Transformationsprozesse gestalten
Welche Anforderungen an das Bauen und Planen wird die Zukunft bringen? Berufsverbände wie der Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure geben Orientierung und sind politisch aktiv, um gute Rahmenbedingungen im beruflichen Umfeld zu schaffen.
„Fight Every Crisis“...
... unter diesem Motto gestalteten dieses Jahr die SchülerInnen von „Fridays for Future“ Tausende Plakate für den Klimaschutz und präsentierten sie als große Kunstaktion auf der Reichstagswiese. Chapeau! Die Jugend zeigt uns nicht nur, wie man in einer Pandemie kreativ demonstrieren kann, sie macht uns zu Recht aufmerksam, gerade jetzt den Blick für das Ganze nicht zu vergessen.
Die Welt ist im Umbruch und das Bauen segelt mitten drin im stürmischen „Transformationsmeer“. Der Klimawandel, der Baumüllberg, die Verödung der Städte, der fehlende Wohnraum, die Pandemie, die Digitalisierung. Ein anspruchsvolles Revier, das uns als ArchitektInnen und IngenieurInnen nicht resignieren lassen, sondern zum innovativen Handeln herausfordern sollte.
Im Hinblick auf unser Handeln gegen die Klimakrise müssen wir jedoch ehrlich sein und resümieren, dass wir durch das alleinige Vertrauen auf unsere Werte und unser Anspruchsdenken zu wenig Dynamik erzeugen. Deswegen gilt es jetzt, gemeinsam Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen wir den klimaneutralen Gebäudebestand tatsächlich so schnell erreichen, dass wir die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einhalten können.
Hierzu gilt es, die CO2-Emissionen der eingesetzten Baustoffe, der Baustelle, des Gebäudebetriebs bis hin zum möglichen Abriss zu bilanzieren. Der Erhalt von Gebäudesubstanz sollte stets positiv als Erhalt von grauer Energie gewertet werden. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müssen wir ohnehin die Sanierung des Gebäudebestands wesentlich stärker in den Fokus rücken. Dies muss natürlich sozialverträglich gestaltet werden. Wir brauchen eine intelligente Umbaukultur.
Ob Neubau oder Umbau, künftig gilt es so zu planen, dass das Bauwesen endlich den Einstieg in eine nennenswerte Kreislaufwirtschaft findet. Die traurig niedrige Recyclingquote im Bausektor führt zu immer größeren Müllbergen und einem unverantwortlichen Verbrauch von Primärrohstoffen.
Die Corona Pandemie beschleunigt im Augenblick den Strukturwandel unserer Städte, in denen einschließlich der Ballungsräume 77 % der Bevölkerung leben. Laut dem Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur mussten in den vergangenen fünf Jahren bundesweit bereits 11 000 Läden schließen. Noch ohne Berücksichtigung der Corona-Pandemie sagt die Prognose bis 2025 noch einmal 45 000 Schließungen voraus. Den ArchitektInnen, IngenieurInnen und StadtplanerInnen kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Sie verfügen über das entscheidende Know-how, um Städte so zu planen, dass sie innen nicht veröden bzw. wiederbelebt werden. Ganz wichtig sind hierfür „Stadtlabore“, in denen die moderne Stadt zusammen mit allen Akteuren gedacht, geplant und probiert werden kann.
Mehr Experimentiermöglichkeiten brauchen wir auch für den Wohnungsbau. Wenn unsere europäischen Nachbarn uns zeigen, dass man mit einem anderen Verständnis von Normen ohne Einbuße von Qualität und Sicherheit kostengünstiger bauen kann, dann gilt es für unsere ArchitektInnen und IngenieurInnen, entsprechende Freiräume zu schaffen, um zusammen mit den BauherrInnen neue innovative Ansätze zu finden. Das Diktat der Normen und anerkannten Regeln der Technik darf sinnvollen Innovationen nicht im Wege stehen.
Corona zeigt uns aber auch, dass wir baulich in vielen Bereichen nicht gut auf eine Pandemie vorbereitet sind. Dies gilt z. B. für den jahres-
zeitenunabhängigen Luftwechsel unserer Aufenthaltsräume in Schulen, notwendige sanitäre Einrichtungen in öffentlichen Gebäuden oder auch sichere Besuchsbereiche in Alten- und Senioreneinrichtungen. In den warmen Jahreszeiten könnten wir im Übrigen viel mehr unsere Freiräume nutzen, wenn wir diese entsprechend gestalten würden; das gilt für die Bildung, soziale Einrichtungen und die Arbeitsstätten genauso wie für die Freizeit- und Gaststättenbereiche.
Die Zukunft des Bauens ist mit dem Ziel einer verantwortungsvollen Bau-Kultur also unweigerlich mit einer Bau-Wende verbunden. Die digitale Transformation gilt es hierfür zu fördern und zu nutzen. Wenn jetzt alle am Bau Beteiligten im Sinne einer „BaumeisterIn 4.0“ interdisziplinär zusammen agieren, werden wir von der Erkenntnis zum Handeln wechseln, den Bug durch den Wind drehen und so das Ziel erreichen.
HOAI 2021 – Risiken und Chancen für die Bauaufgaben der Zukunft
Das neue Jahr beginnt mit einer Zäsur für ArchitektInnen und IngenieurInnen. Die HOAI 2021 enthält kein verbindliches Preisrecht mehr. Das ist leider keine große Überraschung. Spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 04.07.2019 gab es hierzu keine Alternative. Das Gericht hatte entschieden, dass die verbindlichen Höchst- und Mindestsätze gegen europäisches Recht verstoßen. Es begründet diese Feststellung u. a. damit, dass Planungsleistungen in Deutschland nicht nur den entsprechend qualifizierten Berufsgruppen vorbehalten sind. Dazu später mehr.
HOAI enthält Orientierungswerte
Die letzten anderthalb Jahre verhandelten die Berufsverbände, wie der Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure, einzeln und gemeinsam mit der Politik, wie die Entscheidung des EuGH ohne ruinöse Verwerfungen des Planungsmarktes umgesetzt werden kann. Herausgekommen ist ein Preisrecht, das im neuen § 2a Abs. 1 HOAI nunmehr Orientierungswerte enthält. Die Tafelwerte haben damit nur noch empfehlenden Charakter. Sie dienen der „Ermittlung angemessener Honorare“ und leisten „einen Beitrag zur Gewährleistung der Planungsqualität“, wie es in der Begründung zu § 2a heißt. Eine entsprechende Formulierung findet sich auch im sogenannten Architekten-Leistungsgesetz. Dieses Gesetz ist die Grundlage der HOAI und damit auch in allen Auslegungsfragen relevant.
Für Honorarvereinbarung genügt Textform
Die HOAI bleibt erhalten. Die Tafelwerte der HOAI können und sollten von den Parteien weiterhin vereinbart werden. Für diese Vereinbarung gibt es eine Erleichterung. Sie müssen nicht mehr schriftlich, sondern können in Textform, wie etwa E-Mail, erfolgen.
Basishonorarsatz als Auffangtatbestand
Der Mindestsatz heißt jetzt Basishonorarsatz. Er gilt nach § 7 Abs. 1 HOAI immer dann für die Grundleistungen als vereinbart, wenn die Parteien keine Honorarvereinbarung in Textform treffen.
Neue Aufklärungspflicht
Private Auftraggeber müssen darüber informiert werden, dass sie auch ein von der HOAI abweichendes Honorar vereinbaren können. Die Aufklärung muss in Textform vor Vertragsschluss erfolgen. Fehlt dieser Hinweis, gilt gem. § 7 Abs. 2 der Basishonorarsatz als vereinbart.
Die neue HOAI gilt für alle Verträge, die nach dem Inkrafttreten am 1. Januar 2021 begründet werden. Für Verträge, die vor dieser Zeit geschlossen wurden, gilt die bisherige Rechtslage.
Wirtschaftliche Risiken und Chancen
Die vielfach geäußerte Befürchtung ist, dass der Wegfall des verbindlichen Preisrechts einen Dumpingwettbewerb auslöst, der anspruchsvolle Architektur- und Ingenieurbauleistung verdrängt. Gleichzeitig hat das bisherige staatliche Preisrecht nicht immer die tatsächlichen Kosten der Büros und der jeweiligen Planungsleistung abgebildet. Künftig sind außerdem nicht nur die Tafelwerte der HOAI abdingbar. Auch das jeweilige Leistungsprogramm kann einzeln verhandelt werden. Die Chance ist, dass der Markt zu einem Ausgleich zwischen dem für gute Leistungen auskömmlichen und gleichzeitig bestmöglichen Preis führt. Hierzu sind selbstbewusste Angebote der PlanerInnen, ein gesundes Verhältnis von Angebot und Nachfrage und größtmögliche Markttransparenz erforderlich.
Sichergestellt werden muss, dass Planungsleis-tungen künftig nur anbieten darf, wer entsprechend qualifiziert ist (Berufsvorbehalt). Sonst können Verbraucher an der Nase herumgeführt werden. Das gilt auch für die sog. kleine Bauvorlageberechtigung.
Die öffentliche Hand muss ihrer Vorbildwirkung gerecht werden. Öffentliche Aufträge sind konsequent nach Qualitäts- und nicht nach Preiskriterien zu vergeben. Außerdem sollten bei allen Vergaben die eingegangenen Angebote in einem Bieterspiegel veröffentlicht werden. Solche Maßnahmen der Qualitätssicherung und der Transparenz können in einem ausgeglichenen Markt sicherstellen, dass dessen Selbstregulierungskräfte wirken und einen Qualitätsverfalls verhindern. Denn nicht zuletzt die anspruchsvollen Zukunftsaufgaben der Branche (Stichwort klimagerechtes Planen und Bauen) erfordern eine angemessene Honorierung für kreative und qualifizierte Planungsleistungen.