Wege ins Plus
Zwischenbilanz für 35 Modellprojekte

Das Bundesbauministerium startete 2011 das Programm „Effizienzhaus Plus“, in dem mehr als 30 Modellvorhaben gefördert werden, die über das Jahr eine positive Energiebilanz erreichen. Eine Zwischenbilanz.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die energetischen Anforderungen an Neubauten Schritt für Schritt verschärft, zuletzt durch die EnEV 2014, die seit Mai in Kraft ist. Weitere Anhebungen der energetischen Baustandards sind absehbar: Die EU-Gebäuderichtlinie sieht ab 2019 bzw. 2021 Niedrigst-Energiestandard für alle Neubauten vor. Vor diesem Hintergrund definierte das Bundesbauminis-terium 2011 den Standard „Effizienzhaus Plus“. Mit dessen zentraler Vorgabe, der Erreichung einer positiven Energiebilanz, vollzieht sich ein Paradigmenwechsel: Das Gebäude der Zukunft ist im Saldo kein Energieverbraucher mehr; es wird zum Kraftwerk und produziert Energieüberschüsse.

 
Der Effizienzhaus Plus-Standard

Die Definition des Effizienzhaus Plus-Standards enthält die Anforderungen:

– positive Primär- und Endenergiebilanz
– Grundstücksgrenze als Bilanzgrenze
– erweiterter EnEV-Nachweis; zuzüglich End-energiebedarf für Hausgeräte und Beleuchtung (20 kWh/m2a, max. 2 500 kWh/a je Wohneinheit); abzüglich netzeingespeis-ter regenerativer Energieüberschüsse

Auszuweisen ist außerdem der Anteil der selbstgenutzten an der geernteten Energie.

Als ersten Schritt zur Etablierung des neuen Standards wurde die Bundesregierung mit dem „Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität“ in Berlin-Charlottenburg selbst als Bauherr aktiv. Das 2011 vom Büro Werner Sobek entwickelte Einfamilienhaus mit Schaufens-terfunktion (DBZ 4|2012) wurde von einer Familie 15 Monate lang getestet. Über ihre Erfahrungen und die Monitoring-Ergebnisse der Testphase wurde umfänglich berichtet. Zwischen Juni 2013 und April 2014 informierten sich in dem Flagschiffprojekt 9 000 Besucher über das Bauen der Zukunft.

Wege zum Ziel

Die Techniken und Verfahren, die für ein Effizienzhaus Plus genutzt werden, sind am Markt verfügbar und wurden in den vergangenen Jahren immer weiter optimiert:

– Minimierung des Energieverbrauchs durch eine höchst energieeffiziente Gebäudehülle, unterstützt durch kontrollierte Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung; höchste Effizienzklassen bei Haushaltsgeräten und Beleuchtung
– Erzeugung von Raumwärme und  Trinkwarmwasser z. B. über Wärmepumpe, Holzofen oder Solarthermie, in der Regel in Kombination mit einem Wärmespeicher sowie Flächenheizung mit niedriger Vorlauftemperatur
– Stromerzeugung über Photovoltaik (PV) oder – soweit der Standort geeignet ist – Kleinwindanlagen; regenerativ betriebene Blockheizkraftwerke zur gleichzeitigen Erzeugung von Strom und Wärme (insbesondere für Mehrfamilienhäuser)
– Einsatz von Wärmespeichern und Stromspeichern (Hausbatterien) für einen hohen Eigennutzungsgrad; Elektrofahrzeuge zum Speichern des erzeugten Stroms
– integriertes Energiemanagement zur Überwachung/ Optimierung der Energieströme durch intelligente Gebäudetechnik

Netzwerk Effizienzhaus Plus

Ergänzend zum Berliner Forschungs- und

Demonstrationsprojekt wird die Markt- und Praxistauglichkeit des Effizienzhaus Plus-Standards über Modellprojekte nachgewiesen. 2011 wurde hierzu im Rahmen der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ das Pro-

gramm „Effizienzhaus Plus“ aus der Taufe

gehoben. Gefördert werden die Mehrkosten innovativer Technik, die Erstellung des Effizienzhaus Plus-Nachweises sowie das Monitoring der Projekte. Seit 2012 nehmen 35 Modellvorhaben am Effizienzhaus Plus-Netzwerk teil und werden wissenschaftlich begleitet.

Das Programm ist technologieoffen, die Vielfalt an Haustypen und -konzepten ist groß. Es gibt Einfamilienhäuser, Doppelhäuser und Mehrfamilienhäuser, Neubau- und Sanierungsprojekte. Es sind sowohl Gebäude in Leicht- wie auch in Massivbauweise vertreten. Die Bandbreite in der Architektur reicht vom Eigenheim mit klassischem Satteldach über bayrischen Landhausstil bis zu modernen Entwürfen. Die Vielfalt belegt: Ein Effizienzhaus Plus kann in unterschiedlichster Form und Größe realisiert werden.

Einfamilienhäuser

Es gibt 25 EFH und zwei Doppelhäuser im Netzwerk. Die Bauherren sind teils Fertighausunternehmen, teils private Bauherren, die höchste energetische Ansprüche realisieren wollen. Aktuell sind 21 der Projekte fertig gestellt und nehmen am technischen und sozialwissenschaftlichen Monitoring teil. Bemerkenswert ist das starke Engagement im Fertighausbau. In der Kölner Fertighauswelt stehen sechs Musterhäuser, die auch am Markt angeboten werden. Der Aufpreis für ein Effizienzhaus Plus-Fertighaus liegt bei ca. 13 % (Bundesverband Deutscher Fertigbau).

Mehrfamilienhäuser

Im Effizienzhaus Plus-Netzwerk befinden sich acht MFH, sowohl im ländlichen als auch im urbanen Bereich. Die meisten sind aktuell noch im Bau. Das erste fertig gestellte Projekt baute die Unternehmensgruppe Hans Angerer in Bischofswiesen. In Tübingen und Berlin-Lichtenberg errichten Baugemeinschaften Projekte im Geschosswohnungsbau. In Neu-Ulm realisiert die NUWOG derzeit ein viel beachtetes Modernisierungsprojekt (DBZ 9|2012 und 3|2014). Und in Frankfurt am Main entstehen allein drei MFH-Projekte, darunter eines mit 74 Wohneinheiten (DBZ 5|2013).

Die Herausforderungen sind beim MFH ungleich größer als im EFH-Bereich. Die Dachflächen reichen für die erforderliche Stromerzeugung mit PV oft nicht aus, weshalb auch die Fassade für PV-Module genutzt wird. Ein Projekt plant zusätzlich eine Wärmepumpe, welche die im Abwasserkanal enthaltene Wärme nutzen wird. Die wissenschaftliche Begleitung der Projekte wird ermitteln, unter welchen Bedingungen das Energie-Plus auf dem eigenen Grundstück bei großen, städtischen Bauvorhaben erreicht werden kann.

Sanierungsprojekte

Langfristig muss das Hauptaugenmerk des energieeffizienten Bauens dort liegen, wo die maßgeblichen Einsparpotentiale sind: auf der Sanierung von Bestandsgebäuden. Gleichzeitig ist die Realisierung einer positiven Ener-

gie­bilanz im Bestand nochmals anspruchsvoller als im Neubau.

Zwei Projekte im Netzwerk Effizienzhaus Plus stellen sich dieser Herausforderung: Die NUWOG in Neu-Ulm saniert aktuell zwei Häuserzeilen aus den 1930er-Jahren auf Plus­energie-Standard. Mit der Fertigstellung ist noch 2014 zu rechnen.

Im Darmstadt baute Prof. Karsten Tichelmann (TU Darmstadt) ein Reihenendhaus mit Baujahr 1970 zu einem Effizienzhaus Plus um (DBZ 1|2012). Das Projekt mit dem Titel „Energy+ Home“ besticht durch sein gelungenes Energiekonzept und die räumlich-gestalterische Aufwertung, die das Haus durch den Umbau erfahren hat. Die Wirtschaftlichkeit ist sehr hoch, da der Heizungskeller in ein hochwertiges Badezimmer umgewandelt und so die Wohnfläche vergrößert wurde. Auch die Bewohner des Hauses helfen beim Sparen: Der bewusste Umgang mit Energie und Wasser wird mit Lebenspunkten in einem Computerspiel belohnt, ein Konzept, das insbesondere bei Kindern sehr gut ankommt und sich als ausgesprochen wirkungsvoll erweist.

Trends für Wärmekonzepte

Es gibt einen klaren Trend zu strombasierten Wärmeversorgungskonzepten. In fast allen Projekten kommen Wärmepumpen zum Einsatz, die unter Stromeinsatz Umweltwärme auf ein höheres Temperaturniveau bringen, um mit niedrigen Vorlauftemperaturen Flächenheizungen zu nutzen. Zusätzlich kommt häufig ein Pufferspeicher zum Einsatz, bei manchen Projekten auch als Eisspeicher. Entscheidend für den Erfolg dieses Versorgungskonzepts ist eine sehr gute Konfiguration der Wärmepumpe, so dass sie mit möglichst hoher Arbeitszahl arbeitet. Die Erfahrungen aus den Modellprojekten zeigen, dass dies im Betrieb messtechnisch überprüft werden sollte.

Das Effizienzhaus Plus in Lüneburg setzt ebenfalls ein strombasiertes Wärmekonzept um, jedoch mit minimiertem Technikeinsatz. Das Haus erzeugt die Wärme mittels Infrarot-Wärmestrahlung über sechs elektrisch betriebene Wandheizkörper aus Marmor. Die

Warmwasserbereitung erfolgt ebenfalls rein elektrisch über intelligente Durchlauferhitzer an den Zapfstellen. Das Konzept bewährt sich bislang sehr gut. Der Heizwärmebedarf ist sehr gering, die Heizkörper werden nur selten gebraucht. Im Jahr 2013 wurde ein Energie-Plus von etwa 5 725 kWh erreicht, berech-

net waren 3 000 kWh. Laut Bauherr Jürgen Molt konnten durch die schlanke Haustechnik 15 000 € Baukosten eingespart werden. Aber auch Projekte mit großer Solarthermieanlage sind Teil des Netzwerks. In Deggendorf wurde pünktlich zum Start der bayrischen Landesgartenschau 2014 ein EFH fertig gestellt, bei dem nach dem Prinzip des Sonnenhauses mit der solarthermisch erzeugten Wärme ein Langzeitpufferspeicher gespeist wird.

Energetische Qualität: Wieviel braucht es?

Ein Effizienzhaus Plus verlangt einen erweiterten EnEV-Nachweis, definiert jedoch darüber hinaus keinen Maximalwert für den Wärmebedarf wie z. B. der Passivhausstandard. Entscheidend ist allein eine positive Energiebilanz. Ob mehr Gewicht auf Verbrauchsmini-

mierung oder regenerative Energieerzeugung gelegt wird, liegt in der Entscheidung der Bauherren. Die Idee ist, dass so das geforderte Energie-Plus auf die wirtschaftlichste Art und Weise erreicht wird. Die Mehrzahl der Bauherren entschieden sich für eine Reduzierung der Dämmstärken zugunsten einer größeren Solarstromanlage. Nur vier der 35 Häuser werden im Passivhausstandard umgesetzt (u. a. das Projekt Münnerstadt, S. 76).

Photovoltaik

Alle Effizienzhaus Plus-Modellhäuser nutzen Photovoltaik (PV) zur Stromerzeugung: in der Regel in großer Auslegung auf dem Dach, bei MFH häufig zusätzlich an der Hausfassade. Bei den EFH liegt die mittlere Anlagengröße bei ca. 10 kWp. Pro m² Wohnfläche wird im Schnitt ein halber m² Photovoltaik verbaut.

In mehreren Projekten wurden sehr ansprechende Lösungen für dach- oder fassadenintegrierte PV gefunden. Der Trend geht zu Systemen, die sich in die Dachkonstruktion eingliedern bzw. sich farblich an den umgebenden Dächern orientieren. Beispielhaft sei hier das Projekt in Eußenheim genannt, dessen PV-Dach die Farbgebung des Schieferdaches der benachbarten Kirche aufgreift.

Monitoringergebnisse

Die gute Nachricht vorneweg: Energie-Plus wird von fast allen Projekten erreicht. Das wird fortlaufend durch das Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart überprüft,  welches das technische Monitoring koordiniert. Die Zwischenergebnisse zeigen, dass viele Wege nach Rom führen. Einfache Haustechnik-Ansätze wie in Lüneburg kommen zu vergleichbar guten Ergebnissen wie komplexere Anlagenkonzepte, die verschiedene Techniken kombiniert eingesetzen.

Die Solaranlagen erwirtschaften im Mittel die vorhergesagten Strommengen. Bei der Eigenstromnutzung gibt es eine Bandbreite von 16 bis 60 %. Diese Quote hängt stark davon ab, ob eine Hausbatterie oder Elektrofahrzeuge vorhanden sind. Beim Endenergieverbrauch gibt es eine Tendenz zu Mehrver-

bräuchen. Deren Ursachen sind vielfältig: Mal arbeitet die Wärmepumpe nicht effizient genug, mal ist der Verbrauch der Haustechnik höher als erwartet, mal wird (speziell bei Musterhäusern) die Beleuchtung aus Marketingzwecken länger genutzt. Die als Obergrenze definierte Marke von 2 500 kWh/a für Beleuchtung und Haushaltsenergie pro Wohneinheit erweist sich als ambitioniertes Ziel. Eine weitere spannende Frage sind die Mehrkosten. Hier berechneten die Wissenschaftler aus Stuttgart eine Spanne von 230 bis 325 € pro m2 Nutzfläche.

Mit der Fertigstellung mehrerer großer Modellvorhaben in 2014 und 2015 sind für die Zukunft weitere Erkenntnisse zu erwarten, dann auch verstärkt bezüglich MFH und Sanierungsvorhaben im Effizienzhaus Plus Standard.

Vertiefende Literatur:
Erhorn, H. und Bergmann, A.:
Wege zum Effizienzhaus-Plus. Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 3. Auflage, Berlin 2014
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