Vibrierender VorhangStar Place Façade,
Kaohsiung / RC
Kaohsiung / RC
Im Zentrum der taiwanesischen Stadt Kaohsiung hat das Amsterdamer UNStudio um Ben van Berkel ein zehngeschossiges Luxus-Kaufhaus errichtet. Vielschichtiger Blickfang des Neubaus ist die geschwungene Vorhangfassade mit ihren vibrierenden Farb- und
Lichteffekten.
Mit rund 1,5 Millionen Einwohnern ist Kaohsiung nach Taipeh die zweitgrößte Stadt auf der zur Republik China zählenden Insel Taiwan. Ihr rasantes Wachstum verdankt die aufstrebende Metropole vor allem ihrem bedeutenden Industriehafen, der inzwischen zu den zehn
größten Containerhäfen der Welt zählt. Im Zentrum der Stadt, am Rand eines kreisförmig angelegten Platzes, wurde vor wenigen
Wochen nach rund zweijähriger Bauzeit das Kaufhaus „Star Place“ eröffnet. Der auf einem ersten Entwurf zweier taiwanesischen Planungsbüros (Dynasty Design Corp und HCF Architects)aufbauende Neubau, nach Plänen des Amsterdamer UNStudios, bietet zwölf luxuriösen Shopping-Ebenen (inklusive Basement) mit einer Gesamtnutzfläche von 25 500 m². Auf sämtlichen Geschossen lassen sich zwei bis sieben eigenständige Ladengeschäfte unterschiedlicher Größe einrichten, die jeweils über eine gemeinsame Galerie erschlossen werden. Auf den obersten drei Ebenen wurden Restaurants integriert,
in den vier Untergeschossen steht eine Tiefgarage zur Verfügung.
Gelungene städtebauliche Einbettung
Zum angrenzenden Platz und dem gegenüberliegenden Park präsentiert sich das Star Place seiner organisch geschwungenen Grundrissform entsprechend mit einer konkav gekrümmten Vorhangfassade aus Glas. Auf seiner Rückseite ist der Neubau durch eine Brücke mit dem bestehenden „Talee Isetan Department Store“ verbunden, das 1984 vom gleichen Investor, der vor Ort ansässigen President Group, errichtet worden war. Gemeinsam fassen beide Baukörper den Platz in Richtung Südwesten ein. „Um für diesen Ort einen bedeutsamen Akzent zu schaffen, haben wir uns in Absprache mit dem Bauherrn für eine Gestaltung entschieden, die mehr ist als nur eine kommer-
zielle Hülle und bei der Funktion und Formgebung fließend ineinander greifen“, beschreibt Ben van Berkel die Herangehensweise seines Büros. „Dabei war uns vor allem die städtebauliche Dimension der Architektur wichtig. Denn in Asien sind Kaufhäuser deutlich stärker als in Europa soziale Orte mit einer dementsprechend hohen öffent-
lichen Bedeutung. Das erklärt, weshalb ein Kaufhaus hier zwölf Geschosse hoch sein kann, was in Europa zumindest bislang nicht
denkbar wäre.“
Futuristische Außenhülle
Zentraler Blickfang des Kaufhauses ist zunächst seine futuristische, bei Nacht eindrucksvoll beleuchtete Außenhülle, die den urbanen Charakter des zentralen Platzes betont. Nach außen hin wird die mächtige Glasfront bis auf den Eingangsbereich und Teile des Erd-
geschosses durch horizontale Aluminiumlamellen sowie durch ver-
tikal eingefügte Glasrippen unterschiedlicher Breite strukturiert.
Die Lamellen wurden beinahe durchgehend im Abstand von jeweils einem Meter montiert, die Glasrippen wurden in unregelmäßigen Abständen und je nach Breite in unterschiedlichen Winkeln vor der Glasfassade integriert. Teilweise stehen die Rippen daher senkrecht zur Glasfassade, während sie an anderer Stelle nahezu parallel zu
ihr verlaufen.
Die dynamische Anordnung der einzelnen Elemente bietet nicht nur einen effektiven Sonnenschutz, sondern schafft gleichzeitig eine vielschichtige räumliche Tiefe und eine vibrierende rhythmische Gliederung der Fassade. Von weitem betrachtet ergänzen sich die verschiedenen Fassadenelemente optisch zu einem sternförmigen Muster, das je nach Wetter, Blickwinkel, Tageszeit und künstlicher Illuminie-
rung völlig unterschiedliche Ansichten sowie unterschiedlich starke Durchsichten von außen nach innen bzw. in umgekehrter Richtung ermöglicht und das Innere des Kaufhauses so zum Teil der Stadt werden lässt. Gleichzeitig sorgt die weitgehend abstrakte Gliederung der Fassade dafür, dass die Höhe der einzelnen Geschosse und somit auch die Höhe des Gebäudes von außen nicht eindeutig ablesbar ist, was die Neugierde steigert, das Gebäude zu betreten.
Die Größe und Anordnung der einzelnen Fassadenelemente wurde anders als zunächst vielleicht vermutet vorrangig aus funktionalen Gesichtspunkten entwickelt: „Nach oben hin haben wir zum Beispiel deutlich weniger Glasrippen eingesetzt, um im Bereich der Restaurants eine optimierte Aussicht auf den gegenüberliegenden Park zu ermöglichen“, beschreibt Ben van Berkel das Konzept. „Außerdem haben wir bei der Gestaltung die Position und den Verlauf der Rolltreppen berücksichtigt, um jeweils eine optimale Aussicht zu ermöglichen und die Bewegungsrichtungen der Kunden innerhalb des Kaufhauses nach außen sichtbar werden zu lassen. Für unsere Kunden war es außerdem wichtig, dass das Raster an einen Vogel erinnert, was nach der Feng-Shui-Lehre Glück bringen soll.“ Ausgehend von diesen Überlegungen führte das Planungsteam am Rechner zunächst umfangreiche Studien zu Moiré-Effekten durch, um schließlich den vibrierenden, dreidimensionalen Effekt der Fassade zu erzielen. „Um gleichzeitig ein farblich einheitliches Fassadenraster zu erhalten, haben wir die vertikal angeordneten Glasrippen zusätzlich mit einem Punktmuster bedruckt, so dass sie jetzt wie die Aluminiumlamellen bei Tag weiß erscheinen. Von innen sind die Punkte jedoch ganz bewusst nicht zu sehen, um so die freie Aussicht auf den Platz zu erhalten“, so Ben van Berkel. Besonders eindrucksvolle Perspektiven bietet das neue Kaufhaus bei Nacht. Dann werden die einzelnen Glasrippen innerhalb der Fassade durch LED-Leuchtdioden illuminiert, die an der Unterkante der einzelnen Elemente nahezu unsichtbar integriert wurden. „Um eine atmosphärische Farb- und Lichtstimmung zu erhalten und die nächtliche Attraktivität des Platzes zu erhöhen, werden die einzelnen Glasrippen ausgehend von einer Gebäudeecke nach einer digital programmierten Lichtchoreographie in den sich verändernden Farben Blau, Weiß und Violett illuminiert“, beschreibt Ben van Berkel den
Effekt. „Fast so, als ließe sich das Gebäude an- und ausschalten.“
Spiralförmiges Atrium
Ähnlich spektakulär wie die äußere Hülle präsentiert sich auch das
Innere des neuen Kaufhauses. Im Kern des Gebäudes angelangt,
trifft der Blick auf ein Schwindel erregendes Atrium, das über die
gesamte Gebäudehöhe bis unter das Glasdach nach oben steigt.
Die leicht versetzte Anordnung der in zwei Abschnitten übereinander platzierten Rolltreppen lässt dabei einen spiralförmig verdrehten Eindruck des Atriums entstehen. Diese perspektivische und räumliche Täuschung, die bisweilen an Arbeiten des niederländischen Grafikkünstlers M. C. Escher erinnert, findet sich bei zahlreichen Projekten des UNStudios. „Wir wollen damit eine nicht enden wollende räumliche Tiefe erreichen, die den Besuch zu einem Erlebnis macht“, so Ben van Berkel. Der vertikale Schacht nimmt als Rückgrat des Gebäudes nicht nur sämtliche Rolltreppen und Lifte zur vertikalen Erschließung auf, sondern sorgt gleichzeitig für einen optimierten Tageslichteinfall von oben. Darüber hinaus bietet das Atrium eine übersichtliche Orientierung mit vielfältigen Blickbeziehungen. Die sonstige Grundstruk-
tur des Gebäudes war durch die vorausgehende Planung der beiden taiwanesischen Büros bereits weitgehend festgelegt. Deshalb war es dem Team des UNStudios nicht mehr möglich, ein durchgehend stützenfreies Raumkontinuum auf den einzelnen Ebenen zu schaffen. Stattdessen konnten die Planer zahlreiche Details nach eigenen
Entwürfen realisieren – darunter die gesamte Ausstattung der Toiletten oder die im Raster der Außenhaut gestalteten Bodenplatten aus chinesischem Naturstein. Das gleiche Motiv taucht auch bei der stern-
förmigen Platzgestaltung vor dem Kaufhaus wieder auf. Als verstecktes architektonisches Zitat und um den fließenden Übergang zwischen innen und außen zu betonen. Robert Uhde, Oldenburg