„Nur ein einfaches Modell ist ein gutes Modell“
Fabian Scheurer zum Thema „Digitales Planen und Bauen“
Was ist ein gutes Modell? Die Frage war schon immer wichtig, doch in Zeiten der digitalen Planung und Fabrikation bekommt sie noch ein paar zusätzliche Betrachtungsebenen. Eine davon kennt jeder, der schon mal versucht hat, ein digitales CAD-Modell an einen 3D-Drucker zu senden: Was auf dem Bildschirm perfekt aussieht, wird als löchrig, unpräzise und unbaubar zurückgewiesen – von einer Maschine! Die könnte zwar theoretisch im Handumdrehen physische Architekturmodelle produzieren, deren Präzision und Detaillierung die bisherigen, manuellen Verfahren weit in den Schatten stellt, aber in der Praxis ist sie auf ebenso hochpräzise detaillierte Eingangsdaten angewiesen. Das gilt nicht nur für den Modellbau, sondern auch für die 1:1 Fertigung. Auch die computergesteuerte (CNC) Maschine arbeitet mit einer Genauigkeit von wenigen Zehntelmillimetern. Allerdings geht es da in der Regel nicht um ein einzelnes kleines Modell, sondern – Stichwort „Mass-Customization“ – um mehrere tausend individuelle Bauteile mit zehntausenden von Verbindungsdetails. Und all die kleinen Nuten und Bohrlöcher müssen wohin? Sie ahnen es: zuerst mal in ein digitales Modell.
Damit verschiebt sich der Arbeitsaufwand von der Herstellung in die Planung, was sich sowohl in den Köpfen als auch in den Honorarordnungen erst noch etablieren muss. Das Ziel, CAD-Modelle des Architekten direkt als Grundlage für die digitale Produktion zu nutzen, relativiert sich vor diesem Hintergrund jedenfalls rasch. Gleichzeitig bedeutet digitale Fertigung aber auch Vorfertigung, denn die computergesteuerten Maschinen stehen praktisch niemals auf der Baustelle, sondern in klimatisierten Werkhallen. Und damit wächst die Planung auch in die Breite, denn wenn all die vorgefertigten Puzzlestücke am Ende perfekt zusammenpassen sollen, dann muss das quer durch alle Gewerke funktionieren.
Muss ein gutes digitales Modell also sowohl tief (detailliert) als auch breit (integriert) sein? Braucht es ein zentrales digitales Modell, in dem alles gespeichert wird, was alle am Bau Beteiligten über die gesamte Planungsphase hinweg an Informationen zusammentragen? Eher nicht, denn ein Modell, das seinen Namen verdient, ist ein schlankes Modell. Mit jeder überflüssigen Information steigt die Wahrscheinlichkeit, dass redundante Daten das Modell unhandlich machen oder – wesentlich schlimmer – zu sogenannten „Update-Anomalien“ führen: die Daten der verschiedenen Gewerke passen irgendwann nicht mehr zusammen. Weil die Anforderungen an das Modell für verschiedene Gewerke in der Regel nicht dieselben sind, gibt es aber auf die Frage „was kommt rein ins Modell und was bleibt draußen?“ jedes Mal unterschiedliche Antworten.
Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Das naive Ausnutzen immer billigerer Speicherkapazitäten führt nicht zu besseren, sondern nur zu größeren Modellen, die am Ende niemand mehr beherrscht. Das Ausreizen der digitalen Produktionsmethoden erfordert immer detailliertere Einzelmodelle, die sich immer schwieriger mit denen der Nachbargewerke synchronisiert lassen. Am Ende hilft wohl nur ein Wechsel der Betrachtungsebene: Nicht die Werkzeuge, sondern die Methoden müssen sich ändern. Wer beim Stichwort „Building Information Modelling“ (BIM) nur an Software-Pakete und Datenformate denkt, wird in denselben unproduktiven Prozessen stecken bleiben, die das Umsetzen komplexer Bauvorhaben schon heute so schwierig machen. Wer daran etwas ändern will, der wird den Prozess des Planens und Bauens, Schnittstellen, Verantwortlichkeiten und womöglich auch Berufsbilder neu definieren müssen. Ein neues, digitales Modell des Bauens.
Der Informatiker
Fabian Scheurer (geb. 1969) ist Gründungspartner von designtoproduction und Leiter des Zürcher Büros. Diplom in Informatik (FB Architektur) an der TU München. Zwischen 2002 und 2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am CAAD Lehrstuhl (Prof. Hovestadt) an der ETHZ, wo er die Anwendung des Selbstorganisations-Prinzips auf Bauentwurf und Baukonstruktion untersuchte. 2005 gründete er mit ETH-Kollegen designtoproduction als Forschungsgruppe an der ETH. Ende 2006 ging designtoproduction mit Arnold Walz zusammen und wurde zum Beratungs-/Planungsbüro. Fabian Scheurer war Gastdozent an verschiedenen Architekturhochschulen (AA London oder IAAC Barcelona). Seit 2012 ist er Lehrbeauftragter für Digitale Modellierung und Produktion an der HTW Chur. www.designtoproduction.com