Mehrfamilienwohnhaus „Flora 86“, Berlin
Das Grundstück an der Florastraße in Berlin stand auf dem freien Markt zum Verkauf. Allerdings ist es kompliziert zugeschnitten und reicht tief in den Bestand hinein. So war die Möglichkeit, an dieser Stelle einen Neubau zu errichten, durch die Gegebenheiten der umgebenden Bebauung völlig unklar. Das Büro Praeger Richter Architekten ging diese Herausforderung gemeinsam mit einer Baugruppe an.
Bereits 2015, als das Grundstück an der Florastraße 86 in Berlin-Pankow zum Verkauf stand, waren die Grundstückspreise stark gestiegen. An einer solchen Stelle neuen, bezahlbaren und hochwertigen Wohnraum zu schaffen, bedeutete in einer derart dichten Stadtstruktur eine Herausforderung. Doch genau das war das erklärte Ziel des Architekturbüros Praeger Richter Architekten, das im Auftrag einer Baugruppe neben anderen Interessensgruppen das Grundstück bebauen wollte.
Jana Richter, Namenspartnerin von Praeger Richter Architekten, erklärt die schwierigen Bedingungen des Grundstücks an der Florastraße so: „Wir haben zuerst eine Bauvoranfrage beantragt zusammen mit ein paar Interessenten. Es hat sehr lange gedauert, bis vom Amt darauf eine Antwort kam. Durch den tiefen Grundstückszuschnitt – es handelt sich um einen dreieckigen Stadtblock –, die insgesamt acht unterschiedlichen Nachbarn, die Brandwände und die rückwärtigen Hochbauten etc. war es sehr aufwendig, die richtige Form zu finden und eine realistische Bebauung abzuschätzen. Das war ein sehr langer Prozess.“
Was ist auf dem Grundstück machbar?
Vom Baubundesdenkmalamt, dem Stadtbauordnungsamt und den Nachbarn kam die Frage auf, ob man überhaupt auf dem schmalen Grundstück Wohnungen unterbringen kann. Jana Richter nennt Gründe: „Auf einer Seite liegt zum Beispiel ein Taschenpark, auf den wir zu reagieren hatten. Der Mittelteil des Grundstücks ist nur 8 m breit. Vorne, zur Straße hin, bleibt eine nicht gerade optimale dreieckige Fläche für Wohnraum übrig. Es ging also um jeden halben Meter, um den wir gekämpft haben.“
Eine Baugruppe kann ein Grundstück erst dann kaufen, wenn sie einen realistischen Bebaubarkeit vorweisen kann. Das bedeutete in diesem Fall das Abwägen unterschiedlicher Fragen und nachbarschaftlicher Belange, wie zum Beispiel das Thema Verschattung. Es wurden dazu ausführliche Sonnenlichtgangstudien durchgeführt, so dass heute alle Wohnungen genug Tageslicht bekommen. Letztendlich entschied sich das Amt für den Vorschlag der Baugruppe und erteilte die Genehmigung der Bauanfrage. „Hier in der Florastraße war ein langer Atem von allen Beteiligten nötig. Nach etwa eineinhalb Jahren war der Kauf des Grundstücks möglich“, erzählt Jana Richter.
Die Chancen im Bestehenden nutzen
Zu Beginn des Entwurfsprozesses ging es um Bauvolumen und Geschosshöhen, die mit der umgebenden Bebauung abzustimmen waren. An der Ostseite des Grundstücks liegt ein enger Hof, auf den der Neubau mit einem Rücksprung reagiert, um dort die Verschattung möglichst gering zu halten – hier wurde um jeden Meter gerungen.
Was bedeutet das wiederum für die Wohnungen? Auch die Treppenhäuser sind räumlich auf das Machbare optimiert und bekommen Tageslicht, zum Teil von oben. Die Balkonflächen an der Straßenfassade sind im Rahmen des Paragraphen 34 umgesetzt: Das heißt, mehr als ein Drittel der Fassade zur Straßenseite hin durfte keinen begehbaren Außenraum bieten. An den Wohneinheiten zu den Hinterhöfen entstanden größere Balkone und Dachterrassen. „Das haben wir uns auch auf die Fahnen geschrieben: Für jede Wohnung einen Außenraum durchzusetzen“, stellt Jana Richter klar und erzählt noch von einer weiteren Herausforderung, die durch guten Austausch gelöst werden konnte: „Es gab sehr viel Abstimmung mit den Nachbarn, weil man während der Ausführung manche Nachbargrundstücke nutzen musste, um das Gebäude zu errichten.“
Grundrisslösungen
„Vorne zur Straße hin, dieses Dreiecksgrundstück – da haben wir Monate gebraucht, um einen gut nutzbaren Grundriss zu entwerfen und die Gebäudemasse mit der Behörde abzustimmen“, erzählt Jana Richter. Sie weiteten das Dreieck so groß wie möglich aus und schafften so, gemeinsam mit zwei rückseitigen Räumen, Wohnungen unterzubringen. Der Mittelteil ist nur 8 m tief, weshalb sich dort kleine Wohnungen und drei Maisonette befinden. Die Maisonettwohnungen sind in unterschiedliche Richtungen durchgesteckt und bieten Dachterrassen auf den Seitenflügeln. So sind die Wohnungen sehr hell und offen und bieten unterschiedliche Zuschnitte und Größen für verschiedene Bewohnergruppen. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite steht ein denkmalgeschütztes Haus, wodurch der Neubau um ein Geschoss niedriger realisiert wurde, als ursprünglich geplant. Stattdessen schließt das Haus nun mit einer gemeinschaftlich genutzten Dachterrasse ab. „Man kann es schon als Bauen im Bestand bezeichnen, obwohl es ein Neubau ist, weil der Bestand drumherum die Gebäudeform stark geprägt hat“, stellt Jana Richter klar. Die kleinste Wohnung ist 45 m² groß, hier können Alleinstehende oder Senioren wohnen. Es gibt allerdings auch 60, 80, 100 bis 160 m² große Familienwohnungen und die noch etwas größeren Maisonettwohnungen für größere Familien. Alle Generationen sind heute in diesem Haus vertreten.
Experimente am Bau?
Aufgrund der Geometrie war es gar nicht sinnvoll, zusätzlich eine experimentelle Bauweise oder Materialität einzuplanen. Jana Richter erklärt die Lage auf der Baustelle: „Die Baufirmen hatten mit der Geometrie des Gebäudes alle Hände voll zu tun, was sie am Anfang auch etwas unterschätzt hatten. Auch für uns: Im Verhältnis zu anderen Projekten war der Aufwand für die Details und die Anschlüsse höher.“
Fazit
Aufgrund der komplizierten Bebauungssituation war die Herausforderung, auf diesem Grundstück überhaupt ein Haus zu bauen. „Im Nachhinein war es auf allen Ebenen wirklich sehr aufwendig: Bebaubarkeit prüfen, durchsetzen, planen und umsetzen mit den Firmen. Da war die Baugruppe sehr lange dabei und hat ihr Vorhaben erfolgreich durchgesetzt. Jeder Quadratmeter hat seine Nutzung bekommen. Es ist eine gute Lösung herausgekommen. Aber es war ein intensives Puzzlespiel“, fasst es Jana Richter zusammen. MS
Das Mehrfamilienhaus in der Florastraße ist ein gelungenes Beispiel einer Nachverdichtung im dichten, urbanen Kontext. Die komplexen Rahmenbedingungen der Bestandssituation führten nicht zur Einschränkung der entwerferischen Freiheit. Vielmehr sind sie der Ursprung einer räumlichen und typologischen Idee. Ergebnis ist ein ortsspezifischer Ansatz, der vielfältige Qualitäten für die BewohnerInnen und Nachbarschaft erzeugt und den Ort positiv weiterdenkt.«
⇥DBZ Heftpartner Teleinternetcafe
Baudaten
Objekt: Mehrfamilienhaus Flora 86
Standort: Florastraße 86, 13187 Berlin
Typologie: Mehrfamilienhaus, 16 WE und 2 Gewerbeeinheiten
Bauherr: Baugruppe
Nutzer: Selbstnutzer, Mietwohnungen
Architektur: Praeger Richter Architekten, www.praegerrichter.de
Mitarbeiter (Team): Bernd Jäger, Karoline Hietzscholdt, Jorge Andujar, Lucia Nogaledo, Mathias Müller
Bauleitung: Praeger Richter Architekten
Bauzeit: Juni 2016–Januar 2018
Fachplaner
Tragwerksplaner: Enrico Kluge, Projektbau Kluge,
www.projekt-bau-kluge.de
TGA-Planer: Ingenieurbüro Norbert Lüttgens, Berlin
Landschaftsarchitekt: Praeger Richter Architekten
Energieplaner: IEG Ingenieurbüro für Energieberatung und Gebäudeoptimierung, www.ieg-energie.com
Brandschutzplaner: Prüfer: Dipl.-Ing. Bachmann, Berlin; Konzept: Praeger Richter Architekten
Projektdaten
Grundstücksgröße: 1 015 m²
Grundflächenzahl: 0,6
Geschossflächenzahl: 2,8
Nutzfläche gesamt: 2 182 m²
Brutto-Grundfläche: 2 820 m²
Baukosten (nach DIN 276)
Gesamt brutto 5, 3 Mio. €
Hauptnutzfläche: 1 960 €/m² Wohnfläche Ausbaustandard Wohnung
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 44,3 kWh/m²a
Produkthersteller
Dach: Bauder Abdichtungsbahn, www.bauder.de; Optigrün Gründach, www.optigruen.de
Fassade: WDVS/ StoThem Classic, www.sto.de
Wand /Decke: thomas betonfertigteile Ferbellin GmbH und Co. KG, www.thomas-gruppe.de
Sonnenschutz/Blendschutz: Warema, www.warema.de
Sanitär: Duravit, www.duravit.de; Hansgrohe, www.hansgrohe.de
Bodenbelag: Bembé Parkett,
www.bembe.de
Trockenbau: Knauf Gips KG,
www.knauf.de