Westward, ho!
Ein deutscher Professor über seine Erfahrungen an der Kansas State University/USA

„Hier sieht es ja aus wie im Grasland von Kenya!” – das war der erste Ausruf meiner Besucherin, die ich vom Flughafen Kansas City abholte, um ihr stolz meine neue Wahlheimat in der Prairie des amerikanischen Mittelwestens zu zeigen: Manhattan/Kansas, ein kleines Collegtown im leeren Zentrum des Kontinents, mitten im „Bibel-Belt”. Ich habe zwar schon zweimal zuvor in den USA gelebt, einmal ein Jahr lang in Chicago und einmal vier Monate lang in San Francisco, aber dass ich einmal eine Professur an einer amerikanischen Universität bekommen würde, habe ich mir nie träumen lassen und habe es auch nie angestrebt. Nach Chicago und San Francisco, den beiden wohl attraktivsten Städten der USA, war Kansas zunächst mal ein Schlag – ich bin in der tiefsten Provinz gelandet! Zum nächsten Flughafen fährt man zwei Stunden schnurstracks geradaus, und Flüge nach Europa gibt es selbst von dort aus nicht. Die Lage von Manhattan/Kansas, Spitzname „the little apple” ist jedoch Makel und Trumpf zugleich. Trumpf, weil es hier „wie im Kloster zugeht”, wie meine Kollegen meinen. Außer studieren (und ab und zu in die Kneipe gehen), kann man hier als Student nichts machen! Als Professor aber auch nicht! Die Studenten hier gelten als begabt und fleißig und haben unserer Fakultät einen Platz unter den zehn besten Architekturschulen des Riesenlandes eingebracht. Höflich und wissbegierig sind die Studenten ebenfalls, aber auch oft unselbständig. „Tell me what I need to do to get an A!” – ist hier eine weit verbreitete Auffassung.

In Europa müssen Studenten selbständiger, ausdauernder und kämpferischer sein, in Amerika ist die universitäre Ausbildung verschulter und – die Studenten sind zahlende Kunden! Die Gruppen sind angenehm klein, in meinem Studio beschäftigen sich derzeit zwölf Studenten mit einem Entwurf für die Bebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin. Sie sind im 5. Jahr und bekommen bald ihren Master. Europa im Allgemeinen und Berlin im Besonderen finden sie toll. Denn Architektur zu sehen gibt es hier vor Ort nicht. Wenn man Architektur sehen will, muss man sieben Stunden geradeaus fahren: Sieben Stunden südlich liegt Dallas/Texas, sieben Stunden westlich Denver/Colorado.

Die Kollegen sind meist sehr freundlich und kollegial, wenn auch untereinander zerstritten. Was die Professoren genau machen, bleibt ihr Geheimnis, niemand redet einem rein.

Kansas ist recht unverdorben, man kann die Haustür offen stehen lassen. Wir haben kein Auto und keinen Fernseher, das erfüllt die Leute hier mit Mitleid. Es muss der letzte Ort der Welt sein, in dem es weder Sushi noch Kebap gibt! Einige Studenten aus China, Indien und Saudi-Arabien haben sich zwar hier­her an unseren (übrigens sehr schönen Sand­stein-) Campus verirrt, aber dennoch ist Kansas wohl einer der weißesten Staaten in den USA, von den trostlosen Indianerreservaten einmal abgesehen. Deutschland hat hier allgemein einen guten Ruf, die meisten Kansianer stammen ursprünglich aus Deutsch­land, in jeder Klasse gibt es einen „Meyer” und einen „Shultz”. Sogar eine original Aldi-Filiale habe ich hier in Manhattan entdeckt, wo man Haribo-Goldbären für 89 Cent kaufen kann. Meinen Vornamen kann hier niemand aussprechen. Sie halten ihn für den Namen eines Ikea-Möbels!

Warum wandert also ein deutscher Architekt in die Steppe von Kansastag aus? Für mich ist es eine einmalige Chance, mich als Professor auszuprobieren. Die Arbeit mit den Studenten macht mir viel Spaß, das Arbeiten im Kontext einer großen Institution nicht immer. Voraussetzungen für ein Gelingen sind sicher geistige Offenheit und Flexibilität, auch räumlich. Im Herzen bin ich ein Berliner im Exil und kein Kansianer, der aus Deutschland kam. Meine Frau, die aus Tokio kommt und von daher einen noch ungleich stärkeren Kulturschock hat hier in der Heide, im Pick-Up-Truck-Country, will nicht ewig hier bleiben. Aber eine größere Stadt in Amerika könnte sie sich vorstellen … Change we can believe in ...?

Ich bekomme für meine Leistungen 52 000 Dollar für neun Monate, im Sommer muss ich sehen, wo ich bleibe. Das klingt nach viel Geld, tatsächlich haben wir nicht einen Dollar sparen können bisher. Im Gegenteil – alle reden uns ein, wir sollten endlich einen großen Kredit aufnehmen und ein großes Haus und ein noch größeres Auto kaufen. Nun, da sind wir einstweilen störrisch. Einen positiven Effekt hat für mich jeder Auslandsaufenthalt: Man lernt die Vorzüge der Heimat neu schätzen! Ulf Meyer, z. Z. Manhattan, Kansas/USA

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