Hölzerne Raumzellen

Integrierte Gesamtschule IGS, Frankfurt-Riedberg

Die Strenge der gerasterten Fassaden ist ehrlich zum Inhalt und verleiht dem Gebäude eine in sich ruhende Ausstrahlung, ohne monoton zu sein. Der Einsatz großer Glasflächen sowie halbtransparenter Fenster hinter gelochten Holzfassadenelementen schaffen neben interessantem Schattenspiel spannende Ein- und Ausblicke und inspirierende Räume zum Lernen.

DBZ Heftpatin Nina Bendler

Mit dem Umzug der Europäischen Bankenaufsicht nach Frankfurt am Main Ende 2013, mussten in kurzer Zeit neue Schulen errichtet werden. „Wir sind am Anfang gefragt worden, ob wir nicht eine Schule aus Baucontainern bauen könnten,“ beschreibt Architekt Andreas Krawczyk und Mitbegründer von NKBAK im Nachhinein die Situation. Nachdem Andreas Krawczyk auf deren „kalte“ Raumwirkung als Lernumgebung für junge Schulkinder hingewiesen hatte, verstand die Schulleitung der Europäischen Schule seine Bedenken und ging auf die Idee der Holzmodule ein. Im Folgenden entstand innerhalb von 16 Monaten die halbstaatliche Schule und gleich­zeitig der Prototyp des modularen Holzbaus für das direkte Nachfolgeprojekt, die integrierte Gesamtschule (IGS) in Frankfurt-Riedberg.

Denn Ende 2015 erreichte auch Deutschland die ­Zuwanderungswelle, auf die auch die Stadt Frankfurt ­reagieren musste. Auch jetzt müssten wieder kurzfristig neue Schulen entstehen und mit dem Fingerzeig auf die schnelle ­Umsetzung der Europäischen Schule schrieb die Stadt eine Schule in Holzmodulbauweise aus. Als Provisorium für den eigentlichen Neubau, den die Gesamtschule bekommen sollte, war sie ausgeschrieben. „Wir haben immer mit dem Gedanken entworfen und gebaut, dass die Schule ein Gebäude ist, das dauerhaft stehen kann. Denn wenn es auch nur fünf Jahre steht, geht eine ganze Schülergenera­tion hindurch und wird von ihr geprägt,“ meint Andreas Krawczyk.

Leistungsaufteilung von Architekt und ausführender Firma

Bis zur Lph 4 lag die gesamte Planung bei NKBAK. In der Lph 5 gaben Andreas Krawczyk und sein Team eine Leitdetailplanung an die Firma Kaufmann Bausysteme heraus: „Es war keine Werkdetailplanung aufgesetzt, wodurch wir eine Systemoffenheit geschaffen hatten, in der Kaufmann Bausysteme das eigene System auf die Leitdetailplanung adaptieren konnte.“ Für die Europäische Schule hatten das Unternehmen und das Architekturbüro bereits zusammengearbeitet und bekamen auch für die Gesamtschule den Auftrag. „Das Entscheidende,“ so Andreas Krawczyk, „ist der Leistungsumfang des Architekten, weil wir eben nicht in die komplette Werkplanung Einfluss nehmen und nicht eine komplette Ausschreibung umsetzen, sondern versuchen das Projekt systemoffen auszuschreiben. Denn genau an diesem Punkt benötigen wir den Input der Industrie. Holz hört sich zwar romantisch an, ist aber natürlich ein hochindustrialisiertes Material. Diese industrielle Herangehensweise können die Firmen für sich viel besser austarieren als wir und mit einer solchen Leistungsaufteilung wird die Zusammenarbeit erst richtig effizient.“

Das modulare System

Als die Planungen begannen, gab es noch keinen expliziten Nutzer und damit auch kein pädagogisches Konzept, sondern nur den Bedarf an Räumen. Diesen Bedarf übersetzten die Architekten gemeinsam mit der Firma in 90 Module, die an einem Flur stringent aneinandergereiht und auf drei Geschosse gestapelt wurden. Gestalterisch sind die Raumfolgen einmal gegeneinander verschoben, um Licht durch die Enden der Flure in das Gebäude zu bekommen.

Die Klassenraumgröße, von drei Modulen, ist das Maß, an dem sich alle anderen Raumgrößen orientieren. Dabei ergibt ein Modul mit zwei Fichtenholzwänden genau 21 m2 (3 x 7 m). Wenn zwei dieser Module zusammen einen Raum bilden, entdeckt man an der Mitte der Decke zwei Balken, da jedes Modul in sich konstruktiv stabil ausgeführt ist. „Wenn man will, kann man die Konstruktion erkennen,“ sagt Andreas Krawczyk und deutet während der Begehung der Schule auf die Raumkanten von Wand und Decke: „Die Rückwand zum Flur hin wird vom Deckenelement nicht unterbrochen, da alle Installationen vom Flur aus hergeleitet und über die Vorwandinstallation verteilt werden. Die langen Seitenwände hingegen enden am Deckenelement, weil sie zum Modul gehören.“

Die Deckenelemente sind akustisch mit Holzwolle verkleidet und da auch die Heizkörper in den Decken vorinstalliert auf die Baustelle geliefert wurden, findet man auf dem gesamten Boden keine weiteren Öffnungen. Im Gegensatz zu den Räumen ist die Decke im Flur abgehängt, da dort die Hauptverteilungen entlanglaufen.

Pro Modul gibt es zwei raumhohe Fensterteile: Einmal den Teil, durch den man hinausschauen kann und der nicht zu öffnen ist und der andere, der transluzent gehalten ist, den man öffnen kann und vor dem ein regelmäßig durchlochtes Holzelement hängt, das als Einbruchschutz im Erdgeschoss oder Absturzschutz in den Obergeschossen und in jedem Fall der Luftzufuhr dient. Die Löcher sind schräg geschnitten, damit das Wasser nicht auf dem Querschnitt stehen bleibt und die Fassade von außen flächiger und flacher wirkt.

Das „weiche Modul“

Die Quintessenz sind die mittleren Module: An den Schmalseiten dieser Module ändert sich nichts – sie sind Fenster oder Vorwandinstallation oder eine gelochte Akustikwand. Doch Längswände gibt es nicht. So entsteht ein sehr „weiches Modul“, wie es der Architekt Krawczyk nennt, das die Flexibilität eröffnet, die Räume so groß zu entwerfen, wie sie gebraucht werden. Denn wenn man ein „weiches Modul“ zwischen zwei raumabschließende Module einsetzen kann – wie beim Klassenzimmer – dann kann das gleiche Modul auch zehn Mal aneinandergereiht werden – wie bei der Mensa. Auf diesem Weg entsteht die räumliche Flexibilität. Auch das „weiche Modul“ wird von einem sichtbaren Längsträger aus Baubuche stabilisiert – Buchenfurnierschichtholz hat einen höheren Klebeanteil und weist eine höhere Tragfähigkeit auf. Die vertikalen Elemente sind ebenfalls aus Baubuche, während die Verbindungen rechnerisch biegesteif ausgeführt wurden und dadurch ihre Stabilität erreichen. Während des Transports wurden die „weichen Module“ konstruktiv unterstützt, damit sie in sich stabil sind. Durch das Zusammenfügen der Raumzellen auf der Baustelle entsteht schließlich die Gesamtsteifigkeit des Gebäudes.

„Als Architekt und als Bauherr muss man sich auf das Denken im Raster einlassen, wenn man mit einer modularen Bauweise arbeiten möchte.“ Dieser Gedanke ist einer der wichtigsten, die Andreas Krawczyk aus diesem Projekt für sich mitgenommen hat: „Wenn man Einzelräume baut, die aus nur einem Modul bestehen, dann ist ein Raummodul 21 m2 groß – bei der integrierten Gesamtschule 3 m in der Breite und 7 m in der Tiefe. Wenn man einen Raum bauen möchte, der genau 25 m2 groß sein soll, dann muss ich mich als Bauherr darauf einlassen, dass das, für die gewählte Modulgröße, nicht funktioniert. Dafür muss die Flexibilität in den Raumgrößen vorhanden sein, die für den Nutzer meistens kein Problem, sondern eher ein Problem der Raumkalkulation ist. Im Endeffekt gleicht sich alles wieder aus, aber die Flexibilität in den Einzelräumen, die muss vorhanden sein.“

Der Zeitfaktor

Im Herbst 2015 wurde das Projekt ausgeschrieben und im Dezember 2016 war die Schule bezugsfertig. Die Stadt Frankfurt jedoch hatte mit einer so schnellen Fertigstellung nicht gerechnet und musste mitteilen, dass noch keine Stromzufuhr gelegt worden war. „In der Zeit, als am Wohngebäude nebenan die Fenster eingebaut und der Grundputz aufgetragen wurde, haben wir ein ganzes Haus fertiggebaut,“ bemerkt Andreas Krawczyk abschließend und deutet auf die umgebende Neubebauung des Stadtteils hin. „Und neben dieser rasanten Fertigung kann man auch noch im Nulltoleranzbereich arbeiten.“ Dann erzählt er noch von drei weiteren Schulen, die gerade in Berlin mit diesem System errichtet werden.

Zurzeit wird die Gesamtschule erweitert. „Das Einsetzen der 76 Module wird etwa zwei Wochen dauern und im März soll der Anbau fertig sein,“ weiß Hubert Berlinger, Projektleiter bei Kaufmann Bausysteme. Im Jahr produziert das Unternehmen gut 2 500 Module. In ihrer Heimat, im Vorarlberg, wird die modulare Bauweise bereits wie selbstverständlich im Wohnungsbau eingesetzt. Beim aktuellen Anbau in Riedberg war dieses Mal von Anfang an klar, dass es kein Provisorium werden wird. Denn wenn die Gesamtschule auszieht, wird eine Grundschule einziehen. MS

Baudaten

Objekt: Integrierte Gesamtschule Kalbach-Riedberg

Standort: Carl-Hermann-Rudloff-Allee 11

Typologie: Schule

Bauherr: Stadt Frankfurt am Main

Nutzer: IGS Kalbach-Riedberg

Architekt: NKBAK  Nicole Kerstin Berganski Andreas Krawczyk, www.nkbak.de

Mitarbeiter (Team): Andreas Krawczyk, Nicole Berganski, Johannes Lemke, Juliane Lorenz

Bauleitung: Andreas Krawczyk

Generalunternehmer: Kaufmann Bausysteme GmbH, www.kaufmannbausysteme.at

Bauzeit: Juli 2015 – Februar 2016

Fachplaner

Tragwerksplaner: merz kley partner ZT GmbH,

www.mkp-ing.com

TGA-Planer: Ecotec GmbH, www.ecotec.de

Akustikplaner: DI Dr. Lothar Künz,

www.bauphysik-kuenz.at

Energieberater: Transsolar Stuttgart,

www.transsolar.com

Brandschutzplaner: Wagner Zeitter Bauingenieure, www.wagner-zeitter.de

Freianlagen: Schöne Aussichten Kassel,

www.schoeneaussichten.net

Projektdaten

Grundstücksgröße: 4 363 m²

Brutto-Grundfläche: 2 460 m²

Brutto-Rauminhalt: 8 570 m³

Raummodule

Konstruktion: Brettsperrholzplatten, Unterzüge aus BauBuche

Hersteller: Kaufmann Bausysteme GmbH

Anzahl der Module: 168 Stück – 90 Bestand und 76 aktueller Zubau

Abmessungen: 3 x 7 m

Hersteller

Dach: Dachland GmbH, www.dachland.de

Fenster: Becker 360, www.becker360.de

Fassade: Zimmerei Oliver Beer,

www.zimmerei-beer.at

Wand: Kaufmann Bausysteme GmbH

Decke: Heradesign, www.knaufamf.com

Boden: Forbo, www.forbo.com

Dämmung: Isover, www.isover.de

Sanitär: Laufen, www.laufen.com

Beleuchtung: Trilux, www.trilux.com

Türen / Toren: Herholz, www.herholz.de

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