Neu bauen im Altbau
Wohnanlage Grimmstraße, Hannover

Es war, wie es überall ist: Der Zustand der Wohnungsbauten genügte nicht mehr den heutigen Standards. Energetisch, vom Grundriss, der Erschließung und der Ausstattung her. Viele bauen hier neu. In Hannover tat man das auch, allerdings anders.

Neubauwertig. Neu bauen im Altbau

Als die Architekten mit dem Bauherrn über das Projekt „Wohnen in der Grimmstraße“ sprachen, kam von Bauherrenseite schnell der Wunsch auf, alles neu machen zu wollen. Die Nachkriegsbauten, typische Häuser der Fünfziger des vergangenen Jahrhunderts mit kleinen Balkonen zur Straße, kleingliedrigen Grundrissen und dreispänniger Erschließung, genügten aus Sicht des Bauherrn in keiner Weise mehr den heutigen Ansprüchen. Insbesondere bezog sich das auf den Schallschutz und die Energieeffizienz. Die Häuser mit den Hausnummern 1 bis 3 seien, so die Wohnungsgenossenschaft, weder für Familienwohnen noch für ein barrierefreies Seniorenwohnen geeignet.

Dass das die Bewohner, die hier zum Teil seit 30 Jahren wohnten, anders sahen, ergibt sich schon aus der Wohndauer, die Gewohnheiten erzeugt hat. Zugleich war klar, dass nach dem Neubau oder einer Sanierung die Mietkosten je Quadratmeter deutlich steigen würden. Andererseits war ebenfalls klar, dass gerade mit Blick auf den Altersdurchschnitt demnächst entweder Aufzugsanlagen angefügt werden müssten oder Aus- und Umzüge anstehen.

Also die Sanierung. Aber auch Abriss/Neubau? Die Architekten, so Matthias Buchmeier, geschäftsführender Gesellschafter bei ksw architekten + stadtplaner gmbh im Gespräch, schauen aber lieber dreimal hin, ob nicht die Möglichkeit einer Bestandssanierung gegeben ist; „Abriss und Neubau wirklich nur dort, wo nichts anderes mehr geht.“ Schließlich war auch der Bauherr überzeugt, dass ein Neubau aus wirtschaftlichen Erwägungen und aufgrund des dann nachzuweisenden Stellplatzschlüssels nicht in Frage kam. So entschied man sich für eine Komplettsanierung mit dem Ziel, eine neubauwertige Wohnanlage zu erstellen. Neben der Herstellung eines KfW 70-Standards mit Photovoltaik und Geothermie sollten die Wohnungsgrößen und Grundrisszuschnitte heutigen Standards angepasst werden. Nicht zuletzt sollte die Aktualisierung innen sich außen in der Fassadengestaltung widerspiegeln.

So wurde die Erschließung der Gebäude von 3-Spänner- auf 2-Spänner-Typen umorganisiert: Die vormals sehr kleinen, ausschließlich straßenseitig belichteten Wohnungen wurden  aufgegeben zu Gunsten von geräumigeren, offenen Grundrisslösungen zum „Durchwohnen“. Die drei Erschließungskerne (immer noch die Bestandstreppenhäuser) erhielten zusätzlich 5-geschossige Aufzugsanlagen. Mit dem aufgestockten und ausgebauten Dachgeschoss wurde – als Zugewinn und Kompensation für die aufwendigen Sanierungsmaßnahmen – zusätzliche Wohnfläche für hochwertige Maisonettewohnungen und großzügige Dachterrassen auf oberster Ebene geschaffen. Die äußere Erscheinung der Gebäude resultiert aus der Umstrukturierung der innenliegenden Flächen: Wohn-, Koch- und Aufenthaltsbereiche der Wohnungen wurden auf die besonnte Gartenseite verlegt und mit einem der Fassade vorgestellten „Balkonregal“ aus beton(g)rauen Fertigteilen um ein „Außenwohnzimmer“ erweitert. Die ehemals sehr kleinen, zur Straße orientierten Ostbalkone hingegen wurden großflächig verglast und so als Flächen für Schlaf- und Individualräume hinzugewonnen. Die fein abgesetzten, golden gerahmten Erker bestimmen nun die straßenseitige Fassade und sollen zusammen mit den großzügig verglasten Gauben im Dachgeschoss an die gründerzeitliche, großbürgerliche Vergangenheit des gesamten Straßenzuges erinnern

Um an die Produktionszwänge der Nachkriegszeit anzuschließen, wurden überwiegend seriell gefertigte Industrieprodukte eingesetzt: örtlich eingebrachter, geglätteter Industrieestrich für die Oberflächen in den Treppenhäusern, Eichen-Industrieparkett in den Wohnungen, Betonfertigteile für die Balkonanlage, die Traufgesimse und Grundstückseinfassungen sowie Stahl-Gitterrostkonstruktionen als Pergola und Sichtschutzwände auf den Dachterrassen.

Entkernung

Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme entschieden Architekten und Statiker gemeinsam mit dem Bauherrn, die drei Häuser komplett zu entkernen. Außer den Außen- und Brandwänden konnten auch Großteile der historischen Deckenkonstruktion erhalten bleiben. Hierbei handelt es sich um die so genannte „Zech-Decke“, eine Konstruktion aus Betonbalken, die mit Betonplatten (Gehwegplatten) belegt sind. Darauf wurde noch ca. 35 mm Estrich aufgebracht. Diese Decken haben einen sehr flachen Aufbau, sind aber auch, was die Schallleitung angeht, unzureichend dämmend (dazu unter Schallschutz).

Im Nachhinein mussten die Architekten feststellen, dass die Tabula-rasa-Entkernung zwar Spielräume für eine freiere Grundrissplanung ergab, andererseits bei der Planung vertikaler, geschossübergreifender Durchgänge durch die Decken ein Planungsaufwand nötig wurde, der – hätte man sich mehr an den bestehenden Durchgängen orientiert – geringer ausgefallen wäre.

Brandschutz

Bestandsschutz/Brandschutz: Hier kam nach dem Statiker der Brandschutzgutachter als wesentlicher Fachplaner ins Spiel. Nach­gewiesen werden musste beispielsweise, wie die Fluchtwege der Maisonette-wohnungen an die Treppenhäuser angeschlossen und dass die Brandabschnitte ausreichend klein gewählt waren. Und dass es möglich war, die bestehenden Treppen der Bestandstreppenhäuser zu erhalten. Hier wurden die vorhandenen Treppenbleche mit neuen Eichentrittstufen belegt, was die Bauaufsicht mit „akzeptiert“ festhielt.

Schallschutz

Die Bestandsdecken, die lediglich in der Treppenhausumgebung und in kleinen Bereichen ersetzt wurden, waren aus Sicht des Schallschutzes auf Grund ihrer geringen Masse unzureichend. So musste – zusätzlich zum trittschalldämmenden Fußbodenaufbau aus Trockenestrich-Elementen – auch bei der Luftschalldämmung nachgebessert werden. Hierfür wurden die Unterdecken aus 2 x 10 mm starken Gipsfaserplatten von der Rohdecke abgehängt, von der sie komplett entkoppelt sind. Sie wurden aufgehängt an zwischen den tragenden Wänden gespannten Weitspannträgern, zusätzlich mit Hutprofilen federnd gelagert und mit Platten aus 40 mm Mineralwolle gedämmt.

Fazit

Modernisierung, Sanierung, Ertüchtigung, sie alle bewirkten zweierlei. Einmal machen sie, als gekonnte Aktualisierung des Bestands, optisch keine neue Straße. Andererseits bewirken sie eine Veränderung des sozialen Gefüges der Straße, vielleicht gar des Viertels. Denn wenn Mietpreise deutlich steigen, bedeutet das in der Regel einen kompletten Mieteraustausch. Die Argumentation der Wohnungsgenossenschaft, mit solchen Maßnahmen im Interesse aller Mitglieder zu handeln, erscheint rational. In Hannover konnte zudem der Mieteraustausch im eigenen Bestand einigermaßen verträglich durchgeführt werden, doch bedeutete er auch für Manchen Abschied.

Den Architekten verdankt der Bauherr mehr als eine Modernisierung. Die Umorientierung zur Gartenseite, die Reduzierung der Drei- auf Zweispänner, die intelligente Lösung der Einhausung der ehemaligen Balkone, die Aufweitung der Wohnungen über das Balkonregal mit teils die Wohnungsgrenzen überschneidenden Dimensionen und nicht zuletzt die Haltung, Bausubstanz in abgewogener Weise zu übernehmen, gibt der Wohnanlage die Qualität, die die Frage, ob wir das alles brauchen (und bezahlen können) mit Ja beantwortbar macht. Be. K.

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