Wir sind Anderswisser
Die IBA Heidelberg geht ihrem Projektende entgegen, Zeit also, sich mit ihrem geschäftsführenden Direktor, Michael Braum, zu einem Gespräch zu treffen. Nach einem ersten kurzen Spaziergang zu ausgewählten IBA-Projekten. Wir sprachen über das, was war, was gelungen ist, was noch aussteht und was für den umtriebigen Stadtplaner und Lehrer, Michael Braum, Erfinder/Mitgründer der Bundesstiftung Baukultur noch kommt.
Gelesen habe ich in der offiziellen Broschüre Worte wie „kräftezehrend“, aber auch „zermürbend“! Und das in einer offiziellen IBA-Broschüre … Was war, was ist an dieser IBA zermürbend gewesen?
Michael Braum: In dem Moment, in dem man sich in das Alltagsgeschäft begibt, mit den Fachämtern und dem Gemeinderat verhandelt, kann es zermürbend werden. Ein sehr zeitraubender Prozess, in dem wir immer mal wieder damit konfrontiert wurden, dass man es, der Macht des Faktischen folgend, doch so machen sollte, wie man es beherrscht. Da konnte die IBA nicht alle ihre Vorschläge realisieren und man wurde das Gefühl nicht los, „gegen eine Wand zu laufen“. Um etwas zu ändern, braucht man Verbündete, in der Regel Einzelpersonen in den Fachämtern und in der Politik. Zum Glück fanden wir sie, sonst wären wir aufgeschmissen gewesen.
Zermürbtsein ist auch so ein bisschen Scheitern?
Nein. Zermürbend ist, wenn einer mürbe gemacht wird. Aber am Ende hast du immer die Chance, dass du aus der Zermürbung herauskommst. Beispiel: die Sammlung Prinzhorn, ein IBA-Projekt. Das haben wir vor neun Jahren in die Wiege gelegt bekommen. Der damalige Kulturbürgermeister hat von einem „Knaller“ gesprochen. Dass wir das machen müssen, dass das total einfach sei. Wir haben mit Thomas Röske, der das Museum leitet, Workshops gemacht; wir haben vergleichbare Einrichtungen nach Heidelberg eingeladen; wir haben mit Architekten zusammen ein Raumprogramm entwickelt und dazu eine Machbarkeitsstudie beauftragt. Den Freundeskreis haben wir auf unserer Seite gehabt, der hat beim Bund 5 Mio. € für das Projekt eingeworben. Die Stadt hat 1,5 Mio. € zugesagt, das Land ebenso viel.
Das klingt nicht nach Zermürbung.
Warte mal. Wir hatten einen privaten Mäzen, der hat 2 Mio. € dazugegeben. Spätestens hier dachten wir: Wir haben gewonnen, jetzt können wir den Wettbewerb ausloben. Pustekuchen! Das Universitätsklinikum, dem die Sammlung Prinzhorn nachgeordnet ist, teilte uns jedenfalls mit, dass man es nicht schaffe, dass man nicht Bauherr sein könne. Also das Geld war da, aber keine Bauherrn! Wir haben noch so viel versucht, doch aufgrund vagabundierender Verantwortlichkeiten sind wir nicht zum Abschluss gekommen. Noch nicht. Das meine ich mit zermürbend.
Trotz allem: Müssten wir nicht überall eine IBA machen? Sie ist doch ein Erfolgsmodell?
Die Internationale Bauausstellung ist zunächst einmal ein nichtgeschütztes Format. Du kannst eine IBA machen, jeder könnte. Ich war, als ich die IBA hier selbst noch nicht leiten durfte, Teil des Expertenbeirats des Bundes zur Internationalen Bauausstellung, zugeordnet dem zuständigen Bauministerium. Das verschwand irgendwann, wurde aufgesogen vom Ministerium für Inneres und Heimat. Da lässt es sich an fünf Fingern abzählen, dass es ein Wunder ist, dass diese drei Buchstaben noch bestehen: IBA. Und dass der Expertenbeirat noch besteht. Aber regelrecht für das Format gekämpft haben beim Bund nur die für die Baukultur und die IBA‘s zuständigen Kollegen. Bis heute bin ich davon überzeugt, man müsse die IBA als Bundesformat finanziell fördern. Das heißt, der Bund könnte im Rahmen eines Auswahlverfahrens sagen, die und die Städte, die diese oder jene Anforderungen erfüllen, die können eine IBA machen, mit finanzieller Unterstützung des Bundes. Aber nein, der Bund wollte kein Geld in das operative Geschäft einer IBA geben, sondern sich ausschließlich auf die Projektförderungen beschränken und die IBA‘s beraten. Und vor dem Hintergrund entstehen allerorten alle möglichen IBA‘s. Um noch mal auf deine Frage zurück zu kommen: Ja, jede IBA ist auf ihre Weise eine Erfolgsgeschichte. Unsere IBA ist erfolgreich – denke ich –, weil ich rund 70 % von dem erreicht habe, was ich mit meinem Team erreichen wollte.
100 % ist eine Illusion. Vielleicht konnte das annähernd bei den früheren Bauausstellungen erreicht werden, Stuttgart, Berlin …
Ja. Vielleicht hätten wir mehr erreicht, wären wir hier in Heidelberg nicht ein bisschen hängengelassen worden. Der Bund hat beim „Der andere Park“ finanziert, das Land hat die „Raumstrategien“ gefördert. Mein Wunschfinanzierungsmodell sieht eine Förderung von Bund, Land und Kommune in etwa gleichen Teilen vor, damit ich denen, die sich auf einen solchen Prozess einlassen, auch einen Mehrwert, Geld anbieten kann. Und vor diesem Hintergrund ist die IBA keine Erfolgsgeschichte.
Wir bräuchten einen Sondertopf aus der gut ausgestatteten Städtebauförderung.
Ein Sondervermögen Städtebau! (lacht)
Kosten-Nutzen? Win-win-Situation oder Wagnis? Gibt es Dinge, wo die Heidelberger:innen sich wünschen, sie hätten sich besser nicht auf die Sache eingelassen?
Nein. Nein. Nein. Ich kann sagen, dass das IBA-Projekt in der Politik – also im Gemeinderat, über alle Fraktionen hinweg – immer eine große Unterstützung hatte. Es gab dann in dieser ganzen Corona-Diskussion die Frage, ob sich Heidelberg eine IBA noch leisten kann oder das Geld nicht lieber dort investieren soll, wo Menschen akut in Not sind. Für mich durchaus nachvollziehbar.
Breite politische Unterstützung: Warum? Was hat die Stadtpolitik für die IBA begeistert?
Vor allem die Neugier, verbunden mit der Erwartung, andere Lösungen zu finden, die einen „frischen Wind“ in das gewohnte Verwaltungshandeln bringen sollten. In die IBA wurde bis zuletzt die große Hoffnung gesetzt, dass wir das ein bisschen aufrütteln. Nach unserer Zwischenpräsentation haben die Kollegen dann auch Vertrauen gefasst, haben wahrgenommen, dass wir keine Besserwisser, sondern Anderswisser sind. Alle waren davon überzeugt, einmal andere Wege gehen zu wollen.
Und dann hat die IBA noch mit Geld ausgeholfen, als keines mehr da war. Wie hier, im „Anderen Park“. Was du hier um uns herum stehen siehst, die Stützen und die Leuchten und anderes, das haben wir als IBA finanziert.
„Wir als IBA“ heißt, ihr habt auch ein Vermögen?
Die IBA GmbH hat eins, das kommt von der Stadt. Jährlich gut 1 Mio. € und das für zehn Jahre. Aber weil das nicht reicht, sind wir auf Sponsorengelder angewiesen. Ich hatte einen eigenen Haushalt und konnte, mit Zustimmung des Aufsichtsrats, darüber verfügen.
Es gab einen „Projektaufruf“ zum IBA-Start, das ist ein, wie ich glaube, gängiges Verfahren, eine Bauausstellung anzureichern …
Ja, wir haben darüber sehr viele Projekte vorgelegt bekommen, fast alle aber haben bitter enttäuscht. Leider ist diese Art Akquise inzwischen üblich. Ich fände es besser, den Projektaufruf auch, aber nicht ausschließlich, zu nutzen.
Bei den Einreicher:innen war klar zu erkennen, dass sie die Hoffnung hatten, Projekte, die sie realisieren wollten und die in der Vergangenheit bereits abgelehnt waren, durch die IBA dann doch noch realisiert zu bekommen. Wir hatten viele „Wiederaufgüsse“ dabei, die für die Wissensstadt von morgen keine Relevanz hatten.
„Spuren legen“ ist ein zentrales Statement, was meint das? Es zielt nicht auf die noch fehlenden, noch nicht realisierten 30 %?
Nein. Irgendwann in diesem ersten Materialsammelprozess war ich an dem Punkt, wo ich mir sagte, dass mir das mit den Projekten gar nicht so wichtig ist. Wichtig sind eher die Prozesse. Da haben wir die Strategieräume geboren, mit deren Hilfe wir für drei unterschiedliche Typen einer Stadtentwicklung strategische Konzepte entwickelt haben. Mit Agnes Förster konnten wir unsere „Dialogmaschine“ für eine Überarbeitung des Stadtteils Bergheim entwickeln, mit der wir die Menschen im Quartier am Möglichen spielen lassen. Für den Landwirtschaftspark haben wir u. a. mit „Bauchplan“ aus München eine Strategie entwickelt, wie landwirtschaftliche Nutzung und Naherholung miteinander laufen können. Und das so, dass jeder merkt, dass unsere Ressourcen endlich sind. Das fängt ganz banal bei regionaler Ernährung an, mit Hofläden, bei denen man das kauft, was man isst, bis zum Recyclinghof, der dort untergebracht wird. Hier die unterschiedlichen Akteure mit durchaus widerstreitenden Interessen zu Kompromissen zu bringen, dazu haben wir diese alle in Workshops über acht Jahre hinweg …
... gequält?!
Ja auch. Aber mehr noch: Wir konnten sie vom Grundsätzlichen überzeugen.
Quartiersarbeit, Arbeit mit dem Raum … das dritte Projekt?
Das dritte Projekt ist ein Stadtumbau auf der grünen Wiese: die PHVision (Patrick-Henry-Village). Ein neuer Stadtteil auf 100 ha. Da überlegte die Stadt, einen städtebaulichen Wettbewerb auszuloben. Aber wir haben, auch zum Kummer der Kammer, nein gesagt. Stattdessen suchen wir die zentralen Themen, die wichtig für die Stadt von morgen sind. Stoffkreisläufe, Mobilität, die radikale Mischung sozial und architektonisch. Und, mit konkretem Bezug auf Heidelberg, die Profilierung zum Wissenschaftsstandort. Für diese vier Themen haben wir vier Büros gesucht, die sowohl forschen als auch in der Praxis tätig sind.
Die in den sogenannten Design-Thinking-Workshops erarbeitenen Szenarien – hier waren auch ausgewählte Bürger:innen dabei – mussten abschließend noch zu einem Ganzen gefügt werden. Wir brauchten ein Büro, das wir salopp als „Mixer“ bezeichnet haben. Das war das Rotterdamer Büro KCAP. Mit der PHVision sind wir in den Gemeinderat und damit in eine große Bürgerbeteiligung gegangen. Wir haben diese ganze Stadtvision im Maßstab 1 : 250 gebaut! Im Gemeinderat wurde zugestimmt; jetzt sollten klassische Fachplanungen beauftragt werden. Und wieder haben wir nein gesagt und schlugen vor, jetzt ausgewählte Büros bestimmte Themen wie Umwelt, Mobilität, Digitalisierung etc. analysieren zu lassen. Erst hier haben wir eine Ausschreibung gemacht. Bei den Bietern war Arup dabei, das Fraunhofer-Institut, BuroHappold usw.
Also High-Range.
Absolute High-Range. Und die haben mit KCAP gearbeitet. Der OB berief ein agiles Team aus Mitarbeiter:innen der Fachämter ein, das sich alle zwei Wochen für einen ganzen Tag mit den Büros und KCAP bei uns in der Turnhalle – in der „Entwurfswerkstatt“ – zusammengesetzt hat, um an diesem Projekt zu arbeiten. Am Ende hatten wir den „dynamischen Masterplan“ mit einem Regelwerk, mit Konventionen, die wir mitbeschließen ließen. Jetzt geht es an die Umsetzung, erst jetzt kommen die Wettbewerbe. Damit haben wir ein vollkommen neuartiges Planungsverfahren zur Stadtentwicklung, wahrscheinlich bundesweit das erste dieser Art.
Das klingt alles ein bisschen so, als sei PHVision dein Lieblingsprojekt?!
Ja, das ist es.
Wie könnt ihr das alles auf der Spur halten? Über Verträge? Wer begleitet das Vermächtnis der IBA Heidelberg GmbH, die sich jetzt verabschiedet, nach zehn Jahren Arbeit?
Ich bin nicht naiv. Die IBA hat ihr Kuratorium. Dort teilen wir jetzt die Aufgaben auf und wir werden eine Legacy schreiben. Oder den detaillierten Plan der Staffelübergabe ... Das heißt, wir schreiben für alle Projekte, die nicht fertig geworden sind, die Aufgaben fest, die anstehen. Und ganz besonders auch das Niveau, auf dem sie realisiert werden müssen. Und wir schreiben für die Strategieräume – PHVision, Bergheim und Landwirtschaftspark – die kommenden strategischen Schritte fest. Wir benennen sehr konkret die Aufgaben. Und wir reden in dieser Legacy auch darüber, wie das Know-how, das ja konzentiert auch im IBA-Team vorhanden ist, in welcher Form in die weitere Arbeit eingebunden werden kann. Wie das konkret ausgeht, das weiß ich nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass unser Team für die inhaltliche Unterstützung der für PHVision zuständigen Entwicklungs- und Betreibergesellschaft, HD16, verantwortlich wäre; auch für den Landwirtschaftspark und für Bergheim.
Für mich sind das die drei großen, wichtigen strategischen Räume, die ganz unterschiedliche Anforderungen an Stadtentwicklung erfordern. Die brauchen die Expertise des IBA-Teams, die dann als Abteilung für besondere städtebauliche Herausforderungen unter der Leitung vermutlich des Baudezernenten arbeiten. Diese Abteilung sollte weiterhin mittels „thinking outside the box“ exterritorial von der Verwaltung arbeiten. Das werden wir dem Heidelberger Gemeinderat vorschlagen.
Letzte Frage: Was kommt für den IBA-Direktor ab dem 1.1.2023? Mehr Radfahren? Bist du wirklich ganz raus?
Ja.
Ein paar Vorträge?
Nein.
Nicht einmal mehr Vorträge?
Nein. Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass man angebissene Brötchen nicht fortschmeißt. Das PHVision ist ja – du hast es gemerkt – schon eine Herzensangelegenheit. Wenn mich hier jemand fragt, ob ich als Berater dabei sein wollte, würde ich das machen. Und: Ich bleibe in Heidelberg. Eine schöne Ecke mit gutem Klima, Frankreich ist nah, das Essen ist gut, die Leute sind freundlich. Also ich sehe keine Veranlassung, das hier zu verlassen. Was ich aber definitiv nicht will, ist, einer dieser gefürchteten alten Männer zu werden, die nicht loslassen können. Ich möchte auf keine Fall einer von diesen alten Meckersäcken sein, die sowieso alles besser wissen. Ich habe mein ganzes Leben nur für diesen Beruf gearbeitet, aber mal ehrlich: Es gibt so viele andere Sachen, die mir wichtig sind. Ich bin Frankreich-Liebhaber, ich bin Segler. Ich werde mir ein Fahrrad kaufen und zwei Satteltaschen dazu; losradeln. Ich will lesen, was ich lesen will. Ich habe unheimlich viel Glück in meinem Leben gehabt und darf das auch noch mit einer IBA abschließen. Ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich muss mir jetzt nur noch beweisen, dass ich auch mal die Seele baumeln lassen kann … ... O. K., wenn mich einer fragt, bin ich der Letzte, der nein sagt.
Mit Prof. Michael Braum unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 28. April 2022 vor dem Ausstellungshaus „Neuer Karlstorbahnhof“ in der Südstadt Heidelbergs