Mann, Team, Apparat & Spagat: Der Architekt, Planer und Hochschullehrer Kees Christiaanse ,KCAP Architects & Planners

Lernen von Christiaanse heißt zu erkennen, wie ein erfolgreiches und leistungsfähiges Architektenverbundsystem für urbanistisch gesellschaftliche Aufgaben im 21. Jahrhundert erfolgreich sein kann. Dazu gehören: Der multidisziplinäre Verbund zwischen dem Prinzipal und seinen Teams für Architektur und Urbanismus. Eine nicht lokale, sondern globale Aufstellung und der Verbund zwischen Privatwirtschaft und Lehre.

Es gibt einen schönen alten Witz über den früheren Bundesaußenminister Dietrich Gentscher, der sich ob seiner Umtriebigkeit manchmal in den Lüften mit zwei Regierungs­maschinen selber begegnet sein sollte. Die Architektenszene hat diesen Scherz später für den umtriebigen Rem Koolhaas adaptiert, heutzutage trifft er auch auf Kees Christiaanse zu. Das nun verwundert nicht, denn Christiaanse studierte an der Technische Universität Delft, der Alma mater aller niederländischen Architekten, er selbst entwickelte zu seinem Paten Rem eine starke Beziehung, so dass er schon 1988 kurz nach seinem Diplom in Delft Partner im Architekturbüro Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Rotterdam wurde. Von Rem Koolhaas ist bekannt, dass er inzwischen mit OMA, AMO und anderen Firmen über ein regelrechtes Planungsimperium verfügt. Und um es vorwegzunehmen, eben dieser Kees Christiaanse genauso. Dessen Spurensuche und -sicherung ist nicht mit einem Werkstatt- oder Bürobesuch zu erschlagen, sondern erstreckt sich über viele Stationen und Monate. Und noch eine zentrale Botschaft ist an den Anfang zu stellen: Lernen von Christiaanse heißt zu erkennen, wie ein erfolgreiches und leistungsfähiges Architektenverbundsystem für urbanistisch gesellschaftliche Aufgaben im 21. Jahrhundert erfolgreich sein kann. Dazu gehören: Der multidisziplinäre Verbund zwischen dem Prinzipal und seinen Teams für Architektur und Urbanismus. Eine nicht lokale, sondern globale Aufstellung und der Verbund zwischen Privatwirtschaft und Lehre. Das heißt, Kees Christiaanse ist Direktor des „Instituts für Architektur und Städtebau“ an der reichsten Architekturfakultät Europas, der ETH Zürich, und das bringt eine Art Omnipräsens auf vielen den Diskurs prägenden urbanistischen Konferenzen dieser Welt mit sich.


Die Teams: von Rotterdam bis Shanghai

Wenn man als ebenfalls durch die Architekturwelten vagabundierender Journalist auf die Suche nach Kees Christiaanse geht, klappt es dann frei nach Gentscher auf Flughäfen wie Schipool bei Amsterdam, zwischen zwei Flügen am besten. Nicht zufällig ist Kees Christiaanse auch gleichzeitig Generalplaner für die Neuorganisation des Airportdistrikts, nachdem das Projekt eines gigantischen Flug­hafens in der Nordsee aufgegeben worden ist. Der Architekt fliegt dann danach irgendwohin, nach London, Hamburg, Perm, Singapur oder Indonesien, wo gerade seine Baustellen sind, der Journalist fährt zum Hauptquartier von KCAP an den Wassern von Rotterdam im Obergeschoss einer ehemaligen Fabrik, die gerade im holländischen Dauerregen von außen abwehrend und langweilig wie eine alte Lagerhalle wirkt. Aber innen entstand eine Hightech-Architekturfabrik, die wegen ihrer Länge von den Architekten bisweilen mit Kleinstrollern aus der Schweiz befahren wird.

Das Büro KCAP (Kees Christiaanse Architect & Planners) wurde 1989 in Rotterdam gegründet, es folgten Niederlassungen in Zürich (seit 2006) und Shanghai (seit 2011). Zürich betreut den zentralen Europäischen Markt wie beispielsweise die neue Science City Zürich oder den Masterplan Europaallee Zürich. Die Weiterentwicklung südlich des Olympia Parks von Peking gehört zu den interessanten asiatischen Aufgaben im Büro Shanghai. Neben Gründer Kees Christiaanse wird KCAP von drei anderen Partnern, den Architekten Han van den Born und Irma van Oort, dem Stadtplaner Ruurd Gietema und Markus Appenzeller, der sich um das internationale Geschäft kümmert, geführt. Es gibt weitere Hierarchien wie Assoziierte, über 90 Architekten, Planer und andere Fachleute aus 20 Nationen.

In Deutschland entwickelte sich ein anderes, mitteleuropäisch geprägtes Kees-Christiaanse-Bild, das mag daran liegen, dass er 1990 zusammen mit Peter Berner, Oliver Hall und Markus Neppl ASTOC Architects & Planners in Köln gründete, die seit 2003 als GmbH & Co. KG firmiert. Vielleicht auch daran, dass er 1996 an die TU Berlin als Professor für Architektur und Städtebau berufen wurde um dann 2003 dem Ruf auf den Lehrstuhl für Architektur und Städtebau an der ETH Zürich zu folgen. Es ist aber Faktum, dass im Triumverat aus KCAP, ASTOC und ETH jeweils weitgehend unabhängige Teams ganz unterschiedliche Aufgaben bewegen. ASTOC haben dabei vor allem mit Markus Neppl weitgehend eigenständig mitteleuropäische Entwicklungsmaßnahmen zu betreuen, in Zürich an der ETH liegt die Schaltstelle für die kosmopolitischen Aufgaben und Aufträge, vorwiegend in Fernost, dort wird geforscht und die Zusammenarbeit mit Nicht-Regierungsinstitutionen forciert.


Von Hamburg bis Perm: Holzhafen, HafenCity und OpenCity

Bei einer solch generellen Aufstellung kann man mit einer klassischen Bürobeschreibung nicht weit kommen; trotzdem soll der Anfang über das klassische Feld der Architektur erfolgen. Wie ein heutiges Bauwerk von KCAP (auf der Schwelle zwischen Einzelbauwerk, Quartier und dem Global Village Rotterdam) entwickelt wird, hat die DBZ in der Juli Ausgabe 2011 mit dem Projekt Red Apple/Wijnhaven in Rotterdam beschrieben. Was die geistige (architektonische) Herkunft Christiaanses betrifft, ist diese sehr schön an einem sich mittlerweile über viele Jahre hinziehenden Projekt in Hamburg nachzuweisen: dem Holzhafen (mit Astoc), das zur berühmten Perlenkette des früheren Hamburger Oberbaudirektors Egbert Kossak am Nordufer der Elbe gehört. In den 1990er Jahren war das Projekt heftig umkämpft. Vor allem die grüne Fraktion der Bezirksversammlung Hamburg-Altona hatte mit Haken und Ösen gekämpft, um dieses Bauwerk zu verhindern, weil doch nur wieder ein Bürohaus die Sicht der ursprünglichen Elbuferbewohner zerstören würde. Das  Ergebnis lehrt jedoch, dass eine entsprechende, auf den Ort ausgerichtete Architektur und ein kluger Städtebau adäquate Lösungen anbieten können. Es entstand ein Unikat aus Bauteilen, die in Höhe und Seite mäandern, was zur Folge hat, dass das Haus tatsächlich, wie im Wettbewerb versprochen, tolle Ein- und Durchblicke spendiert. Dabei bleibt die Komposition von vier verschiedenen, parallelen Riegeln von außen erst einmal verborgen. Erst wenn man sich innen intensiv mit ihm beschäftigt, verrät der Zauberwürfel etwas über sein intaktes Innenleben: mit großzügigen Höfen und einem Atrium, das mit Kalkstein ausgelegt wurde. Ein hellroter Stein, bündig gesetzte Fenster im stehenden Format und gelegentliche farbige Akzente auf den Paneelen zwischen den Fenstern runden das Bild ab. Das Projekt besteht aus diesem ersten (östlichen) Bürogebäude (2003) sowie einem ähnlich konzipierten westlichen Bürogebäude und einem verglasten Wohnturm (2011). Er wird „Kristall“ genannt und wirkt auch so. Das hat (positive) Konsequenzen auf die Grundrisse, die entsprechend viele unterschiedliche Zuschnitte ausbilden. Der ehemalige Holzhafen ist nicht zu einem reinen Bürozentrum ge­worden, sondern auch zum gefragten Wohnstandort.

Der Holzhafen wird explizit in einer faszinierenden Publikation („Reference OMA – the sublime start of an architectural generation, Rotterdam 1995) zur Erklärung der vielen Binnenbeziehungen zwischen Meister Rem und seinen Schülern benutzt. Unter dem Aspekt Monlith und dessen durchaus vorhandenen und herauszuarbeitenden Viel­fältigkeiten wird der Holzhafen in die Reihe mit den Werken von Willem Jan Neutelings gesetzt. Dieser war Musterschüler und ist, was das Architektonische betrifft, inzwischen raffinierter und überraschender als der Lehrer.

Aber wie Rem Koolhaas hat es inzwischen Kees Christiaanse eindeutig zum Urbanistischen gezogen: „Ich glaube, Architektur kann für den Menschen nicht so viel leisten, wie der Städtebau“, sagt er im Interview in Schiphol, „der Städtebau ist heute zur Schlüsseldisziplin geworden, die die Wirtschaft, soziale Aspekte und Kultur einbezieht – und das möglichst nachhaltig!“ Und die Architektur? „Architektur sehe ich als Gebäude, die ha­-ben ihre Funktion und die können wir wei­terentwickeln, aber sie sind nur Teil der ur­banistischen Aufgabe, um sozusagen den Lebensraum der Menschen in den Griff zu bekommen.“

Östlich des Holzhafens entsteht inzwischen Hamburgs Vorzeigeprojekt der Stadtentwicklung, die HafenCity. Kees Christiaanse ist dort einer der Masterplaner, wie er sicher einer der versiertesten Vordenker für Waterfrontprojekte in aller Welt ist. Eines seiner interessantesten Projekte, sagt Kees Christiaanse sei zurzeit das Flussuferentwicklungsprojekt in der russischen Uralstadt Perm. Es steht symptomatisch für die urbanistische Arbeit von KCAP. Deren strategischen Masterplan für Perm definiert die wichtigsten räumliche Entwicklungen, das heißt ihr generelles Potential, deren Begrenzungen, Restriktionen und wünschenswerte Entwicklungen. KCAP denken in Perioden von dreißig bis sogar fünfzig Jahren und versuchen das Bild der kompakten, verdichteten Stadt aufzunehmen.

Mit dem Masterplan werden stadträumliche, siedlungstechnische und geografische Bedingungen mit sozialen und wirtschaftlichen Bedingen abgeklärt. In den Städten der ehemaligen Sowjetunion kommt es dabei besonders an, die zentralen ortsfremden Planungen der sozialistischen Stadt (z.B. Aufmarschplätze, sozialistischer Baustil) so gut wie es geht in eine nachhaltige Stadt mit humanen Lebensbedingungen mit entsprechend komplexer Verdichtung zu transformie­ren. Das bedeutet: Perm soll zur gleichen Zeit eine offene wie auch kompakte Stadt sein. KCAP lösen das zum Beispiel damit, die alten stadträumlichen Qualitäten wieder herzu­stellen, also die Stadt wieder mit dem Fluss Kama zu verbinden, ihn als Rückgrat der Entwicklung zu benutzen und mit neuen grünen Parkflächen zu veredeln. Hinzu kommen als Entwicklungs­träger auch die breiten grünen Boulevards, die Impulse für urbanes Leben stiften werden. Panzerschmieden werden zu Kunstmuseen, Militärverkehr ersetzt durch Kreuzfahrttourismus. „Masterpläne“, so Kees Christiaanse, „sind anders als ein General- oder Zonierungsplan keine gesetzliche Verordnungen, sondern symbolisieren nur eine grundsätzliche Haltung, dafür wie sich die Stadt in Planung und Stadtpolitik aufstellen soll.“


Footprint, Komplexität und Widerspruch

Kees Christiaanses Fußabdruck in der Welt der Architektur und der Stadtentwicklung ist tief, aber nicht eindeutig, sein Design orientiert sich in den jeweiligen Themen, am Programm an der Typologie und dem Kontext. Das ist heute so. Natürlich verschreiben sich die Architekten der Nachhaltigkeit, wie KCAP als Planer auch ethisch, sozial ökonomisch und pragmatisch denken wollen. Dieses „Ich will alles“ lässt sich nicht immer durchhalten, die offene öffentliche Stadt für alle kommt als Modell in Perm oder in Shenzen (China) an ihre Grenzen. Christiaanse und seine Teams wissen um den Spagat, den sie aushalten müssen, ihre Planungen für das olympische Dorf in London kamen in Wanken als das private Kapital nicht mehr mitspielte. Wenn sie als Global Planer übrig bleiben wollen, muss „Stadtplanung als Koordination des Kollektiven versuchen, einen hohen Grad an Neutralität zu erreichen“, sagen KCAP auf ihrer Website „Und die Architektur soll in 1 000 Blüten erblühen“, in anderen Worten: Stadtplanung soll die Bedingungen für Freiheit schaffen“. Ein hoher Anspruch, der wohl kaum in Gänze einzulösen ist. Aber KCAP wollen und können als Mediator zwischen unterschiedlichen Interessen einspringen, in dem sie Architektur und Stadtentwicklung verbinden, für Nonprofit und nicht staatliche Organisationen genauso arbeiten wie für Investoren oder Städte und Gemeinden. Wie auch immer sie erfolgreich sein wollen, sie mischen sich ein und werden politisch – eine neue alte Rolle für alle Architekten als „Cultural Impressarios“, wie sie sich selber nennen. Dazu muss man bisweilen in ein Flugzeug steigen.

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