Zu Hause bleiben
Siedlung Köschenrüti, Zürich/CH

Wer sich heute pensionieren lässt, steht nicht nur vor Möglichkeiten, sondern auch vor Fragen: Wie kann ich zukünftig wohnen? Kann ich in meinem Quartier bleiben? Finde ich eine Wohnung, die ich mir leisten kann? Eine öffentlich-rechtliche Stiftung für Alterswohnen sorgt in den Zürcher Quartieren seit den 1950er-Jahren für günstige altersgerechte Wohnungen, die auch soziale und pflegerische Dienstleistungen anbinden. Die Seebacher Siedlung Köschenrüti im Norden Zürichs ist eines der neuesten Beispiele.

Die Schweizerfahne grüßt vom Balkon, Buchsbäumchen säumen die Brüstungen, Kräuterkisten hängen am Geländer. Die Siedlung Köschenrüti soll nicht als Altersheim verstanden werden, wenn auch sehr viele, sehr alte Personen hier leben. Vielmehr werden kleine, individuelle und vor allem bezahlbare Wohnungen angeboten, von denen es auf dem Markt viel zu wenige gibt. Für einen im Verhältnis zum Zürcher Wohnungsmarkt erträglichen Mietzins wohnt man hier allein oder zu zweit in 1,5- bis 3,5-Zimmer-Wohnungen. Ursprünglich sollte auf dem Areal ein Alterszentrum gebaut werden. Für den Beitrag zum Architekturwettbewerb erhielt das Büro Bob Gysin + Partner BGP zwar den ersten Preis, aus wirtschaftlichen Gründen wurde das Projekt aber kurz darauf gekippt.
Die Stiftung für Alterswohnen der Stadt Zürich (SAW) nahm sich des Projekts an und veränderte den ursprünglichen Auftrag – nun sollten stattdessen markt- und bedarfsgerechte Alterswohnungen sowie zwei Wohngruppen für Demenzkranke entstehen. Für das bestehende Projekt bedeutete dies, dass die Figur
adaptiert werden musste: Verband im ursprünglichen Entwurf ein
gemeinsames Erdgeschoss die beiden Wohnbauten, sollte nun ihr Charakter als zusammengehörige Solitäre betont werden.

Gemeinschaft pflegen

Da das Projekt auf grüner Wiese, am Rande des Stadtteils Seebach entstand, gab es keine konkrete städtebauliche Orientierung an Nachbarbauten. Die winkelförmigen Solitäre setzen einen starken
Akzent, lassen das Areal aber dennoch durchlässig und erhalten den Bezug Seebachs zur Landschaft. Die Häuser fügen sich locker um zwei offene Höfe, zu denen sich viele der Wohnungen orientieren. Der Ankunftshof ist asphaltgefasst, damit hier bei Bedarf bis zum Hauseingang gefahren werden kann. Das Innere des Hofs ist aber ein Kiesplatz, gesäumt von vier Bänken, die unter noch jungen Linden stehen. Hier sitzt, wer die Gemeinschaft sucht, aber auch, wer nur
in Ruhe die Passanten betrachten will.

Weil der eigene Aktionsradius in der Regel kleiner wird, je älter man ist, wird das auch in den architektonischen Entwurf übersetzt: Auf nahem Raum viel Qualität schaffen, sowohl innen als auch außen. Ermöglicht draußen der Kiesplatz mit Bänken die Begegnung, sind es im Inneren der Häuser die tageslichthellen Gänge: Sie dienen zur Erschließung der 90 Wohnungen, sind aber auch Aufenthaltsraum. Durch große Fenster blicken die Bewohner zu Innenhof oder Straße, Sitznischen laden zu einer Pause ein, hier trifft man auch Nachbarn auf ein Gespräch. Die Korridore weiten sich auf und verengen sich, knicken ab und bieten immer wieder neue Farbakzente, die auch geschlossene Gänge strukturieren und diese nicht als dunkle Schlucht erscheinen lassen.

Kleine Räume für Vieles

Entlang der Laubengänge reihen sich die 45 bis 80 m² großen Wohnungen, die sich mit ihren liegenden, schmalen Küchenfenstern zusätzlich zum Gang öffnen. Dies ist freilich nur ein Angebot und so sind einige der Fenster mit Jalousien geschlossen. Wer aber möchte, kann sich mit freiem Blick beidseitig orientieren, was die Wohnungen heller macht und gut verortet. Die Wohnungen sind ein Hybrid aus klassischem und freiem Grundriss. Man betritt sie über ein kleines Entrée, links und rechts befinden sich das Bad mit Dusche und die offene Küche. An den Wohn- und Essbereich schließt sich das Schlafzimmer an; diese beiden Räume bieten einen Zugang zum großen Balkon, dessen gelochtes Geländer einen geschützten Blick nach außen erlaubt. Da die Häuser zueinander leicht schräg gestellt sind, stört auch kein Einblick ins direkte Gegenüber. Ergänzt wird dieser private Raum durch das „Wohlfühlbad“ im Erdgeschoss: Den großzügigen Baderaum mit freistehender Wanne und – wenn man die Vorhänge öffnet – Blick in den Garten kann jeder nutzen.

So findet sich auf wenig Raum alles, was nötig ist, ohne eng und klein zu wirken. Das entspricht auch dem Wunsch der SAW, denn um subventionsfähige Wohnungen anbieten zu können, musste bei der Planung der Gebäude und Grundrisse sowohl ein Flächendeckel nach unten als auch ein Kostendeckel nach oben eingehalten werden. Das ist neben der Minergie-Eco-Zertifizierung – die erste Siedlung dieser Art der SAW – ein wichtiger
Aspekt, um die Gebäude nachhaltig belegen und bewirtschaften zu können. Nachhaltigkeit sollte im Projekt nicht nur energetisch betrachtet werden, sondern sich auch in einem reflektierten Umgang mit Flächen und Konstruktion ausdrücken – denn mit räumlichen und funktionellen Optimierungen des Grundrisses kann dem stetigen Anstieg der Wohnfläche pro Person nachweislich entgegengewirkt werden. Vielen Neubauprojekten, die sich nachhaltig nennen und dennoch Unmengen an Flächen für wenige Personen verbrauchen, ist dies immer noch fremd. In der Siedlung Köschenrüti entschieden sich viele der
Interessenten, die vorab eine größere Wohnung reserviert hatten, schlussendlich für den Einzug in eine kleinere und damit 15–20 % günstigere Wohnung.

Integrierte Pflege bei Bedarf

Das Erdgeschoss des Südgebäudes nimmt zwei vonein­ander getrennte Wohngemeinschaften für an Demenz Erkrankte auf. Im winkelförmig geknickten Gebäude ist die eine Gruppe gen Osten, die andere gen Süden orientiert. Zu beiden gibt es einen geschützten vorgelagerten Garten, dessen Trennung von der Gesamtanlage optisch dennoch nur wenig auffällt. Für alle anderen Mieter ist die Infrastruktur in den Häusern reduzierter, sie können aber einzeln besondere Leistungen buchen, sei es ein Waschservice oder ein Pflegebesuch. Der Pflegedienst unterhält lediglich ein kleines Büro im Nordgebäude und besucht die Bewohner im Haus nach Bedarf.

Entgegen der Organisation in einem Alterszentrum nehmen auch die Allgemeinflächen in einer Alterssiedlung viel weniger Raum ein. Treffpunkte sind Höfe und Wege, zudem ist ein Gemeinschaftsraum im Kopf des nördlichen Baus für alle zugänglich. Man trifft sich aber auch in der Waschküche, was in der Schweiz eine gewachsene Tradition ist – Mieterinnen und Mieter eines Hauses waschen ihre Kleidung hier entsprechend Waschplan. Einerseits ein vertrautes Muster für die Bewohner, zum anderen aber auch eine Chance auf Begegnung im Alltag. Wichtig war den Architekten daher, diese für gewöhnlich im Keller angeordneten dunklen Räume – drei insgesamt in beiden Häusern – hell, freundlich und edel zu gestalten, um eine gute Aufenthaltsqualität zu erreichen. So wird der überhohe Erdgeschossraum durch große Glastüren betreten, rückwärtig ermöglicht ein Fenster den Blick ins Grün. Als heller Boden werden hier Fliesen verwendet, die farblich zum Hartsteinholzboden passen, der sonst im gesamten Gebäude eingesetzt wird.

Neues Wohnen im Alter

Im Quartier bleiben und dabei kostengünstig und gut versorgt wohnen ist also möglich. Dazu muss aber beispielsweise eine experimentierfreudige Bauherrschaft auf Architekten treffen, die viel Energie in Grundrissarbeit stecken wollen. Das Resultat ist dann ein Wohnen, das alle Beteiligten zufrieden stellt – allen voran die Mieterinnen und Mieter. Das Schreckgespenst „Altersheim“ ist Vergangenheit, wenn man in Alterssiedlungen wie Köschenrüti bis ins hohe Alter selbständig und dennoch in Gemeinschaft in seinem vertrauten Umfeld wohnen kann.

Katinka Corts, Zürich/CH

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