IBA Heidelberg: der Abschluss ein Anfang

Was verbinden Sie mit Heidelberg? Welche Bilder kommen Ihnen vor Augen, wenn die Stadt am Neckar ins Gerede kommt? Ganz sicher eine Schlossruine, amerikanische Touristenmassen, eine wunderbar erhaltene Altstadt – Heidelberg gehört zu den wenigen vom Bombenhagel im Weltkrieg 1939-45 verschonten Großstädten Deutschlands. Vielleicht fällt einem noch eine Universität mit langer Geschichte und häufiger Exzellenz-Auszeichnung ein. Da scheint doch alles zu passen, wieso dann eine IBA?

Diese Frage sei möglicherweise einer Tradition geschuldet, die man auf die IBA Heidelberg nicht anwenden könne, so Jürgen Odszuck, Erster Bürgermeister der Stadt und gleichzeitig Dezernent für Stadtentwicklung und Bauen im Rahmen der Auftaktkonferenz der Abschlusspräsentation der IBA Heidelberg. Viele der Internationalen Bauausstellungen seien in der Vergangenheit benutzt worden, drängenden Stadtentwicklungsfragen auf den Grund zu gehen. Nach dem Motto: Wir haben ein Problem, lasst uns eine IBA machen. Heidelberg habe dieses Format gewählt, um im Gegenteil die Perspektive weniger auf konkrete und aktuelle Fragestellungen als vielmehr auf Zukunftsthemen zu richten. Hier liege man, so Jürgen Odszuck, schon sehr nah am IBA Motto „Wissen | schafft | Stadt“. Denn nur wer weiß, was kommt und was gebraucht wird in den kommenden Jahren, nur der sei handlungsfähig.

Eine Ausstellung, die auch zeigt, was nicht zu sehen ist: Denk- und Handlungsanweisungsarbeiten
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Eine Ausstellung, die auch zeigt, was nicht zu sehen ist: Denk- und Handlungsanweisungsarbeiten
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Tatsächlich aber ist der im Motto formulierte hohe Anspruch gescheitert, die Wissenselite – Hochschule, Universität – in das Projekt einzubeziehen! Die großen Wissenseinrichtungen haben schlicht nicht mitgemacht. Genauer gesagt, das Land hatte sich verweigert und in Folge die Hochschulen mit dem Argument, man habe eigene Bauplanungsabteilungen. Über die wirklichen Gründe zu mutmaßen, ist hier nicht der Platz; die meisten scheinen vordergründig und wenig auf den tatsächlichen Punkt bezogen: Man hatte das Land zu spät gefragt, das Projekt IBA Heidelberg 2022 war bereits angelaufen. Die verzögerte Anfrage zur Teilnahme war klar ein Stilfehler, aber mehr eigentlich auch nicht.

IBA-Projekt „Energie- und Zukunftsspeicher“: der neue Think-tank?!
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

IBA-Projekt „Energie- und Zukunftsspeicher“: der neue Think-tank?!
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Schwierig war auch – so jedenfalls der Direktor der IBA, Prof. Michael Braum – die Wahl des Projektaufrufs in der Akquisephase. Das durchaus gängige Format einer Projektegenerierung hätte für Heidelberg, so Michael Braum, wenig Substantielles gebracht. Viele der Projekte kämen aus ganz anderen Verfahren und wären hier noch einmal angeboten worden (s. dazu auch das Gespräch mit Michael Braum auf S. 14f.). „Wiederaufgüsse“, nennt Michael Braum sie. Am Ende sind es andere, größtenteils „Gewollte“ geworden, 23 an der Zahl. Dass von denen rund 70 % realisiert oder auf dem Weg der Realisierung sind, ist IBA-Durchschnitt, also weder gut noch schlecht. Dass unter den 30 % „Restprojekten“ auch eines ist, das der IBA-Direktor als das zentrale, bedeutungsvollste – und ihm liebste – betrachtet, macht Hoffnung. Hoffnung darauf, dass mit der Realisierung des „PHVision“ genannten Stadtteilneubauprojekts in den nächsten Jahren irgendwann auch die anderen Projekte wie der Neubau des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, die Muslimische Akademie oder die Erweiterung Sammlung Prinzhorn über die Ziellinie rutschen, im Windschatten des größeren Bruders gleichsam.

Es gibt auch Projekte, die (noch) nicht realsiert wurden. Hinweistafel auf die Muslimische Akademie
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Es gibt auch Projekte, die (noch) nicht realsiert wurden. Hinweistafel auf die Muslimische Akademie
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

23 Projekte. Aber werden sie alle fertig?

In der Auftaktkonferenz zur zehn Wochen dauernden Abschlusspräsentation (bis zum 26. Juni) saßen die Protagonist:innen in einer recht kühlen Kirche St. Michael wenige Gehminuten von der Abschlussausstellung im Neuen Karlstorbahnhof entfernt. Man war unter sich, man kannte sich und ließ die vergangenen zehn Jahre Projektarbeit Revue passieren: mit Keynotes, mit Podium, mit uns, der kleinen teilnehmenden Zuhörer:innen-schaft. Michael Braum sprach vom „Segen“ der Pandemie, die Zeit gegeben hätte, in entschleunigten Denkräumen der Zukunft der Stadt auf die Spur zu kommen. Er sprach von entvölkerten Innenstädten, vom offenbar gewordenen Fehler zurückliegender Stadtplanungsideale, die Stadt funktional zu gliedern: „Wir müssen uns trennen von unseren Heroen des Städtebaus der Separation“. Er forderte eine „Funktionsüberlagerung“ statt der bis heute geltenden Funktionssektorialisierung. Er kritisierte das zum Marketingwerkzeug verkommene Bild von der „Smart City“ und hätte viel lieber die „Sensitivity City“. Er forderte die Abschaffung des § 34 BauGB, eine breite gesellschaftliche Debatte und schloß seine Begrüßung mit „Ich bin ein Heidelberger!“

Das komplette Stadtmodell der Stadt Heidelberg zeigt Entwicklungsräume und -schwierigkeiten (Teil der Abschlusspräsentation)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das komplette Stadtmodell der Stadt Heidelberg zeigt Entwicklungsräume und -schwierigkeiten (Teil der Abschlusspräsentation)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Dass Michael Braum hier einiges kritisch ansprach, was er durchaus im Rahmen „seiner“ IBA hätte bearbeiten können, könnte man ihm negativ auslegen. Aber: Welcher IBA Direktor hat mit „seiner“ IBA alles geschafft?! Selbst ein künstlerischer Leiter wie Ludwig Mies van der Rohe, der 1927 die im Werden begriffene Architektenelite mit Peter Behrens, Le Corbussier, Richard Döcker, Josef Frank, Walter Gropius, Ludwig Hilberseimer, Jacobus Johannes Pieter Oud, Hans Poelzig, Hans Scharoun, Mart Stam und anderen auf ein Ziel hin zu lenken hatte, scheiterte in gewisser Weise an den allerdings auch sehr starken Architektenpersönlichkeiten, die es in dieser Zusammensetzung mit höchster Divendichte anschließend so nicht mehr gab.

Im „Memorandum zur Zukunft Internationaler Bauausstellungen“ von 2017 kann man unter Punkt 8 lesen: „Eine IBA verlangt Mut zum Risiko. Sie ist ein Experiment mit offenem Ausgang“. Also doch alles richtig gemacht.

Eine IBA ist ein Experiment mit offenem Ausgang

Wenn eine Bauausstellung also als ein auch unzuverlässiges Werkzeug angesehen wird, die Stadt zu analysieren, ihr eine Perspektive zu geben und den Weg dorthin über Projekte zu beschreiben, wieso macht man sie dann? Weil, selbst wenn die Projekte nur in Teilen oder gar nicht realisiert werden, der Prozess dorthin entscheidende Erkenntnisse produziert. Zum Beispiel die Erkenntnis, wer Entwicklungen in der Stadt vorantreibt und wer sich querstellt, wer das Geld hat und nichts gibt und wer Alternativen sucht und findet.

IBA-Projekt, fast fertig, das Haus der Jugend von Murr Architekten, Dießen. Im UG des Passivhauses gibt es eine Disko
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

IBA-Projekt, fast fertig, das Haus der Jugend von Murr Architekten, Dießen. Im UG des Passivhauses gibt es eine Disko
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

So ist das auf den ersten Blick sehr akademische IBA-Projekt „Collegium Academicum“ nichts anderes als ein selbstverwalteter Student:innen-wohnheim/Bildungsort, der aus einer langen Heidelberger Tradition kommt und es in diese Zeit  obligater Gewinnmaximierungsvoraussetzung geschafft hat. Das u. a. vom Bund geförderte, im Wesentlichen aber über Kredite der Grün­der:innen finanzierte Neubauprojekt mit Umnutzungsanteilen im anliegenden Bestand, hat seine Existenz allein dem mutigen Engagement der Student:innen zu verdanken, die Bauherr:in und Bauende zugleich sind. Der Neubau, von Drexler Guinand Jauslin als innovativer Holzbau entwickelt und vielleicht Mitte 2022 fertiggestellt, steht als Erfolg am Ende eines Experiments. Die Projekte Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Muslimische Akademie und Erweiterung Sammlung Prinzhorn sind es – physisch – eher nicht. Alle drei aber haben in ihrem Projektverlauf eine Spur gelegt, die weiterzuverfolgen Auftrag an die Stadt und die Stadtgesellschaft sein sollte.

IBA-Projekt "Betriebswerk" von AAg LoebnerSchäferWeber, Heidelberg. Die Neuprogrammierung des weitläufigen Gelandes des ehemaligen Bahnbetriebswerks soll inspirierend auf das Umfeld wirken
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

IBA-Projekt "Betriebswerk" von AAg LoebnerSchäferWeber, Heidelberg. Die Neuprogrammierung des weitläufigen Gelandes des ehemaligen Bahnbetriebswerks soll inspirierend auf das Umfeld wirken
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

„Wissen |schafft|Stadt“, ein schwieriges Motto

Vielleicht hatte die IBA Heidelberg – wie so manche zukünftige Bauausstellungen es noch haben werden – das Problem, keine wirklich grundlegenden Probleme grundlegend angehen zu können. Der Stadtumbau auf Konversionsflächen ist größtenteils abgeschlossen oder im vollen Gang, die Wandlung der Industriegesellschaft zu einer Dienstleistergesellschaft in den Kernlanden grundsätzlich gedacht und ansatzweise vollzogen. Arbeit und Siedeln, die zentralen Thema der herausragenden IBA Emscher, müssen heute gar nicht mehr im großen Maßstab ganzer Siedlungsräume gedacht und angegangen werden. Sicher, das Sterben der Innenstädte durch jahrzehntelange Monofunktionalisieurng (Konsum, Büro, Spekulation) hat durch die Pandemie eine zusätzliche Beschleunigung erfahren. Konzepte dafür, was wir angesichts des Wandels in zunehmender Digitalisierung machen müssen, liegen auf dem Tisch; hierzu braucht es keine grundsätzlichen Experimente mehr.

IBA-Projekt "Collegium Academicum" von DGJ Architektur, Frankfurt am Main. Das selbstverwaltete und eigenfinanzierte studentische Wohnheim ist insbesondere mit Blick auf das mutige Engagement der Beteiligten herausragend
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

IBA-Projekt "Collegium Academicum" von DGJ Architektur, Frankfurt am Main. Das selbstverwaltete und eigenfinanzierte studentische Wohnheim ist insbesondere mit Blick auf das mutige Engagement der Beteiligten herausragend
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Also suchen sich die Bauausstellungen sehr eigene Themen. In Heidelberg, einer Wissensstadt, war es dann eben das Wissen, das Stadt macht/schafft. Aber ist das neu? Ist nicht immer Wissen da gewesen, wenn Städte wurden, wenn sie verändert, angepasst, optimiert wurden? Immer auf dem jeweiligen Hintergrund jeweils aktuell seienden Wissens, das aus heutiger Erkenntnislage heraus nicht immer und unbedingt das war, das der Stadt zuträglich ist. Was ist mit „Herrschaftswissen“, oder anders gefragt: Wurde der Wissensbegriff eigentlich diskutiert? Eher nicht. Auch nicht die Rolle der Wissenschaft, die ja das Wissen hervorbringt, neu ordnet und ständig und zu verknüpfen in der Welt sein sollte.

Ohne mutiges Handeln werden wir scheitern

Matthias Sauerbruch, einer der Keynoter im Auftaktkongress zur Abschlussrunde, fragte auch danach, ob nicht alles auch eine Nummer kleiner geht,  z. B. „vor der eigenen Haustür“ dem Klimawandel entgegentreten und Heimat schaffen in Städten, die das Heimatliche haben missen lassen. Dabei bezieht Matthias Sauerbruch sich auf Ernst Bloch, dessen Heimatbegriff weniger einen Ort meint als die Perspektive auf einen Ort. Das Arbeiten an der Stadt der Zukunft verlange mehr Mut von jedem in der Gesellschaft: „Ohne Mut werden wir wohl scheitern“.

Die im Ausstellungshaus gezeigte Videoarbeit in der "Film-Black-Box", lässt die BesucherInnen über die filmische Installation auf drei Projektionsflächen in eine atmosphärische Tour durch die IBA-Projektewelt eintauchen

Die im Ausstellungshaus gezeigte Videoarbeit in der "Film-Black-Box", lässt die BesucherInnen über die filmische Installation auf drei Projektionsflächen in eine atmosphärische Tour durch die IBA-Projektewelt eintauchen

Wer Zeit hat, sollte sich nach Heidelberg aufmachen und dort die zentrale Ausstellung „Wissen | schafft | Stadt“ besuchen; sie läuft noch bis zum 26. Juni 2022 im „Neuer Karlstorbahnhof“. Abschlusskonferenz  mit Abschlussfest ist am 8. Juli 2022 in der Kirche St. Michael. Be. K.

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