Mythenzugewandt
Da geht er dahin, die Straße hinauf in Siebenmeilenstiefeln, sein schien Hut ihm schon angewachsen, die Augen wach, hellwach wie bis zum Schluss, und hinter ihm eine verschlossene Hinter- oder Gartentür irgendwo in Neapel. Schwarzweiß ist die berühmte Fotografie von Joseph Beuys, der in ihre Ecke rechts mit krakkeliger Schrift notierte: „La rivoluzione siamo Noi.“ Das war 1971, die RAF schickte sich gerade an, so genannte revolutionäre Aufrufe zu verfassen, das Nachbeben der gescheiterten 68er-Revolution verwandelte sich zonenweise in ein blutiges Morden. Der Aufruf „Die Revolution sind wir“, Titel einer großen Beuys-Ausstellung im Hamburger Bahnhof (s. Termine), beschrieb vor gut einer Generation den Seelenzustand einer wie aus dem Schlaf erwachten Intellektuellenriege, die, anders als heute, sich einig sah im Widerstand gegen das Etablierte, gegen den Muff unter den Talaren, gegen die Saturiertheit der Politik und Kulturinstitute.
Weltverbesserer nannte man die Philosophen, Soziologen, Schriftsteller, Künstler, Architekten oder Außerparlamentarische, wenn man freundlich mit ihnen war. Der Zeichner und Bildhauer, Selbstdarsteller und politisch umtriebige Beuys war vielen Identifikationsfigur, Vorbild. Er selbst wollte dem Individuum die Rolle des Sonnenkönigs, also des autarken Menschen zumuten, sein Diktum, dass jeder ein Künstler sei, klang und klingt den meisten noch wie Hohn. Was hat uns der 1986 gestorbene, knapp 65-Jährige heute noch zu sagen, in Zeiten, die alles möglich erscheinen lassen, Revolutionen jedoch nicht?
Das jetzt vielleicht international tonangebende Architekturbüro, die Basler Herzog & de Meuron, bezeichnete die persönliche Begegnung mit Beuys Ende der Siebziger als den Zündfunken, der ihr lumen intellectuale zum Leuchten brachte. Die vorliegende, bilder- und wortreiche, über eingestreute Essays veranschaulichende Erinnerung an einen vielzitierten und kaum je verstandenen Künstler erklärt die Gründe für diese Bewusstwerdung. Und sie erklärt auch, dass es offenbar einer bestimmten Geisteshaltung bedarf, wenn sich Kreative Mäntel über die Schultern hängen, Mäntel, die aus dem Stoffe „Mythos“ gefertigt sind.