Countdown 2030

Der Countdown läuft

Eine kleine Gruppe von Architekt:innen gründete 2019 in Basel den Verein Countdown 2030, um sich gemeinsam für eine Bauwende einzusetzen. In den letzten drei Jahren ist die Initiative zu einer starken Gemeinschaft von etwa 60 aktiven Fachpersonen angewachsen.
Text: Conrad Kersting und Mirjam Kupferschmid, Countdown 2030

Der Countdown begann am 1. Januar 2020, die entscheidende Dekade rückwärts zu zählen
Foto: Countdown 2030
Der Countdown begann am 1. Januar 2020, die entscheidende Dekade rückwärts zu zählen
Foto: Countdown 2030

Die Auswirkungen der Klimakrise werden von Jahr zu Jahr spürbarer. Die Flut an neuen Erkenntnissen und Studien scheint uns förmlich zu überrollen. Trotzdem erreicht sie die Entscheidungs­träger:innen nicht schnell genug, auch bei der Frage nach dem nachhaltigen Bauen. In unserem Berufsalltag als Architekt:innen ist es oft schwer einzuschätzen, wie wir die richtigen Entscheidungen treffen können. Die Dekade bis 2030 ist entscheidend, um Netto Null zu erreichen und den Bausektor fundamental zu verändern. Der Name „Countdown 2030” steht für diese Dringlichkeit. Nachhaltigkeit darf kein leeres Schlagwort mehr sein, sondern muss eine integrale Komponente unserer beruflichen Praxis werden. Die Baubranche ist weltweit für 40 % der CO₂-Emissionen verantwortlich, für über ein Drittel des Energieverbrauchs, fast die Hälfte des Rohstoffabbaus und rund 60 % des Abfalls. Das verstehen wir als Verantwortung, aber auch als große Chance, um unsere Disziplin weiterzuentwickeln – von der Erstellung über den Betrieb bis hin zum Ende der Lebensdauer eines Gebäudes.


Die Hebelpostkarten versammeln die wichtigsten Ansätze für das zukunftsfähige Bauen
Foto: Countdown 2030

Die Hebelpostkarten versammeln die wichtigsten Ansätze für das zukunftsfähige Bauen
Foto: Countdown 2030

Bei den großen Hebeln ansetzen

Um etwas zu verändern, müssen wir bei den gro-ßen Hebeln ansetzen. Doch wo liegen diese beim zukunftsfähigen Bauen? Wir begaben uns auf die Suche in der Raumplanung und bei den Wohnungsgrößen genauso wie im Konstruktionsdetail und der Materialwahl. Wir sprachen mit Wissenschaft­ler:innen und Berufskolleg:innen, gewichteten die Möglichkeiten nach ihrer Wirksamkeit und diskutierten ihr Potenzial für eine Verbesserung der Lebensqualität. Die daraus entstandenen „Hebelpostkarten” machen die komplexen Informationen leicht zugänglich. Nicht als fixes Regelwerk dienen sie uns, sondern als Ausgangspunkt für eine Diskussion über nachhaltiges Bauen und die Weiterentwicklung der Baukultur. Bei der Entwicklung der Postkarten erkannten wir schnell, dass wir umfassend denken müssen, um etwas zu bewegen. Unsere einzelnen Architekturbüros zu betrachten, bringt uns nicht weiter, wenn wir dabei nicht die ganze Bauindustrie, die Öffentlichkeit und die Politik in die Debatte einbeziehen.

In der Ausstellung „Die Schweiz: Ein Abriss”, die letzten Herbst im Schweizerischen Architekturmuseum zu sehen war, betrachteten wir einen der größten Klimahebel von ganz unterschiedlichen Seiten: In der Schweiz werden jedes Jahr 3000 bis 4000 Gebäude abgerissen. Ersatzneubauten setzen wesentlich mehr Emissionen frei als eine fokussierte Sanierung. Gleichzeitig gehen baukul­turelle Substanz und bezahlbarer Wohnraum verloren. Die Ausstellungsbesucher:innen erlebten in fünf verschiedenen Abrisswelten das Thema in seinen vielen Facetten. Kollektiv besetzten wir den zentralen Raum des Museums mit unserem Vereinsbüro, diskutierten mit den Besucher:innen, hielten unsere Sitzungen ab und luden Gäste in die Ausstellung ein.

Auch wer nicht ins Museum kam, kann weiterhin mit uns über den Schweizer Abriss diskutieren: Als partizipative Online-Karte sammelt der Abriss-Atlas Geschichten von abgerissenen Häusern in der ganzen Schweiz. Einen deutschen Ableger gibt es seit diesem Herbst. Auf Abriss-Spaziergängen führen wir durch sich schnell verändernde Quartiere in Basel, Zürich und vielen weiteren Städten. Gleichzeitig machen wir Passant:innen mit großen Baustellenplakaten auf gute Umbau-Beispiele aufmerksam. In einer Petition trugen wir unsere Forderungen schließlich in die Bundespolitik.


„Die Schweiz: Ein Abriss“: Countdown 2030 präsentiert eine Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum
Foto: Tom Bisig

„Die Schweiz: Ein Abriss“: Countdown 2030 präsentiert eine Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum
Foto: Tom Bisig

Unterrichten als Kollektiv
Ab dem Herbstsemester 2023 starten wir ins nächste große Abenteuer: Countdown 2030 hat für ein Jahr eine Gastprofessur an der Fachhochschule Nordwestschweiz inne und betreut ein Master-Studio. Gemeinsam mit den Studierenden fragen wir uns, wie wir angesichts der massiven Herausforderungen der Klimakrise entwerfen. Die Studierenden werden ein konkretes Projekt erarbeiten und sich gleichzeitig differenziert mit den übergeordneten Fragen nach dem Ressourcenverbrauch, den CO₂-Emissionen und der Energie auseinandersetzen. Deshalb lassen wir den Maßstab der Umwelt mit der Entwicklung eines konkreten Details in den Dialog treten. Im besten Fall gelingt es den Studierenden, daraus einen innovativen, mutigen und vielleicht auch ungewöhnlichen Ausdruck zu entwickeln. Ob Umbau, Erweiterung, Rückbau, Neubau oder Nicht-Bau – was zählt, ist die architektonische Idee. Dabei wollen wir bewusst experi­mentell vorgehen. Scheitern ist erlaubt!

Etablierte Lehrformate und Rollenverhältnisse lassen wir in dieser Zeit außen vor. Wir sind überzeugt, dass wir die Herausforderungen unserer Zeit nur durch das Arbeiten in Netzwerken, durch Partizipation und Kooperation überwinden können. Eine Kerngruppe von Aktivist:innen begleitet wöchentlich die Ideenfindung. Weitere Vereinsmitglieder steuern ihre Expertise bei und verankern damit das breitgefächerte Wissen des Vereins in der Lehre. So unterstützt eine erfahrene Bauleiterin bei der Entwicklung von langlebigen Details, ein Redakteur begleitet die Erarbeitung von Texten und eine Ingenieurin hilft bei der Berechnung der THG-Emissionen des Entwurfs.



Foto: Tom Bisig

Foto: Tom Bisig

Künftige Selbstverständlichkeiten
Drei Jahre sind seit dem Start des Countdowns bereits vergangen und bis 2030 muss noch viel passieren. Noch immer gibt es scheinbar mehr Fragen als Antworten. Und doch ist vieles ins Rollen gekommen. In der Schweiz werden spürbar mehr Umbauwettbewerbe ausgelobt und Themen wie Graue Emissionen und das umweltgerechte Bauen werden breit diskutiert. Doch es muss künftig genauso selbstverständlich sein, dass ein Gebäude unserer Umwelt nicht schadet, wie es heute selbstverständlich ist, dass die Struktur eines Gebäudes nicht zusammenbricht und das Dach keinen Regen eindringen lässt. Erst dann wird es uns als Countdown 2030 nicht mehr brauchen und wir können unsere Gruppe – wie in den Vereinsstatuten geplant – im Jahr 2030 auflösen.




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