Lebendiger Beton

Genossenschaftshaus Stadt­erle, Basel/CH

„Mittels einer materialorientierten Bauweise, bei welcher wohnungstrennende Struktur­wände und Decken in Beton, Fassadenmodule und nichttragende Trennwände in vielseitiger Sandwichbauweise gefertigt werden, entsteht ein atmosphärischer Reichtum, welcher das profane Konstruktionsmaterial Beton aufwertet und dadurch für den Wohnungsbau zu etablieren vermag.“⇥

⇥DBZ Heftpate Andreas Bründler

Basel bildet die Schweizer Spitze des Dreiländerecks Schweiz-Frankreich-Deutschland, die Grenzlage brachte in der Vergangenheit zahlreiche Besonderheiten mit sich. So besaß allein Deutschland drei verschiedene Bahnhöfe in der Region. Ende der 1980er-Jahre beschloss die Deutsche Bahn, den Güterbahnhof von Basel nach Weil am Rhein zu verlegen. Das rund 20 ha große Areal im Osten der Stadt wurde von Bahngebäuden und -infrastruktur geräumt und ab 1998 mit Zwischennutzungen bespielt. Zwei städtebauliche Wettbewerbe legten die Grundlage für den Bebauungsplan, der neben Gewerbeflächen auch Wohnungen für 1200 Personen vorsieht. Den östlichen Teil des Geländes mit insgesamt drei Baufeldern auf einer Fläche von 3 ha erwarb 2010 die Stiftung Habitat. Hier sollen in den kommenden Jahren 13 Mehrfamilienhäuser mit gemeinnützigen Wohnungen für rund 630 Personen entstehen. Ein Drittel ist unterdessen bezogen.

Idealistische Initiative

Eine Parzelle überließ die Stiftung Habitat der für dieses Projekt neu gegründeten Genossenschaft „Zimmerfrei“ im Baurecht. In der Deutschschweiz, vor allem in Basel und Zürich, sind Genossenschaften traditionell stark im gemeinnützigen Wohnungsbau vertreten. Auch im Hinblick auf nachhaltiges Bauen haben sie oft eine Pionierrolle. Für das gesamte Erlenmattquartier, gelten deswegen auch strenge Regeln in Bezug auf Umweltverträglichkeit, Energieeffizienz, Mobilität und Stromerzeugung.

Im Frühsommer 2014 führte die Genossenschaft einen Projektwettbewerb mit sechs eingeladenen Architekturbüros durch. Auf dem L-förmigen Grundstück sollte ein Mehrfamilienhaus mit einem ausgeklügelten Wohnungsmix entstehen. Die Energiebezugsfläche pro Person lag bei maximal 36 m². Darüber hinaus war im Hinblick auf Ökologie und Energieeffizienz den Anforderungen von Minergie-P-Eco, vergleichbar mit dem deutschen Passivhausstandard, Rechnung zu tragen. Das Motto lautete: Teilen statt besitzen, und bezog sich sowohl auf die großzügig zu planenden Gemeinschaftsflächen als auch auf gemeinschaftlich genutzte Fahrzeuge.

Gut und günstig. Mit Beton.

Dem Siegerprojekt von Buchner Bründler Architekten gelang der Spagat zwischen Flächen- und Finanzknappheit sowie architektonischer Eleganz mit Bravour. Die Planer verlegten den Zugang zu den Wohnungen in hofseitige Laubengänge. Drei Treppenhäuser und ein Lift erschließen den fünfgeschossigen Bau vertikal. Die Lauben bieten geschützten Außenraum und nachbarschaftlichen Kontakt, und sie eliminieren die Verkehrsfläche aus den Wohnungen.

Im Wettbewerb schlugen die Architekten den Bau als Holzkonstruktion vor. Nach dem Vorprojekt forderte die Bauherrschaft allerdings eine Kostensenkung im siebenstelligen Bereich. Die radikale Lösung der Architekten: Aus dem reinen Holz- wurde ein Holz-Beton-Hybridbau. Die Architekten sahen die Kostensenkung und die damit einhergehende Neukonzeption des Gebäudes als eine Herausforderung. „Im Nachhinein sind wir glücklich über die Entscheidung“, sagt Büropartner Andreas Bründler.

Tatsächlich entwickelte der pragmatische Entscheid in der Folge seinen ganz eigenen Reiz. Die Genossenschaft Zimmerfrei organisierte Echoräume an denen die Architekten teilnahmen – also Gesprächsrunden, in denen der Austausch zwischen Architekten und Genossenschaftlern gefördert wurde, die Bewohner Wünsche äußern konnten und Entscheidungen über Material- und Farbwahl gefällt wurden. So konnten die Architekten schon frühzeitig eine breite Akzeptanz für das Material schaffen. Die Architekten verwendeten das Material Beton roh und direkt sowie in feinen Details. Andreas Bründler sagt: „Der Materialwechsel inspirierte uns zu einer Materialisierung, die sich vielleicht am ehesten mit dem `As found´ von Alison und Peter Smithson umschreiben lässt. Immerhin befinden wir uns hier auf dem Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofs, auch wenn man das nirgends mehr spürt. Mit der Entscheidung für Stahl und Beton zollen wir dieser Vergangenheit Reverenz.“

Der Beton zeigt sich nur an wenigen, ausgewählten Stellen: Die Fassade ist mit 4 mm dicken, unbehandelten Aluminium- und grauen Wellfaserzementplatten verkleidet. Die hofseitigen Lauben sind als Stahlkonstruktion dem Gebäude vorgestellt. Und natürlich sind da die grün leuchtenden Brüstungsbänder aus Wellscobalit, das von weitem leuchtende Wahrzeichen des Baus. Diese Konsequenz setzt sich im Innern fort. Die Zimmertrennwände und die Einbauküchen aus Seekiefer erinnern an den einstigen Entwurf in Holz. Decken, Wohnungstrennwände und die vorgefertigten Stützen sind aus Beton, der Boden ist ein geschliffener Hartbeton. Kurz: Alles, was trägt, ist Beton.

Großzügigkeit und Gemeinschaft

Die 33 Wohnungen – von der 1-Zimmer- bis zur 16,5-Zimmer-Wohnung – sind flächenmäßig knapp, aber klug angelegt. Betreten werden sie jeweils vom Laubengang aus, anschließend befindet man sich direkt in der Küche. Als nächste Schicht folgen die Wohnräume bis zur westlichen Fassade. Durch die leicht versetzte Anordnung der Zimmer öffnet sich die Wohnung und es entsteht eine räumliche Großzügigkeit. Diese zeigt sich auch bei den Gemeinschaftsflächen. Neben den 3 m breiten Laubengänge, die gleichzeitig als Fluchtwege im Brandfall dienen, sind dies vor allem die Lobby im Erdgeschoss und die Dachterrasse. Die Lobby, die im Knick des L-förmigen Gebäudes platziert ist, besitzt eine überdachte Außenfläche, dahinter liegen Gemeinschaftsraum, Waschsalon, Werkstatt und Gemeinschaftsküche. Mit der Platzierung der Gemeinschaftsräume als Scharnier zwischen den Gebäudeflügeln, schaffen die Architekten gekonnt, eine Möglichkeit für die Bewohner sich auszutauschen und der üblichen Anonymität eines Geschosswohnungsbaus zu entfliehen.

Eine Pointe für Kenner

Beton in seiner reinsten Form, eingesetzt als robustes, dauerhaftes Konstruktionsmaterial – so weit, so einfach. Was den Bau besonders macht, ist der Twist dahinter: Der Beton ist einerseits kaum sichtbar, die Farbigkeit und Materialisierung der Außenflächen – die grauen Fassaden, der Stahl und selbst das Grün der Brüstungsbänder – lehnt sich aber an dessen Erscheinung an. Ein Betongebäude im Wohnungsbau, das auf so viel Akzeptanz trifft – das muss man erstmal schaffen. Chapeau! Tina Cieslik, Bern

Baudaten

Objekt: Genossenschaftsbau Stadterle

Standort: Goldbachweg 8, 4058 Basel/CH

Typologie: Wohnungsbau

Bauherr: Wohngenossenschaft Zimmerfrei, Basel/CH

Architekt: Buchner Bründler Architekten, Basel/CH, www.bbarc.ch

Mitarbeiter: Partner: Daniel Buchner, Andreas Bründler, Associate Wettbewerb: Raphaela Schacher, Associate Planung: Stefan Oehy, Projektleitung: Daniel Ebertshäuser, Norma Tollmann, Mitarbeit Wettbewerb: Benjamin Hofmann, Flurin Arquint, Benedict Choquard, Mitarbeit Ausführung: Tünde König, Omri Levy, Henrik Månsson, Jonas Hamberger, Pascal Berchtold, Benedict Choquard, Lennart Cleemann, Jakob Rabe Petersen 

Bauleitung: Probau Baumanagement GmbH, Basel/CH, www.probau-bm.ch

Bauzeit: Mai 2016 – November 2017

 

Fachplaner                                   

Bauingenieur: Ulaga Partner AG, Basel/CH, www.ulagapartner.ch

Fassade/Holzbauingenieur: Makiol + Wiederkehr AG, Beinwil am See/CH,

www.holzbauing.ch

Fassadenplaner: Christoph Etter Fassadenplaner, Basel/CH

TGA-Planer: Zurfluh Lottenbach GmbH, Luzern/CH, www.zurfluhlottenbach.ch; Elektro Actemium Schweiz AG, Basel/CH (Elektro), www.actemium.ch

Bauphysik: Kopitsis Bauphysik AG, Wohlen/CH, www.kopitsis.com

 

Projektdaten                                

Grundstücksgröße: 1 014 m²

Grundflächenzahl: 822 m² (Gebäudegrundfläche)

Geschossflächenzahl: 5 619 m²

Nutzfläche: 3 594 m²

Verkehrsfläche: 1 126 m²

Brutto-Grundfläche: 5 619 m²

(Geschossfläche)

Brutto-Rauminhalt: 17 215 m³

 

Baukosten (nach DIN 276)

Gesamt brutto: ca. 11,5 Mio. € inkl. Mehrwertsteuer

 

Hersteller

Fenster: Fenster Bünter AG,

www.fensterbuenter.ch

Fassade: Eternit Schweiz AG,

www.eternit.ch; Scobalit AG,

www.scobalit.ch; Hürzeler Holzbau AG,

www.huerzeler-holz.ch

Sonnenschutz: Storama AG,

www.storama.ch

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