Moschee, Cambridge/UK
Eine markante Holzkonstruktion aus 30 stilisierten Bäumen prägt die neue Moschee an der Mill Road in Cambridge. Dank eines parametrischen Digitalmodells entstand ein Baukastensystem mit 2746 einzelnen Bauteilen in 145 Varianten. Logistik und Montage der Holzkonstruktion spielten bei der Erstellung eine wesentliche Rolle. 80 Lastwagenladungen brachten die in der Schweiz vorgefertigten Bauelemente termingerecht in das 1.500 km entfernte Cambridge. Dort konnte die Holzkonstruktion innerhalb von nur sechs Monaten errichtet werden.
7 000 Muslime aus 60 Nationen leben in der englischen Universitätsstadt Cambridge. Seit April 2019 haben sie eine eigene Moschee. Sie steht mitten in einem Wohngebiet, das aus zwei- bis dreigeschossigen Reihenhäusern besteht. Der 2 340 m² große Gebetsraum bietet Platz für 1 000 Gläubige. 30 stilisierte Baumstützen aus Holz bilden das Tragwerk der neuen Moschee.
Englische Moschee
„Zehn Jahre hat es gedauert vom Wettbewerb bis zur Fertigstellung“, erinnert sich Architektin Julia Barfield. „Wir haben uns am Anfang sehr intensiv mit der Architektur von Moscheen weltweit beschäftigt. Unser Ziel war es, sowohl etwas Lokales als auch etwas Universelles zu schaffen – eine englische Moschee.“ Sie fährt fort: „Ein Garten – das Paradies – war unser Ansatz. Eine Lichtung aus Bäumen mit einem Brunnen in der Mitte. Die Bäume wurden schließlich zur tragenden Konstruktion.“ Zunächst hatten sie an eine massive Konstruktion gedacht, vergleichbar mit den gotischen Universitätsbauten wie z. B. der Kapelle im Kings College. Doch schnell kamen die Architekten zu dem Schluss, dass eine Umsetzung in Holz praktikabler sei und nahmen sehr früh Kontakt zu den Schweizer Holzbauspezialisten Blumer Lehmann auf. Lediglich die Fassaden der Moschee scheinen massiv zu sein. In Wirklichkeit sind die Außenwände auch aus Holz mit einer vorgehängten Klinkerfassade. Die Klinker entsprechen farblich dem Mauerwerk der umgebenden Wohnbauten. Wer Kalligrafie beherrscht, liest die Worte „He is God - the One“ im Mauerwerksverband der Moschee. Diese Fassadenornamente und auch die der Baumstützen entwickelten die Architekten zusammen mit Professor Keith Critchlow, einem Experten für islamische Geo-metrien. Seine zweidimensionalen Handzeichnungen wurden mithilfe von 3D-Computermodellen in die räumliche Tragstruktur übersetzt.
Parametrisches Digitalmodell
30 stilisierte Bäume sind so entstanden: 12 über dem Atrium, Café und Unterrichtsraum, 16 über dem Gebetsraum, der Platz für 1 000 Gläubige bietet und nach Mekka ausgerichtet ist, und zwei über dem hinteren Portikus. Mit Hilfe eines parametrischen Digitalmodells entstand ein Baukastensystem mit 2 746 einzelnen Bauteilen in 145 Varianten. Vorteil der parametrischen Planung ist, dass der Bau dreidimensional exakt erfasst wird und die Gebäudegeometrie bestimmten Regeln folgt. Dann werden Elemente, Knoten und Anschlüsse definiert. „Wir haben die Form so modelliert, dass der Gewölbeschub an jeder Stelle optimal ausgenutzt werden kann, was vergleichsweise kleine und vor allem durchgängig gleiche Trägerquerschnitte von 160 x 250 mm ermöglichte“, erläutert Johannes Kuhnen von Design-to-Production, der das Digitalmodell zusammen mit den Holztragwerksplanern SJB Kempter Fitze unter der Leitung durch die Holzbauer von Blumer Lehmann entwickelt hat. In einer digitalen Prozesskette diente dieser digitale Datensatz für die Programmierung der CNC Produktionsmaschinen. So konnte effizient und präzise Bauteil für Bauteil in der benötigten Ausführung und Menge hergestellt werden.
Logistik und Montage
Neben den frei geformten Bauteilen für die Baumstützen gibt es in der Moschee auch klassische Holzkonstruktionen wie Rippen- und Holzrahmenkonstruktionen (Flachdächer und Wände) sowie Brettsperrholzelemente im Bereich der Treppen und Wohnungen. Knapp 3 800 einzelne Bauelemente wurden in 80 Lastwagenladungen termingerecht aus der Schweiz in das 1 500 km entfernte Cambridge transportiert. Der LKW-Transport bestimmte das Raster, also die Größe der Bauteile. „Gerade bei geografisch weit entfernten Baustellen ist es zentral, dass die Produktion perfekt auf die Logistik abgestimmt wird“, erklärt Jephtha Schaffner, Projektleiter bei Blumer Lehmann. „In diesem Fall erfolgte der Transport mit Lastwagen, die auf die Fähre verladen wurden. Nach rund sieben Tagen trafen die Bauteile und Elemente auf der Baustelle ein.“
Während die Wände und Deckenelemente in der Schweiz vorgefertigt worden waren, mussten die verflochtenen Flächengewölbe aus 70 bis 80 einzelnen Holzteilen vor Ort auf dem Boden zusammengesetzt und verschraubt werden, bevor sie mit einem Kranhub zum Einbauort gehoben wurden. Für den Zusammenbau lagen Montagepläne vor, die man aus einem parametrischen Modell abgeleitet hatte. Exakt nummerierte Einzelteile und sich wiederholende Montageabläufe an den 30 baumartigen Stützen führten dazu, dass die Holzkonstruktion innerhalb von nur sechs Monaten errichtet werden konnte.
Ökologisch und heterogen
„Ein wichtiger Entwurfsaspekt war die Nachhaltigkeit“, erinnert sich Architektin Julia Barfield. Denn Nachhaltigkeit und Klimaschutz stehen für das tief in der islamischen Religion verwurzelte Verständnis von Menschen als den Hütern der Schöpfung. Entstanden ist eine ökologische Moschee mit niedrigem Energieverbrauch, dank Wärmepumpen, die in Kombination mit einem Heiz- und Kühlsystem angenehme Raumtemperaturen schaffen. Die Dächer sind teilweise begrünt und sind zum Teil mit PV-Anlagen bestückt. Das Regenwasser wird für die Toilettenspülungen und zum Wässern der Gartenanlagen genutzt. „Über die Oberlichter fällt Tageslicht ins Innere. So kann tagsüber auf künstliche Beleuchtung verzichtet werden“, beschreibt die Architektin das Lichtkonzept. Der Lichteinfall von oben betont zusätzlich das Tragwerk und führt zu einem sehr grafischen Spiel von Licht und Schatten.
Die Grundrissgestaltung ermöglicht einen fließenden Übergang vom öffentlichen (Straßen-)Raum zu den Gebetsräumen. Besucher erreichen die Moschee über eine Gartenanlage und gelangen von dort über den Portikus in das halböffentliche Atrium mit Café. Daran schließt sich der Bereich der Lobby mit den traditionellen Waschzonen für Männer und Frauen. Von hier gelangt man schließlich in die Gebetshalle, die vom zentralen, 9 m hohen Dom mit seiner vergoldeten Kuppel gekrönt wird. Auch dieser wurde am Boden montiert und dann mit dem Kran auf die Deckenkonstruktion gehoben.
Das Wohngebiet um die geschäftige Mill-Road hat viele muslimische Bewohner. Es ist sehr heterogen und nicht von einer einzelnen muslimischen Ausrichtung bestimmt. „Das Besondere an dieser Moschee ist, dass sie offen für alle ist. Sie verbindet die verschiedenen Kulturen. Täglich kommen Besucher von der Straße in den Garten und das Atrium, einfach um sich ein wenig auszuruhen“, sagt Julia Barfield. „Ich war neulich mit meiner Familie dort. Da hat uns ein Mann auf der Straße angesprochen, ob er uns die Moschee zeigen könne. Er war richtig stolz auf sie. Man merkt, dass die Bevölkerung das Gebäude ins Herz geschlossen hat.“ ⇥Susanne Kreykenbohm, Hannover
„Die Moschee in Cambridge ist ein herausragendes Beispiel für digitale Präzisionsarbeit mit dem Werkstoff Holz. Von außen fügt sich der Gebäudekomplex harmonisch in die bestehende Umgebung ein. Innen beeindruckt die Deckenstruktur der Gebetshalle mit ihrem komplexen Flechtwerk. Stilisierte Bäume aus vorgefertigten Freeform-Elementen übersetzen traditionelle Ornamentik in den modernen Holzbau.“
⇥DBZ Heftpate Thomas Kruppa, FAT ARCHITECTS
Baudaten
Objekt: Moschee in Cambridge/UK
Standort: 309 – 313 Mill Road, Cambridge/UK
Typologie: Sakralbau
Bauherr und Nutzer: Cambridge Mosque Trust, Cambridge/UK,
www.cambridgemosquetrust.org
Architekt: Marks Barfiled Architects, London/UK, www.marksbarfield.com
Projektmanager: Bidwells LLP, Cambridge/UK, www.bidwells.co.uk
Generalunternehmer: Gilbert Ash, London/UK, www.gilbert-ash.com
Bauzeit: September 2016 – März 2019 (Wettbewerb 2009)
Fachplaner
Holzbau: Blumer-Lehmann AG, Gossau/CH, www.blumer-lehmann.ch
Holzbau-Ingenieure: SJB Kempter Fitze AG, Herisau/CH, www.sjb.ch
Parametrisches Design: Design-to-Production GmbH, Zürich/CH,
www.designtoproduction.com
Tragwerksplaner: Price & Myers, London/UK, www.pricemyers.com
Gebäudetechnik: Skelly & Couch, Skelly & Couch Ltd, London/UK,
www.skellyandcouch.com
Spezialist für Geometrien: Professor Keith Critchlow
Landschaftsplaner: Emma Clark with Urquhart & Hunt Landscape Design Studio, Somerset/UK,
www.urquharthunt.com
Projektdaten
Nutzfläche gesamt: 4 900 m²
Fläche Gebetshalle: 2 340 m²
Hersteller:
Licht: Spectral,
www.spectral-lighting.co.uk
Vorhangfassaden:
Raico, www.raico.de
Kuppeldeckung:
KME Tecu Gold, www.kme.com
Photovoltaik: Silicon CPV,
www.siliconcpv.com
Fliesen: Kale, www.kale.com.tr;
Domus, www.domusbauexpert.it
Naturstein: Intermarmor,
www.intermarmor.com;
Haddonstone, www.haddonstone.com
Beschläge: D-Line, www.dline.com
Schließfächer: Thrislington,
www.thrislingtoncubicles.com
Teppich: Ege, www.egecarpets.de