Lernen mit Durchblick
Gesundheits- und
Krankenpflegeschule in Wien/A
Krankenpflegeschule in Wien/A
Gleich nach der nördlichen Einfahrt zum Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien-Favoriten bildet rechter Hand das geriatrische Zentrum von Anton Schweighofer einen raumgreifenden Blickfang. Vor 10 Jahren griff der Architekt ordnend in den heterogen gewachsenen Komplex ein und legte dabei großen Wert auf die Gestaltung des vorgelagerten Freiraums. Rund 300 m davon entfernt parallel zur Triester Straße markiert eine lange Glasfront den Neubau des Duos Lichtblau.Wagner Architekten. Die Gesundheits- und Krankenpflegeschule ist nicht nur innenräumlich höchst ambitioniert, die Wiener Architekten wollen zudem den benachbarten Freiraum aufwerten.
Dem Bewerbungsverfahren folgte der Wettbewerb 2004, im Januar 2009 war Baubeginn. Die Option beim Wettbewerb, das Raumprogramm der Schule zu verdoppeln, sollte nun Realität werden und die Architekten überarbeiteten entsprechend ihr Siegerprojekt. Sie rückten die Eingangshalle ins Zentrum des auf 121 m Länge angewachsenen Riegels. Der Neubau nimmt im Durchschnitt 600 SchülerInnen aus vier fusionierten Schulen auf.
Zwei Prinzipien verschränkt
Die Architekten verschränkten zwei konzeptuelle Prinzipien. Das erste nutzt die Modellierung des Geländes, das Richtung Nordosten abfällt: sie entwickelten angesichts zweier gleichwertiger Erdgeschosse ein auch für den Benutzer angenehm fließendes Raumkontinuum: Die zentrale, auf eine Zwischenhöhe gelegte Eingangshalle erschließt durch eine breite Rampe das untere Erdgeschoss mit dem gut belichteten Hörsaal sowie Garderoben. Geneigte Ebenen führen von der verglasten Halle ebenfalls in die Erschließungsachse des oberen Erdgeschosses. Hier wird das zweite Prinzip gut verständlich: Die Schule – so Susanna Wagner – in „konsequenten Längsschichten organisiert.“ Sämtliche Lehrräume orientierten die Architekten zur ruhigen Parkseite im Nordwesten. Zur vielbefahrenen Triester Straße im Südosten hingegen schirmt ein gebäudeintegriertes Schallschutzelement – eine 121 m lange Glashaut – die Schule ab.
Beeindruckendes Raumkontinuum
Was Andreas Lichtblau als „beinhartes zweihüftiges System“ bezeichnet, bietet eine sehr humane Ausprägung: Kein trostlos-dunkler Gangschlauch erschließt die beiderseitigen Raumschichten der Lehr- und Nebenräume, sondern eine helle, räumlich vielfältige, geschossübergreifend kommunizierende Zone. Zu den Unterrichtsräumen
vermittelt die lineare Kastenwand mit Unter- und Oberlicht, was zusätzliches Sonnenlicht in die Klassen bringt. In den Stahlbetonraster eingehängte Boxen für WCs, Lehrerzimmer etc. stören nicht die konstruktive Klarheit, sondern betonen sie. Mit der Stahlbeton-Struktur korrespondiert das schlanke Stahlschwert-Raster, das die Structural-Glazing-Fassade aus 4,30m x 1,80m großen Tafeln trägt. Die Schule öffnet sich nach Südosten, vom Flur bieten sich zahlreiche Blickverbindungen in den 10. Bezirk und die anderen Geschosse. Das Schulgebäude bildet ein zusammenhängendes, offenes Raumvolumen von der viergeschossigen offenen Halle bis zur Erschließung der letzten Klassen.
Intelligent gelöster Brandschutz
Dieser vertikale Luftraum konnte trotz strenger Brandschutzvorschriften offen gehalten werden. Lichtblau.Wagner Architekten entwickelten ein gleichermaßen intelligentes wie simples Haustechnik- bzw. Brandschutzkonzept, das nach konstruktiven Verhandlungen mit Feuerwehr und Brandschutzbehörde umgesetzt werden konnte. Es gibt keine horizontalen, sondern nur drei vertikale Brandabschnitte entsprechend den drei (Flucht)Treppenhäusern. Die Schiebetore
dazwischen wurden dezent integriert. Im Brandfall öffnen sich die Windfänge im Eingangsbereich. Gleichzeitig starten im Abschnitt
des Brandherds vier Dachventilatoren mit einer Leistung von 90.000
m³ Luft pro Stunde. Frische Luft strömt im Erdgeschoss ins Gebäude, am Dach wird absaugen. So bleibt in den Gängen, um zehn Minuten lang die Sicherheit Flüchtender zu gewährleisten, eine zweieinhalb Meter hohe „raucharme“ Luftschicht frei. Dies hat ein Probelauf kurz vor Eröffnung bestätigt. Die Structural-Glazing-Fassade erhielt keinerlei künstlichen Sonnenschutz. Lichtblau.Wagner Architekten ließen zehn großkronige Spitzahorne zwischen Glashaut und alter Straßenmauer pflanzen. Die Laubbäume beschatten im Sommer die Fassade, im Winter werden solare Gewinne eingefahren. Die Abwärme der Schüler wird im Wärmerückgewinnungssystem genutzt. Bei Bedarf wird Frischluft in die Klassen eingeblasen, wenn der den Schadstoffgehalt messende CO2-Fühler dies ansteuert. Der Heizwärmebedarf kann wesentlich reduziert werden, so dass annähernd Passivhaus-Standard erreicht wird.
Freiraumgestaltung noch nicht umgesetzt
Das Kaiser-Franz-Josef-Krankenhaus, das auf die 1880er Jahre zurückgeht, repräsentiert den Typus des Pavillonkrankenhauses. Dieser resultiert aus der fälschlichen Annahme, dass Krankheitserreger vor allem über die Luft übertragen würden. Trotz nicht immer glücklicher Erweiterungen ist die freiräumliche Großzügigkeit des Pavillon-Systems noch immer spürbar. Der Schaffung hygienischen Abstandsgrüns ist auch der kleine Park nordwestlich der Eingangshalle des Schulneubaus zu verdanken. Lichtblau.Wagner Architekten sahen vor, den modellierten Boden der Halle in den Park weiterzuziehen und attraktive Freiräume unter Bäumen schaffen. Dies konnte leider noch nicht durgeführt werden.
Der Bauherr, der Wiener Krankenanstalten-Verbund, wollte anfangs nur Teilleistungen (u.a. ohne Haustechnik) an die Architekten vergeben, sie konnten aber schließlich den Auftrag als Generalplaner erhalten. Mit dieser umfassenden Kompetenz gelang es ihnen, viele Qualitäten und einen bis ins letzte Detail stimmigen Bau umzusetzen. Die Anwandlungen babylonischer Sprachverwirrung auf der Baustelle inspirierten Lichtblau.Wagner Architekten zu ihrem Statement beim interdisziplinären Raumforschungslabor „LONGING FOR...“ im Dezember 2010 in Graz. Das Symposium (unter)suchte Schnittmengen von Architektur, Komposition und Choreografie. Andreas Lichtblau widmete sich der Notation, in der Musik die Aufzeichnung von Musik durch Noten: „ Aus der Projektkorrespondenz einiger wesentlicher Projektbeteiligten wie Statiker, Bauphysiker, Brandschutzkonsulent, Fassadenplaner, die jeder eine deutlich eigene Sprachlichkeit und eigene Sprachmelodie haben, wählten wir Textpassagen aus, die von Schauspielern im Dialog mit uns vorgetragen wurden. Manches, das im Geschriebenen verständlich war, war als Gelesenes dann unverständlich. In Analogie zum Bauen selbst haben wir für diese szenische Lesung in Graz mit den Schauspielern und einem Dramaturgen eine spezifische Choreografie entwickelt. Dieses Zusammenspielen der verschiedenen Instrumente und Sprachlichkeiten, sehen wir als Analogie zu den Wirklichkeiten des Bauens. Man kann unsere Inszenierung auch als poetische Rache an den Widrigkeiten der Bauproduktion lesen.“ Das gebaute Ergebnis macht deutlich, dass weder die Architekten noch deren Architektur unter die Räder kamen. Bedauerlicherweise ist die Umsetzung ihres attraktiven Freiraumkonzepts, das die Modellierung der Halle in den Park weiterzieht, noch Zukunftsmusik. Solche Zonen hätten nicht nur die Senioren im geriatrischen Zentrum verdient, sondern auch die künftigen KrankenpflegerInnen.
Die SchülerInnen sind aber schon heute zufrieden,
wie die Direktorin beobachtet hat. Wieso sonst kämen ihre SchülerInnen nun früher, sie gehen auch nicht gleich nach dem Unterricht nach Hause, sie halten sich gerne in der Schule auf. Dem Architekten-Duo geht es – so Andreas Lichtblau - „in der Architektur um Präzision und Ökonomie, also um die harten, rationalen Aspekte, letztlich aber ebenso um die sinnlichen Qualitäten eines Gebäudes.“ Das kommt beim Benutzer offensichtlich sehr gut an. Norbert Mayr,Salzburg