Jörg Schlaich zum Achtzigsten

Sohn des evangelischen Pfarrers Ludwig Schlaich und Vater des ebenfalls Bauingenieur seienden Mike Schlaich, einer der Geschäftsführenden Gesellschafter des Ingenieurbüros schlaich bergermann und partner (sbp), wurde Jörg Schlaich am 17. Oktober 1934 in Stetten/Remstal vor den Toren Stuttgarts geboren. Zeitgleich mit seinem Abitur machte er die Gesellenprüfung als Schreiner in seinem Heimatort. 1953-1959 Studium des Bauingenieurwesens an den Technischen Hochschulen in Stuttgart und Berlin. Es folgte ein Auslandsstudium am Ins-titut für Stahlbetonkonstruktionen am Case Institute of Technology in Cleveland, Ohio, USA, mit Abschluss (M.Sc.). In dieser Zeit der intensiven Beschäftigung mit Stahlbetonkonstruktionen verfasste er seine Doktorarbeit 1963 zu eben diesem Thema; bei Prof. Dr.-Ing. F. Leonhardt und Prof. Dr.-Ing. F.F. Bornscheuer. In den Folgejahren war er bis 1969 planender Ingenieur im Büro Leonhardt und Andrä, Beratende Ingenieure, Stuttgart.

Hier arbeitete er, Partner bereits, als Leitender Ingenieur an der Planung und Errichtung des Seilnetzdaches über dem Sportgelände für die Olympischen Spiele 1972 in München. In diesen Jahren war er zudem Lehrbeauftragter an der Universität Stuttgart am Institut für Massivbau, wo er ab 1974 Professor war und Direktor wurde (heute: Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren). Im Oktober des Jahres 2000 wurde Jörg Schlaich emeritiert. Was natürlich nicht heißt, er hätte sich zur Ruhe gesetzt! Bis ­heute arbeitet Jörg Schlaich als Berater bei vielen Projekten mit.

Mit der Bürogründung Schlaich Bergermann und Partner 1980 in Stuttgart (seit
2002 schlaich bergermann und partner mit
Büros in Stuttgart, Berlin, New York, São
Paulo und Shanghai) schufen und schaffen die Ingenieure und ihr heute mehr als 100 kreative Köpfe umfassendes Team ihre ganz eigenen Ingenieurbauwerke, arbeiteten und arbeiten mehr denn je auch für Architekturbüros in Deutschland und weltweit, deren
Liste beeindruckend lang wie zugleich ein Who’s who der Top-Architekten zumindest in diesem Land ist. Um nur ein paar der bekannteren aufzuführen: Plenarsaal des Bundestages in Bonn (1992 mit Behnisch und Partner), Zentralgebäude Flughafen Leipzig-Halle (2002 mit AP Brunnert), Novartis Campus (2009 mit Gehry Partners LLP), Erweiterung B. Braun Melsungen AG (2008 mit Wilford Schupp Architekten), demnächst das Europäische Parlament (Erweiterung und Sanierung mit Heinle Wischer) oder aktuell die Erweiterung des LVM-Komplexes in Münster (2014 mit Duk-Kyu Ryang, HPP).

Das sind die „Häuser“. Von den „Türme“ genannten Projekte sollen hier nur zwei stehen, einmal der Messeturm Leipzig (1995 mit gmp Architekten), dann der (eigentlich auch ein Haus seiender) „Freedom Tower“ alias One World Trade Center (2014 mit SOM). Es gibt ein Schwimmbaddach in Hamburg (1967 mit Niessen und Störmer) oder zahlreiche Stadiendächer, so zuletzt das für das umgebaute und deutlich erweiterte Fußballnationalstadion in Brasilia (2014 mit gmp Architekten).

Und dann gibt es die zahlreichen Rad-, Fußgänger- und Autobrücken, die wie wenige andere gebaute Infrastruktur zentral für ingenieurmäßiges Forschen und Planen und Entwerfen stehen. Für Jörg Schlaich steht hier besonders im Zentrum die Second Hooghly-River-Brücke von 1993, die das Ergebnis eines, wie auf der Website notiert „unendlich mühsamem, aber lohnendem Planungs- und Bauprozesses von über 20 Jahren“ war, mit 457 m Spannweite damals die größte Schrägseilbrücke Asiens. Besonderen Stellenwert im Werk hat sie, weil sie so entworfen und konstruiert war, dass sie durch örtliche Baufirmen mit Hilfe von ausschließlich einheimischen Arbeitskräften und lokalen Werkstoffen gebaut werden konnte; nicht geschweißt, genietet!

Jörg Schlaich erzählt gerne von diesem Projekt, davon, dass er seine Frau und seine beiden Söhne einlud „mit mir im VW-Bus von Stuttgart nach Indien zu fahren.“ Sie haben es tatsächlich gemacht ... Das Brückenprojekt über den indischen Fluss war für den deutschen Ingenieur auch lehrreich. Seine aktive Haltung entwickelte sich deutlich in seinem Engagement für Solarkraftwerke, hier insbesondere die Aufwindtechnologie, für die er Jahrzehnte lang an allen Fronten gekämpft hat; wenn man ehrlich ist und seinen umfassenden Anspruch im Auge hat, bis heute vergeblich. Er wollte die Kraftwerke dort verwirklicht sehen, wo natürlich auch die klimatischen Bedingungen günstig sind, er wollte aber auch wohl mit seinen Forschungen etwas wieder gut machen; so die Jahrhunderte währende Ausbeutung der armen Länder Nordafrikas durch die Europäer. Keine Entwicklungshilfe, kein hightec-Export, „wir müssen sie [die Kraftwerke, Be. K.] vielmehr so entwerfen und entwickeln, dass sie dort mit eigenen Arbeitskräften und eigenen Werkstoffen selbst gebaut werden können.“ Unvorstellbar? Die Second Hooghly Bridge in Indien hat bewiesen, dass hier viel mehr möglich wäre.

Jörg Schlaich feiert am 17. Oktober seinen achtzigsten Geburtstag. Wir gratulieren ihm, dem erfindungsreichen Ingenieur und mutigen Menschen, zu diesem Glück.

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