Landesmuseum Zürich, Zürich/CH
Ein Haus wie ein Monolith, fugenlos und mit nur wenigen, gezielt gesetzten Öffnungen in Richtung Park und Limmat: Die Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein setzten 2002, als sie mit ihrem Beitrag den international ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewannen, neue Maßstäbe in der Schweiz. „Ein Landesmuseum zu bauen, ist nicht irgendeine Aufgabe“, sagt Projektleiter (Neubau) Daniel Monheim. „Von Anfang an waren sich alle am Bau Beteiligten ihrer Aufgabe sehr bewusst und gaben ihr Bestes.“ Das bestätigt auch Heinrich Schnetzer, verantwortlicher Ingenieur des Büros Schnetzer Puskas Ingenieure: „Zeitgemäße Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Betriebsräume bereitzustellen, die den Anforderungen eines kulturhistorischen Museums des 21. Jhd. gewachsen sind, ist eine sehr komplexe Aufgabe.“ Die Architekten übernahmen nicht nur den Neubau, sondern auch die Instandsetzung sowie die Erdbeben- und Brandschutzertüchtigung des Altbaus, die erst 2020 abgeschlossen sein werden.
Emanuel Christs und Christoph Gantenbeins Museumsbau ergänzt den Bestandsbau aus dem Historismus zeitgenössisch: Wo sich der Altbau mit Türmchen, trutzigen Mauern und neogotischen Fenster- und Fassadenelementen eine Verbindung zur Vergangenheit sucht, stellt sich der monolithisch erscheinende, abknickende Neubau in seiner gigantischen Größe im angrenzenden Park auf. „Wir wollten das Existierende in Geometrie und Material fortführen, ohne es zu kopieren“, erläutert Daniel Monheim den Entwurf. „Städtebaulich sollte ein Ensemble entstehen, dessen Teile sich auf Augenhöhe begegnen.“
Dabei trügt der erste Blick auf das alte Museum, denn das Schlösschen war nie das, was es vorgibt. Die Anlage stammt von 1898 und lebt, in der gewählten Konstruktion, die industrielle Zeit des aufgehenden 19. Jhd.: So baute Architekt Gustav Gull einen Hybrid aus tragenden Stahlbetonwänden und setzte darauf eine Fassade aus Tuffstein – eine technisch progressive Bauweise und eine durchaus moderne Konstruktion. Dank der neuen industriellen Möglichkeiten ließen sich historisch bekannte Formen leicht rekonstruieren und vielfältig kombinieren – die Hülle des Altbaus gleicht daher einer architekturgeschichtlichen Sammlung, was auch schon zur Bauzeit Kritiker fand.
Monolithisch betonierte Fassade
Die Anbindung der mäandrierenden Erweiterung an dieses Stil-Konglomerat machen Christ & Gantenbein geschickt: Der Neubau schließt auf der Seite des Platzspitz-Parks an zwei Stellen an den Altbau an, überformt ihn dabei aber nicht. Direkt neben dem zentral am Hof liegenden Haupteingang steht er neben dem Bestand und eröffnet den neuen Rundgang. Mit dem Museum und der Bauherrschaft erarbeiteten die Architekten das Leitbild der „Werkhalle“. Ein Landesmuseum lebt von der direkten Auseinandersetzung, dem Anfassen und der Wandelbarkeit. Entstehen sollte ein flexibles Raumkontinuum, das, ähnlich einer Bühne, vielerlei Aufhängepunkte und Anschlussmöglichkeiten bietet.
Folgt man den unregelmäßig geknickten, höher und niedriger werdenden Räumen, gelangt man zu einer breit aufsteigenden Treppe. Diese knickt nach wenigen Stufen ab und weitet sich zu einer gewaltigen Freitreppe, die auch als Ausstellungsraum genutzt werden kann. So erreicht man das zweite und wiederum auch das erste Obergeschoss, in dem sich der Neubau schließlich trichterförmig zurück zum Altbau neigt, ohne seine Last auf ihn zu übertragen. „Es war eine große Herausforderung für die Bauingenieure, diesen auskragenden Raum sowie die beiden Fugen zum Altbau auszubilden, zu dämmen und brandschutztechnisch auszurüsten“, so Daniel Monheim. Die monolithisch betonierten Fassaden sind museumsseitig 103 m, in Richtung Park 162 m lang. Die vorgehängten Fassadenscheiben liegen auf Fest- und Gleitlagern, die die Bewegung der fugenlos verbundenen Wände ermöglichen. Bei den Gebäudeecken werden die Längenänderungen ähnlich eines Akkordeons aufgenommen. Dort, wo sich der Neubau wie eine Brücke vom Boden löst und Innenhof und Park verbindet, befindet sich im Inneren die kaskadenähnliche Treppe.
Betonrezeptur entwickelt
Neben dieser Konstruktion war für die Bauingenieure eine der zentralen Aufgaben, eine funktionierende Betonrezeptur mit dem porösen und stark wasserbindenden Tuffstein zu entwickeln. Dieser Vorgang erschwert die Verarbeitung des Betons. Die naheliegende Reaktion, dem Beton mehr Wasser zuzugeben, wäre indes falsch gewesen – der erforderliche Wasser-Zement-Wert von 0.4 musste nicht wegen der Festigkeit, sondern wegen den Schwindeigenschaften des Betons eingehalten werden. „Zugleich wollten wir über die Zuschlagstoffe diese leicht hellbeige Färbung des Altbaus nachempfinden“, so Daniel Monheim. „Der Tuffstein ist hauptsächlich verantwortlich für die Textur und das Scharfkantige und schafft eine ebenso schroffe Optik, wie sie der Altbau hat.“ Die schlussendlich verwendete Rezeptur mit gewässertem Tuffstein wurde über mehrere Jahre von den Ingenieuren entwickelt, festgelegt und sowohl auf der Baustelle als auch im Langzeitversuch immer wieder überprüft. Für die am Bauablauf Beteiligten war das eine Herausforderung: Jede Charge wurde im Werk erprobt, auf der Baustelle überprüfte der Baumeister das Ausbreitmaß. Dieser Aufwand hat sich gelohnt, denn das kontrollierte Rissbild weist lediglich Fissuren im Bereich von 0,2 mm auf und auch die Langzeitwerte nach 180 Tagen sind genau in der vorgesehenen Kurve geblieben. Die innere Wand der zweischaligen, zwischen 80 und 100 cm dicken Konstruktion, besteht aus grobem Recyclingbeton. Dieser findet sich auch auf dem Boden der neuen Ausstellungsräume, dort jedoch geschliffen und so dem Terrazzo des Altbaus optisch näher.↓
Gebohrt statt geschalt
Etwas versteckt liegt im ersten Obergeschoss des Neubaus – über den Museumsrundgang oder auch den Hof zu erreichen – eine Bibliothek. Während hier breite Bandfenster Licht in den Raum lassen, finden sich in den Ausstellungsräumen des Neubaus nur wenige runde Fenster. Um den monolithischen Charakter des Neubaus nicht zu brechen, haben die Architekten
in Absprache mit den Ingenieuren von Schnetzer Puskas sie außerhalb der statischen Sperrzonen aus der vorgehängten Fassade bohren lassen, statt sie zu schalen. Die glatte, geschnittene Oberfläche des Kunststeins ermöglicht eine zweite Wahrnehmung des außen wassergestrahlten und damit groben und scharfkantigen Materials. Der Blick aus diesen runden Öffnungen hilft bei der eigenen Verortung im Gebäude und gibt einem den Bezug zur Außenwelt. „Es war ein großes Glück, dass wir das Museum im Park und neben einem solchen Baumbestand planen konnten“, so Daniel Monheim. Normalerweise baue man „auf der grünen Wiese“ und es dauerte Jahrzehnte, bis sich das gewünschte Gesamtbild einstellt. „Mit den geschützten Ginkgos und Magnolien als Nachbarn war unser Neubau bereits in den Park integriert.“
So, wie sich das Gebäude mit Altbau, Hof und Park verzahnt, ist die Verbindung auch im Inneren ablesbar. Der Boden aus geschliffenem Recyclingbeton findet sich heute nicht nur im Neubau, sondern wird auch an den Stellen im Altbau eingesetzt, an denen der alte Terrazzo-Boden nicht mehr vorhanden ist. Das Neue reagiert nicht nur auf das Alte, sondern interpretiert Vorgefundenes und beeinflusst das heutige Bild vom Altbau.
In der Stadtgesellschaft angenommen
Schon nach zwei Jahren Betrieb sieht das Museum nicht mehr so neu und fremdartig aus. Das geknickte Faserzementdach hat eine leichte Patina, die ersten Graffiti mussten von den Wänden entfernt werden. Daniel Monheim lacht und spricht: „Für uns ist das Gebäude damit angekommen in der Gesellschaft und ein Teil von Museum und Platzspitz.“ Bei der Ausstellungsgestaltung dürften die Kuratoren aber gern noch mutiger werden, schließlich habe man extra Schwerlastanker für Kleinflugzeuge, Flaschenzüge und Metallschienen in die Decken integriert, um die Höhe auch nutzbar zu machen.
Katinka Corts, Zürich
Baudaten
Objekt: Landesmuseum Zürich
Standort: Zürich
Typologie: Museum
Bauherr: Schweizerische Eidgenossenschaft vertreten durch das Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, www.bbl.admin.ch
Architekt: Christ & Gantenbein, Basel,
Mitarbeiter (Team): Emanuel Christ, Christoph Gantenbein, Mona Farag, Daniel Monheim, Anna Flückiger, Diana Zenklusen, Michael Bertschmann, Julia Tobler, Thomas Thalhofer, Christof Bedall, Markus Haberstroh, Stefanie Hirschvogel, Mirco Juon, Christian Kahl, Marcus Kopper, Christina Köchling, Tabea Lachenmann, Elisa Levi Minzi, Andrew Mackintosh, Federico Mazzolini, Mathias Pfalz, Patrick Reuter, Sven Richter, Anette Schick, Juri Schönberger, Jonas Schöpfer, Anne Katharina Schulze, Andrea Steegmüller-Sauter, Guido Tesio, Kai Timmermann, David Vaner, Jean Wagner, Kristin Widjaja
Baumanagement: Proplaning AG,
Projektleitung Realisierung: Antonio Vorraro, Ruedi Hediger, Benjamin Beck, Serkan Genc, Fabio Fiorot
Generalunternehmer: ARGE Generalplaner SLM, Christ & Gantenbein AG / Proplaning AG
Bauzeit: 2012 – 2016
Fachplaner
Tragwerksplaner: Schnetzer Puskas Ingenieure,
Basel, www.schnetzerpuskas.com
Proplaning AG, Basel
Lichtplaner: d`lite, www.dlite.ch
Akustikplaner: Bakus Bauphysik und Akustik GmbH,
Brandschutzplaner: AFC, René Wölfl, www.woelfl.ch
Landschaftsarchitektur: Vogt Landschaftsarchitekten,
Haustechnik: Stokar + Partner AG,
Elektroplanung: Pro Engeneering,
Tiefbau: GSI Bau- & Wirtschaftsingenieure,
Fassade: Emmer Pfenninger Partner AG, www.eppag.ch
Projektdaten
Grundstücksgröße: 23 973 m²
Grundflächenzahl: 1 833
Geschossflächenzahl: 11 800
Nutzfläche gesamt: 3 772 m²
Neue Austellungsfläche: 2 368 m²
Sonstige Flächen: 1 386 m²
Nutzfläche/Geschössfläche: 0.54
Verkehrsfläche/Hauptnutzfläche: 0.3
Gebäudevolumen (BRI):41 800 m3
Baukosten (nach DIN 276)
Gesamt brutto: 110 Mio. CHF