Universitätsklinik für Zahn-, Mund-und Kieferheilkunde, Wien/AT

Neue Perspektiven
Universitätsklinik für Zahn-, Mund-und Kieferheilkunde, Wien/AT

Mit der Neunutzung als Zahnklinik gaben NMPB Architekten dem denkmalgeschützten, einstigen Garnisonsspital seinen Lebenszweck zurück. Der Neubau schließt den Hof zum homogenen Freiraum, ein Stück abgegrabenes Gelände schafft ein belichtetes Untergeschoss und einen geschützten Garten. Zwischen Bestand und Neubau dient eine mehrgeschossige, gläserne Passage als Warteraum, zur Erschließung und guten Orientierung.

In der Universitätszahnklinik in Wien lernen angehende Zahnärzte unter strenger Aufsicht erfahrener Professoren ihr medizinisches Handwerk und dort sind auch Menschen mit den kompliziertesten Krankengeschichten gut aufgehoben. Hier wird geforscht, geübt und behandelt, außerdem gibt es eine Ambulanz. Bereits 1821 erlaubte Kaiser Franz I. dem Dr. chir. Georg Carabelli (1787-1842) an der Universität Wien außerordentliche Vorlesungen über „Zahnarzneykunde“ zu halten, praktische Unterweisung gab es nur in seiner Ordination. Dem Verein Österreichischer Zahnärzte gelang es später, die Eröffnung des „Kaiserlich Königlichen Zahnambulatoriums der Universität Wien“ zu bewirken. 1927 verlegt man es in das einstige Garnisonsspital in die Währingerstrasse 25 a.

Klassizistisches Lehrstück

Die Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ist immer noch hier angesiedelt. Das Garnisonsspital wurde von Isidore Canevale (1730-1786) errichtet, der seit 1766 „Wirklichker Hofarchitekt“ des aufklärerischen Reformers Joseph II war. Die Anlage spannte zwischen zwei markanten Gebäuden ein weitläufiges Areal auf, das heute im Osten von der Währingerstraße und im Norden von einer bewaldeten Böschung über der Sensengasse begrenzt wird. Im Westen steht der imposante Zylinder des Narrenturms, ein Lehrstück der Revolutionsarchitektur. An der Währinger Straße errichtete Canevale das Josephinum als medizinisch-chirurgische Militärakademie. Am nördlichen Seitenrisalit dieses klassizistischen Juwels vorbei verläuft nun die Feuerwehrzufahrt zur Universitätszahnlinik. Hier ragt eine Portiersloge aus der Fassade. „Diese Hütte war der alte Eingang“, sagt Architekt Herbert Pohl. „Das Haus steht unter Denkmalsschutz: Da konnten weder Rettung noch Taxi vernünftig vorfahren. Daher war es sehr wichtig, neue Zugänge zu schaffen.“

Das einstige Garnisonsspital hat zwei Trakte: Der schmalere im Osten beginnt an der Rückseite des Josephinums und umfasst auf drei Seiten den sogenannten Kräuterhof, während sich der westliche noch 60 m weiter nach Norden in Richtung Sensengasse erstreckt und den Garnisonshof einrahmt. Dieser ist rund 80 m breit und 112 m lang. Er liegt um 5,40 m über dem Niveau der Sensengasse und um 4 m über der Zufahrt an der Währingerstraße. Lang dümpelte der Bestand mit den verwilderten Höfen und den alten, vom Zahn der Zeit gezeichneten Spitaltrakten vor sich hin, 1999 wurde ein EU-weiter, 2-stufiger Wettbewerb für ein städtebauliches Konzept zu Sanierung und Ausbau der Zahnklinik ausgeschrieben. Das Büro NMPB Architekten (Nehrer, Medek, Pohl, Bradic) hatte bereits 1993 einen Wettbewerb zum Areal für sich entschieden, auch 1999 setzten sie sich durch. „Uns war es wichtig, den historischen Bestand aufzuwerten, zwei große Öffnungen und eine Passage durch das ganze Areal zu schaffen“, so Herbert Pohl. „Wir haben den Hof geschlossen, den Hauptzugang auf die Sensengasse verlegt und so eine neue städtebauliche Situation erzeugt.“

Neue, alte Ordnung

Der Mitteltrakt, der die zwei Höfe trennt, wurde durch ein Stück Neubau verlängert, um den Garnisonshof zu schließen. An ihn schließt eine rund 150 m lange, mehrgeschossige Passage mit Glasdach an. Sie durchzieht entlang des schmalen, hofseitigen neuen Zubaus den Bestand von Norden nach Süden und fungiert als verbindende Naht zwischen alt und neu. Der Haupteingang zur Klinik liegt an einem Vorplatz bei der bewaldeten Stadtkante der Sensengasse am Beginn der Passage. Die Orientierung ist leicht: Linker Hand führt eine Treppe an einem organisch geschwungenen Luftraum in das Untergeschoss, wo es einen Hörsaal und Seminarräume für Studenten gibt. Rechts ist die Cafeteria: ein transparenter Quader mit bunten, vertikalen Sonnenschutzschwertern und Parkettboden, der keck in den Hof ragt. Im Sommer kann man auf der Terrasse sitzen, der Raucherbalkon ist auch im Winter sehr beliebt. Vom Café blickt man in den versunkenen Garten, dessen organische Form das Thema des Luftraums bei der Stiege aufnimmt. Der abgegrabene, begrünte Freiraum mit den Treppenkaskaden sorgt für Tageslicht im Seminarbereich und eignet sich für Pausen im Freien. Die Höfe wurden von Landschaftsplanerin Anna Detzlhofer gestaltet. Unter der Cafeteria gräbt sich ein großer Hörsaal in die Erde. „Das Gelände haben wir aufgeschüttet, damit das Krankenhaus einen ebenen Hof hat wie früher“, so Herbert Pohl. „Wichtig war uns auch, die Gesimskante zu bewahren.“ Sie bildet immer noch den Abschluss des Gebäudes zum Himmel.

Viel Farbe, viel Ausblick

Hinter der Cafeteria beginnt bei der zentralen Leitstelle das Hoheitsgebiet der Zahnklinik. „Früher wurde in einem Saal mit 40 Stühlen offen behandelt und der Patient ist zum Arzt gegangen“, so Pohl. „Heute kommt der Arzt zum Patienten.“ Links gleitet am langen, lichten Gang die weiß verputzte, hohe Mauer des Altbaus entlang. Die frühere Außenfassade wird zur Innenseite der neuen Wartezone, auf die die Stahlkonstruktion des Glasdachs ein zartes Schattengitter zeichnet. Rechts gleitet der neue, 2-geschossige Anbau mit den Behandlungskojen entlang. Im Erdgeschoss geben weiße, runde Säulen der bunten Wand, deren Farbfelder vom Künstler Oskar Putz gestaltet wurden, einen Rhythmus, darüber verläuft eine Galerie. Das Leitsystem mit den farbigen LED-Streifen ist von Walter Bohatsch. Die schönen Möbel aus Aluminium in Sonder-Eloxalfarben leuchten Gold, Zinnober oder blau. Sie sind so schwer, dass man sie nicht verrücken kann, und unbrennbar: Die Passage ist auch Fluchtweg. Sitzflächen und Lehnen sind aus verleimtem Sperrholz. Sie wurden von NMPB entworfen. Unmittelbar hinter den bunten Wandfeldern liegen die zum Infrastrukturband verdichteten Aufenthaltsbereiche und Geräte der Behandler, halbhohe Schrankwände markieren die Grenze zu den Kojen mit den Zahnarztstühlen: Der gelbbeige Kautschukboden genügt allen Anforderungen, abgehängte Decken sorgen für angenehme Akustik, durch hohe Scheiben blickt man auf den ruhigen, grünen Hof.

Die Architekten sanierten die Trakte des Garnisonsspitals umsichtig, bereinig-ten seine innere Struktur, setzten eine Schicht aus neuen Aluminiumfenstern mit Zwischenscheiben ein und brachten – wo auffindbar – davor wieder die barocken Originale an. „So brauchten wir keine Außenjalousien, das war vom Denkmalschutz her nicht erlaubt“, so Pohl. Dafür gibt es viel Tageslicht für die Zahnbehandlung. „Das Beste, was einem Bestand passieren kann, ist eine neue Nutzung.“ Die Anlage war rational und intelligent geplant. Die Erschließungsgänge verliefen innen um den Hof, die hohen Zimmer und Säle hatten Licht von Süden und Westen, nur im Norden bei der Sensengasse wurde das Prinzip umgekehrt: Dort lag der Gang straßenseitig, die Säle waren dadurch zum Hof, also zur Sonne orientiert. „Der Bestand hat mit seinen Raumhöhen von 5,50 bis 6,00 m eine Qualität, die wir heute nie mehr bauen könnten“, sagt Pohl. Der Stolz, sie bewahrt zu haben, ist seiner Stimme anzumerken. „Wir konnten einen enormen technischen Aufwand verhindern. Die alten Wände sind so dick und die Räume so hoch, dass wir – abgesehen vom Forschungsbereich – keine Lüftung brauchen. Dazu tragen auch die Bäume im Hof mit ihrer Beschattung bei.“

Die Architekten führten den Bestand so weit wie möglich auf den Urzustand zurück und bemühten sich, die denkmalgeschützte Substanz optimal zu nutzen. Auch das Dach wurde neu eingedeckt – behielt aber seine alte Form bis hin zu den gemauerten Schornsteinen. Keine technischen Aufbauten stören den harmonischen Eindruck. Innen wurde außerdem ein kleines Juwel geschaffen und subtil inszeniert: eine neu eingesetzte, doppelläufige Freitreppe aus Kalkstein führt in den Festsaal im Van-Swieten-Trakt. Unter dem Putz kam eine alte Dippelbaum-decke zum Vorschein: Es glückte, das Denkmalamt davon zu überzeugen, sie frei

legen zu dürfen. „Sie bringt akustisch derartig viel, dass man keine Gipskarton-
decke mehr braucht“, so Pohl. Und atmosphärisch ist sie in Kombination mit dem Eichenparkett, den hohen, weiß verputzten Wänden und Fensterbögen nicht zu toppen. Isabella Marboe, Wien
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