Exakte Tageslichtanalyse

Hallen am Borsigturm, Berlin

Die Tageslichtanalyse von Lichtvision Design ergab, dass es zu viel Tageslicht im Innern der Mall Hallen am Borsigturm gab. Farbige, transparente Folien lenken das Licht nun akzentuiert ins Innere und ergänzen gemeinsam mit einem Lichtkonzept die Innenraumgestaltung.

„Wir haben zu wenig Tageslicht“, das war der erste intuitive Eindruck der Kollegen vor Ort, wie Jochen Schröder erzählt. Er ist Architekt und Lichtdesigner bei ECE Projektmanagement, dem Bauherrn und Betreiber der Hallen am Borsigturm in Berlin. Anders als viele andere Auftraggeber beschäftigt die ECE eine eigene Lichtplanungsabteilung, was dazu führt, dass das Thema Licht grundsätzlich und sehr früh beachtet und besprochen wird. Speziell in diesem Fall sollte sich die zu Anfang gestellte These als falsch, aber auch äußerst hilfreich erweisen. Denn bei näherer Betrachtung der Situation wurde klar, dass durch die Oberlichter im Dach zu viel statt zu wenig Tageslicht in das denkmalgeschützte Gebäude fiel. „Da sich solche Probleme nicht so einfach lösen lassen, haben wir die Kollegen von Lichtvision angefragt, mit uns eine ausführliche Tageslichtanalyse durchzuführen, was wir relativ selten machen. In diesem Fall war es unabdingbar“, erinnert sich Jochen Schröder an den Beginn der intensiven Zusammenarbeit.

Regulierte Lichtmenge

Die Tageslichtanalyse ergab, dass die Mall durch das große Glasdach von Tageslicht mehr als erhellt war, wohingegen die Helligkeit der Seitengänge im Vergleich dazu stark abfiel. Solche stark wechselnden Situationen führen zu Helligkeitskontrasten, die für unsere Augen anstrengend sind. Ein Fall also, der sowohl die Regulierung des Tages- als auch des Kunstlichts betraf. Das Konzept bestand darin, in der Mall das Tageslicht zu reduzieren und die Seitengänge durch den gezielten Einsatz von Kunstlicht aufzuhellen.

Ein Gemälde steht Pate für das Farbenspiel

Jochen Schröder zeigt Aufnahmen des Zustands vor den Umbaumaßnahmen: „Wenn man die alten Bilder sieht, erkennt man, wie kühl und grau es hier vorher war. Deswegen haben wir mit warmen Farben gearbeitet. Dabei haben wir uns an dem Gemälde von Adolph Menzel „Das Eisenwalzwerk“ orientiert.“ Früher wurde in den Borsighallen auch geschmiedet und  es wurden Eisenbahnwagons gebaut, weshalb die warmen Farben der Ofenglut heute sowohl in den Oberlichtern als auch in den Akzent- und Voutenbeleuchtungen wiederzufinden sind.

Farbfolien in Weiß, Gelb, Orange und Rot

„Besonders schön ist es, wenn direktes Sonnenlicht durch das Dach und die Farbfolien in die Mall fällt. Dann werden überall auf den Boden und die Wände Farbfelder projiziert. Und durch den Verlauf des Tageslichts und die damit wandernden Farbfelder kommt Bewegung in das Gebäude. Im Vergleich zum vorherigen monotonen, schatten- und konturlosen Zustand ist das eine deutliche Verbesserung“, Thomas Müller ist Gründungspartner von Lichtvision und hat mit seinem Kollegen Karsten Ehling die gesamte Lichtplanung des Projekts erarbeitet und begleitet. „An den Eingängen sind weniger Farbfolien auf dem Glasdach, weil wir hier noch höhere Beleuchtungsstärken erzielen wollten, da wir ja von draußen kommen und hohe Beleuchtungsstärken durch das Tageslicht gewohnt sind. Wenn wir also in die Mall treten, wollen wir keinen harten Bruch haben“, erklärt Thomas Müller während er den Plan der Dachansicht zur Übersicht zeigt. Auf dem Plan erkennt man, dass sich die Setzung der Farbfolien zur Mitte der Hauptmall hin verdichtet, um die angrenzenden Durchgänge, die kein direktes Tageslicht bekommen, wieder mit einem weichen Übergang der Beleuchtungsstärke zu verbinden. Durch die Verdichtung der Farbfolien wird das Tageslichtniveau zur Mitte der Mall hin abgesenkt.

Neben den farblichen Unterschieden der einzelnen Folien gibt es auch den Unterschied zwischen klaren und diffusen Folien: Die klaren Folien geben sehr starke Projektionen nach innen ab, während die diffusen Folien das harte Sonnenlicht mehr reflektieren, aufweichen und streuen. Generell schützen die Folien das Auge des Besuchers vor einem zu starken Kontrast von Helligkeit und Leuchtdichte zwischen dem Himmel und den grauen Oberflächen der Mall.

Der Knackpunkt ist die Analyse

„Durch eine gute Analyse erfahre ich von den Knackpunkten in einem Projekt und weiß, wo genau ich was tun muss, um die Situation zu verbessern. Wenn ich den Raum erst einmal richtig analysiert habe, ist es nicht mehr ganz so schwierig, die richtigen Lösungen und Leuchten auszuwählen“, bringt es Thomas Müller auf den Punkt. Jochen Schröder erinnert sich noch gut an das Ergebnis: „Wir haben auch schon vorher zusammengearbeitet. Daher weiß ich, dass eine solch fundierte Tageslichtplanung eine der Stärken von Lichtvision ist. Ich glaube, ich hatte eine 38-seitige Analyse in den Händen. Und das war nur die Zusammenfassung.“ Von Lichtfarben über Beleuchtungsstärken und Besonnungsdauer bis zu 3D-Modellauswertungen war jeder Winkel der Mall festgehalten und analysiert. „Besucher sowieso, aber auch viele Kollegen nehmen erstmal den dekorativen Charakter wahr, aber im Grunde ist das Ergebnis viel mehr eine technische Lösung“, stellt Jochen Schröder klar.

Durch die Tageslichtstudie wurden neben der Setzung der Farbflächen auf dem Glasdach auch die Nutzbeleuchtung und die Akzent- und Voutenbeleuchtung bestimmt. Das Zusammenspiel bemerkt man nicht, wenn man nicht bewusst darauf achtet und das ist auch genau das, was die ECE erreichen wollte. Zum Beispiel ändern die Leuchten an den Unterseiten der Brücken die Lichtfarbe über den Tag. Das heißt, sie sind eher kühl, wenn auch das Licht draußen kühl ist. Und wenn man am Abend zu den Hallen kommt, strahlen diese Leuchten warm und reduzierter. Ein Lichtsensor außen am Gebäude misst die Außenhelligkeit und sendet dementsprechende Informationen weiter. Durch diese Lichtsteuerung arbeiten die Leuchten bedarfsgerecht und energiesparend.

Lichtszenen am Abend

Da die Mall mit Restaurants und Bars längere Öffnungszeiten hat, gibt es auch für die Zeit der Dämmerung zur Nacht ein Lichtkonzept – sogar ein ganzes Storybook, das neben mehreren Lichtsequenzen auch Farbwechsel in den Akzentkomponenten mit einbaut. Bei einer Außenbeleuchtungsstärke < 20 Lx beginnen die Lichtsequenzen über das Dachtragwerk zu wandern. Für die dynamischen Lichtszenen am Abend hat ein Programmierer jeder einzelnen Leuchte in jeder Lichtszene ihren individuellen Wert in jedem Augenblick zugewiesen. Die Szenen laufen nahtlos und langsam hintereinander ab. „Das zu programmieren – die einzelnen Lichtszenen zu verknüpfen – dauerte einige Nachtschichten hier in der Mall, die zwar aufwendig waren, aber auch Spaß gemacht haben“, erinnert sich Thomas Müller.

 (Tages-)Lichtführung, die gut ist, weil sie nicht auffällt

„Manchmal wünsche ich mir einen Lichtschalter, mit dem man die Situationen vorher/nachher im Wechsel einschalten könnte, weil man erst dann sehen würde, wie stark die Veränderung ist“, schließt Jochen Schröder seine Überlegungen und Thomas Müller meint: „Man wusste, irgendwas stimmt hier nicht, irgendwie ist die Raumwahrnehmung nicht angenehm und dann denkt man ganz schnell an zu wenig Licht oder weiß gar nicht genau, woran es fehlt. Genau in solchen Fällen hilft eine genaue Tageslichtanalyse, um die richtigen Schritte einzuleiten.“⇥MS

Der mutige Einsatz von farbigen Filtern bei der Tageslichtlenkung und einer zeitgemäßen wie angemessenen Kunstlichtantwort verleiht den denkmalgeschützten Hallen eine ungewohnte Leichtigkeit – nicht nur bei Tage. 20 Jahre nach der Eröffnung gelang so die Vitalisierung der Mall im Norden von Berlin.«⇥

⇥DBZ Heftpartner Prof. Dr.-Ing. Paul Schmits, Berlin

Baudaten

Objekt: Hallen am Borsigturm

Standort: Berlin

Typologie: Einkaufszentrum

Bauherr u. Nutzer: ECE Projektmanagement G.m.b.H. & Co. KG, Hamburg, www.ece.com

Kunst- u. Tageslichtplanung:

Lichtvision Design, Berlin

www.lichtvision.com; ECE Projektmanagement G.m.b.H. & Co. KG

Fertigstellung: 2018

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