist es, der sich aus dem unendlichen Angebot des Rechners genau die Variante heraussuchen kann, die er philosophisch und ästhetisch für die richtige hält.

Die Sache hat für die konstruktive Umsetzung einen Haken – durch das Rendering wird der Kraftfluss im Tragwerk und umgekehrt präjudiziert, ja definiert: „Eine enge Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur ist deshalb schon beim Entwurf dieser frei geformten Bauwerksgeometrien unumgänglich“, sagt Prof. Volker Schmid von der TU Berlin, der als Tragwerksplaner für Ove Arup arbeitet und maßgeblich am Mumuth-Projekt beteiligt war. Seit 1999 schon lief der Planungsprozess einschließlich Wettbewerb für das Mumuth, für die komplexe Geome­trie sowie die Tragwerksfindung des frei geformten räumlichen „Twist“, einer verdrehten Tragkonstruktion mit zentraler metaphorischer Bedeutung für das gesamte Mumuth. In Folge der sehr langen Planungs- und Bauzeit mussten die Überlegungen zu einer Zeit geführt werden, als solche Entwicklungen als Neuland galten.

So ist ein schulmäßiges Beispiel für die neue Qualität der Kooperation zwischen Architekt und Ingenieur und für die Entwicklung und Visualisierung der Bauwerksgeometrie entstanden, auch wenn inzwischen fertig gestellte Bauwerke wie das Phaeno in Wolfsburg oder die BMW Welt in München das verdeckt haben. Das Mumuth ist als ein Prototyp zu begreifen.

Die Aufgabe

Der „Twist“, entstand aus der Überlegung, in der Übergangszone von Foyer und Theaterbox aus der Verlängerung der Theaterwände eine sich drehende Figur zu entwickeln, die die Lasten aus den zwei Geschossen des Foyerbereichs trägt – und ohne zu erwartete Stützen auskommt, dafür in funktionaler Addition zur integrierten Treppe wird und die Verbindung zwischen dem ersten und zweiten Obergeschoss herstellt.

Das ist etwa ein Thema vergleichbar wie am Doppelzylinder in der BMW Welt in München, wo Coop Himmelblau ebenfalls Lasten abtragen lassen.

Die Randbedingungen

Die orthogonale Tragstruktur der Theaterbox, also dem größten Bauteil, besteht aus Ortbeton. Die Deckenplatten und das Dach wurden in Stahlverbundbauweise hergestellt. Im vorgelagerten Foyerbereich sind die Stahlträger IPE 500 sichtbar und laufen radial auf das Treppenloch zu. Entlang der Fassade tragen unterschiedlich geneigte Stahlstützen mit 197,3  mm Durchmesser und maximal 2,90 m Abstand die Stahlträger. Innen liegen die IPE 500 auf dem Randträger des Treppenlochs auf, die wiederum vom Twist gestützt wird. Die Stahlträger wirken zusammen mit der 150 mm starken Stahlbetonplatte im Verbund.

Die gewählte, statisch ungünstige Trägeranordnung betont die freie Formgebung des Twists, im Gegensatz zur orthogonalen Struktur im Theater- und Bürobereich. Die Stützen entlang des Gebäudeumfangs tragen die Ränder der Geschossdecken, die innere Glasfassade sowie das Edelstahlgewebe der äußeren Fassade. Im Foyerbereich gehen die Stützen mit einer engen Krümmung direkt in die Dachfläche über. Zur Herstellung der engen Biegeradien wird das Induktionsbiegeverfahren eingesetzt. Bohrpfähle mit 600 und 750 mm Durchmesser reichen durch eine Auffüllung mit Abbruchschutt bis in den tragfähigen Untergrund.

Modell zur Tragwerksanalyse

Dieses komplizierte Tragwerk erforderte, dass der Tragwerksplaner im Entwurfsprozess schon im Vorentwurfsstadium eingebunden wird und das komplexe räumliche Tragsystem prinzipiell richtig abgebildet wird. In horizontaler Richtung ist der Twist durch die Deckenplatten im ersten und dritten Obergeschoss starr mit der steifen Theaterbox verbunden. Eine erste vereinfachte Beschreibung des Tragsystems lässt sich deshalb auf eine Analyse in der Twistansicht reduzieren. Die Analogie mit einem liegenden Rahmen zeigt die Kongruenz zwischen Twistgeometrie und Schnittgrößenverteilung. Die zwei Tragwerksbereiche mit in der Ansicht geringer Bauhöhe geben die Momentennullpunkte vor. Entsprechend ist am Ort der maximalen Momente die Bauhöhe ebenfalls maximal. Mit Hilfe eines Stabwerkmodells lässt sich der Kraftfluss im Tragwerk klar durch Zug- und Druckkräfte darstellen. Die Haupttragwirkung basiert auf der Druckkraft, die entlang dem geneigten Lastpfad vom Auflager schräg nach links oben durch den Twist verläuft. Damit ist klar, dass sich die Druckkräfte entlang des inneren Randes des Twistes konzentrieren, insbesondere dort, wo der Lastpfad nahe der Twistkante verläuft.

Optimierung der Twistgeometrie

Um eine Optimierung der Geometrie zu erreichen, wurde die Innenkante so verschoben, dass der Lastpfad möglichst steil und innerhalb des Twistrandes verläuft. Dazu wurde der räumliche Kraftverlauf durch ein FE-Modell (Finite Elemente) mit Stabelemen­ten beschrieben, mit dem die tragwerkstechnische Optimierung der Geometrie möglich war. Im nächsten Schritt wurde ein FE-Modell mit Schalenelementen eingesetzt. Dabei wird im Oberflächenmodell des Architekten ein Gitternetz erzeugt, das dann in das räumliches FE-Programm der Ingenieure importiert und dort überarbeitet wird.

Infolge der damals noch reduzierteren Möglichkeiten der Netzgenerierungstools waren viele händische Nacharbeiten am FE-Netz notwendig. Die Rech­nerergebnisse zeigten, dass der Lastpfad entlang der Twistinnenkante nahezu gerade durch das Tragwerk verläuft. Die Analogie zu einer im Twist gelegenen geneigten, gekrümmten Stütze lag nahe.

Die neue Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur

Die Schnittgrößen und damit Bauteildicken im Twistbereich sind eine Funktion der Geometrie. Die Geometrie wurde in Zusammenarbeit mit UN Studio verändert, die den kompletten Foyerbereich des Theaters unter Be­rücksichtigung der statischen Berechnungsergebnisse geplant hatten. Dieser iterative Prozess der Formfindung verlangt in der Entwurfsphase nach einem einfach zu manipulierenden statischen Modell. Eine Veränderung frei geformter Oberflächen im FE-Schalenmodell ist sehr aufwendig, wenn die Geometrie nicht parametrisch im FE-Modell beschreibbar ist. Die eigentliche Optimierung der Twistgeometrie erfolgte deshalb mit dem FE-Stabmodell. Dieses besitzt weniger Elemente, mit dem Vorteil, dass Geometrieänderungen vergleichsweise einfach von Hand vorgenommen werden können. Als Ergebnis der Berechnung erhielt man Kräfte und Momente, aus denen analog einer Stützenberechnung die Stababmessungen errechnet werden konnte. Abhängig von diesem Er-gebnis wurde die Twistgeometrie verändert. Hier bedeutete es eine Streckung der Scha­lengeometrie, mit dem Ziel, die Schalenkante möglichst nahe des geneigten, geraden Drucklast­pfads zu positionieren. Der untere Auflagerpunkt wurde gleichzeitig so weit wie architektonisch vertretbar nach vorne, Richtung Twist, verschoben. Damit wurden die zunächst zu hohen Schnittgrößen auf ein zulässiges Maß verkleinert.

Entwurfsschritte in Stahlbeton

Zur ersten Überprüfung der so gefundenen Geometrie diente ein grobmaschiges Schalenmodell. Die ermittelten Spannungen wurden vereinfacht mit einer fiktiven „zulässigen (Druck-)Spannung“ verglichen, die der äußeren Schicht eines Bauteils zugeordnet werden kann und die den baupraktisch maximal möglichen Bewehrungsgrad in der entsprechenden äußeren Schicht berücksichtigt.

Dieses Verfahren ermöglicht eine Verbesserung der Schalengeometrie in begrenzten Bereichen mit einer entsprechend begrenzten Anzahl an zu verändernden Maschen des FE-Netzes.

Konstruieren und überprüfen

Zur Darstellung der komplexen räumlichen Geometrie verwendeten UN Studio gleich zu Beginn des Entwurfes ein heute übliches Programm zur Oberflächenmodellierung (Rhinoceros). Damit wurden erste relativ einfache dreidimensionale Prinzipskizzen angefertigt, die dann bis zum endgültigen Entwurf verfeinert werden konnten. Als Vorteilsnahme beim Arbeiten mit dem Computer konnte das virtuelle Oberflächenmodell auf dem Bildschirm in alle Richtungen gedreht und geschnitten werden. Trotzdem blieben die komplizierten räumlichen Zusammenhänge teilweise unklar und ein reales Modell wurde auch im Entwurfsstadium unverzichtbar.

Zum „Rapid Prototyping“ des Twistbereichs wurde deshalb eine computergesteuerte Wachsmodellbaumaschine eingesetzt – damals auch ein recht innovatives Verfahren. Die Eingabedaten beruhten auf einem virtuellen Volumenmodell auf Basis des FE-Netzes. So ließen sich sehr schnell räumlich komplexe Modelle bis etwa 35 cm Kantenlänge erzeugen, die nicht nur den Entwurfsprozess unterstützten, sondern auch in Präsentationsmodell integriert werden konnten.

Resumeé

Die Gestalt des Bauwerks bestimmt den Kraftfluss im Tragwerk und damit die Abmessungen der Bauteile. Bei komplexen räumlichen Schalentragwerken entscheidet die Geometrie in letzter Konsequenz die Realisierbarkeit des ganzen Entwurfs. Die Kommunikation der strukturellen Zusammenhänge verdient beim Entwurf frei geformter räumlicher Tragwerke besondere Aufmerksamkeit. Die aktive Teilnahme des Tragwerkplaners im Entwurfsprozess ist damit unumgänglich. Alle Texte: Dirk Meyhöfer


  

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