Wohn- und Geschäftshaus K5, Ulm
Die Lust zu Experimentieren und der Mut, neue Wege
zu beschreiten, haben es möglich gemacht. Mitten in der Ulmer Innenstadt steht ein Sichtbetonmonolith. Seine Besonderheit: Erstmalig in Deutschland kam kerngedämmter Dämmbeton zum Einsatz.
Dass gute Architektur nicht immer nach großen Gesten verlangt, dass auch leise Töne Stadt bilden und beleben können, zeigt das neue Wohn- und Geschäftshaus von hochstrasser.architekten in Ulm. Grundgedanke des Entwurfs war es, ein Haus zu planen, das sich nicht versteckt, aber auch nicht zu wichtig nimmt, das sich in die vorhandene Struktur aus giebelständigen Fachwerkhäusern eingliedert und trotzdem genügend Strahlkraft besitzt, um eine neue urbane Identität zu schaffen.
Bekenntnis zur Stadt
2010 erhielt das Büro hochstrasser.architekten bei einem von der Stadt Ulm ausgelobten Bewerbungsverfahren den Zuschlag für das etwa 100 m² große Eckgrundstück in der östlichen Altstadt. Seit den Bombenangriffen von 1944 lag die Parzelle brach und wurde lediglich als Parkplatz genutzt.
Die Karpfengasse war Anlieferzone und Rückseite – kaum ein Fußgänger verirrte sich hierher. Auch nach der Neuplanung bleibt die Karpfengasse Anlieferzone. Aber durch die gelungene Nutzungsmischung im K5 (das nach seiner Adresse in der Karpfengasse benannte Haus) ist der öffentliche Raum wieder stärker belebt. Fußgänger und Radfahrer haben die Gasse als Teil ihres Wegenetzes zurücker-obert. Die Cafébar im Erdgeschoss, die sich mit bodentiefen Fenstern in den Außenraum öffnet, bringt insbesondere abends Leben in die angrenzenden Straßen. Im 1. und 2.Obergeschoss sind die Architekten mit ihrem Büro eingezogen, in den beiden obersten Geschossen befindet sich eine etwa 145 m² große Maisonettewohnung mit Blick aufs Ulmer Münster.
Die Kubatur des Neubaus orientiert sich ebenso wie die Ausrichtung des Daches an der Umgebungsbebauung. Den Typus des giebelständigen Stadthauses interpretierten die Architekten jedoch in
reduzierter Form- und Materialsprache neu – als Monolith aus Sichtbeton.
Das Experiment beginnt
Das K5 sollte ein Haus „aus einem Guss“ werden. „Unser Fokus lag von Anfang an auf Beton, weil der Baustoff so vielfältig ist, weil man fast alles mit Beton machen kann“, erläutert Hochstrasser den Beginn der Suche nach der geeigneten Konstruktion und dem passenden Material.
Um das relativ kleine Grundstück optimal zu belegen und möglichst wenig Nutzfläche zu verlieren, galt es, eine schlanke Wandkonstruktion zu finden, die gleichzeitig den aktuell geforderten Wärmedämmeigenschaften entspricht. Vielfältige Alternativen wurden geprüft und durchgespielt: von kerngedämmten Betonfertigteilen über eine Holzbetonverbundkonstruktion bis hin zu Dämmbeton.
Auf Dämmbeton stießen die Architekten erstmals bei einem Aufenthalt in der Schweiz. Besonders von der weichen, fast warmen Haptik war Adrian Hochstrasser begeistert. Eine massive Dämmbetonwand hätte beim K5 allerdings eine Dicke von 60 – 70 cm haben müssen, um die geforderten Dämmwerte zu erreichen.
Schließlich sollte hier ein Projekt mit Passivhauswerten entstehen. Bei einer derartig dicken Außenwand wäre von der vorhandenen Brutto-Grundfläche jedoch wenig Nutzfläche übrig geblieben. Die Suche ging weiter.
Innovatives Kerndämmsystem
Nach intensiven Recherchen stießen die Architekten schließlich auf das System eines Schweizer Herstellers, das optimal erschien: kerngedämmter Dämmbeton mit einer Wandstärke von 44 cm. Ebenso überzeugten die ansprechende Optik und die Performance
der Kerndämmung. Der Haken bei der Sache: Das System ist in Deutschland bislang nicht bauaufsichtlich zugelassen. Eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) wurde notwendig.
In diesen und in viele weitere Schritte investierte Adrian Hochstrasser viel Zeit. Nachdem in der Schweiz mit einem Leichtbeton der Klasse LC 8/9 gebaut wird, der für bauaufsichtliche Anwendungen in Deutschland normativ nicht geregelt ist (die DIN 1045-1 regelt die Bemessung erst ab LC 12/13), wurde das System modifiziert und ein LC 12/13 verwendet. Zu Beginn galt es, hierfür einen Hersteller in der Region zu finden, der den Dämmbeton nach angepasster Schweizer
Rezeptur herstellen konnte und wollte. Nun gibt es einige Vorurteile über die Schwaben. Geizig und spießig sollen sie sein. Aber ebenso wird den Menschen im Ländle Tüftlergeist und treibende Innovationskraft zugeschrieben. Und das nicht von ungefähr. Sowohl eine Herstellerfirma als auch ein Bauunternehmen aus der Umgebung fanden sich, die mit Ehrgeiz und Herzblut das Experiment „kerngedämmter Dämmbeton“ partnerschaftlich vorantrieben.
Hürden und Schwierigkeiten
Die Mengen, die für das K5 angemischt und eingebaut wurden, waren im Vergleich zu anderen Betonbauvorhaben, bei denen Chargen im drei- bis vierstelligen Kubikmeterbereich üblich sind, extrem gering. Gerade einmal um die 80 m³ sind hier verarbeitet. Der Aufwand, die Details der Herstellung, des Transports und des Einbaus zu bewältigen, war im Verhältnis recht hoch.
Vor allem die Fließeigenschaften des Materials führten anfangs zu mangelbehafteten Ergebnissen. Durch sein geringes Gewicht und den hohen Bewehrungsanteil fließt der Dämmbeton eher schlecht. Das kann zu nicht vollständig verfüllten Bereichen führen. Eine der ersten Erdgeschosswände ließ Hochstrasser deshalb wieder komplett abreißen. Durch die angepasste Rezeptur, das Eingießen mit Kübeln und den intensiven Einsatz von Rüttlern konnten die anfänglichen Verarbeitungsprobleme aber gelöst und das gewünschte Ergebnis erzielt werden.
Ausführung im Detail
Aus statischen Gründen und auf Grund der Anforderungen an den Anprallschutz wurde der Dämmbeton im Erdgeschoss monolithisch verbaut. Als Zuschlag kam Glasschaumschotter aus Recyclingglas zum Einsatz (Sieblinie 0 – 32). In den Geschossen darüber besteht der fugenlose Wandaufbau aus einer inneren Tragschale mit 16 cm, einer voll recyclingfähigen, diffusionsoffenen EPS-Kerndämmung mit ebenfalls 16 cm sowie
der äußeren Vorsatzschale mit 12 cm Stärke. Abstandshalter aus Glasfaser, sogenannten ThermoPins, übernehmen die Fixierung der Dämmung innerhalb der Schalung. Energetisch ist das System absolut überzeugend: Der gesamte Aufbau mit 44 cm Wanddicke hat einen U-Wert unter 0,15 W/m²K und erreicht damit Passivhausstandard.
Lebendige Oberfläche
Gerade die besondere Oberfläche des Dämmbetons ist ansprechend. Weich, nahezu warm, fasst sie sich an. Die offenen Hohlräume,
sogenannte Lunker, verleihen der Fassade
einen lebendigen Charakter. Diese haptische Materialität des Sichtbetons korrespondiert gestalterisch mit den geölten Vollholzfensterrahmen und der organisch geformten Eingangsfassade aus Edelstahllamellen. Auch diese nimmt Bezug zum Ort. Lässt sich mit dem Namen der Gasse bereits „Wasser“ assoziieren, so tun die Lamellen ihr Übriges dazu, indem sie die Wellen eines Flusses
abstrahieren und in ein bewegtes Fassadenbild übersetzen.
Das K5 war kein einfaches Bauvorhaben. Aber all die Anstrengungen haben sich gelohnt. Heute findet sich in der Karpfengasse ein buntes Miteinander an Aktivitäten und Nutzungen. Es wird angeliefert, flaniert, gearbeitet, gewohnt und gefeiert. Stadt pur.
Baudaten
Objekt: K5 Wohn- und Geschäftshaus
Standort: Karpfengasse 5, 89073 Ulm
Typologie: Wohn- und Geschäftshaus
Bauherr: Adrian Hochstrasser
Nutzer: hochstrasser.architekten bda dwb; die bar; privat
Adrian Hochstrasser, Ulm, www.hochstrasser.com
Mitarbeiter (Team): Stefanie Geywitz,
Viktoria Kessler, Jess Maertterer, Frank Scheer
Bauleitung: Stefanie Geywitz, Viktoria Kessler,
Frank Scheer
Bauzeit: März 2014 – April 2015
Fachplaner
TGA-Planer und Energieberater:
Dipl. Ing. (FH) Daniel Bigos, Langenau
Fassadentechniker Metallfassade:
3DE – Jess Maertterer, Borken, www.de-de.de
Lichtplaner: Baur Lichtplanung GmbH, Ulm,
www.baurlichtplanung.de
Innenarchitekt: hochstrasser.architekten bda dwb
Projektdaten
Grundflächenzahl: 0,91
Nutzfläche gesamt: 518 m²
Nutzfläche: 93 m²
Technikfläche: 6 m²
Verkehrsfläche: 119,5 m²
Brutto-Grundfläche: 638 m²
Brutto-Rauminhalt: 1 999 m³
Baukosten
KG 300 (brutto/netto): 1, 15 Mio. € brutto / 965 000 € netto
KG 400 (brutto/netto): 214 200 € brutto / 180 000 € netto
KG 500 (brutto/netto): 16 065 € brutto / 13 500 € netto
KG 600 (brutto/netto): 7 140 € brutto / 6 000 € netto
KG 700 (brutto/netto): 176 500 € brutto / 155 500 € netto
Gesamt brutto: 1,57 Mio. €
Gesamt netto: 1,33 Mio. €
Hauptnutzfläche: 3 377 €/m²
Brutto-Rauminhalt: 664 €/m³
Energiebedarf
Endenergiebedarf: 28,49 kWh/m²a nach EnEV 2009
Jahresheizwärmebedarf: 27,87 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2009
Energiekonzept
Außenwand: kerngedämmter Dämmbeton, 44 cm
Fenster: wärmebrückenminimierte Lärchenholzfenster
Boden: oberseitig gedämmte Bodenplatte mit Bohrpfahlgründung
Gebäudehülle
U-Wert Fassadenpaneel = 0,168 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,20 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,13 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 0,8 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,5 W/(m²K)
Haustechnik
Hersteller
Außenwand: Misapor AG, www.misapor.de;
Schwenk Zement KG, www.schwenk.de
Fassade Treppenhaus: Eternit GmbH, www.eternit.de
Metalllamellenfassade Treppenhaus:
Friedrich Saller GmbH, www.sw-ag-sued.de
Fenster, Türen/Tore: Karl Moll GmbH,
www.moll-schreinerei.de
Dämmung Treppenhaus: Deutsche Rockwool GmbH & Co. KG, www.rockwool.de
Sonnenschutz/Blendschutz: MHZ Hachel GmbH & Co.KG, www.mhz.de
Lüftung: Systemair, www.systemair.com