Wie man aus Zitronen Limonade macht
Im Gespräch mit Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch, Berlin

Ein Gespräch mit Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch über den Umbau des Chemnitzer Hauptbahnhofs.

In Chemnitz steht ein Hauptbahnhof, der ein wenig ins Netzabseits geraten ist. Um das zu ändern, probiert die Stadt ein neues Verkehrsmodell aus, das städtischen und regionalen Verkehr über nur ein Verkehrsmittel verknüpfen soll (mehr dazu im Projektbericht hier auf S. 42ff.). Den dazu ausgelobten Ideenwettbewerb 2004 gewannen Grüntuch Ernst Architekten mit einem, wie sie in diesem Gespräch sagen, ziemlich radikalen Entwurf. Was sie genau damit meinen, aber auch, was noch fehlt und was nicht sein sollte, darüber sprachen wir mit den Architekten.

Anfangen möchte ich mit einer Jahreszahl, die vielleicht nicht direkt etwas mit dem Bahnhof in Chemnitz zu tun hat: 1991. Bis 2016 sind das 25 Jahre Grüntuch Ernst in Berlin. Wird gefeiert?

Almut Grüntuch-Ernst (AGE): Ja! Das ist ja beinahe auch erschreckend ... und sehr schön!

Aber es wird gefeiert?

Armand Grüntuch (AG): Nein. Wissen Sie, wenn man heiratet dann gibt es einen Hochzeitstag, einen Termin. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wann wir das Büro gegründet haben. Da gibt es Übergänge ...

AGE: Wir sind 1991 nach Berlin gegangen und haben angefangen, Wettbewerbe zu machen. Wir könnten auch den ersten gewonnenen Wettbewerb feiern ... Das wäre in anderthalb Jahren! Oder?!

Kleiner Grund zum Feiern ist aber sicher der Abschluss der Arbeiten am Bahnhof in Chemnitz. Oder müssen wir noch auf etwas warten?

AG: Es ist ja nie im Leben alles fertig. Aber ja, das Projekt ist aus
unserer Sicht planungstechnisch abgeschlossen. Es fehlt noch der Grünstreifen ... Wir sehen unsere Intervention als einen Teil des Gesamtbahnhofsprojekts und können uns noch ganz andere Maßnahmen für den Rest des Bestandes vorstellen.

Beispielsweise?

AG: Zum Beispiel, dass man die Hallenverkleidung auf der anderen Seite anfasst, die komplette Dachkonstruktion ertüchtigt, visuell ertüchtigt, damit das Gebäude insgesamt etwas Frischeres bekommt. Der Bahnhof ist jetzt – vor allem optisch – deutlich zweigeteilt.

Gibt es hierzu Gespräche?

AG: Nein, im Moment fehlt es an Geld. Der Umbau, den wir dort gemacht haben, wurde nicht von der Bahn AG gezahlt sondern vom VMS (Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH; Be. K.). Das sind die Betreiber der Straßen- und Hybridbahn.

AGE: Ich möchte noch etwas zu der Frage anfügen, ob schon alles abgeschlossen sei. Im Wettbewerb sind wir davon ausgegangen, dass wir nicht nur die Hallenwände, die Verkleidung zum Stadtraum öffnen. Wir wollten damals in der Fassadenschicht auch eine Raumhaltigkeit unterbringen. Unsere Absicht war es – und wir können uns das auch heute noch sehr gut vorstellen – den Stadtbaldachin mit Menschen, mit Infrastruktur zu beleben.

Der Wettbewerb im Jahr 2004 liegt lange zurück. Gibt es noch eine Erinnerung daran, womit das Projekt in der Jury gepunktet hat?

AGE: Wir waren tatsächlich überrascht, dass wir gewonnen hatten! Die Arbeit fiel auf, weil sie im Verhältnis zur Aufgabenstellung ziemlich radikal war.

AG: Man wollte damals nur eine – wir nannten das damals so – ­„Katzenklappe“ ins Gebäude einfügen.

AGE: Wir sollten eine Öffnung für die Straßenbahn schaffen, die in den Bahnhof hineinfahren sollte. Unser Vorschlag war derjenige, der die Öffnung zum Prinzip machte. Wir wollten damals mit einem farbigen Bodenbelag, der aus der Halle in den Stadtumraum gleichsam geflossen wäre, die damals noch geschlossene Halle zum integralen Bestandteil der Stadt machen. Ankommen im Bahnhof haben wir als Ankommen in der Stadt verstanden.

Die Medienfassade spielt eine deutlich große Rolle im Entwurf. War das von Anfang an so? Gab es Veränderungen über die Jahre?

AGE: So, wie die Fassade heute gedacht ist und sie auch funktioniert, haben wir das in dieser Deutlichkeit noch nicht im Wettbewerbsverfahren gezeigt. Auch, weil wir am Anfang die raumhaltige Nutzung vorgesehen hatten. Die jetzt eher transluzent wirkende Fassadenhaut sollte einen in sich geschlossenen Raum bergen. Die Lösung ist jetzt ganz anders, viel freier, viel abstrakter geworden.

AG: Weil es eigentlich gar keine Nachfrage nach Raum in der Fassade gab, kam das Konzept einer reinen Verkleidung auf, die aus unserer Sicht aber wesentlich mehr sein sollte. Wir haben hier schnell das Thema der Interaktion zwischen Bahnhof und Stadt gesehen und haben nach Strategien gesucht, wie das zu verstärken ist. Wie man diese gewaltige Antrittsfläche, die ein so großer Bahnhof produziert, aktivieren kann. Das hat sich alles sehr organisch entwickelt. Mit Hannes Koch, Random International, haben wir dann die interaktive Fassade entwickelt und etwas vorgeschlagen, was in den ersten Entwürfen überraschenderweise auch beim Aufsichtsrat gut ankam.

Was waren die Herausforderungen bei der Bearbeitung der Bestandshalle, die ihr in der Konstruktion kaum angefasst habt?

AG: Ein zentraler Punkt! Wir haben es hier mit einer ganz sensiblen Mischkonstruktion zu tun, die im Wesentlichen Stahlbau ist. Hier mussten wir nach einem sehr strikten Arbeitsablaufplan vorgehen, um die teils dann doch heiklen Eingriffe statisch nachvollziehbar zu haben. Das Schwierigste war, die Schnittstelle zwischen Neu und Alt zu finden und angemessen auszuformulieren. Wir mussten hier teils in Meterabschnitten entscheiden, was nicht immer befriedigend war.  Ich glaube aber, dass im Zuge der normalen Instandhaltung der Rest der Halle bearbeitet werden muss. Wir hoffen, dass unser Beitrag als große Stimulation für das Ganze wirkt, für die Stadt Chemnitz.

AGE: Wir wünschen uns sehr, dass der Bahnhof sehr bald schon als öffentlicher Ort der Begegnung wirken kann, wie der europäische Bahnhof das ja immer schon war.

AG: Genau. Dann ist das Projekt ein Stimulus für ein neues Mobilitätskonzept und am Ende ein Statement dazu, wie man mit dem Bestand umgehen kann trotz beschränkter Mittel.

Ist die LED-Technik allein auf die künstlerische Arbeit von Random International ausgelegt, oder könnte ein Brausegetränkehersteller hierüber Werbung in den Stadtraum blinken lassen?

AG: Also, wir haben die Technik dort so installiert, dass Random International alle Möglichkeiten hatte. Klar, mit hinreichend kommerziellem Willen ist die Anlage auch umzurüsten – auch für Farblicht.

AGE: Man kann sich viel vorstellen ... Aber nein, wir wollen mit „Swarm Study“ die „Bahnhofsthemen“ sage ich mal, also Ankommen und Weggehen, Vereinen und Trennen, Bewegung und Ruhe und so weiter über die künstlerische Arbeit in unser Projekt einbinden.

Was nimmt Grüntuch Ernst aus Chemnitz in die kommenden Projekte mit?

AGE: Die Frage, wie man im Bestand arbeitet, wie man das bauliche Erbe weiterentwickelt, welche Rolle wir dabei spielen, welche Aufgaben und welche Verantwortung wir übernehmen müssen, das sind Fragen, die uns immer umtreiben. So hat uns die Arbeit in Chemnitz, aber auch viele andere, dazu geführt, dass wir uns bei der Architekturbiennale 2006 zum Thema „Convertible City“ beworben haben.

AG: Wir zeigen sehr gerne bei diesem staubtrocken anmutenden Thema Bauen im Bestand, wie man manchmal aus Zitronen Limonade machen kann. Hier, im Umgang mit scheinbaren Restriktionen, erfolgreich zu sein, ist dann die Motivation für die anderen, die kommenden Projekte.

Mit Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch, Gründungspartner Grüntuch Ernst Architekten, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 14. Juli 2016 in deren Berliner Büro.

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