Schön gerechnet: Finite-Elemente
Ovaldach, Tor Nord Messe Frankfurt a. M.

Architekten und Ingenieure sollten öfter so eng zusammenarbeiten. Wenn sie das nicht schon machen, wie hier in Frankfurt a. M. am Messeeingang Nord. Das Torhaus, das dort inmitten eines schier unübersichtlichen Kräfte- und Bezugsfelds zwischen Verkehrstrassen und Hochhäusern überzeugt; wenigstens durch seine umfassende Robustheit.

Wenn Sie wissen, was man mit der „Gestaltänderungsenergiehypothese (GEH)“ anfangen kann und Ihnen der Name von Mises ein guter Bekannter ist, wenn interaktive Finite-Elemente-Programme keine Angstgefühle auslösen und Sie nicht, wie der Autor, bei parametrischen Geometriebeschreibungen den Überblick verlieren, sind Sie hier genau richtig. Denn von alle dem und noch mehr werden Sie hier finden. Und vielleicht sogar war dem Architekten Ingo Schrader, Berlin, der mit anderen Architekten 2008 zu einem Realisierungswettbewerb eingeladen worden war und den er als Gewinner für sich entscheiden konnte nicht von Anfang an klar, was die heutigen Ingenieurbüros nicht bloß zu leisten in der Lage sind. Sondern, worüber sie und wie sie darüber nachdenken.

Den Wettbewerb hatte die Messe Frankfurt ausgelobt, es ging die Neugestaltung von zwei Hauptzufahrtstoren des Messegeländes. Dort, wo damals noch schnöde Container den Charme des Provisorischen versprühten, sollte jeweils ein Wachgebäude und eine Überdachung des Kontrollbereiches entstehen. Neben der Erfüllung der funktionalen Anforderungen legte der Auslober Wert auf eine signifikante Gestaltung als architektonische Visitenkarte der Messe Frankfurt bei der Zufahrt auf das Gelände.

Der Entwurf

Der erste Entwurf hatte neben einem Wachgebäude für beide Standorte jeweils noch ein kreisrundes Dach vorgesehen, das sich aber nach Präzisierung der Anforderungen schnell zu einem größeren Oval entwickelte. Die Dächer waren als Stahlkonstruktion angelegt, die in individueller, aber durchaus verwandter Weise auf ihren jeweiligen Standort reagieren mussten. Da jedoch die Nachbarsituation zu Tor Süd, die Planungen am Europaviertel, bis heute nicht gänzlich geklärt ist, ist es bis jetzt erst einmal beim Entwurf für das Tor Nord geblieben. Wobei die hier geleistete Entwurfs- und Rechenarbeit auch bei der Realisierung für die Südzufahrt genutzt werden kann.

Ingo Schrader holte gleich zu Beginn des Planungsprozesses das Frankfurter Ingenieurbüro Bollinger + Grohmann mit ins Boot sowie die Lichtplaner LichtKunstLicht, Berlin. Die Zusammenarbeit mit B + G war schon insofern wichtig, als die unterschiedlichen Standorte unterschiedliche Strukturen eines ansonsten eben verwandten Musters erforderten. Der Entwurf eines Einzelbauwerks nach bestimmten Entwurfsprinzipien hätte nicht die Spannweite von Möglichkeiten ergeben, die die Anforderung von möglichen verschiedenen Standorten entwickeln.

Die dem Entwurfskonzept zugrunde liegenden Prinzipien wie optische (und physische) Leichtigkeit, Sparsamkeit, Funktionalität, Nachhaltigkeit der Konstruktion und integrale Planung etc. wurden in engem Dialog zwischen Architekten, Ingenieuren und Bauherren diskutiert und sukzessive zu dem jetzt realisierten hellen Dachoval weiterentwickelt. Das ursprünglich rechteckige Wachgebäude erhielt in zahlreichen Optimierungsschritten seine prägnante dreieckige Grundrißfigur. Es entstand in diesem Zusammenhang eine ganze Familie unterschiedlich großer Wachgebäude für die verschiedenen Standorte auf dem Messegelände.

Das Tragwerk

Die eingeschränkten Möglichkeiten optimaler Lastabtragung auf dem Baugrundstück, einer bestehenden Straßenbrücke fast 7 m über dem Messegelände, erforderten eine unregelmäßige Stützenstellung, die der Ausgangspunkt der nachfolgenden Entwurfs- und Rechenprozesse wurden. In einem mehrstufigen Prozess wurde ein asymmetrisches Tragwerk entwickelt, das in der Lage sein musste, das Dach mit einer Ausdehnung von 42 x 18 m, also 593 m² und 110 t Gewicht zu tragen. Die Konstruktion bildete sich ab in einem komplexen Kräfteverlaufsmuster aus sich kreuzenden aber nicht hierarchisch angeordneten Flachstahllamellen. Dabei ist die Gleichgewichtung der Lamellen dennoch diskret hierarchisiert. Entsprechend dem Kräfteverlauf variiert die Höhe zwischen 150 mm und 600 mm, die Blechstärke zwischen 20 und 40 mm. Der so entstandene Trägerrost wurde zusätzlich durch das Vouten der Flachstähle stabilisiert, die in ihren Knotenpunkten verschweißt werden. Den das Oval nachzeichnenden Dachrand bildet ein auf die Flachstahlträger aufgesetzter ungleichschenkliger Winkel, der auch statisch zur Stabilisierung der Trägerenden herangezogen wird. Die komplexe Roststruktur liegt auf vier pyramidenstumpfförmigen Stützen auf, die am Fußpunkt eingespannt sind. Um Zwangsbeanspruchungen aus Temperaturlasten zu reduzieren lagert der Trägerrost auf zwei Stützen gleitend.

Die scheinbare Freiheit der Lamellenlagen im Oval ist das Ergebnis einer programmgestützen rechnerischen Suche nach ihrer optimalen Lage. Die ersten zwölf Träger wurde so verbunden, dass jeweils 3 sich verschneidende Träger die Köpfe der vier unregelmäßig angeordneten Stützen umschließen. In einem zweiten Rechenschritt wurden die Höhe und Dicke der Bleche in Abhängigkeit von den aufnehmbaren Spannungen des Materials und unter Begrenzung der maximalen Verformungen in den jeweiligen Lamellenabschnitten zwischen den geschweißten Schnittpunkten optimiert. Die Voutung der Lamellen ergibt gleichzeitig ein strukturelles Ornament mit hohem Wiedererkennungswert.

So wurde die erste Gruppe der Lamellen aus der definierten Position und Ausrichtung der Stützen gefunden. Darauf aufbauend wurde das schon angesprochene nicht hierarchisches Tragwerk entwickelt, das auf den ersten Blick in der scheinbar zufälligen Anordnung der Achsen irrational erscheint, sich jedoch logisch aus einem computerbasierten Entwurfsprozess entwickelt hat (Evolution). Dieser Evolutionsprozess bezieht sich aber nicht allein auf das Erreichen einer ästhetisch befriedigenden Form, die bauphysikalischen Ansprüchen genügt. Das mittels von B + G mit der Hochschule Wien entwickelte Finite-Elemente-Programm Karamba, das in Robert McNeels & Associates Grasshopper® integriert ist, bringt darüber hinaus formale und fertigungstechnische Randbedingungen in Einklang.

Vorfertigung und Montage

So konnte das Dach als Ganzes vorgefertigt und anschließend in sieben transportfähigen Segmente zerteilt unmittelbar neben dem endgültigen Standort am Boden zusammengebaut werden. Dabei wurde die Aufteilung so berechnet, dass die Anzahl der erforderlichen Schweißstellen auf der Baustelle auf ein Minimum zu reduzieren war. Der CAD-Prozess berücksichtigte darüberhinaus beispielsweise auch, dass die fertigungstechnischen Bedingungen nicht hinten anstehen. So ergaben bestimmte Designs der Lamellenstruktur ungünstige Arbeitswinkel für die Schweisser (< 30 Grad), die zu mehr Arbeitsaufwand geführt hätten. Damit wurde Zeit gespart und die weitestgehende Vormontage am Boden brachte ein Plus an Arbeitssicherheit. Nach der Eindeckung mit Furnierschichtholz, dem Aufbringen einer PU-Beschichtung der Dachfläche  sowie der Montage der Beleuchtung und Beheizungselemente für den Dachrand und die offenen Oberlichter wurde das Dach paßgenau mit zwei 500 to-Kränen auf die vier Stützen gehoben.

Materialität und Nachhaltigkeit

Die eigentliche Konstruktion des Daches ist ein beinahe nackter Stahlbau ohne weitere Verkleidungen oder Überformungen. Die einzelnen Träger oder auch die umlaufende, 150 mm hohe Dacheinfassung bestehen aus Stahlblechen (S355), die lediglich zugeschnitten und zusammengefügt werden mussten. Komplizierte Profile und Anschlüsse entfallen zugunsten einer einheitlichen Bauweise. Die Dacheindeckung besteht aus mit einer PU-Beschichtung geschützten Sperrholzplatten. In die Platten eingefräste Nuten nehmen die Verkabelung für Beleuchtung, Heizkabel, Kameras etc. auf. Die extrem flache Dachansicht ergab eine gefällelose Dachfläche.Das Regenwasser fließt über ein einziges Fallrohr im Bereich des Wachgebäudes ab.

Das im Wettbewerb geforderte Wachgebäude ist ebenfalls eine Stahlkonstruktion, außen mit roten Alupanelen verkleidet, innen mit grauen MDF-Platten ausgebaut. Hier sollen die Materialwahl, die einfachen Details und die organische Integration der Haustechnik zu einem möglichst klaren und prägnanten Gebilde führen.

Robustheit

Die Klarheit der Form, die aus der geometrischen Einfachheit der größeren Bauteile resuliert behauptet sich an einem Ort, der von Verkehrsschneisen (Straße/Bahn), von hohen Häusern und niederrangigen Verkehrsflächen umschlossen ist. Der Neubau ist ein integraler Bestandteil eines unübersichtlich verknüpften Verkehrsraumes, der vom geschäftigten Messetreiben ebenso zeugt, wie er von Zweckmäßigkeit und nüchternem Gebrauch spricht. Hier galt es eben einen Ort zu entwickeln, der gerade soviel Gewicht hat, dass er nicht übersehen/überfahren wird, und so wenig, dass er nicht Gefahr läuft, in einen ungleichen Kampf mit seinen Kollegen ringsum zu gehen, die alle ein paar Gewichtsklassen höher ihre Gegenüber finden. Be. K.

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