Geschichte weiterbauen. Max Dudler in Bielefeld
Die Ausstellung ist nicht groß, doch sie ist besonders, selten wird Architektur so gezeigt, wie noch bis zum 9. Januar 2022 in der Kunsthalle in Bielefeld: Keine Erläuterungstexte, keine Pläne, keine sichtbare Didaktik, also keine Zeitachsen oder Rundwege, keine Virtualitäten oder sonstige digitale Hilfsmittel, die es den BetrachterInnen erleichtern sollen, das Ausgestellte besser, angemessener, wirklicher (?) zu verstehen. Ist das Max Dudler?
Wer in die Kunsthalle eintritt, diesen immer noch und immer wieder überzeugenden Bau von Philip Johnson aus dem Jahr 1968, einem für deutsche Verhältnisse revolutionären Jahr, wer also eintritt, sieht sie gleich im Hintergrund: annähernd wandhohe Fotografien in Bilderrahmen, deren Großformate (180 x 280 cm) an hochgestellte Klappaltarquerformate denken lassen. Und die, seltsam improvisiert und wie abgestellt wirken, an der Wand oben angelehnt sind und also leicht mit ihren Füßen in den Raum reichen und auf ihren Fotografien Bauten zeigen, die teils zwei dieser Riesenrahmen beanspruchen. Also wurde das Motiv aufgeteilt, hier die linke Seite der Fassade, da die rechte. Dazwischen Wand. Vor diesen schrägstehenden Wandbildern vier Sockel unterschiedlichster Materialität, auf denen Modelle der Bauten stehen, die dahinter an der Wand gezeigt werden: das Besucherzentrum der Bielefelder Sparrenburg, Umbau und Erweiterung des Hambacher Schlosses, die Stadtbibliothek Heidenheim und das Besucherzentrum der Heidelberger Schlossruine gegenüber.
Die Projekte stehen unter dem Titel „Geschichte weiterbauen“, was eine Haltung des Architekten zum Ausdruck bringen möchte. Historische Architektur sei auch – und besonders – mit zeitgenössischen Mitteln historisch fortzuschreiben. Max Dudler setzt dabei weniger auf die Abgrenzung, das Kenntlichmachen eines weiteren Baukapitels. Er setzt vielmehr auf den Anschluss an den Bestand über die Fortsetzung des Neuen in der Materialität des Alten, über Andeutungen von Handwerk oder handwerklichen Formen, Details etc. In Bielefeld ist das Historische, das auch die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sein könnte, Postmoderne z. B., deutlich und beinahe schon trivial direkt fokussiert auf das Historische schlechthin. Also auf das, was die Meisten immer mit Geschichte, mehr noch, mit Historie assoziieren, die man aus eigener Anschauung nicht mehr miterlebt hat: Mittelalter, Renaissance, Barock, vielleicht noch die Klassik, aber dann ist bitte Schluss mit dem Historischen! Burgen, Schlösser, Parks, einige davon so alt gar nicht, aber im Stil des immer gedacht Historischen.
Im Büro Max Dudler gibt es dann auch tatsächlich ein „Burgen-und-Schlösser-Team“, so Kilian Teckemeier, Projektleiter bei Max Dudler und für die Ausstellungsrealisation in Bielefeld verantwortlich. Dieses Team kümmert sich um die Wiederbelebung von Orten, um die Konzentration des Historischen im Material, dem Schnitt der Fenster, Farben, der Orientierung des Baukörpers im Stadtweichbild, in den heute nur noch zu imaginierenden Parzellengrenzen historischer Kataster. Volumengestaltung, Höhenlinien, Silhouette, Durchlässigkeit … Stichworte, die bei der Heidenheimer Stadtbibliothek eine Rolle gespielt haben, bei einem Neubauprojekt, das auf nichts Historisches zu reagieren hat, außer auf den Stadtraum; dessen Alter hoch, dessen Bebauung allerdings mit dem Dudlerschen Historischen nichts gemein zu haben scheint.
In der Begleitpublikation, die ein paar mehr und aktuellere Arbeiten aus dem Kontext des die Geschichte Weiterbauens auflistet, ist von einer „urbanen Grammatik“ die Rede, die die Architektursprache dieser ganz besonderen Arbeiten („Burgen-Schlösser-Team“) in dem größeren baulichen Kontext Stadt verortet und damit ihre Besonderheit auf sympathische Weise relativiert – wenngleich die Implementierung von Dialekt in geübte Sprachräume von großer (Bau-)Kunst zeugt. Die Ausstellung schweigt zu alledem. Der knappe Erläuterungstext ist derart allgemein, dass man ihn getrost hätte weglassen können. Die Großformate, Ausschnitte aus den Bauten, die davor als Volumenmodelle das Ganze zeigen, drängen nach Hinschauen, länger Hinschauen, Vertiefen. Und wer um die Wand herumschreitet, die den an sich längsrechteckigen Foyerraum zum Quadrat formt, kann auf deren Rückseite aktuelle Publikationen von und über Max Dudler in einem in die Wand eingelassenen, künstlich belichteten Regal finden. Herausnehmen, hinsetzen und wenn nicht schon zuvor, dann spätestens beim Lesen bemerken, dass die Sitzmöbel ebenfalls aus Architektenhand stammen: vier Holzstühle/-sessel und ein Holztischchen, Platte quadratisch.
Ganz so einfach konnte man Max Dudler – trotz der beiden hier von ihm realisierten Arbeiten – allerdings nicht nach Bielefeld holen. Das Forum Baukultur OWL, das letztlich Initiator der Dudler-Ausstellung ist, hatte ihn für einen Vortrag in die Stadt gebeten: Absage. Im zweiten Anlauf wurde eine Ausstellungsmöglichkeit im Philip Johnson-Bau angeboten: Das nun war der Ehre genug, der Schweizer sagte ja und war auch zu einem Vortrag Anfang November vor Ort.
„Serendipity – Vom Glück des Findens. Niklas Luhmann, Ulrich Rückriem“ lautete vor sechs Jahren eine wunderbare Ausstellung, die hier im Foyer mit dem Zettelkasten Luhmanns den Aufschlag machte und ein Wort aus der Vergessenheit, den elaborierten Sprachzirkeln zog, auf das man im Zusammenhang mit dieser Ausstellung gerne verweisen möchte: Wer das Glück und die Zeit hat, nach dem Betrachten der großen Bilder zur nahegelegenen Burg zu laufen, der kann Architektur finden, über die nachzusinnen Sinn macht. Wer aus dem Foyer ins Untergeschoss steigt und hier auf die kleine Ausstellung „7 000 Eichen“ stößt, die anlässlich des 100. Geburtstags Joseph Beuys zwar irgendwie stiefmütterlich, zugleich aber auch glücklicherweise „vorhanden“ präsentiert wird, muss nicht so lange laufen: Draußen, vor dem Philip Johnson-Haus stehen die „Eichen“, in Bielefeld sind es Linden, mit ihren Basaltsteinen, Zeichen für eine Vision, deren drängende Kraft hier in und bei der Kunsthalle sichtbar gemacht wurde. Be. K.
Max Dudler. Geschichte weiterbauen. Noch bis zum 9. Januar 2022, Kunsthalle Bielefeld (Begleitpublikation bei Jovis, Berlin 2021)