Urbanes Teambuilding 

Digital Campus, Berlin

Wer eigentlich braucht noch ein Bürogebäude? Interessanterweise ist es gerade die Digitalwirtschaft, die früh den Nutzen eines physischen Ortes für die Mitarbeiterbindung erkannt hat – und das ausgerechnet während der Pandemie, als andere Branchen erstmals den virtuellen Raum als Arbeitsplatz entdeckten. In dieser Gemengelage entwarfen SCOPE Architekten aus Stuttgart einen digitalen Campus für ein Softwareunternehmen in Berlin, in dem die physische und die digitale Welt verschmelzen sollen.

Das Quartier Heidestraße unweit des Berliner Hauptbahnhofs ist ein Reißbrettquartier, das alle typischen Vor- und Nachteile eines solchen Ortes auf sich vereint: Nahezu auf einer Tabula Rasa, mit wenigen Überresten eines alten Güterbahnhofs, entstand hier ab 2009 das, was heute vollmundig als Europacity vermarktet wird. In den vergangenen Jahrzehnten wuchs dort die ikonische 50Hertz-Zentrale der Grazer Architekten LOVE aus dem märkischen Sand, die Berliner Barkow Leibinger ergänzten die Silhouette des Quartiers um ihren filigran-gewundenen Total-Tower; das ebenfalls in Berlin beheimatete Büro Kleihues + Kleihues baut derzeit noch am nördlichen Entrée ein 3-teiliges Hochhaus, das ab 2025 bis zu 20 Etagen hoch in den Berliner Himmel ragen soll. Mit anderen Worten:  Dank zentraler Lage, optimaler Anbindung und mangels Platzkonkurrenz ist hier in relativ kurzer Zeit ein ganzes Stadtquartier von Bauherren aus dem Boden gestampft worden, die sich die feine Adresse durchaus etwas kosten lassen – und das sieht man hier und da auch an der gelungenen Architektur.

Allerdings mangelt es solchen Orten – egal ob sie nun in Frankfurt, Hamburg, München oder eben Berlin entstehen – an einem gewachsenen Umfeld mit seiner belebenden Heterogenität, wie sie eben nur über Jahrzehnte und Generationen entstehen kann. Zwischen den gelungenen Leuchttürmen duckt sich deshalb hier wie da architektonisches Füllmaterial, dass sich leicht erstellen und vermarkten lässt. So weit, so langweilig.

Das Stuttgarter Büro SCOPE Architekten hatte nun die Aufgabe, den eher anonymen Bürostandort mit Potenzial in einen Identifikationsort zu verwandeln. Fast könnte man sagen, eine selbstgewählte Aufgabe: „Wir haben bereits einige Liegenschaften für unseren Auftraggeber gesichtet, bevor wir auf das Projekt QH Track von ENM2 Architekten aufmerksam geworden sind“, sagt Mike Herud, Inhaber von SCOPE. „Wir sollten geeignete Flächen für rund 1 000 Mitarbeiter schaffen, da das Unternehmen der Softwarebranche die Beschäftigten aus zwei Berliner Standorten an einem Hauptsitz zusammenführen wollte.“ Schließlich sei die Entscheidung für die Heidestraße gefallen, da SCOPE bei dem Neubau bereits in einer sehr frühen Planungsphase einsteigen konnte. „Das Unternehmen hat sehr hohe Ansprüche, was die technische Gebäudeausrüstung anbelangt, insbesondere hinsichtlich der Klimatisierung und der Kühldecken. Als Ankermieter konnte das Unternehmen über die Mieterbau­beschreibung bereits früh Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung dieser Aspekte nehmen.“

In diesen Prozess fiel jedoch auch der Beginn der Pandemie, und während man andernorts noch hektisch an dem Ausbau der digitalen Infrastruktur arbeitete und Remote-Arbeitsplätze einrichtete, stellten sich SCOPE und sein Kunde bereits die Frage, wie man die Rückkehr in das Unternehmen so reizvoll wie möglich gestalten könne: „Es zeichnete sich schon damals ab, dass das Büro als physischer Ort künftig nicht mehr die übergeordnete Bedeutung haben würde wie vielleicht noch vor zehn, zwanzig Jahren“, sagt Yvonne Hackh, Innen- und Projektarchitektin beim Digitalen Campus. „Das galt natürlich besonders für Unter­nehmen der Softwarebranche, die bei der Digi­talisierung der Arbeitsprozesse naturgemäß längst weiter waren als andere Industriezweige.“ Warum also überhaupt noch in teure Büroflächen investieren?

„Die Situation im Homeoffice hat verdeutlicht, was wir als Büro bereits seit Jahren vermitteln wollen: Die physische Begegnung im Raum ist essenziell, wenn es um die Mitarbeiterbindung und Identifikation mit dem Unternehmen geht“, sagt Mike Herud. „Richtig geplant, kann der Raum den Teamgeist fördern und zu einer kreativen, produktiven Atmosphäre beitragen.“ Idealerweise sah der Kunde das sehr ähnlich und habe sich schnell auf den Prozess eingelassen, einen neuen Standort mit entsprechenden Qualitäten zu entwickeln. Als Ankermieter im QH Track plante das Unternehmen zunächst in den Bauteilen A-C mit 1000 Arbeitsplätzen, später kam Bauteil D mit weiteren 250 Arbeitsplätzen hinzu. Es galt, insgesamt 29 000 m2 Fläche über 13 Etagen so zu vernetzen, dass sie als Einheit im Sinne eines Campus wahrgenommen werden, und gleichzeitig auch identifizierbare und zugeordnete Flächen für Teams bereitstellen.

„Am Standort Heidestraße war es uns deshalb sehr wichtig, zunächst einen fließenden Übergang zum Stadtraum und von der physischen in die virtuelle Ebene zu schaffen,“ ergänzt Yvonne Hackh. Das beginne bereits mit dem Foyer, dass sich über zwei Etagen erstreckt: Eine Freitreppe erschließt hier die Kantine im 1. OG, in der während des gesamten Arbeitstages Snacks und Erfrischungen erhältlich sind. „Wir wollten vermeiden, dass dieser Ort nur zur Mittagszeit belebt ist, ansonsten aber wenig frequentiert wird. Mit zahlreichen unterschiedlichen Sitzgelegenheiten und Rückzugsmöglichkeiten gehört die Kantine zu den erweiterten Arbeitsflächen, die zur Begegnung, zum informellen Austausch und zur Kooperation einladen“, erklärt Hackh. Sinnbildlich für den Transit vom urbanen Raum in die Arbeitswelt, vom physischen in den virtuellen Raum, steht die gemeinsam mit dem Medienkünstler Thorsten Bauer und Intermediate Engineering entwickelte Rauminstallation „Brickwall“. Die 7 m hohe Installation ist der Blickfang des Foyers und wird thematisch noch einmal im 12. und 13. Geschoss aufgegriffen. Silberfarbene Ziegel sind hier in einem lockeren Binderverbund zu einem semitransparenten Netz verwoben, das in seiner Strenge an Computerarchitektur, in seiner Massivität jedoch an klassische Industriearchitektur erinnert.

„Die industrielle Geschichte des Standorts, von der Berliner Industrie 1.0 bis 3.0, die hier in der Industrie 4.0 mündet, haben wir als zentrales Motiv für das Interior Design gewählt und in zahlreichen, spannenden Materialkombinationen durch das gesamte Gebäude hindurch zum Ausdruck gebracht“, sagt Hackh. Die gefliesten Sitzbänke in der Kantine zum Beispiel erinnern an die Optik von U-Bahnstationen wie die am Alexan-derplatz. Wellbleche, Betonoberflächen, Gitterstrukturen, Plexiglasscheiben und quietsch-orange­farbene PVC-Lamellenvorhänge greifen den Look von industriellen Produktionsstätten auf, werden kontrastiert von filigranen Seifen­blasenlampen, dezenten Downlights, Grünpflanzen und abwechslungsreichen, modernen Sitz­gelegenheiten in Grau-, Blau-, Grün- oder Rosatönen. „Dadurch ist es uns auch gelungen, die Einrichtung weitestgehend sortenrein im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zu gestalten und neue Recyclingmaterialien, wie etwa einen Plattenwerkstoff aus Textilresten und Beton zu integrieren“, sagt Mike Herud. Der Nachhaltigkeitsgedanke war bei diesem Projekt sehr wichtig. 

„Darüber hinaus wollten wir die Stadt, das was Berlin einzigartig macht, als Innenraumkonzept spürbar machen und so neue Identifikationsräume für die Mitarbeiter schaffen“, sagt Yvonne Hackh. Das spiegelt sich vor allem in der Wand- und Glasscheibengestaltung: Grafiken, Plakate und Klebefolien zeigen dort Berliner Wahrzeichen, Daten, Fakten und Fun Facts rund um die Hauptstadt. „Die Gestaltung haben wir in einem kuratierten partizipativen Prozess gemeinsam mit ausgewählten Vertretern der Belegschaft entwickelt“, erläutert Yvonne Hackh. „Dadurch wollten wir einerseits die Identifikation mit dem Projekt stärken und andererseits Orientierungspunkte im Gebäude schaffen.“ Inzwischen gebe es eine informelle Verständigung innerhalb des Teams, man wisse einfach was gemeint ist, wenn man sich zum Beispiel im „Besprecher Weißensee“ verabredet, ohne dass der je so benannt wurde.

Das Flächenangebot auf den Büroetagen selbst sei für Teams bis zu einer Größe von 30 Personen ausgelegt, die sich in der Regel etwa 400 m2 teilen. Es gebe kleinere Einheiten mit zwei bis drei Arbeitsplätzen aber auch Viererbüros und sogenannte „Thinktanks“ zur intensiven Einzelarbeit und kleinere Besprecher für sechs bis acht Personen. „So tragen wir der Idee Rechnung, dass sich der Arbeitsplatz an der jeweiligen Aufgabe orientiert und die Beschäftigten mehrmals am Tag den Arbeitsplatz wechseln, was wiederum den Austausch im Team fördert“, sagt Yvonne Hackh. Darüber hinaus gebe es durch das gesamte Gebäude auch Sonderflächen wie ein Eltern-Kind-Büro, an das ein Spielzimmer angeschlossen ist, Ruhekojen und ein Fitnessstudio mit Kursbereich. „Insgesamt stellen wir bei unseren Projekten fest, dass wir noch vor zehn Jahren mit etwa 25 m2 BGF je Mitarbeiter geplant haben. Heute sind es eher 30 m2 BGF“, sagt Mike Herud. „Das ist aber zunehmend eine rein rechnerische Größere, weil diese Fläche nicht mehr von einer Person allein, sondern von allen gemeinsam genutzt wird.“

So wie auch die Dachterrasse, die im 6. OG zwei Gebäudeteile miteinander verbindet und sich als beliebter Treffpunkt etabliert hat. Von hier schweift der Blick über die Stadt mit all ihren Epochen, Brüchen und Narbengewebe, die alles andere als am Reißbrett entworfen wurde. ⇥Jan Ahrenberg/DBZ

Ein Ort mit Hospitality Charakter, der seinem
Anspruch nach einem Treffpunkt gerecht wird mit Elementen, die gelungen die Doppelgeschossigkeit inszenieren. Für einen Neubau bietet das Projekt viele haptische Qualitäten.«
Kinzo Architekten, Berlin

Projektdaten

Objekt: Digital-Campus SAP SE

Standort: Heidestraße 07, 09, 11, 13

Typologie: Bürogebäude/Officekonzept

Bauherr/Bauherrin: SAP SE

Nutzer/Nutzerin: SAP SE, Softwareunternehmen – Arbeitsplätze

Architektur: Interiordesign SCOPE Architekten GmbH www.scopeoffice.de, Planung Gebäude QH Track EM2N www.em2n.ch

Team: Mike Herud, Yvonne Hackh, Mike Müller, Alexandra Faulkner, Ricarda Bauer, Ann-Sophie Lehmann, Yuliya Clare, Nikolai Hanke, Mathis Weymann, Thanh Tien Riess

Bauleitung: SCOPE Architekten GmbH (KG 380 + KG 600)

Bauzeit: 11.2018 – 06.2023

Fachplanung

TGA-Planung: Ruß Ingenieure AG, Berlin www.rusz.de

Innenarchitektur: SCOPE Architekten GmbH

Medientechnik: Intermediate Engineering GmbH, Hamburg www.im-en.com

Küchentechnik: Reisner+Frank www.reisner-frank.de

Energie

Primärenergiebedarf: 75 kWh/m²a nach EnEV 2013

Endenergiebedarf: 63 kWh/m²a nach EnEV 2013 Wärme, 21 kWh/m²a Strom

Hersteller

Beleuchtung: Vibia, www.vibia.com, Flos, www.flos.com, XAL, www.xal.com, Artemide, www.artemide.com

Bodenbeläge: Ecotrust, www.ecotrust.com, Object Carpet, www.object-carpet.com

Wandbelag: nora, www.nora.com, Lindner, www.lindner-group.com, foresso, www.foresso.co.uk, Green Cast, www.greencastus.com, Kvadrat, www.kvadrat.dk, Westermann, www.westermann-products.com

Möbel: Vitra, www.vitra.com, Magis, www.magisdesign.com, Normann Copenhagen, www.normann-copenhagen.com, Ondarreta, www.ondarreta.com, Muuto, www.muuto.com, Walter Knoll, www.walterknoll.de, HAY, www.hay.dk, Andreu World, www.andreuworld.com, COR, www.cor.de, +Halle, www.plushalle.com, E15, www.e15.com, Fritz Hansen, www.fritzhansen.com, Ophelis, www.ophelis.de

Sanitär: Varicor, www.varicor.com

Armaturen: Hansa, www.hansa.com, Keuco, www.keuco.com

HK-Decke: Lindner, www.lindner-group.com

Vorhänge: Kvadrat, www.kvadrat.dk

Bezugsstoffe: DePloeg, www.deploeg.com, Svensson, www.ludvigsvensson.com, Rohi, www.rohi.com, Kvadrat,
www.kvadrat.dk

Lichtschalter: Jung, www.jung-group.com

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