Dufträume schaffen

Maurice Joosten bezeichnet sich selbst als modernen Alchemisten: Er kreiert Düfte, welche die Identität von Orten in ein olfaktorisches Erlebnis verwandeln. Als Baustein der Corporate Identity soll diese Duftarchitektur das Erleben von Marken um eine zusätzliche Dimension erweitern. Ein Gespräch über die Materialität von ätherischen Ölen und darüber, wie die Hotelindustrie von individuell designten Duftlandschaften profitieren kann.

Interview: Jan Ahrenberg / DBZ

Maurice Joosten wurde 1962 in Haarlem/NL geboren. Er studierte in Amsterdam an der Academy of Fine Arts und absolvierte ein Forschungsstipendium/Artist in Residence an der Royal Academy of Visual Arts in Amsterdam. 1997 zog er nach Turin, wo er als bildender Künstler arbeitete. Ab 2006 begann er als Duftarchitekt für @aroma Co., Ltd in Tokio zu arbeiten und kreierte natürliche Düfte für den Einsatz für Innenräume und Markenkommunikationsprojekte. Seit 2013 leitet er das @aroma Design Studio Europe
Foto: @aroma Design Studio Europe

Maurice Joosten wurde 1962 in Haarlem/NL geboren. Er studierte in Amsterdam an der Academy of Fine Arts und absolvierte ein Forschungsstipendium/Artist in Residence an der Royal Academy of Visual Arts in Amsterdam. 1997 zog er nach Turin, wo er als bildender Künstler arbeitete. Ab 2006 begann er als Duftarchitekt für @aroma Co., Ltd in Tokio zu arbeiten und kreierte natürliche Düfte für den Einsatz für Innenräume und Markenkommunikationsprojekte. Seit 2013 leitet er das @aroma Design Studio Europe
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Herr Joosten, in der Architektur bildet für gewöhnlich stabiles Material die Basis für jedwede Struktur. Düfte hingegen sind flüchtig und ohne Gestalt – also nichts, auf das man bauen könnte. Wie verbinden Sie diese gegensätzlichen Begriffe nun zu dem, was Sie Duftarchitektur nennen?

Architektur nehmen wir ja ohnehin mit allen Sinnen, mit unserem ganzen Wesen wahr. Und auf der Ebene der Sinneswahrnehmungen ist die olfaktorische am erfolgreichsten darin, Gefühle und Erinnerung zu wecken. Unser Geruchssinn ist der einzige Sinn, der direkt mit der Amygdala und dem Hippocampus verbunden ist, also jenen Regionen in unserem Gehirn, die unsere Gefühle und Erinnerungen steuern. Daher ist unsere Nase der direkteste Weg in unser Herz. So gesehen halte ich es für eine ganz natürliche Entwicklung, das Raumgefühl in der Architektur durch ein gezieltes Design der olfaktorischen Erfahrung zu erweitern.   

Der Begriff Architektur umfasst ein komplexes Geflecht der Interaktionen zwischen Material, Funktion und Design, die in Einklang gebracht werden müssen, um den Ansprüchen der Nutzer:innen gerecht zu werden. Wie übersetzen Sie diesen Anspruch in den Prozess, einen neuen Duft zu kreieren?

Duftarchitektur und -design ist ein Prozess, bei dem aus natürlichen Düften hochqualitative Zonen in Räumen entstehen, die bestimmte Bilder und Assoziationen erzeugen und so einen Stil kreieren, die Identität eines Ortes unterstreichen. Dabei ziehen wir auch die Auswirkungen auf den Körper, den Geist und die Umgebung in Betracht. Dufträume zu gestalten, die alle Sinne in Anspruch nehmen, erlaubt es uns, ein eher intuitiv erlebbares Raumgefühl zu erzeugen – das ist bei Konzepten, die lediglich auf Farben, Formen und akustische Gestaltung setzen, so nicht möglich. Unsere Expert:innen von @aroma können Düfte mischen, die sich als Verlängerung der architektonischen Vision in das Gesamtkonzept fügen – unter Berücksichtigung von emotionalen, räumlichen und kommunikativen Anforderungen. So arbeiten wir in enger Ab­stimmung mit den Architekt:innen und Interiordesigner:innen sehr sorgfältig einen kohärenten Duft heraus, der die Raumwahrnehmung subtil ergänzt und verbessert. 

Das müssen Sie genauer erklären…

Unsere Kund:innen haben oft bereits bestimmte Vorstellungen davon, wie sie ihre eigene Marke sehen oder wie sie sich wünschen, dass ihre Kund:innen oder Gäste sie wahrnehmen. Gemeinsam arbeiten wir dann daran, diese Formel in die Sprache der Düfte zu übersetzen. Derzeit entwickeln wir zum Beispiel eine Duftarchitektur für die Showrooms eines E-Auto Herstellers in Kalifornien. Da fallen eher technische Begriffe wie „energiegeladen“ „schnell“ und „zukunftsorientiert“. Aber auch Lifestyle-Begriffe wie „luxuriös“, „jung“ und „sexy“. Dafür gibt es durchaus Entsprechungen in der Welt der Düfte, denn sie ist nicht, wie viele meinen, nur subjektiv wahrnehmbar. Vergleichbar mit der Farbskala, deren unterschiedlichen Töne für unterschiedliche Stimmungen stehen, kann man verschiedenen Duftnoten bestimmte Emotionen zuordnen. Aus der richtigen Mischung wird dann ein Duft, der all diese Emotionen einfängt und sie unmittelbar an unseren Hippocampus weiterleitet.



Foto: @aroma Design Studio Europe

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Können Sie uns die Möglichkeiten veranschaulichen? Welche Düfte erzeugen welche Emotionen? Wie spielen Sie auf der Klaviatur der Gerüche?

Wir haben fünf unterschiedliche Duftlinien für unterschiedliche Zwecke entwickelt, damit jede Kund:in den für sie oder ihn passenden Duft findet. „Botanical Air“ zielt darauf ab, die botanischen Zutaten in den Fokus zu erstellen und erlebbar zu machen. „Design Air“ wurde dazu entwickelt, die richtige Stimmung in Räumen zu schaffen, in den das Interiordesign im Zentrum steht. Mit „Clean Air“ betonen wir die antibakteriellen und antiviralen Eigenschaften von natürlichen Ölen. „Supplement Air“ stellt die aromatherapeutischen Möglichkeiten in den Mittelpunkt. Sie unterstützt uns bei den verschiedensten Aufgaben im Laufe des Tages. Und „Japanese Air“ schließlich ist die Quintessenz unseres Schaffens, diese Serie ist inspiriert von der Schönheit und Vollkommenheit der japanischen Natur und Kultur. Um aber die speziellen Wünsche unserer Klient:innen weiter zu erforschen, nutzen wir ­einfache Duftproben, anhand derer wir ihre olfaktorische Welt besser verstehen und erkunden können. Daraus leiten wir dann unsere individuellen Düfte ab, die wir so nur für die jeweiligen Kund:innen herstellen.

Nicht alle sind jedoch mit dieser Welt der Düfte vertraut. Könnten Sie bitte kurz erklären, was einen Raumduft von einem Parfüm unterscheidet?

Ein Parfüm erzielt eine ganz andere Wirkung, da es sich im Zusammenspiel mit der Körperwärme und dem Duft der Haut verändert. Es wird in kleinen Mengen appliziert und wirkt daher auch nur sehr begrenzt. Deshalb kann es sehr intensive, ja, sehr persönliche und intime Spektren bedienen. Großflächig in einen Raum eingebracht sind Parfüms jedoch viel zu überwältigend und intensiv. Bei der Entwicklung eines Raumdufts müssen wir sehr viel subtiler vorgehen und hohe Konzentrationen vermeiden. Unsere professionellen Diffusoren setzen in kurzen Abständen kleinste Mengen frei, die sich gleichmäßig in den vorab definierten Zonen verteilen. Es geht darum, ein möglichst stimmiges, gleichmäßiges und harmonisches Duftbild zu erzeugen, dass sich organisch in das Raumdesign fügt und nicht heraussticht.

Herausstechen ist ein gutes Stichwort: Exklusive Hotels und SPAs konkurrieren meist um eine sehr anspruchsvolle, weitgereiste Klientel, die alles schon einmal erlebt und gesehen hat. Wie kann Duftarchitektur dabei helfen, die individuelle Marke, das individuelle Erlebnis zu unterstreichen und so unter den Mitbewerber:innen hervorzustechen? Wie finden Sie diesen einen Duft?

Die Basis von Duftarchitektur + Design sind Konsultationsgespräche sowie Workshops mit den Klient:innen. Hier diskutieren wir das Grundkonzept sowie die Erwartungen an einen individuellen Duft. Wir versuchen dabei, uns so weit wie möglich in die Klient:innen hinein zu versetzen und ihre Visionen, Konzepte und Werte zu verstehen. Dazu gehört auch, die Örtlichkeiten in Augenschein zu nehmen und sie selbst zu erleben. Wo befinden sie sich? Wie sind sie geschnitten. Welche Farben und Formen herrschen vor, wie ist die Akustik? Wir sammeln jegliches Material, das uns dabei hilft, einen ganz speziellen Duft zu kreieren, der auf die konkrete Situation vor Ort maßgeschneidert ist.

Testen Sie das Ergebnis auch vor Ort aus?

Natürlich. Klimaanlagen und Nutzerverhalten haben ja zum Beispiel einen unmittelbaren Einfluss darauf, wie sich die Düfte im Raum verhalten. Deshalb evaluieren wir das Ergebnis vor Ort, zu unterschiedlichen Zeiten und bei unterschiedlichen Nutzungen. Gegebenenfalls passen wir dann die Intervalle oder die Intensität des Diffusors an. Oder geben unseren Düften im Labor einen letzten Feinschliff, wenn sie sich in den Räumen anders als erwartet entwickeln. Genau in diesem Prozess sind wir gerade mit dem bereits angesprochenen Hersteller von E-Autos. Hier sind zwei Duftvarianten im finalen Auswahlprozess, der nun vor Ort entschieden wird.

Ein Problem von Düften ist: Man kann sich nicht vor ihnen verstecken. Wer Lavendel nicht mag, wird auf einen Ort, der vollständig danach nicht riecht, nicht positiv reagieren. Wie vermeiden Sie es, dass Menschen mit empfindlichen Riechorganen angesichts Ihrer Duftarchitektur mit der Nase rümpfen?

Idealerweise fügen sich unsere Düfte nahtlos in die Umgebung und werden nicht jederzeit klar und bewusst wahrgenommen. Sie sollten Teil der Gesamtwahrnehmung sein, die aus der Verschmelzung aller fünf Sinne entsteht. Wenn der Duft heraussticht, ist die Gefahr nämlich wirklich sehr groß, dass er Personen missfällt und abstößt. Als japanisches Unternehmen stehen wir in einer Tradition, die bereits seit Jahrhunderten Düfte als mächtiges Mittel versteht, Atmosphäre zu gestalten. Um das zu erreichen, nutzen wir zu 100 Prozent natürliche Öle. Sie enthalten ein weit umfangreicheres Spektrum an Duftmolekülen als synthetische. Sie erzeugen quasi eine 3D-Version dessen, was dem Menschen auch in seiner natürlichen Umgebung begegnet. Ihr Duftprofil ist dabei milder, transparenter und weit subtiler als das von synthetischen Düften.

Ein großes Hotel zum Beispiel bietet eine Vielzahl von unterschiedlichen Orten und Einrichtungen, die sich in ihrer Nutzung und ihrem Aussehen stark unterscheiden. Wie spiegelt sich dieser Aspekt in Ihren Kompositionen wider? Verwenden Sie Basisnoten, die Sie je nach Ort und Nutzung variieren? Oder duftet ein von Ihnen gestaltetes Hotel überall gleich?

Das hängt von den Wünschen und dem Budget der Klient:innen ab: Wenn wir einen Duft für ein solches Hotel oder Resort entwerfen, soll es zunächst möglichst genau die Marke und Philosophie des Unternehmens einfangen. Von da aus können wir nach den Wünschen der Klient:innen Variationen für unterschiedliche Einrichtungen und Orte schaffen. Für Heckfield Place zum Beispiel, ein wunderbar restauriertes Anwesen im ländlichen England, haben wir einen individuellen Duft entworfen, der sich an den Gerüchen des dazugehörigen Arboretums ableitete und in den Gästezimmern versprüht wird. Zusätzlich entwickelten wir für den Empfang je zwei saisonale Düfte für Herbst und Winter sowie Frühling und Sommer. Außerdem erhielt das hauseigene SPA einen eignen, unverwechselbaren Duft, der in ers­ter Linie für Komfort und Tiefenentspannung steht. Aber alle vier Düfte sind auf einer tieferen Ebene verbunden, wie Zweige an einem Baum, die jeder auf ihre Art die Werte und Eigenschaften des Hotels repräsentieren.

Und was ist Ihr persönlicher Duft? Was gefällt Ihnen und erzeugt ein Gefühl des Angekommenseins?

Ich fühle mich sehr von intensiven Waldgerüchen angezogen, erdenden, beruhigenden Aromen wie Zypresse und tropische Hölzer. Ich mag auch erdige Noten wie Vetivergras und Patschuli, die mit satten, floralen Noten wie Jasmin oder Tuberose vermischt sind. Aber mein absoluter Favorit ist und bleibt, aufgrund seines transzendenten und reinigenden Charakters, Weihrauch.


Mit Maurice Joosten unterhielt sich DBZ-Redakteur Jan Ahrenberg am 30.08.2022 am Telefon

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