Kopfgeschichten
Ein schmales Taschenbuch, nur Text. Eine Erzählung, karg in der Sprache, anstrengend in der „Ich blicke dem Protagonisten ständig über die Schulter“-Perspektive, literarisch durchaus. Ein Buch über Le Corbusier, dessen Titel exakt auf das verweist, was mit LC verbunden ist: Mythos, Sage. Das aufzubrechen, unternimmt der Autor eine Reise durch das Architektenleben mit einem sehr nahen Blick auf den Architekten selbst, eine Reise, die allein auf Kopfbilder setzt. Der Autor beobachtet ihn, beschreibt Erlebnisse, Ereignisse, und rückt dem Mann auf die Pelle und spricht ihn durchlaufend an: „Sie schauen … Sie fühlen sich nicht … Ihnen ist das Meer …“ Nicht selten fragt man sich da: Woher weiß er das alles, was er aus des Meisters Fühlen und Wollen herausspricht?
Er hat, wie im Nachwort zu lesen ist, Corbusiers Briefe gelesen. Die liegen gedruckt vor. Den Rest hat er sich aus anderen Quellen hinzugenommen, davon ist nicht wenig vermutet, interpretiert, behauptet. Egal, hier wird der Versuch unternommen, der Saga eine weitere, vielleicht tiefer in den Menschen Corbusier blickende Geschichte hinzuzufügen. Das gelingt ganz sicher. Ob wir damit aber das Werk besser verstehen? Eher nicht. Ob wir damit den Architekten besser verstehen? Kaum. Dass wir so viel über den größten Architekten des 20. Jahrhunderts wissen, macht es möglich, aus den Andeutungen, den Auftritten der zahlreichen Namenlosen in diesem Buch uns selbst ein Bild zu machen. Von einem Menschen, der autistische, selbstquälerische Züge hatte und dessen Architektur scheinbar unüberbrückbar fern von dem ist, wovon er träumte: Nähe zum Beispiel. Die Saga ist fesselnd geschrieben, man kann sie auf einer Zugreise lesen, sagen wir von Marseille nach Ronchamp, Schlaf dazwischen inklusive. Der Größte wird groß bleiben, die Sage bunt, der Mensch ein Rätsel. Be. K.