Schlechte Luft am Bau?Haftungsfragen in Bezug auf Innenraumluft und
Gerüche
Gerüche
Können Architekten für schlechte, sprich schadstoffbelastete Luft in einem von ihnen geplanten und überwachten Gebäude haften? Schadstoffe in Innenräumen, gesundheitsschädliche oder -bedenkliche Luftqualitäten, zu hohe CO2-Werte sowie dauerhaft unangenehme Gerüche sind am Bau altbekannte Probleme. Sie reißen trotz fortschreitender Entwicklung am Bau und den Baustoffen (leider) nicht ab. Immer wieder kann man daher in der Presse von „krankmachenden“ Gebäuden lesen.
Schulen, Turnhallen, Kindergärten oder auch ganze Verwaltungskomplexe (z. B. jüngst ein Justizzentrum) müssen wegen mangelhafter Innenraumluftwerte ganz oder teilweise geschlossen und saniert werden. Spätestens dann stellt sich die Frage nach der Haftung für den entstandenen Schaden. Doch nicht nur in diesen Fällen sollten sich Planer und Auftragnehmer mit den möglichen Haftungsrisiken in Bezug auf Schadstoffe, Innenraumluftqualitäten sowie verstärkt auch mit Gerüchen auseinandersetzten.
Dichte Gebäude – kritische Nutzer
Warum nimmt die haftungsrechtliche Relevanz dieses Themas zu? Ein Grund hierfür liegt u. a. in der zunehmenden Dichtigkeit der Gebäudehüllen bei gleichzeitig – energetisch gewünschter – Reduzierung der Luftwechselraten. Dies hat unter anderem zur Folge, dass Emissionen aus Baustoffen sich deutlicher bemerkbar machen können. Hinzu kommt, dass das Emissionsverhalten von Baustoffen erst allmählich baustoff- und zulassungsrechtlich an Beachtung gewinnt. Immer noch kann man nicht davon ausgehen, dass bauaufsichtlich zugelassene Baustoffe per se gesundheitlich unbedenklich sind. Die 2013 in Kraft getretene Europäische Bauproduktenverordnung hat hierfür zwar entscheidende Weichen gestellt. Aber der Prozess der Umsetzung der Richtlinie hat erst begonnen. Zudem lassen sich damit die Problematiken von chemischen Wechsel- und Massenwirkungen, also die Reaktion von Bauprodukten miteinander als auch die Relation von Rauminhalt zur Menge des verwendeten Baustoffs, wohl nur bedingt beherrschen. Daher reicht es auch nicht aus, einfach auf die Verwendung von emissionsarmen Produkten zu vertrauen, da diese Wechsel- und Masserisiken nicht abgeschätzt werden können.
Gleiches gilt bei der oft trügerisch vorgenommenen Gleichsetzung der Kriterien „ökologisch“ und „gesund“. Sowenig dies für den Knollenblätterpilz gilt, sowenig kann dies für den einzelnen Baustoff gelten.
Während also die Konzentration von Emissionen und Gerüchen in Gebäuden zunehmen kann, trifft der Planer und Unternehmer auf immer kritischere, zum Teil sehr gut informierte Bauherren oder Nutzer. Gerade gewerbliche Bauherren werden Debatten um die Innenraumluftqualität schon aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen vermeiden wollen. Gerade im Bereich des Arbeitsschutzes werden die Risiken der sogenannten MAK-Werte von vielen Beteiligten unterschätzt. Kurz gesagt: Spätestens wenn eine Mietminderung droht, wird nach dem Schuldigen gesucht. Wer haftet – der Planer, der Bau-Unternehmer? Der einzelne Handwerker? Gleiches gilt für die CO2-Problematik, also die kontrollierte Luftwechselrate gerade bei intensiv belegten Räumen, etwa in Schulen oder Veranstaltungsräumen.
Gute Luft ein Bausoll?
Wann aber kann aus juristischer Sicht die Qualität der Innenraumluft für Planer und Unternehmer zum Haftungsproblem werden? Welches Plan- oder Bausoll wird in Bezug auf Schadstoffe, die Innenraumluftqualität oder Gerüche geschuldet?
Eine pauschale Antwort darauf gibt es
leider nicht. Allerdings kann man festhalten, dass soweit keine Beschaffenheit vertraglich vereinbart wurde, stets die nach dem Vertrag vorausgesetzte gewöhnliche Verwendungseignung als Plan- oder Bausoll geschuldet wird (§ 633 Abs. 2 BGB). Im Mietrecht gilt Vergleichbares nach § 536 BGB.
Zahlreiche Gerichtsentscheidungen machen zudem deutlich: die Belastung eines Gebäudes mit Schadstoffen, eine unzureichende Innenraumluftqualität oder auch störende Geruchsbelästigungen können dieser gewöhnlichen Verwendungseignung entgegenstehen und somit einen Mangel darstellen (z. B. OLG Köln 17.12.2002 – 3 U 66/02 für Geruchsbelästigung aus Parkett).
Allerdings: Einen eindeutigen und klaren gesetzlichen Rahmen zur Qualität der Innenraumluft gibt es nicht. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen fehlt jede Grundlage für eine „TA-Innenluft“, zum anderen wird zu Recht überwiegend die direkte oder analoge Anwendungen von Regelungen wie der Gefahrstoffverordnung im Bereich des Bau- oder Mietrechts abgelehnt (z. B. OLG Bamberg). Gleichwohl: Das Beispiel der VOC-Verordnung [1] in Frankreich zeigt, dass die Gesetzgeber aufgewacht sind und zum Teil äußerst ambitionierte gesetzliche Regelungen für die Innenraumluftqualität schaffen können.
Stand der Dinge ist also: Statt einer klaren gesetzlichen oder per Verordnung definierten Regelung sehen sich Planer, Unternehmer, Sachverständige und Juristen vielmehr mit einer Vielzahl von Grenz-, Richt- und Empfehlungswerten für einzelne Stoffe aber auch ganze Räume und Gebäudetypen konfrontiert.
Während es für die Belastung der Innenraumluft mit flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) oder anderen Summenwerten an gesetzlichen Grenzwerten fehlt, sind für einzelne Stoffe und Verbindungen sehr wohl Grenz- oder Richtwerte zur Gefahrenabwehr bekannt. Grenzwerte zeichnen eine klare Verbotsgrenze, Richtwerte – wie diejenigen der Innenraumlufthygiene-Kommission (IRK) beim Umweltbundesamt – beschreiben Bereiche (Richtwert I und Richtwert II) der Gefahrenabwehr. Werden diese Werte überschritten, so kann dies Mängelrechte auslösen. Unstrittig stellt zum Beispiel die Überschreitung der Formaldehydwerte einen Mangel dar (OLG Köln 06.05.1991 – 12 U 130/88). Aber auch bei anderen vom Umweltbundesamt herausgegeben Richtwerten hat die Rechtsprechung schon Mängel angenommen (z.B. LG München I 06.12.2012 − 14 S 12138/12 für Überschreitung RW II bei Naphthalin). Und selbst wenn von einem bestimmten Stoff keine konkrete Gesundheitsgefährdung auf Grund erhöhter Konzentration ausgeht, kann dies zu Gewährleistungsansprüchen führen. Vielmehr soll es genügen, wenn von einem Stoff ein „begründeter Gefahrenverdacht“ ausgeht (OLG Oldenburg 14.10.1998 2 U 179/89).
Richtwerte – anerkannte Regeln der Technik
Gerade das Fehlen klarer Grenzwerte führt in der Praxis zu einem erheblichen Bewertungsspielraum durch die Gerichte.
Gleichwohl haben sich unter den Experten für Innenraumhygiene in den letzten Jahren klare Wertskalen herausgebildet, nach denen die gesundheitliche Qualität der Innenraumluft bewertet werden kann. In diesem Zusammenhang sind auf nationaler Ebene in erster Linie die Empfehlungen des Umweltbundesamtes (UBA) zu nennen, die klare Aussagen über die Anforderungen an die Innenraumluft sowohl in Summe (TVOC) als auch für Einzelverbindungen enthält. Es ist allgemein anerkannt, dass Richtwerte oder Richtlinien den Rang einer anerkannten Regel der Technik erhalten können (z. B. LG Traunstein 04.08.1994 - 1 S 2198/94 für Richtwerte bei Holzschutz „PCP“ mit Verweis auf damaligen Stand der Forschung und Publikationsdichte). Trotz einer deutlichen Zunahme an Schulungs- und Fortbildungsangeboten sowie Fachpublikationen wird man allerdings Stand heute noch nicht davon ausgehen können, den Wertskalen z. B. des UBA den Rang von anerkannten Regeln der Technik zuzusprechen. Wäre dies der Fall so wären die Werte automatisch als Plan- oder Baussoll geschuldet (BGH v. 14. 5. 1998 VII ZR 184/97). Dennoch sollte jeder Planer und Auftragnehmer von entsprechenden Gebäudetypen diese Werte kennen. Denn zum Beispiel die Werte des Leitfadens des UBA für Schul- und Kindergartengebäude [2] dürften als „gerichtsfest“ gewertet werden. Welchen anderen Beurteilungsrahmen sollte ein Sachverständiger oder ein Richter sonst auch wählen, wenn nicht die Empfehlungswerte der obersten Fachbehörde?
Vertrag sowie Risiken und Nebenwirkungen von Zertifizierungssystemen
Ganz anders stellt sich die Lage dar, wenn der Bauherr mit dem Architekten, Fachplaner und/oder dem Generalübernehmer die Innenraumluftqualität explizit oder stillschweigend vereinbart. In letzter Zeit nimmt die Zahl solcher Vereinbarungen, welche die Verwendung bestimmter Produkte oder deren Ausschluss vorsehen, deutlich zu. Eine solche Beschaffenheitsvereinbarung kann sich zum Beispiel aus der konkreten Bauaufgabe implizit ergeben (z. B. die Nutzung des Gebäudes durch einen Allergiker oder MCS-Kranke) oder
aber durch die zunehmende Verbreitung von Gebäude- und Nachhaltigkeitszertifikaten (DGNB, BNB, LEED, BREAM, Sentinel-Gesundheitspass, Nachhaltige Wohnungswirtschaft). All diesen Zertifikaten liegen vertraglich geschuldete Innenraumluftwerte bei Abnahme zugrunde. So enthält zum Beispiel das Bewertungssystem des Bundes (BNB) nicht nur 3 000 µg/m3 TVOC als Ausschlusskriterium sondern auch 500 µg/m3 TVOC als Zielwert für die volle Bewertungszahl, was ambitioniert aber mit einer entsprechenden Qualitätssicherung im Bereich Innenraumlufthygiene realisierbar ist. Wird eine solche oder ähnliche Qualität vertraglich vereinbart, und sei es nur mittelbar im Rahmen einer Zertifizierung, schulden die Planungsverantwortlichen dem Auftraggeber zum Beispiel mit Raumluftmessungen entsprechend nachgewiesene Standards. Dieses Beispiel zeigt: Planer und Unternehmer unterschätzen insgesamt die bislang auch juristisch zu wenig beachtete Haftungsproblematik in Zusammenhang mit solchen Zertifikaten beziehungsweise bei einer massiven Überschreitung von Empfehlungswerten. Die finanziellen Risiken und der Schaden für das eigenen Renommee können erheblich sein, wenn z.B. die Veräußerung, Vermietung eines Objekts daran scheitert, weil ein geschuldetes Zertifikat nicht erlangt werden kann. Oder wenn zum Beispiel die Nutzung nur zeitlich verzögert oder gar nicht möglich ist, beziehungsweise erst nach einer aufwendigen Sanierung des Neu- oder Umbaus.
Architekten und Planer sollten daher schon bei der Vertragsgestaltung unter Berücksichtigung der in diesem Punkt geänderten HOAI 2013 (Anlage 10) diese Aspekte im Blick haben („Was schulde ich dem Bauherren?“, „Wer trägt welche Risiken?“).
Ebenso ist sodann bei der Ausschreibung und Vergabe auf die Einhaltung entsprechender Kriterien zu achten. Besonders die öffentliche Vergabe nach VOB/A kann vergaberechtlich zur Herausforderung werden, wenn es um nachhaltige oder emissionsarme Bauvorhaben geht. Die vergaberechtliche Rechtsprechung sowohl auf europäischer (EuGH) als auch nationaler Ebene zeigt hier nicht erst seit der Entscheidung MAX HAVELAAR (EuGH 10. 5. 2012 − C-368/10) eine deutliche Dynamik. Ein kürzlich veröffentlichter Leitfaden [3] mit entsprechenden Formulierungshilfen und Erläuterungen bietet hier eine Hilfestellung.
Geruch – Haftung auch ohne Gesundheitsgefahr
Neben der Problematik von Emissionen wirft zunehmend auch die Geruchsbelastung haftungsrechtliche Fragen auf. Auch hier hat die Sensibilität der Gebäudenutzer in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Im Unterschied zu Emissionen, bei denen sich häufig die oben skizzierten Konzentrations- und Messfragen von Schadstoffen strittig sein können, spielt beim Thema Geruch die gesundheitliche Komponente keine Rolle. Dennoch: Allein auf Grund einer Geruchsbelästigung können Mängelrechte entstehen (z. B. OLG Köln 17.12.2002 3 U 66/02 für Parkettversiegelung, LG Stralsund, Teilurteil vom 12.06.2007 − 4 O 116/03 zu Lüftungsanlage, AG Torgau, 27.09.2002 – 1 C 604/01 Gerüche in Mietwohnung). Wann hier die Haftungsgrenze überschritten ist, ist häufig strittig. Bewertung- und Messungen sollten daher stets nach den einschlägigen VDI [4] und DIN/EN Normen [5] vorgenommen werden, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden und die eine objektive und damit auch gegen den Architekten oder Verarbeiter anwendbare Methodik beinhalten.
Haftungsrisiken des Planers und des Unternehmers
Liegen Mängel „in der Luft“ können sich bei der Klärung der Haftung für diesen Mangel Fragen nach einem Planungs- oder Überwachungsfehler stellen. Grundsätzlich wird man annehmen dürfen, dass der Planer oder Sonderfachmann für die Gebrauchstauglichkeit grundsätzlich einzustehen hat. Doch die Innenraumluftqualität des fertig gestellten Gebäudes ist häufig genug nicht einem Gewerk allein zuzuordnen. Somit rückt der Architekt oder Fachplaner als Sachwalter des Auftraggebers in den Haftungsfokus, wenn es um die Gewährleistung geht. Besonderes Augenmerk dürfte dabei auch bei der Ausschreibung liegen. Wurde schon bei der Ausschreibung und Vergabe die Innenraumluft hinreichend berücksichtigt? Dies kann vor allem auch dann fraglich werden, wenn der Unternehmer auf Grund von später eintretenden Änderungen Nachträge geltend macht. Neben den Planern wird aber auch der Unternehmer dann haften, wenn der Mangel eindeutig zuordenbar ist. Das ist in der Praxis häufig der Fall. Häufig lassen sich Emissions- und Geruchsquellen eindeutig lokalisieren. Haftungsrechtlich komplex sind Wechselwirkungen von Baustoffen. Hier wird man nur dann eine Haftung des Verarbeiters annehmen können, wenn diese Wechselwirkungen hinreichend bekannt waren. Diese Risiken lassen sich tendenziell leichter vermeiden, wenn – wo möglich – auf geschlossene oder halboffene Baustoffsysteme zurückgegriffen wird, was auch vergaberechtlich berücksichtigt und relevant werden kann. Werden Generalunternehmer beauftragt, kann sich dies haftungsrechtlich vereinfachend auswirken.
Sollten vertraglich innenraumhygenische Ziele oder Zertifizierungen (s. o.) vereinbart sein, empfiehlt sich für Bauherren, Planer und Auftragnehmer gleichermaßen ein darauf abgestimmtes Vertrags- und Qualitätsmanagement mit entsprechender juristischer und fachplanerischer Begleitung. Denn nur so lassen sich dann die notwendigen Haftungsrisiken klären und Haftungslücken schließen. Im Bereich der Bauüberwachung größerer Projekte hat sich die Beauftragung eines Wohngesundheitskoordinators (WoGeKo) als fachlich versierter Sachwalter des Auftraggebers bewährt.
Zusammenfassung
Die Innenraumluftqualität als Bestandteil der geschuldeten Leistung gewinnt an Bedeutung. Entweder im Vorfeld durch vertragliche Vereinbarungen oder im Schadensfall, wenn es vor Gericht um die Haftung für den entstandenen Schaden geht. Bauherren, Planer und Unternehmer sind aufgerufen sich aktiv mit der Thematik auseinander zu setzen. Mangels eindeutiger gesetzlicher Regelungen kommt der Vertragsgestaltung und den dort geregelten Verantwortlichkeiten für die Baustoffauswahl und die Bauüberwachung eine besondere Bedeutung zu. Nur wer die Haftungsrisiken sieht, kann ihnen aus dem Wege gehen.