Von der Kunst zur Architektur und zurück
Ein Gespräch mit Wilfried Kuehn, Kuehn Malvezzi Architekten, Berlin
kuehnmalvezzi.com

Was bedeutet es, dass der runde Geburtstag eines Architekten zum Anlass genommen wird, über Werk und Wirkung einerseits zu sprechen, aber andererseits auch über das Lernen, über Kompromisse, über Öffentlichkeit und die Verantwortung der Architekten? Und warum sind ­Arbeiten und Arbeitsweisen eines Architekten wie Hans Hollein für die gegenwärtig jungen Architekten noch ­immer hochinteressant? Mit Wilfried Kuehn von Kuehn Malvezzi Architekten, Berlin, sprachen wir über das alles in Holleins Museum Abteiberg in Mönchengladbach.

Herr Kuehn, was macht das Werk Hans Holleins für Sie heute noch interessant?

Wir beschäftigen uns mit Hans Hollein nicht als Historiker, sondern als Architekten, die aus dem Werk, wie aus allen anderen Werken das für uns Wichtige destillieren und daraus Neues machen. Hollein hat Ausstellung und Museum seit Beginn der Sechziger Jahre neu gedacht und daraus einen sehr eigenen Architekturdiskurs entwickelt.

Im Vorgespräch hat mich der Name Rem Koolhaas im Zusammenhang mit Hans Hollein überrascht ...

Die beiden haben viel miteinander zu tun. Beide haben ihre Masterthesis in den USA in der Auseinandersetzung mit der US-amerikanischen Gesellschaft gemacht. Rem Koolhaas verfolgt wie Hollein die Integration des Alltäglichen und auch Banalen in die Architektur. Beide verfolgen die Entzauberung des Architekturdiskurses, der in der Moderne selbstbezüglich und disziplinär war, um die Rolle des Architekten in der Gesellschaft zu schärfen. Das Thema ist so aktuell wie ungelöst.

Was haben den die Jungen, was haben Kuehn Malvezzi noch mit Hans Hollein zu tun?

Ich glaube, und hier spreche ich erstmal für die Künstler, dass Holleins Umgang mit Raum und Kunst im Wechselverhältnis für uns wichtig ist. Das hat nicht jeder Architekt so explizit gemacht. Für Architekten, die weniger im Kunstdiskurs sind, ist Hollein aber auch interessant, weil sie hier einen besonderen Umgang mit dem öffentlichen Raum erleben, in der Verbindung sehr unterschiedlicher Kontexte. Das Interessante an Architektur ist, dass sie diese Kontexte und Beziehungen zusammenbringen kann.

Über den örtlichen Kontext hinaus?

Wir arbeiten vor vielen Hintergründen und beziehen viele Dinge mit ein. Wir leben in einer Gesellschaft, deren große Freiheit auch eine große Richtungslosigkeit ist. Hollein hat das von Anfang an thematisiert. Er hat untersucht, was mit unseren Körpern, was mit den zwischenmenschlichen Beziehungen passiert und so weiter. Alle seine Projekte handeln von der Idee, dass man durch ­Architektur und Design neue Umgebungen und damit neue Formen von Gesellschaft herstellt, konkret, also durch Objekte und Räume, die uns täglich umgeben, und nicht abstrakt. Uns als Architekten interessiert genau das: Wie gehen diese Dinge zusammen, die so vielfältig und auch widersprüchlich sind, wie lösen wir die konfliktreichen Anforderungen, wie organisieren wir Heterogenität spannungsreich?

Wir sitzen hier in einem Museum, das Heterogenität in gebauter Form ist. Spricht Sie das mehr an als der sakralisierte White Cube?

Kuehn Malvezzi hat mit dem White Cube Konzept viel gearbeitet, aber eben nicht nur. Der Punkt ist vielmehr, keine Lösung auszuschließen und alles ernst zu nehmen. Wir haben die Ambition, gegensätzliche Dinge zu verbinden. Wie gesagt, nicht durch Kompromiss, sondern durch Widerspruch und Spannung. Mich interessiert, wie das Gegensätzliche seine Identität in der Auseinandersetzung gewinnt. Im Thema Ausstellung steckt die Vorstellung, Exponate räumlich so zu­einander zu situieren, dass sie trotz akuter Gegensätzlichkeit eine Gesamtheit bilden. Hollein hat jede Art von Architektur von Anfang an auch als Ausstellung aufgefasst und wie ein Kurator gedacht. Und Dinge, die erstmal nichts miteinander zu tun haben müssen, in einer Ausstellung zu etwas Neuem gefügt. Ich behaupte, dass ein Architekt, der in der Innenstadt ein Wohn- oder Geschäftshaus baut, genau das auch tun muss, er muss die Stadt wie eine Ausstellung kuratieren.

Als das Museum Abteiberg öffnete, waren Sie ein junger Mann ...

Ich war fünfzehn Jahre alt und durch meine Kunstlehrerin lernte ich einen Architekten kennen, der mir Hans Hollein ans Herz legte. Er wusste wohl, dass ich auch Architekt werden wollte. Ich war dann später aber kein Hollein-Schüler und habe auch nie mit ihm zusammengearbeitet. Es hat mich jedoch immer fasziniert, wie er in der Lage war, von der Kunst zur Architektur zu kommen. Ich schätze an Hollein, dass seine Museumsbauten nicht seine Laufbahn am Ende krönen wie es bei vielen anderen Architekten manchmal der Fall ist – und nicht immer überzeugt diese Art der Werkkrönung dann! Hollein hat keine Schatzhäuser gebaut, sondern aktive Orte, auf viele Weisen auch das Gegenteil eines Museums.

Warum ist Wilfried Kuehn Kurator dieser Ausstellung?

Ich wurde von Hans Holleins Büro angesprochen, als Hollein mit dem Museum Abteiberg die Ausstellung diskutierte. Ich habe zugesagt, weil mich besonders interessiert hat, wie man sich heute auf ein solches Werk einlassen kann. Für mich ist das Interessante an dieser Ausein-andersetzung, dass ich dadurch sehr viel lerne über meine eigene Arbeit.

Sollten sich Architekten mehr mit Kunst beschäftigen?

Man kann sich auf verschiedene Arten mit Architektur befassen aber Architektur ist vor allem selbst Kunst. Die Unterscheidung zwischen Kunst und Technik hat keinen Bestand, und auch keinen Wert. Wenn es etwas gibt, was die Architektur beweist, ist es die Tatsache, dass es zwischen Technik und Kunst keinen Gegensatz geben kann, denn die Architektur ist wirklich eine Synthese aus beidem.

Synthese sollte sie wohl sein. Aber ist das nicht eher Theorie?

Wenn Sie etwas bauen, ist es beides. Ein Kunstwerk, ein Artefakt, und Technik, weil ohne Technik Architektur nicht entstehen kann. Sie müssen in der Lage sein, sehr viele triviale aber auch intelligente technologische Dinge zu einer Form zu entwickeln, die am Ende auf ganz anderen Ebenen als der Technologie Bestand hat. Das ist das Künstlerische. Wenn Sie das nicht beherrschen, sind Sie kein Architekt. Allerdings leben wir in einer derartig beschleunigten Welt, dass kein Architekt heute von sich behaupten kann, er habe das Ganze von A bis Z im Griff. Gerade deshalb ist die Debatte über unsere gesellschaftliche Rolle ja wichtig.

Nimmt die Privatisierung des Museumsbaus als etwas höchst Öffentliches zu? Wo bleibt das stadtbürgerliche Engagement für eben die Stadt und die Kultur ganz allgemein?

Wir müssen uns alle fragen, ob wir eine aktive Rolle in diesem Prozess übernehmen wollen und welche Rolle genau man spielt. Öffentlicher Raum ist ein schwieriges Thema geworden. Er wird leicht zum Restraum zwischen starken privaten Interessen. Wir müssen über die Gebäude Räume schaffen, die mit der Stadt, mit dem Gegenüber, mit dem Nachbarn zu Orten werden, die mehr wert sind, als das Gebäude allein. Wir haben in der Gesellschaft eine Tendenz zur Fragmentierung, zur Individualisierung und Privatisierung, weshalb Gebäude ­meistens ernster genommen werden als Stadträume. Das heißt, wir haben heute einen völligen Mangel an Politik und Öffentlichkeit, die solche Prozesse überhaupt noch steuern, ja vordenken können.

Aber sind Sie da gefordert, in die Bresche zu springen?

Wir als Architekten müssen uns fragen, welche Rolle wir in dieser ­Situation haben. Ich stelle die Frage, ohne die Antwort zu kennen. Ich weiss nach mehr als zehn Jahren selbständiger Architektentätigkeit aber, dass diese Entwicklung sich noch verschärfen wird. Und sie wird nichts Gutes für Gesellschaft, Stadt und Architektur bedeuten, wenn man nicht aktiver wird auf der Seite des Öffentlichen. Wir haben das versucht. Beim Schloss-Wettbewerb waren wir nah dran. Jedes Museumsprojekt ist ein Beitrag und beim multikonfessionellen Bet- und Lehrhaus am ältesten Platz Berlins, dem Petriplatz, werden wir das auf eine neue Art umsetzen.

Und nicht zuletzt ist diese Ausstellung hier im Museum Abteiberg ein Beitrag zur Diskussion von Öffentlichkeit. Aber ich glaube, wir müssen als Architekten viel mehr tun, um den Diskurs nicht wie im Elfenbeinturm zu führen; da ist man sich nämlich schnell einig. Wir müssen die Debatte mit einem großen Publikum, mit der Politik und der Gesellschaft führen. Beim Bet- und Lehrhaus ist unser Ziel die Mitbauherrschaft, über deren Möglichkeiten wir mittels einer aktuell anlaufenden Crowd-Funding-Kampagne potentiell jeden involvieren wollen. Wir suchen nicht nur Mitbauherren, sondern Mittäter. Mitbauherrschaft ist Mittäterschaft.

Mit Wilfried Kuehn sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 10. April 2014 in der Ausstellung „Hans Hollein“ im Hollein-Bau Museum Abteiberg in Mönchengladbach. Zur Ausstellung hier im Heft auf S. 16.

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