New York Reloaded
Red Apple in Rotterdam/NL
Paul Groendiiks Buch „De Red Apple en het Wijnhaven Eiland“ ist eine überzeugende Huldigung auf bedrucktem Papier. Schon mit dem steilen Format ist der Leser im Hochhausland angekommen. Dort erlebt er mit vielen auffälligen Fotos , wie elegant das rote Streifenmuster der schlanken Fassade in die neue Waterfront plantiert wurde. Bitte – da will man rein, mindestens zur Besichtigung, besser zum Bleiben, denn Red Apple ist größtenteils ein Wohnhaus.
Abschied vom Nachkriegs-Rotterdam: Nachverdichtung in die Höhe
Spätestens irgendwo über dem 30. Stockwerk im Innern erkennt man die Anziehungskraft der hohen Häuser – hinter den vollverglasten Außenwänden einer Architektenwohnung (eines der Partner aus dem Hause KCAP, was verständlich und gegönnt ist); spätestens dann, wenn sich unten majestätisch die Maas weit in die Kurve legt – mit dem Blick auf den Oude Haven und all die schönen architektonischen Spielereien der letzten Jahre . Dann stellt sich das ein, was den Rotterdamern gegönnt und von vielen gewünscht ist, ein europäisches New York Feeling mit Weite, Wasser und Wohlbefinden, hier auf dem Wijnhaven Eiland.
Die Insel liegt zwischen der City von Rotterdam und der Maas. Jetzt bietet sie einen beliebten urbanen Cocktail aus Büros, Einzelhandel, Restaurants und spätestens mit Red Apple auch Wohnungen an. Wer in den letzten Jahrzehnten Rotterdam als Deutscher besucht hat, lebt seitdem damit, die holländische Niedlichkeit, die Rotterdam mit Amsterdam, Gouda oder Delft teilte, mit den deutschen Bombern im Weltkrieg auf dem Gewissen zu haben. Die 1950er Wiederaufbau-Modernität im Bahnhofsviertel erinnert an westdeutschen Nachkriegspurismus, wobei diese „arme“ Moderne heute in Düsseldorf, Hamburg oder Rotterdam eigentlich nicht wegen mangelnder Architekturqualität oder hohen Energiefraßes ausgebootet wird, sondern wegen fehlender technischer Kompatibilität und vor allem der mangelhaften kapitalistischen Ausbeutung des Grund und Bodens. Das Gebiet sei von Standardbüros der 1950er Jahr geprägt worden, heißt es im Buch, weil aber Wijnhaven Eiland eine strategisch wichtige Position in der Stadtentwicklung zwischen City und Waterfront besetze, wolle man es sanft entwickeln und dabei die freien Kräfte des Marktes vor allem für ein neues Wohnquartier nutzen. Die nunmehr extrem höhere Dichte mache es möglich.
Live/Work Spaces: ein Nutzungsmix wie in Manhattan
Red Apple krönt das Ensemble am Wijnhaven, das an drei Seiten vom Wasser umspült ist, und wuchs an der Südwestecke auf mehr als 120 m an. Es besteht aus mehren Bauteilen und aus einem Spiel zwischen niedrig und hoch. Der niedrige Teil wird durch eine attraktive Passage erschlossen. Im Turm selbst lagern über der üppigen Lobby so genannte „Hybride“ – live/work loft spaces – wie es im Englischen heißt. Ab einer Höhe von 21 m schwingen sich dann Appartements und Wohnungen unterschiedlicher Größe (66 – 141 m²) in die Höhe, sie werden geschickt diagonal belichtet, durch raumhohe Verglasung sind die Aussichten am Himmel über Rotterdam optimal. Vier Penthäuser bilden den Abschluss in der Höhe.
Dem Turm vorgelagert ist ein fünfeckiger Bauteil, indem sich an der gegenüberliegenden Spitze weitere Wohnungen bis zu 15 Geschossen das Atrium einrahmen. KCAP und Innenarchitekt Jan des Bouvrie haben das Gebäude und sein Umfeld sehr konsequent für Wohnen, Arbeiten und Relaxen verwoben. Die Bewohner fahren mit dem Fahrstuhl herunter und treffen dort auf Shops, Cafés and Restaurants. Hölzerne Terrassen sowie schmale interne Fußgängerwege betonen das Lokale und Dörfliche des Quartiers mitten in der City – so etwa funktionieren auch viele Blocks in Big Apple, der so eine Art Pate von Red Apple ist.
Die Spaghetti-Variante und andere optische Täuschungen
Ein Hochhaus ist architektonisch und konstruktiv immer ein großer Auftritt und weit sichtbar. Das ist allen Hochhausarchitekten bewusst: Die Fassade ( manchmal auch die Form) werden zur Werbefläche der Architekten. Die Form bleibt hier schlicht kubistisch und die Architekten konzentrieren sich auf das zweidimensionale Fassadenmuster. KCAP fand es über zwei Zwischenstationen. Erstens sollte sich Red Apple möglichst stark von dem 90 m hohen Willemswerf, dem „weißen Giganten“ abheben. Das führte zweitens zu einer Art Schachbettmuster, das wiederum verworfen wurde, weil es in zu starke Konkurrenz zum Bestand getreten wäre. Die Entscheidung fiel für vertikale Linien am Tower – und horizontale vorn am niedrigeren Block an der Spitze.
Die endgültige „Spahghetti-Variante“ wurde ausgewählt, weil es schließlich galt, Büronutzungen und Wohnungen hinter einer Fassade zu vereinigen. Natürlich ist dies eigentlich nur ein Trick der abstrakten Visualisierung von Nutzungen, trägt hier aber durchaus Früchte des Form follows Function: Je höher die Wohnungen liegen, desto größer der Glasanteil – wegen der Aussicht. Die Paneele verschlanken sich nach oben. Rotterdams Volksmund spricht von „schwingenden Bambusstangen“. Und der hoch gestellte Klotz beginnt in der Nahsicht mit seinen Wänden zu tanzen, manchmal zu flimmern. Die rote Einfärbung der eloxierten Paneele tut das Übrige in Sachen Aufmerksamkeitsförderung. Der vom Bauherrn geforderte hohe Glasanteil (für die Wohnungen) geht hier mit den roten Alu-Bändern (und den dahinter liegenden grauen Brüstungen) ein glänzendes Geflecht ein. Und in der Tat wechseln Anmutungen stündlich im Tageslicht und erinnern an eine Fata morgana.
Einfach gestrickt, kostengünstig und nachhaltig: das Geheimnis des schmalen Fußabdruck
Im konstruktiven Sinne ist der Red Apple einfach gestrickt. Tragwerksplaner Janko Arts sagt: „Die Konstruktion hält pragmatische Balance zwischen den Zwängen der Statik, den Kosten und der Ausführung“. Die Entscheidung für den quadratischen Grundriss bedeutete, dass hier nichts oder wenig neu erfunden werden musste. Und trotzdem wurden mit geringem konstruktiven Aufwand offene, weite Räume möglich .
Nachverdichtung wird als Argument für Nachhaltigkeit verstanden. Der Red Apple liegt direkt an einer S-Bahnstation, die Bewohner erreichen alle wichtigen Gebiete Rotterdams zu Fuß oder mit dem Fiets, dem Fahrrad. 231 Wohnungen auf bis zu 36 Etagen fressen nicht unnötig Land. Ein Lob dem schmalen Fußabdruck. Die Leichtfassade aus Glas und Aluminium ist entsprechend einfach zu transportieren und zu montieren. Aluminium ist zwar energieaufwändig in der Produktion, aber voll recyclefähig. Natürlich wurde die neueste Generation von Wärmedämmgläsern verwendet wie auch Kühldecken zu System gehören. Das Haus wurde an der Fernewärmenetz angeschlossen. Andererseits bleibt der Aufwand, wenn man ein Hochhaus durch Fahrstühle erschließen und der normale konstruktive Wahnsinn für ein 120 Meter hohes Wohnhaus in Gebieten mit heftigen Westwinden betrieben werden muss. Red Apple ist kein Case Study House für die Zukunft des Wohnens in Zeiten des Klimawandels. Es lässt auch die Beantwortung der Frage offen, ob wir bodennah im Grünen oder hochhinaus im Zentrum als Wohnlage bevorzugen sollen. Aber es bleibt ein Angebot für eingefleischte Urbanisten – nach dem Motto, spätestens am Abend im 35. Stock wird man drinnen zum heftigen Befürworter der Hochhausphilosophie.