„Ist die Bauwirtschaft ein Problem oder ein Problemlöser?“
Ein Blick zurück in die Zukunft der Bauwirtschaft mit Hans-Dieter Hegner

Vor gut 10 Jahren, im Sommer 2006, startete die „Forschungsinitiative Zukunft Bau“ mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bauwesens im europäischen Binnenmarkt zu stärken und gleichzeitig den Erkenntniszuwachs und den Wissenstransfer im Bereich der technischen, baukulturellen und organisatorischen Innovationen zu unterstützen sowie die nachhaltige Entwicklung des Gebäudesektors in Deutschland zu fördern. Einer, der dieses Projekt nicht nur begleitet, sondern inhaltlich „getrieben“ hat, ist der ehemalige Ministerialrat und Leiter des Referats B I 5 „Bauingenieurwesen, Nachhaltiges Bauen, Bauforschung“ im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Hans-Dieter Hegner, seit dem 1.5.2016 Vorstand Bau bei der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. Wir befragten ihn zu den Anfängen der „Forschungsinitiative Zukunft Bau“, zu den Zielen und was für Erkenntnisse aus den Projekten gewonnen wurden.

Herr Hegner, die Bauforschung gibt es seit 1956 und ging dann über in die „Forschungsinitiative Zukunft Bau“. Das war im Sommer 2006. Erklären Sie uns die Anfänge?

Ja, diese Forschungsinitiative hat in der Tat die seinerzeitige, mit geringen Mitteln ausgestattete Bauforschung abgelöst. Das hängt auch ein wenig mit der Zeit zusammen, als Wolfgang Tiefensee Bundesbauminister war. Zum selben Zeitpunkt befand sich die deutsche Bauwirtschaft in einer wirtschaftlichen Talsohle. Die Zahl der Beschäftigten hatte sich von ca. 1,4 Mio. im Bauhauptgewerbe auf 700 000 fast halbiert, die Geschäftslage der Unternehmen galt als äußerst schlecht. Aus dieser Stimmungslage heraus erwuchs der allgemeine Anspruch an einen neuen Schwung, der auch politisch motiviert und begleitet wurde: „Wir müssen uns als Bauwirtschaft eigentlich nicht verstecken, im Gegenteil, denn wir sind eine solide Größe für diese Volkswirtschaft“. Aus diesem Anspruch ist die „Initiative Leitbild Bauwirtschaft“ entstanden. Dieses Leitbild Bauwirtschaft hat man nicht nur hinsichtlich der Beschäftigungen, der Erfolgsraten usw. diskutiert, sondern auch hinsichtlich der Innovationsfähigkeit der Bauwirtschaft. Es wurden Fragen gestellt wie: „Ist die Bauwirtschaft ein Problem oder ein Problemlöser?“ Und wir haben gezeigt, dass die Bauwirtschaft ein Schlüssel zu vielen Fragen ist. Zum Beispiel: Generationengerechtes Bauen, Barrierefreies Bauen, Bauen für alle, Energieeffizienz, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit und vieles mehr.

Nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in der breiten Bevölkerung, haben die beiden Wettbewerbe von Prof. Manfred Hegger zu den Plusenergie-Konzepten zum „Solar Decathlon“ Anerkennung gefunden. Hat das der Forschungsinitiative bzw. der weiteren Entwicklung der Plusenergie-Häuser noch mal einen besonderen Aufschwung gegeben?

Anlässlich einer Forschungskonferenz haben wir in einem Workshop klar formuliert, dass wir 1:1-Experimente brauchen. Wir müssen das, was wir theoretisch entwickeln, dann auch mal bauen, überprüfen, messen und uns bestätigen lassen. Wir wollten mit gutem Beispiel vorangehen, also baute der Bund ein erstes Haus. Das steht heute noch in Berlin in der Fasanenstraße und funktioniert hervorragend. Erstmals wurde hier im großen Stil das Projekt auch sozialwissenschaftlich betreut. Das heißt, die Menschen wurden befragt, wie sie sich mit dieser Technik fühlen. Hat das positive wie negative Auswirkungen in der Wahrnehmung, fühlen sie sich von der Technik gelenkt oder lenken sie die Technik? Die Menschen, die in diesen Gebäuden wohnten, waren dann für uns die besten Botschafter.

Die Verwertungsrechte der Forschungsvorhaben liegen beim Bund. Wie wird hier agiert, um die Forschungsergebnisse möglichst breit zu streuen?

Wir haben da ein einfaches Verwertungsrecht, das heißt, wir können die Forschungsvorhaben veröffentlichen. Und wir geben schon seit den 1970er-Jahren jeden Forschungsbericht an das Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau. Alle Berichte können dort angefordert werden. Besonders wichtige Forschungsberichte werden auch gedruckt und sind im Buchhandel zu erwerben. Das BBR hat sich jetzt auch entschlossen, in einer eigenen Reihe besondere Forschungsberichte zu publizieren. Ansonsten hat der Forscher alle Möglichkeiten, seine Ergebnisse in die Welt zu tragen. Wir unterstützen ihn dabei.

Die eben erwähnten, besonders wichtigen Forschungsberichte werden auch besonders behandelt, sprich gedruckt. Was sind denn die Kriterien für „besonders wichtig“, was muss hier inhaltlich erfüllt werden?

Es gibt kein festes Kriterium, aber man spürt, was nachgefragt wird. Ich kann mich erinnern, dass wir das Thema des Barrierefreien Bauens immer wieder thematisiert haben. Dazu hatten wir gesetzliche Regelungen ebenso umzusetzen wie UN-Resolutionen oder eine neue Norm. Wir hatten immer das Problem, das auch baupraktisch zu übersetzen. Da kam zur rechten Zeit aus der Uni Stuttgart von Prof. Jocher ein tolles Angebot, das „Ready For“-Projekt, das wir veröffentlicht haben. Mittlerweile gibt es schon mehrere Nachauflagen. Man spürt einfach, was nachgefragt ist, was auch Anerkennung in der Fachwelt findet. Dann versuchen wir, es auch breit zu publizieren, um es in die Praxis der Planungsbüros zu bekommen.

Bei der Durchsicht der Projekte fällt auf, dass es fast alles ziemlich unspektakuläre, einfache und normale Projekte sind. Worauf ich hinaus will: Gab es besondere Ansprüche und Kriterien zu den Themen wie architektonische Qualität bis hin zum baukulturellen Anspruch?

Die meisten Themen in der Antragsforschung sind zum Thema Nachhaltiges Bauen und Bauqualität gestellt worden, die zweitmeisten zur Energieeffizienz und die drittmeisten zu Materialien und Technologien. Die Bauqualität hatte immer einen hohen Stellenwert. Natürlich stellt sich die Frage, was ist Qualität oder was macht sie aus? Qualität im Sinne der Nachhaltigkeit heißt auch Architekturqualität, heißt auch Qualität in den ökologischen Fragen, ist möglicherweise auch die zusätzliche Qualität, die über die Norm hinausgeht. In dem Sinne ist Qualität von uns gelebt worden, in der Forschung ganz bestimmt. Aber auch, wie wir Bauprozesse organisieren, um zu Bauqualität zu kommen. Denn Prozesse spielen auch in der Nachhaltigkeit eine große Rolle.

Wenn Sie die Projekte aus der Forschungsinitiative mal Revue passieren lassen: Gibt es hier eins, das Ihnen besonders wichtig war?

Es gab und gibt viele tolle Projekte. Richtig wichtig gewesen ist mir immer, dass wir nicht für die Schublade forschen. Wir sind eine angewandte Forschung mit dieser Forschungsinitiative. Wichtig ist, dass wir etwas tun, was am Markt gebraucht wird, was den Leuten auch einen Mehrwert bietet. Mir war es immer wichtig, mit meinem Wirken auch praktisch zu sein. Und was mir noch wichtig war, dass wir immer einen Dialog mit jungen Teams und Universitäten hatten. Ein Schlüsselergebnis war, wie Prof. Hegger 2007 seine Mannschaft für den „Solar Decathlon-Wettbewerb“ geformt und auch in Washington gewonnen hat. Das hat gezeigt, wie Hochschulen sich ändern müssen, nämlich, dass Bereiche interdisziplinär zusammen arbeiten.

Was wäre, nachdem Sie nun ein Dreivierteljahr eine andere Position haben, Ihr Wunsch oder Ihre Empfehlung für die Zukunft an die „Forschungsinitiative Zukunft Bau“?

Eigentlich ist es ganz einfach: Wir müssen die Linie, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, weiter verfolgen. Das heißt, flexibel bleiben, auf den Markt hören, auf die Bedürfnisse der Planer und der Bauausführenden. Immer wieder nachfragen, sich immer wieder korrigieren. Wenn man das macht, fährt man gut. Ich bin sehr überzeugt davon, dass man ästhetische, ökologische und ökonomische Ansprüche miteinander vereinen kann. Und wenn die „Forschungsinitiative Zukunft Bau“ dazu Beiträge leistet, ist sie auf einem guten Weg.

Herr Hegner, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte DBZ-Chefredakteur Burkhard Fröhlich Ende September 2016 in Berlin.

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