Ein Stück Leben

Wohnen und Leben
Sozialer Wohnbau in der Seestadt Aspern-Wien/AT

Im neuen Stadtteil „Seestadt Aspern“ haben die Architekten von AllesWirdGut in einer Arbeitsgemeinschaft mit DELTA ein Wohn- und Geschäftsgebäude mit 172 Wohneinheiten im sozialen Wohnungsbau realisiert. Das Projekt ist das Ergebnis eines Bauträgerwettbewerbs nach dem „Wiener Modell“.

Die „Seestadt Aspern“ im 22. Wiener Gemeindebezirk Do­naustadt zählt derzeit zu den größten Stadtentwicklungsprojekten Europas. Auf dem Gelände eines ehemaligen Flugplatzes sollen bis zum Jahr 2028 über 20 000 Menschen wohnen und arbeiten. Für die Baufelder in der „Seestadt“ hat die Stadt Wien im Rahmen ihres Wohn­bauförderprogramms Bauträgerwettbewerbe ausgelobt.

Bauträgerwettbewerb nach dem „Wiener Modell“

„Im Gegensatz zu deutschen Bauträgerwettbewerben gehen hier gemeinnützige Bauträger an den Start, die nicht profitorientiert denken“, beschreibt Projektarchitekt Jan Schröder von AllesWirdGut das Wettbewerbsverfahren. „Es gibt vier Kriterien, die alle gleichberechtigt bewertet werden: Wirtschaftlichkeit, Ökologie, soziale Nachhaltigkeit und Architektur.“ Aus diesem Grund bildet man bereits zum Wettbewerb ein Team aus Bauträgern, Architekten und Soziologen. Dieses erarbeitet ein Konzept von der Finanzierung, der Ermittlung des Baupreises und der Anzahl der Wohnungen über Ideen zum sozialen Miteinander bis zur architektonischen Umsetzung. Sogar Mietverträge müssen abgegeben werden. Jan Schröder erklärt: „Das ganze Paket entspricht dem Vorentwurf. Dabei stellt die Architektur nur ein Viertel der Bewertungskriterien.“ Weil das Baufeld zu den großen im neuen Stadtteil zählt, sollten Teams aus jeweils zwei Bauträgern mit jeweils zwei Architekturbüros zusammen arbeiten. In diesem Fall waren es die Bauträger WBG (Wohnen und Bauen GmbH Wien) und die Genossenschaft Gartenheim mit der Arbeitsgemeinschaft aus AllesWirdGut und DELTA, die noch die Tiroler Firma Dasta als Spezialisten für soziale Nachhaltigkeit mit ins Team nahmen. „Man sitzt gemeinsam in einem Boot. Und nach dem Wettbewerb kontrolliert die Stadt Wien genau, ob das gehalten wird, was im Wettbewerb versprochen wurde“, erklärt der Architekt.

Von Finanzierungs- und Förderungsmodellen

Der soziale Wohnungsbau in Wien hat eine lange, fast hundertjährige Tradition. Wichtige Partner für die Stadt sind die gemeinnützigen Bauvereinigungen, von denen die ersten bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Genossenschaften gegründet wurden. „Wir sind wie eine kleine Familie. Man kennt sich und trifft bei den Bauträgerwettbewerben immer wieder aufeinander“, sagt Rudolf Burner von der gemeinnützigen Genossenschaft Gartenheim, die 1919 gegründet wurde. Herr Burner arbeitet bereits in der fünften Generation für sie und verwaltet den neuen Wohn- und Geschäftsbau in der Seestadt Aspern.

Die Stadt Wien hat 1984 einen gemeinnützigen Fonds gegründet, den „wohnfonds_wien“. Mit diesem betreibt sie zum einen eine langfristige und voraussschauende Bodenpolitik, damit die Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau erschwinglich bleiben. Zum anderen bildet der wohnfonds_wien Gremien – die so genannten Grundstücksbeiräte, die die Qualität der Stadtentwicklung und -planung hoch halten. Auch in Aspern gibt es einen Beirat. Außerdem lobt der wohnfonds_wien Bauträgerwettbewerbe aus, in deren Jury die Grundstücksbeiräte mitwirken. Die Vorgaben und Kriterien für diese Wettbewerbe werden kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt. Es gibt ausgeklügelte Förderungsmodelle, die zu beschreiben hier zu weit gehen würde. Die gemeinnützigen Bauträger kennen die Förderungsmodelle sehr genau und kalkulieren die Finanzierung für den Wettbewerbsbeitrag. „In Aspern hatten wir Baurechtsgrund“, sagt Rudolf Burner. „Das bedeutet: Wir mussten das Grundstück nicht kaufen, sondern mieten es für 66 Jahre. Die Baukosten waren streng gedeckelt auf den Betrag von 1 290 €/m².“ Eine Vorgabe ist immer die Festschreibung der Mieten auf 15 Jahre und die Mischung verschieden geförderter Wohnungstypen. Es gibt eine Basisförderung und eine SMART-Förderung. Letztere wurde nach der Finanzkrise im Jahr 2008 für einkommensschwächere Haushalte eingeführt und ist für diejenigen gedacht, die sich nicht so lange an eine Genossenschaft binden können. Rudolf Burner ist überzeugt: „Der große Vorteil ist, dass es hier keine Ghettobildung gibt.“

Architektonische Umsetzung

Die Planer gruppieren auf dem Baufeld fünf Häuser um einen großen gemeinsamen Innenhof. Um den Stadtraum zu beleben und die Kommunikation zu fördern, haben sie die Gebäude auf Straßenniveau 3 m von der Grundstückskante nach innen versetzt. So erhalten die Gewerbeflächen im Erdgeschoss einen zusätzlichen Vorbereich zur individuellen Nutzung. Eine Vorgabe des Grundstücksbeirats in Aspern ist, dass das Erdgeschoss durchgehend 4 m hoch sein soll und für Gewerbe genutzt wird. Für die Verteilung der Gewerbeflächen im Stadtteil hat man eine professionelle Entwicklungsgesellschaft, einen Betreiber für Shopping-Center, eingesetzt. „Für unser Baufeld galt: ein Bäcker und ein Drogeriemarkt“, beschreibt Projektarchitekt Schröder das Raumprogramm für die Sockelzone. „Wir hatten Glück und haben eine sehr engagierte Bäckerei, die mittlerweile zum kleinen Treffpunkt im Quartier geworden ist.“ Neben Bäckerei und Drogerie gibt es noch einen Paketshop, der laut Verwalter rege frequentiert wird. Außerdem ist die Kirche mit einem Seelsorgezentrum Mieter im Erdgeschoss. „Ich freue mich sehr, dass die Kirche hier eingezogen ist“, sagt Rudolf Burner. „Sie trägt sehr zum Stadtteil-Leben bei.“ 4 m höher, auf der Ebene des ersten Obergeschosses, liegt der begrünte Innenhof. Mit der Zeit sollen dort Bäume wachsen und einen kleinen Wald im Stadtteil bilden.

Soziales (Wohn-)Konzept

Für das Innenleben der Häuser hat das Planungsteam auf das soziale Miteinander und die Wohnqualität geachtet. Die Wohntypen können flexibel adaptiert werden für unterschiedliche Familienkonstellationen und verschiedene Lebensphasen. „Als Grundlage für die Hausgrößen und ihre Aufteilung diente das ‚Haus des Lebens‘- Konzept der Firma Dasta“, erklärt Architekt Schröder. Dieses basiert auf einer Hausgemeinschaft von ca. 100 Personen, zu etwa gleichen Teilen aus Alt und Jung, die sich gegenseitig helfen und unterstützen. Ein Hausbetreuer kümmert sich um den Kontakt zwischen den einzelnen Parteien und vermittelt z. B. eine kinderfreundliche Seniorin als Babysitterin für eine junge Familie; als Ausgleich hilft die Familie der Seniorin beim Wocheneinkauf. In den Gebäuden liegen die Gemeinschaftsräume nahe beim Hauseingang, sodass sie von jedem Bewohner gut erreicht werden können. Zusammen mit dem Foyer und dem Außenbereich können sie für gemeinsame Aktionen genutzt werden. Ein Haus, das Haus E, wird heute nach dem Konzept betrieben. Die anderen sind herkömmlich vermietet. Dennoch hat die (Wohn-)Einheit von 100 Personen die Basis für die Planung aller fünf Häuser gebildet. „Diese Größe hatte planerische Konsequenzen, die nicht jeder Bauträger mitfinanzieren würde. Normalerweise möchte man bei Treppenhäusern und Aufzügen sparen. Bei einer anderen Baukörperkonfiguration hätten auf unserem Baufeld weniger Treppen und Aufzüge ausgereicht“, meint Architekt Schröder. Doch die Treppenhäuser sind ein wesentlicher Teil im Konzept – als Orte der Begegnung und Kommunikation.

Mittlerweile funktioniert das „Haus des Lebens“ so gut, dass die Bewohner sich von ihrem Betreuer getrennt und einen eigenen Verein gegründet haben, über den sie sich selbst verwalten. Sie organisieren Public Viewing, Public Cooking. Es gibt eine Gartengruppe, die im Hof Hochbeete anlegt und pflegt. Viele Bewohner kommen aus der Genossenschaft Gartenheim. Rudolf Burner ist überzeugt: „Das ist schon ein Stück Leben.“
Susanne Kreykenbohm, Hannover

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