Großer Wurf in kleinen Schritten
Modernisierung und Erweiterung der Stadthalle, Balingen
Die Stadthalle Balingen, ein Sechseckbau aus den frühen 1980ern, offenbart typische Mängel in die Jahre gekommener Veranstaltungsbauten: unzureichend gedämmt, nicht barrierefrei, das Foyer zu klein und dunkel wie eine Grotte. Das Stuttgarter Büro 4a Architekten behob die Defizite mit wenigen, sensiblen Eingriffen. Die neue Eingangshalle mit ihrem gefalteten Metallbügel gibt der Stadthalle ein markantes Profil, ohne
die Architektur des Altbaus zu verleugnen.
Die Stadthalle in Balingen ist ein typischer Sechseckbau der frühen 1980er Jahre. Nach knapp 30 Betriebsjahren musste die Halle energetisch und brandschutztechnisch dringend modernisiert werden. Zudem zwangen Bauschäden die Stadt zum Handeln. Durch den Fußboden im Foyer zogen sich Risse: Schiefer- und Gipskristalleinschlüsse ließen den Boden unter der Eingangshalle aufquellen und hoben die Bodenplatte an. Hinzu kamen räumliche Defizite: Beide Säle waren nicht barrierefrei erschlossen, die Flure vor den Künstlergarderoben eng und regelmäßig durch Requisiten zugestellt, das Foyer zu klein für größere Veranstaltungen, Tagungen und Konferenzen. Mit seinen Fliesen, dem schweren Teppich und der roten Holzverschalung wirkte die Eingangshalle dunkel und muffig, wie eine Grotte.
Das Stuttgarter Büro 4a Architekten nutzte die Sanierung, um die Stadthalle architektonisch aufzuwerten und ihr ein neues Profil zu geben. Die Architekten versetzten die Fassade um rund zehn Meter Richtung Vorplatz und öffneten sie mit einer großflächigen Glasfront zur Innenstadt. „Man hat nicht mehr das Gefühl, das Haus durch den Keller zu betreten“, sagt Balingens Baudezernent Ernst Steidle.
Ein markant gefalteter Metallbügel umklammert die neue Eingangs halle: Nach Westen ist die Dachhaut bis auf den Boden heruntergezogen und schirmt die Halle zum benachbarten Hallenbad ab. Zur Ostseite öffnet sich der Metallbügel und ragt mit einer größtenteils überdachten, aufgestützten Außenterrasse weit in den angrenzenden Park. „Mit der Faltung des Bügels greifen wir bewusst die Formen des Bestands auf und übersetzen sie in etwas Neues“, sagt Architekt Ernst-Ulrich Tillmanns.
Durch einen eingeschobenen Windfang betritt man das Foyer, dessen Fläche sich nahezu verdoppelt hat. Die drei Ebenen des Foyers sind über Lufträume und zwei weitläufige Freitreppen verbunden. Von der neu eingefügten Galerie im 2. Obergeschoss blickt der Besucher auf die Stadtkirche und das Zentrum. Eine mehrfach abknickende Decke aus Abachi-Holzlamellen bekleidet Decken und Unterzüge, die zuvor mit dunklen, rötlichen Holzpaneelen verkleidet waren. Der einst dunkel, schwer und massig wirkende Deckenspiegel bekommt dadurch eine warme, heitere Note. Fünf dezent in die Decke integrierte Lichtkuppeln filtern über Holzschotten Licht in den Raum.
Der Fußboden wurde um 40 cm aufgeständert. Sollte erneut Bewegung in den Untergrund kommen, kann der Boden ungestört arbeiten ohne die Bodenplatte zu verformen. Ein schwarzer geschliffener Estrich verleiht dem Foyer ein hochwertiges Ambiente. Dabei spielen die Architekten geschickt mit Streifenmotiven: Bündig in den Estrich eingelassene LED-Lichtbänder führen, schon auf dem Vorplatz beginnend, ins Foyer und leiten die Besucher bis zur Garderobe. Das Foyer kann durch eine Glaswand in der Mitte geteilt werden: Ein Eingang erschließt Vorverkauf und Restaurant, der andere führt zur Garderobe und über eine breite Panoramatreppe ins obere Foyer und zu den Sälen. Wie ein edles Möbelstück mit Holzlamellen ausgekleidet ist die Faltung an der Kopfseite. Um Blickbezüge nach außen herzu stellen, wurden sieben unterschiedlich große, quadratische Öffnungen in die Außenhaut gestanzt. Sie sitzen, von tiefen Holzlaibun gen gerahmt, in der schrägen Fassade. Als Pendant zu den Öffnungen ragen mehrere würfelförmige Glasvitrinen wie Klapptische aus der Wand: Darin präsentiert die Stadthalle Kunstwerke der eigenen Sammlung, unter anderem von Miró und Picasso.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Foyers führt eine einläufige Holztreppe zum Restaurant, das sich mit breiter Glasfront und Terrasse zum Park öffnet. Die wie ein Freisitz weit auskragende Terrasse rahmt eine Glasbrüstung ein. Im Restaurant setzen bündig in die Decke eingelassene, ovale Oberlichter und ein Parkettboden aus Eiche warme Akzente. Eine Spindeltreppe führt hinab zu den Toiletten. Statt Stahlstäben dienen V-förmig durchgefädelte Schiffsseile als Geländer. Die schwarzen und gelben Rückwände aus MDF schmücken Schriftzeichen oder Motive, die Appetit machen. Dazu wurden die MDF-Platten zunächst lackiert, die Motive bzw. Buchstaben mit einer CNC-Fräse ausgefräst und die Vertiefungen dann weiß oder schwarz lackiert.
Auch im Foyer taucht das originelle Grafik-Design des Büros bau mann & baumann aus Schwäbisch-Gmünd wieder auf – als Gesprächs fetzen auf der Rückwand der Garderobe. „olala“, „haha“ oder „sosoo“ ist dort zu lesen – was man eben so sagt in der Bühnenpause. Die Rückwand, ebenfalls aus schwarzem MDF, kann als Hubwand zum Großen Saal geöffnet werden. Auch unteres und oberes Foyer lassen sich durch schwarze Vorhänge optisch trennen.
Korrekturen im Bestand
Den Bestand ließen die Architekten gestalterisch weitgehend unangetastet, auch um die vom Gemeinderat streng gedeckelten Baukosten einzuhalten. 60 Prozent der Baukosten in Höhe von rund 8,7 Millionen Euro flossen allein in die energetische Sanierung der Haustechnik. Das Foyer bekam eine Fußbodenheizung, Großer und Kleiner Saal eine Lüftungsheizung mit Wärmerückgewinnung. Der Große Saal erhielt zudem eine neue Beleuchtung. Die noch mit 40-Kilowatt-Glühlampen bestückten Leuchten, laut Ernst-Ulrich Tillmanns „mehr Heizung als Beleuchtung“, ersetzen Halogen-Lampen und LED. Der Stromverbrauch der Lampen sank dadurch um 55 Prozent.
Im Kleinen Saal, in dem neben Vorträgen Kleinkunst stattfindet, konnten die Architekten gestalterisch Akzente setzen. Sein sechseckiger Grundriss stellte sie vor eine besondere Herausforderung: „Punktsymmetrische Räumen sind akustisch nur sehr schwer beherrschbar“, weiß Ernst-Ulrich Tillmanns. Zudem mussten bestehende Lüftungskanäle an der Decke und unterschiedliche Raumhöhen berücksichtigt werden. Die Wände bestanden lediglich aus dunkelbraunen, notdürftig mit Stoff und Teppich verkleideten Holzpaneelen.
Nach dem Umbau ist der Saal kaum wiederzuerkennen: Die Decke wurde wie ein Wankelmotor aus zueinander verdrehten Ringen gestaltet, die sich nach oben verjüngen. In die spiralförmigen Ebenen sind indirekte Leuchten und direkte Strahler eingelassen. Kräftige Gelb-, Rot- und Orangetöne lassen die Decke erstrahlen. Für eine ausgeglichene Raumakustik sorgt eine sägezahnförmig gefaltete Wand aus Gipskartonpaneelen, die den unterschiedlichen akustischen Anforderungen gerecht wird. Sie besteht aus gegenüberliegenden, mit Mineralwolle gedämmten, abwechselnd gelochten und geschlossenen Paneelen.
Ein zweiter kleiner, aber wirkungsvoller Eingriff in die Bausubstanz fand auf der Rückseite der Halle statt: Um mehr Raum für Requisiten und die Künstlergarderobe zu schaffen, wurde der Garderobentrakt erweitert. Er bekam einen zusätzlichen Erschließungsflur, den eine Betonscheibe zum Parkplatz hin abschließt. Die Rollkisten, die vorher den schmalen Garderobengang verstellten, finden nun Platz in einem vorgelagerten Gang, den ein durchlaufendes Oberlicht erhellt. In die Betonwand ist außen das neue Logo der Stadthalle eingelassen, ein abstrahierter Ammonit – ein spiralförmiges, in der Kreidezeit ausgestorbenes Schalentier.
Eine erneuerte Panoramatreppe zwischen Stadthalle und Hallenbad sowie der neu gestaltete Vorplatz runden die Außenansicht ab. Die oberen Foyerebenen sind nun barrierefrei über einen Aufzug und einen neuen Eingang vom oberen Parkplatz erreichbar. Den Vorplatz werten elegante Lichtstreifen und eine linienförmige Sitzbank aus Sichtbeton auf.
Mit wenigen, sensiblen Eingriffen gelang es 4a Architekten den Charakter der 1980er Jahre-Architektur zu wahren und an heutige Bedürfnisse anzupassen. Geschickt greifen sie dabei das vorhandene Formenrepertoire auf, um der Stadthalle ein neues, offenes Profil zu geben – weit entfernt von der Schwere und Düsternis, die besonders die Eingangshalle zuvor ausstrahlte. Michael Brüggemann, Mainz