Standpunkt II
Gerhard Helgert zum Thema „Arbeitsräume“

Die Adolf-Reichwein-Schule Nürnberg ist seit 1958 eine gebundene, rhythmisierte Ganztagsrealschule in freier Trägerschaft mit besonderem reformpädagogischen Konzept. Unser früheres Schulgebäude wurde 1971 in Fertigbauweise errichtet und entsprach spätestens seit Ende der neunziger Jahre nicht mehr den Ansprüchen an eine zeitgemäße Ganztagsschulanlage.

Schule nach der Pädagogik Adolf Reichweins bedeutet Zusammenleben von Lehrkräften und Schülern aus allen Bevölkerungsschichten während des gesamten Tages. Eine strikte räumliche Trennung zwischen Unterricht und Freizeit findet nicht statt. Dabei sind Schulklima und Raumklima für uns von jeher keine Begriffe nur aus dem zwischenmenschlichen Bereich. Sie bilden vielmehr den täglich erlebbaren Hintergrund unserer Bildungsarbeit, den Architekten und Planer in ihren Visionen nie aus den Augen verlieren durften. Unterricht und Förderung, musische und handwerkliche Bildung und das Wohlbefinden des Individuums und der Gemeinschaft aller an Schule Beteiligten sind uns gleich wichtig. Eine psychologisch und logistisch sinnvolle Gestaltung des Hauses in diesem Sinne ist Voraussetzung für eine positive Atmosphäre, die selbstverständlich mit ausgewogener Ästhetik Hand in Hand gehen sollte.

Den genannten Zielen ordnete sich die Arbeit am Neubau über fünf Jahre unter; es waren sicher nicht die einfachsten Jahre seit der Gründung der Schule im Jahr 1958. Entscheidend für die Wahl des neuen Geländes und der Sanierung eines Altbaus war das vorgefundene Potential 100-jähriger Industriearchitektur. Die erkennbaren räumlichen Möglichkeiten der bestehenden Gebäude konnten genutzt werden, eventuell nötige Anbauten mussten den beschriebenen Prinzipien entsprechen. Es sollten dezentral gelegene Arbeits- und Freizeitstationen (Klassenräume, Forschungslabor, Bibliothek, Atelier, Spielraum, Werkstätten) und ein Gemeinschaftsbereich (Aula/Pausenhalle) eingebaut und konzeptionell miteinander verbunden werden. Die  Freiflächen sollten Ruhezonen für Mensch und (Klein-) Tier ausweisen, das Pausengelände Bewegungs- (Hartplatz) und
Ruheraum (Liegewiese, Grünnischen) bieten und die Sinne aller an Schule Beteiligten ansprechen. Ein harmonischer Übergang von Innen- zu Außenfläche war uns wichtig.

Der erste Preisträger des europaweiten Wettbewerbes (bmp architekten braunschweig / goettingen) hat es verstanden, unter vollständiger Integration der Programmvorgaben ausschließlich im Bestand ein Gefüge zu entwickeln, das zugleich den Nutzungsanforderungen und dem Wunsch nach einer lebendigen Atmosphäre für Lernen und Lehren gerecht wird. Durch diese Lösung blieben großzügige Freiflächen erhalten, die in Folge ein Landschaftsarchitekturbüro (wgf nuernberg) kindgerecht gestaltet hat. Das gesamte Architektenteam hat unsere Schulidee im Verlauf der Zusammenarbeit erspürt und die Tatsache erkannt und gewürdigt, dass Kinder und Jugendliche bei uns nicht nur beschult, sondern erlebt werden.

Der einzige Partner im „Team“, der sich sperrte, der seinen Widerstand bis an die Grenzen und darüber hinaus auslotete, war unser Gebäude. Es musste überzeugt werden, nach ca. 100 Jahren einen anderen Dienst zu tun, sich zu öffnen, das Licht, die Luft und unsere Reichweinsche Freiheit hereinzulassen. Es hat leider wenig genützt, dass wir von unserer Einstellung her seinen Baukörper, seine Kon­struktion voll akzeptiert hatten, und dass unser Namensgeber dieses Gebäude und die vorsichtige, behutsame Umgestaltung durch unsere Architekten sicher gerne angenommen hätte. Der Umbau nahm viel mehr Zeit in Anspruch als erwartet. Dennoch haben wir unseren Entschluss, unseren Arbeitsplatz nicht auf die grüne Wiese zu verlegen, nicht bereut.

In einer ersten Befragung anlässlich der bundesweiten Feldstudie STEG liegen wir Reichweiner vor dem Umzug bei Eltern- und Schülerzufriedenheit hinsichtlich des Ganztagsbetriebs landesweit in allen Punkten deutlich über dem Durchschnitt. Mit einer Ausnahme: Bei der Frage nach der Qualität des Schulgebäudes sinken die  Zufriedenheitswerte kräftig ab. Ich denke, wir sollten der nächsten Befragungsrunde sehr gelassen entgegensehen. Übrigens hat die freiwillige Verweildauer unserer Schüler über den offiziellen Schulbetrieb hinaus (so etwas gibt es tatsächlich) noch deutlich zugenommen.

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