Parken unter Dünen

Parkgarage und Küstenschutzbau, Katwijk-aan-Zee/NL

Im niederländischen Katwijk-aan-Zee, etwa 10 km westlich von Leiden gibt es seit 2015 eine Tiefgarage, die als Teil einer 1,2 km langen Dünenlandschaft entworfen und zugleich zur Verstärkung der örtlichen Deichlinie errichtet wurde. Das Projekt ist u. a. Ergebnis einer Kooperation des Ingenieur- und Architekturbüro Royal HaskoningDHV mit OKRA Landschaftsarchitekten.

Weil die alten Deichanlagen im Bereich der Küstenlinie von Katwijk-aan-Zee eine Schwachstelle entlang der niederländischen Küste darstellten, musste der Deich erneuert werden, um so die Häuser und Wohnungen von ca. 3 000 Dorfbewohnern im Falle einer schweren Sturmflut zu schützen. Ein Brechen der Deiche in diesem Bereich hätte auch schwerwiegende Folgen für die Ballungsräume Leiden, Den Haag und das Flughafengebiet Schiphol.

Deshalb wurden Anfang 2009 OKRA und Arcadis von der obersten niederländischen Straßen- und Wasserbaubehörde und von der Gemeinde Katwijk zur Ausarbeitung eines Plans für die Errichtung eines neuen Deichs und seine landschaftliche Integration beauftragt. Während Arcadis für die ingenieurmäßige Planung und Ausarbeitung des neuen Deiches verantwortlich war, wurde der neue Strandbereich vom Utrechter Landschaftsbüro OKRA entworfen. Zudem sah die Gemeinde in diesem Projekt gleichzeitig die Möglichkeit, eine dringend benötigte Parkgarage für die Strandbesucher zu realisieren, um damit gleichzeitig die Parkplatzprobleme im Dorfzentrum zu lösen.

Ende 2009 beauftragte die Gemeinde verschiedene Ingenieurbüros mit einer Machbarkeitsstudie und mit einem Vorentwurf für eine Tiefgarage am Strand. 2012 holte sie sich in einer zweiten Phase Angebote für die Ausarbeitung eines architektonischen Entwurfs auf der Basis des Vorentwurfs ein. Beide Phasen konnte Royal HaskoningDHV für sich entscheiden. Von diesem Moment an entstand eine gemeinschaftliche Projektorganisation mit einem Projektmanager zwischen den bis dahin parallel laufenden Planungen der Küstenab­sicherung und der Planung der Tiefgarage.

Position der Parkgarage

Für die genaue Position der neuen Parkgarage hatten die Planer laut Jurgen Herbschleb, damaliger Projektleiter bei Royal HaskoningDHV, nicht viel Spielraum: Der Raum unter der damals gerade neu gestalteten Straße, dem „Strandboulevard“, wäre nicht breit genug gewesen. Die Tiefgaragenwände hätten zu dicht an die Fundamente der Häuser gegrenzt. Gleichzeitig konnte die Tiefgarage nicht näher am Boulevard situiert werden, weil man sonst zu nahe an die Reste des Atlantikwalls aus dem Zweiten Weltkrieg herangekommen wäre. Tiefer hätte man die Garage nicht legen können, weil man sonst in Konflikt mit den denkmalgeschützten Resten des römischen Limes gekommen wäre, dem Grenzwall, der die Niederlande von Arnheim bis nach Katwijk an der Nordsee durchzog. Die definitive Breite und Länge der Garage ergab sich letztlich aus der gewünschten Anzahl an Stellplätzen und dem zur Verfügung stehenden Budget. Eine breitere Garage hätte eine Verbreiterung des gesamten Küstenabschnitts zur Folge gehabt und damit auch die Instandhaltungskosten des Strands und der Dünen wesentlich erhöht.

Entstanden ist eine 500 m lange und 30 m breite Tiefgarage, die zwischen 10 und 11 m über dem Meeresspiegel liegt und mit einer Sandschicht von mindestens 1 m bedeckt ist.

Zunächst wurde der Deich aus Betonfertigteilen meerseitig errichtet. Dann folgte der Bau der Garage, die parallel neben dem Deich in Richtung Land liegt, aus vorgefertigten Betonteilen für Wände und Decke von Süden nach Norden. Durch die Vorfertigung konnte nicht nur eine hohe Qualität der Bauteile garantiert werden. Vor allem konnte der Zeitraum für Bauarbeiten auf ein Minimum reduziert werden, so dass der Strandbetrieb und der Betrieb der Strandpavillons kaum beeinträchtigt waren.

Dünenlandschaft

Eines der Hauptaugenmerke beim Entwurf der neuen Dünenlandschaft lag darin, diese nicht höher zu machen als die alte, um so weiterhin den Blick vom Boulevard auf das Meer garantieren zu können und damit die Beziehung des Ortes und der Menschen zum Meer nicht zu zerstören. Die neu geschaffene Düne ist ca. 80 m breiter geworden als die alte.

Aus dieser Dünenlandschaft wachsen drei Hauptzugänge und zwei Nebeneingänge in einer einfachen, beinahe natürlichen Wellenbewegung aus dem Sand. Diese Zugänge liegen an den neu angelegten Verbindungswegen zwischen dem Ortszentrum und dem Strand. Sie dienen zugleich als Zugänge zu den darunterliegenden Stellplätzen und sind schräg zur Längsachse der Garage orientiert.

Außerdem wachsen aus dieser neu geschaffenen Düne sechs kleine Notausgänge wie schiefe Hüte aus Cortenstahl aus dem Boden. Mit ihren beidseitig verglasten Fassaden verschwinden sie beinahe zwischen den langen Grashalmen. Die Gemeinde bestand darauf, die Notausgänge nicht entlang des Boulevards anzuordnen, um nicht die Sicht auf das Meer zu stören. Deshalb verbindet nun ein Pfad mit einer Oberfläche aus Muschelbruch die Notausgänge, der wie selbstverständlich in die Dünenlandschaft integriert ist und zusammen mit Holz beplankten Wegen harmonisch mit der Landschaft verschmilzt. Teil des integralen Landschaftsentwurfs waren neben den Zugängen zur Tiefgarage und den verschiedenen Wegen zum Strand auch die Anpassungen an die bestehenden Gehsteige des Boulevards, die Informationssäulen, die Vogelbeobachtungsstellen, die Rettungsposten, aber auch die Beleuchtungseinrichtungen, die Bänke und Sitzgelegenheiten, die Wasserzapfsäulen und nicht zuletzt die Fahrradabstellplätze.

Materialwahl

Bei den Garagenzugängen, den Notausgängen und den Wegen wurde darauf geachtet, wenige und widerstandsfähige Materialien zu verwenden, die den rauen Wetterbedingungen am Strand standhalten können. Neben perforierten, anthrazitgrauen Stahlplatten an den Ein -bzw. Ausfahrten und dem Cortenstahl der Notausgänge wurde für die verschiedenen Fußgängerzu- und -ausgänge in erster Linie (gebogenes) Glas verwendet. Dadurch wurden diese nicht nur optisch transparenter, sondern es konnte natürliches Tageslicht in die Tiefgarage geleitet werden.

Die Hauptwege vom Boulevard zum Strand sind mit vorgefertigten schwarzen Betonsteinen gesäumt, die im Bereich der Fußgängerzugänge nach oben schwenken und die Glasfassaden umrahmen, bevor sie wieder zur Düne herunterschwingen. Glas wird auch für die Gestaltung der Ausgänge und der Liftschächte verwendet. Der Boden der Garage besteht wie viele Straßen in den Niederlanden aus verschiedenfarbigen Betonsteinen, die auf einer Dränageschicht liegen. Die Tiefgarage bildet also kein hermetisch geschlossenes Volumen. Im Falle des Anstiegs des Grundwasserspiegels würde die Garage leicht unter Wasser stehen.

Die gesamte Gestaltung der Oberflächen, der Wände, Böden und Decken im Bereich der Zugänge, sowohl oberirdisch als auch unterirdisch, sowie des Wegeleitsys-tems in der Parkgarage stammt aus der Feder von Royal HaskoningDHV. Die Lichtgestaltung und das Farbkonzept der Boden- und Deckengestaltung dienen der besseren Orientierung der Benutzer der Tiefgarage. Am Abend und während der Nacht werden die Garagenzugänge zu verschiedenfarbigen Leuchtkörpern, die in der Landschaft strahlen.

Die Tiefgarage erhielt zahlreiche nationale und internationale Anerkennungen in verschiedensten Kategorien. Das Projekt wurde 2016 unter anderem als bestes Bauwerk vom Bund der Niederländischen Architekten anerkannt, obwohl man sich die Frage stellte, ob es sich dabei tatsächlich um ein Gebäude handelt.

Jurgen Herbschleb von Royal HaskoningDHV stellt noch einmal die Besonderheit dieses Projektes heraus: „Eine Zusammenarbeit mit rund 20 verschiedenen Partnern klingt zunächst wie ein Alptraum. Tatsächlich war es aber dieser konstruktive und permanente Dialog mit den vielen verschiedenen Partnern – sei es nun mit der Gemeinde, mit den Architekten, den Archäologen, den Ingenieuren, den Landschaftsarchitekten, der Feuerwehr oder mit den Baufirmen – und die kontinuierliche Suche nach innovativen, intelligenten, funktionellen und ästhetisch ansprechenden Lösungen sowie der Austausch an Informationen, der das Projekt erst möglich machte und zu einem Erfolg werden ließ.“

Tatsache ist, dass in Katwijk aus zwei funktionellen und technischen Anfor­derungen – nämlich dem Deich und der Parkgarage – aufgrund der ingenieursmäßigen, architektonischen und entwurfstechnischen Kompetenzen der einzelnen Planer und der Sachkenntnis der Baufirmen in einem Gemeinschaftsprojekt ein neues Stück Landschaft geschaffen wurde, dass für die Niederlande eine Premiere ist. Michael Koller, Den Haag

Baudaten

Objekt: Kustwerk Katwijk – Unterirdische Parkgarage kombiniert
mit einem Küstenschutzbauwerk
Standort: Katwijk-aan-Zee/ NL
Typologie: Parkgarage, Landschaftspark, Küstenschutz
Bauherr: Gemeinde Katwijk-aan-Zee
Architekten (Parkgarage): Royal HaskoningDHV, Amersfoort/NL, www.royalhaskoningdhv.com
Projektleiter: Richard van den Brule, Jurgen Herbschleb
Mitarbeiter: Filipa Vieira Santos, Joost van Noort, Freek Leber,
Jan Brantjes

Bauunternehmer: Ballast Nedam N.V., Nieuwegein/NL,
www.ballast-nedam.nl
Bauzeit: 2013 – 2015

Fachplaner

Landschaftsarchitekten: OKRA Landschapsarchitecten BV,
Utrecht/NL, www.okra.nl
Küstenschutz/Damm: Arcadis Nederland B.V.
(Arnhem, The Netherlands; 1888)
Generalplaner: Ballast Nedam Engineering N.V., Nieuwegein/NL, www.ballast-nedam.nl; in Kooperation mit Zwarts & Jansma Architecten, Amsterdam /NL, www.zja.nl
Tragwerksplaner: Adviesburo voor Bouwkonstrukties Ing. L. Snijders B.V., Valkenswaard/NL, www.adviesburo-snijders.nl
TGA: De Bosman Bedrijven, Amersfoort/NL,
www.bosmanbedrijven.nl
Fassade: Metadecor Kampen/NL, www.metadecor.eu

Projektdaten

Grundstücksgröße: 180 ha
Bruttogeschossfläche: 15 000 m² (= 1,5 ha)

Baukosten

Gesamtkosten: 70 Mio €
Parkgarage: 1 000 €/m²

Hersteller

Fassade: MD Designperforation, www.metadecor.eu
Aufzüge: Liften en Machinefabriek Lakeman LML-HYD-ROUND-serie; www.lakeman.nl

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