Was der Sinn und Zweck unserer Arbeit ist
Wie in Zukunft arbeiten! Kein Fragezeichen, ein Rufzeichen steht über dem Neubau der Axel Springer SE im Herzen Berlins. Dort, wo der Gründer der auch Medienkonzern seienden Springer SE das Verlagshaus von Hamburg aus an die Sektorengrenze holte, baute sich der Konzern nun direkt gegenüber dem alten Medienhaus mit seiner bronzierten Fassade einen schwarz schimmernden Neubau. Der stammt aus der Feder von OMA, Rotterdam/Rem
Koolhaas, der schon für andere Unternehmen teils gewaltige Volumen lieferte und seinem Grundsatz, neue Formen = neue Denkweisen immer wieder einmal etwas Ikoneskes widmete.
Verschiedenste Räume, intim bis monumental
Der Wettbewerb, den der treibende Kopf der Springer SE, Mathias Döpfner, 2013 dann als Planungswettbewerb auslobte, war ein geladener: Zwanzig Büros, „sowohl etablierte internationale Architektenbüros als auch Avantgarde-Architekten“ (Döpfner) sollten einen Campus liefern, der „nicht nur überwältigend schön sein [sollte], sondern auch der Frage nachgehen [muss]: Was bedeutet Materie in einer entmaterialisierten Medienökonomie?“ Weniger Redakteure beispielsweise. Von den fünf Büros am Ende des Auswahlverfahrens – BIG, OMA, Kuehn Malvezzi, SANAA und Ole Scheeren – gewannen OMA/Rem Koolhaas.
„Paradoxerweise“, so Rem Koolhaas bei der Eröffnungszeremonie im Herbst vergangenen Jahres, „zeigen die aktuelle Pandemie und die gleichzeitige digitale Beschleunigung die Notwendigkeit von Räumen, die für die Interaktion von Menschen konzipiert sind. In einem typischen Bürogebäude tritt ein Besucher ein und verschwindet dann wieder. Es ist alles andere als klar, was in einem solchen Gebäude geschieht. Im Axel-Springer-Gebäude stehen Menschen und ihre Interaktion im Mittelpunkt. Das neue Verlagshaus ist ein Werkzeug für die Weiterentwicklung eines Unternehmens in ständiger Bewegung. Es bietet seinen Nutzern eine physische Basis – verschiedenste räumliche Gegebenheiten, intim bis monumental – im Gegensatz zur Eintönigkeit des Arbeitens im virtuellen Raum.“ Im zurückliegenden Heft, DBZ 10|2021, war das Heftthema „Arbeiten“; ich hätte diesen Text hier gerne in jenem Heft gesehen. Aus Termingründen gab es einen der sehr seltenen Besichtigungstermine im Haus aber erst nach Redaktionsschluss, nun holen wir das Schreiben über „das Werkzeug für die Weiterentwicklung“ eines Medienkonzerns nach.
Tatsächlich sieht man es dem mächtigen Volumen, das an einigen hervorragenden Stellen über scheinbar berstende Glasfassaden geöffnet wurde, nicht an, das hier die Zukunft des Arbeitens probiert wird. Und wenn man sieht, wie schnell sich gerade Grundrisskonzepte verändern, die alle das Arbeiten der nächsten Zukunft repräsentieren wollen, erscheint eine Planung aus dem Jahr 2014 etwa schon sehr überholt. Oder doch nicht?
Begriffe wie nonterritoriale Büros, informelle Räume, vernetzte Räume, plug and work, Crowd-working, Lean Management und über allem die Work-Life-Balance charakterisieren schon lange, teils schon seit Jahrzehnten, die Ideen vom neuen
Arbeiten; immer in Abgrenzung zu Bildern von diesen diszipliniert, aber viel zu langsam und als extrem innovationsarm gebranntmarkten Behördenhäusern. Vieles davon wurde versucht und wieder fallen gelassen. Möglicherweise fehlte es bei allen diesen Versuchen am richtigen Gehäuse? Der Springer-Neubau versteht sich, so CEO
Mathias Döpfner, als „Modernisierungs- und Veränderungstreiber“. Das neue Haus, so der CEO weiter, bestätige die Hypothese, „dass viel weniger in Büros klassischer Prägung gearbeitet wird.“ Mit Blick auf den Büromarkt kann er damit nur einen Zukunftblick getan haben.
Was aber ist nun anders bei Springer-Neu?
Zunächst einmal: Das Haus ist nur gemietet. Eigentümer ist die Norges Bank Real Estate Management, eine Gesellschaft des norwegischen Staatsfonds The Government Pension Fund Global. Die hatte das Grundstück von Springer SE gekauft und den Neubau realisiert; der Springer Konzern ist Hauptmieter. Untergebracht sind hier neben den Zentralbereichen unter anderen die Shopping- und Vergleichsplattform idealo, die Redaktionen von WELT Print und WELT Digital, WELT Fernsehen sowie die Media Impact. Der Neubau bietet Arbeitsmöglichkeiten für rund 3 000 MitarbeiterInnen und folgt, so die Konzernkommunikation, „einem progressiven Arbeitsformenkonzept mit Flex-Desk-Modell“. Wer von den zahlreichen Springer-Firmen in den Neubau einziehen durfte, wurde über ein sogenanntes Flächenkonzept entschieden. Dieses beschreibt unter anderem die Flächen und Bedürfnisse jeder Mietpartei, wie Räume aufgeteilt werden und welche Arbeitsmöglichkeiten sie bieten sollen. Auf dieser Basis wurde vom Vorstand der Axel Springer SE entschieden, wer künftig wo am Standort Berlin arbeitet bzw. arbeiten wird.
Fläche vs. Luftraum ergibt Arbeitstal
Was aber ist anders? OMA hat ein Gebäude konzipiert, das extrem viel Fläche zugunsten von Luftraum verschenkt. Eigentlich besteht das Gebäude tatsächlich nur auf zwei Hangseiten eines sich weit öffnenden Tals, auf dem ein paar Terrassen zwischen gebäudehohen, wenigen Stützen Arbeitsplätze für die jeweiligen Untermieter anbieten. Offene Flächen, blick- und schalloffen, derart, dass man an den Arbeitsplätzen mit Tageslichtschirmen Blendlicht von außen, aber auch Blicke von innen abschirmen kann.
Die eher geschlossenen Bereiche sind immerhin häufig vollverglast zum Tal hin; einige Brücken sind geschlossene Räume. Und nicht wenige Büros, die für zukünftige Untermieter (Start-ups) bereitgehalten werden, sind aus Gründen der Diskretion vom Tal separiert. Ob hier das Arbeiten neu gedacht wird? Ob die zunehmende Digitalisierung in nächster Zukunft und nächster Pandemie Bauten dieser Art nicht eher überflüssig macht? Sicher nein, denn wenn wir das eine gelernt haben: Ohne direkten, analogen Austausch kommt kein Unternehmen voran. Ob die Arbeitshäuser in Zukunft offene Hallen sind? Vielleicht. Oder auch kleine Höhlen. Oder Draußenbüros. Es kommt wohl darauf an, was der Sinn und Zweck unserer Arbeit in Zukunft ist. Be. K.