Weiterbauen, mit Zeitgeist und Zeitspuren

Theater L‘Artesà, Prat de Llobregat/ES

Für Forgas Arquitectes aus Barcelona ist ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Bestand auch jenseits der Vorgaben der Denkmalpflege selbstverständlich. Die Umbaumaßnahmen des Theaters L‘Artesà zeigen einen Weg fernab der reinen Rekonstruktion. So blieb ein Großteil der historischen Fragmente und Ziegelwände bestehen, ohne die Zeitspuren und Risse auszubessern. Der Neubau setzt sich nicht nur vom alten Bestand ab, er setzt
diesen in Szene.

Die historische Substanz

Das Theater L‘Artesà befindet sich im historischen Stadtteil von Prat de Llobregat in der Nähe von Barcelona. 1919 vom Architekten Antoni Pascual Carretero erbaut, wurde es ein wesentlicher Bestandteil des sozialen und kulturellen Lebens des Stadtviertels. Ursprünglich bestand das Gebäude aus drei Gebäudeteilen: dem Theater, der Lobby und der Bar mit anschließendem großen Garten. Die langen Seitenfassaden des Theaters waren schmucklos und einzig gegliedert durch einige Pilaster und blinde Fensternischen. Damit ist es ein Beispiel für die Moderne – so wandte man sich vom dekorativen Übermaß ab und verwendete einzig lokal hergestellte Ziegel als Fassadenmaterial. Lediglich in dem heute noch erhaltenen Teil der Lobby und der Bar, die zusammen mit zwei Fassadenseiten 2004 unter Denkmalschutz gestellt wurden, ist die Gestaltung üppiger. Über der Bar blieb das Keramikgiebeldach ­bestehen. Die Lobby war ursprünglich mit einem Backstein-Tonnengewölbe überdeckt.

Die Wiederentdeckung

Nach dem Bürgerkrieg fanden in den Räumen lokale Amateurtheatergruppen und kommerzielle Aufführungen statt, die sich mit Filmvorführungen abwechselten. 1987 mietete die Stadtverwaltung das Theater, um ein regelmäßiges Programm aus Theater, Musik und Tanz zu erstellen, und betonte die Wiederherstellung eines öffentlichen Raums, der der Kultur gewidmet ist. Die schwerwiegenden strukturellen Mängel des Gebäudes und fehlende Sicherheitsmaßnahmen führten jedoch 1988 zur Schließung. Der Komplex geriet in Vergessenheit, mit Ausnahme der Bar und des Gartens. Eine Initiative der Stadtgesellschaft forderte den Erhalt des historischen Theaters, strukturelle Sanierungsarbeiten am Gebäude durchzuführen und einen partizipativen Prozess zu eröffnen, um einvernehmlich über die Zukunft dieses Kulturerbes der Stadt zu entscheiden. Die Stadtverwaltung von El Prat, seit 2003 Eigentümerin von L‘Artesà, hatte die Sanierung des ehemaligen Theaters aufgrund von Funktions- und Platzmängeln ausgeschlossen und förderte ein Projekt für den Bau eines neuen Gebäudes als städtisches Theater mit Musik- und Tanzschule. Den öffentlichen Wettbewerb – der 2014 ausgeschrieben wurde – gewann das Architekturbüro Forgas Arquitectes aus Barcelona.

Die Vergrößerung

Das neue, zu integrierende Programm behielt die große Thea­terhalle mit einer Kapazität für 600 Zuschauer, den Empfangsbereich verbunden mit der Bar und dem Garten und einem großen Servicebereich, der an die bestehende Fassade angebaut wurde. Dieser nordöstlich angesiedelte Teil enthält unter anderem drei Proberäume, die Umkleidekabinen und Büros. Über der Lobby befindet sich eine zusätzliche kleine Halle für 150 Zuschauer. Insgesamt wurde das Gebäude um 2 600 m² erweitert, bei gleicher bebauter Fläche. Eine Herausforderung für das Projekt war der niedrige Grundwasserspiegel, der den Bau einer unterirdischen Ebene verhinderte. Die großen, neu aufgesetzten Volumen, aus denen die Haupthalle, die kleine Halle und die Bühnenbox bestehen, sind von anderen Baukörpern mit geringerer Höhe umgeben und schließen an die kleineren Wohngebäude der Umgebung an. Die funktionale und typologische Organisation des alten Gebäudes mit der bestehenden kompositorischen Garten-Bar-Foyer-Theater Achse blieb erhalten. Abgerissen wurden Anbauten, die nördlich der Bar und des Foyers angesiedelt waren. Die Bar erhielt so einen weiteren Außenraum.

Zum Schutz der alten Substanz

Die Haupthalle behielt ihren Charakter mit konkavem Grundriss und umgrenzenden Sitzplätzen auf allen Ebenen bei, inspiriert von der alten hufeisenförmige Halle. Einige Elemente der alten Konstruktion wurden während der Abbrucharbeiten sorgfältig entfernt und gelagert, um sie wiederzuverwenden. So wurde die Verkleidung des Logenplatzes des alten Theaters genutzt, um die Wände des kleinen Saals zu bedecken. Die zu erhaltenen Fragmente der alten Fassaden werden von der Stahlkonstruktion gehalten, aus denen die Haupthallenstruktur besteht. Auf diese Weise ist ihre Stabilität gewährleistet. Die Galerie an der Hauptfassade zur Straße hin macht es möglich, die Überschneidung zwischen der alten Backsteinmauer und dem Volumen des Neubaus zu verstehen. An den alten Fassadenelementen zeigt sich der Dialog zwischen Alt und Neu durch den leichten Kontrast zwischen dem bereits vorhandenen und dem neuen Ziegelstein. Risse, Leerstellen und die zum Teil abgebröckelten Fassaden der alten Bausubstanz blieben weitgehend unberührt, wurden nur vor weiterem Verfall geschützt. Während der Abbrucharbeiten der restlichen Fassaden wurden vorhandene Ziegel gelagert, um diejenigen zu ersetzen, die in den verbliebenen Mauern beschädigt waren. Die neuen Fassaden bestehen aus lokal hergestellten Ziegeln, im Läuferverband gemauert, außer an den Stellen, an denen sich die Kompaktheit in eine poröse Gitterwand verwandelt und Transparenz zwischen Innen und Außen ermöglicht. Das neue Mauerwerk musste an den ursprünglichen Ziegel angepasst werden, wobei kleine Unterschiede in den Farbtönen und Texturen auftraten, die es ermöglichten, das alte und das neue Mauerwerk zu unterscheiden. Bei den Dächern wurde je nach Anforderung eine andere Konstruktion gewählt. Die Räume für ergänzende Nutzungen wurden mit einem Gründach bedeckt, mit integriertem versteckten Bewässerungssystem. Im Bargebäude wurde das vorhandene Satteldach aus Ziegeln restauriert. Ein Fensterband zwischen dem alten Ziegeldach und dem Betonbau mit vorgesetztem Mauerwerk verbindet die beiden Konstruktionen aus unterschiedlichen Zeitepochen miteinander (siehe Detail S. 41).

Im neuen L‘Artesà erwacht das Alte

Der Neubau hat keineswegs zum Verschwinden des historischen Charakters des alten Theaters geführt. Auch eine Initiative aus der Stadtgesellschaft, die über 3 500 Unterschriften vorgelegt hatte, die sie im Rahmen einer Kampagne gegen das kommunale Projekt zum Bau des neuen städtischen Theaters gesammelt hatte, konnte dem Umbau Positives abgewinnen. Der historische Charakter des Gebäudes blieb samt Zeitspuren erhalten. Das Alte und das Neue spielen zusammen im Theater L‘Artesà, einer kulturelle Einrichtung zur Förderung der traditionellen spanischen Musik und der Volksmusik. ⇥N. Sch.

Baudaten

Objekt: Teatre L’Artesà

Standort: El Prat de Llobregat/ES

Typologie: Theater

Bauherr: Ajuntament del Prat de Llobregat

Architektur: UTE Artesà Arquitectes (Forgas Arquitectes & AMM Arquitectes)

Mitarbeiter: Joan Forgas, Dolors Ylla-Català, Manel Bosch, Antoni Sánchez-Fortn, Montse Nogués

Projekt Team: Mercè Mundet, Maria Domínguez, Pedro Gil, Esteve Ariza, Luisa Guerra, Joel Padrosa

Generalunternehmen: SORIGUÉ

Bauleitung: Qestudi + J. R. Soldevila

Bauzeit: 2017–2019

Fachplaner

Tragwerksplaner: Manuel Arguijo

TGA-Planer: AIA, Installacions arquitectòniques SL

Akustikplaner: i2A

Technisches Bühnenbild: Jordi Soler, Tom Seix

Landschaftsarchitekt: Manel Colomines

Projektdaten

Grundstücksgröße: 5 030 m²

Brutto-Grundfläche (neues Gebäude): 4 900 m²

Brutto-Grundfläche (Rehabilita­tion): 410 m²

Nettogrundfläche: 2 130 m²

Hersteller

Ziegel: Palau Sariñena

Dach: Massoni (Gründach)

Fenster: Jansen, Metalisteria Almansena, Nueva Madema

Fassade: Palau Sarinena

Wand: Tecnotec

Boden: Pavindus

Der Baustoff Ziegel kommt bei der Sanierung und Erweiterung des Theaters L ‘Artesà in einem differenzierten und gleichermaßen abwechslungsreichen Spiel zum Einsatz. Nicht nur die gesamtheitliche Anwendung bei Boden-, Wand- und Ausbaukonstruktionen, sondern auch das Ausschöpfen der konstruktiv-raumhaltigen und gestalterisch-raumbildenden Potentiale des Materials werden hier beeindruckend aufgezeigt. Eine lebendig gebaute Vielfalt – charakteristisch auch für die bunte Theaterwelt.«

⇥DBZ Heftpartner Axel Frühauf, meck architekten

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