Farbe ist Erfahrungssache
Das blaue Haus in Korça, Albanien, sollte ursprünglich abgerissen werden. BOLLES+WILSON, die den Platz vor dem Haus gestalten sollten, überzeugten den
Bürgermeister, es stehen zu lassen und es komplett blau einzufärben
Foto: Roman Mensing
Herr Wilson, worauf kommt es bei guter Farbgestaltung in der Architektur an?
Peter Wilson: Es ist ein sehr kompliziertes Thema. Auch als Aufgabe für Studenten nicht leicht. Wenn man es recherchiert, kommt man überhaupt nicht weiter, weil Farbwahrnehmung eine sehr persönliche Sache ist. Ich versuche zum Beispiel, nicht mit Bauherrn über Farbe zu diskutieren. Das kann sonst mordsgefährlich werden, weil mein Referenzbild ein völlig anderes ist als deren.
Was heißt das?
Ein Beispiel: Als wir die Stadtbibliothek in Münster entworfen haben, das ist Jahre her, waren wir oft in Japan. Die Farben, die wir dafür ausgewählt haben, waren japanisch inspiriert, das heißt ein bisschen smoky, nicht so klar, ein sehr sanftes Blau. Neulich wurde eine Erweiterung gebaut. Leider wurde sie mit einem poppigen Hellblau gestaltet, sehr unsensibel in meinen Augen.
Ist Farbgestaltung also Geschmackssache?
Es ist Erfahrungssache, eine kulturelle Platzierung. Aber es ist so schwierig, vor allem auch für Studenten.
Wenn es eine Sache der Erfahrung ist, kann man als Student:in überhaupt gezielt Farbe einsetzen?
Eigentlich schon, ja. Ich finde es wirklich total feige, dass zum Beispiel die Schweizer Architekten Künstler in ihre Projekte holen, um die Farben auszusuchen! Bei unseren Projekten in Albanien haben wir die Farbreihe von Le Corbusier genutzt. Das ist das Beste, was Studenten auch machen können. Die Farben sind so subtil ausgewählt, dass es egal ist, welche Farben man zusammen kombiniert, sie passen immer zusammen und sind total sexy.
Als Hilfe für die Auswahl einer stimmigen Farbkombination empfiehlt Peter Wilson, sich die Farben von Le Corbusier anzuschauen sowie das Buch „A Book of Colors“ von Shigenobu Kobayashi
Foto: Bolles+Wilson
Albanien ist ein gutes Stichwort. In Korça haben Sie ein knallblaues Haus gebaut. Das war eine radikale Farbwahl.
Die Farbwahl war mehr politisch als gestalterisch. Es ging um ein bestehendes Haus an einem zentralen Platz in Korça, das abgerissen werden sollte, weil es illegal gebaut wurde und außerdem einer neuen Straße im Weg stand. Wir arbeiteten sehr eng mit dem Bürgermeister der Stadt zusammen, er ist unser Fan Nummer 1. Ich habe ihm gesagt: Das Haus ist sehr hübsch. Es sollte bleiben und eine Farbe bekommen. Schließlich haben wir zusammen entschieden, dass das Haus ein Museum für illegale Bauten wird, damit die Bürger sehen, was erlaubt ist und was nicht. Außerdem mussten wir ein Teil des Hauses für die Straße abreißen. Es war also ein verletztes Haus, aber trotzdem ein Museum. Das zeigt die blaue Farbe. Es war am Ende ein konzeptuelles Spiel. Und das Haus ist nun eine Ikone in der Stadt. Eigentlich war unsere Aufgabe gewesen, den Platz vor dem Haus zu gestalten. Wir haben ihn „Der Platz mit dem blauen Haus“ genannt.
Würden Sie sagen, dass es eine richtige Farbe für den richtigen Ort gibt? Hätte dieses Haus zum Beispiel auch rot sein können?
So wechselt man auf einen kontextuellen Gedanken. Man würde sich umschauen, welche anderen Farben in der Umgebung vorhanden sind. Ich finde, das ist eine ziemlich schwache Verwendung von Kontextualismus, weil jedes neue Objekt den einen neuen Kontext schafft.
Ist es also auch Intuition?
Ich würde eher bei Erfahrung bleiben. Ich bin sehr lange im Beruf und habe eine Palette von Farben, die ich immer wieder verwende. Zum Beispiel haben wir eine Reihe von Projekten in den Niederlanden gemacht. Wenn wir dafür Konzeptskizzen in Orange gemacht haben, kamen sie immer durch, weil Orange die Nationalfarbe ist. Es war ganz simpel.
Die Stadtbibliothek in Münster wurde 1993 nach Plänen von BOLLES+WILSON gebaut. Die Inspiration für die Farbauswahl kam durch die häufigen Japanreisen der Architekt:innen
Foto: Christian Richters
Gibt es auch Farben, die Sie auf keinen Fall einsetzen würden?
Wir haben neulich eine Konfrontation mit dem Gestaltungsbeirat in Münster gehabt. Wir hatten ein Gebäude mit einer grünen und grauen Fassade geplant, die ich sehr elegant fand. Die Experten aus dem Beirat haben uns gesagt: Münster ist eine Ziegelstadt und die Häuser hier sollten rot sein. Das war so eine banale Argumentation. Ich war fast sprachlos. Aber wir haben gesagt: Okay, dann machen wir es rötlich – aber pink! Alles sollte pink sein, die Wände, die Fensterprofile, einfach alles. Es ist sofort im Planungsamt durchgegangen. Wirklich sehr interessant.
Haben Sie eine Lieblingsfarbe?
Es ändert sich. Als ich an der AA School in London gelehrt habe, war es Rostrot. Damals haben wir alle mit der Hand gezeichnet und eine Technik entwickelt, die Pläne mit Schuhcreme zu kolorieren. Man erhält eine sehr schön glatte Farbe. Das ist mit einer Handzeichnung nicht möglich. Wir haben einen absoluten Kult an der AA ins Leben gerufen. Die beste Schuhcreme ist übrigens von Kiwi, die hat mehr Öl als andere Farben. Aber das ist Technologie von gestern.
Ist der Umgang mit Farbe von Land zu Land unterschiedlich?
Sicher! Italiener nutzen gerne gesättigte Farben. Einmal haben wir Fotos von einem deutschen Fotografen nach Italien geschickt, Fotos mit einem grauen Himmel, wie wir es hier in Deutschland kennen. Zurück kamen sie mit einem Himmel in strahlendem Blau. Das wird in Italien so erwartet, wie in einem Bilderbuch.
Finden Sie, dass das Thema im Architekturstudium ausreichend behandelt wird?
Das kann ich schwer beantworten, weil ich seit über zehn Jahren nicht mehr an der Hochschule tätig bin. Aber ich finde fragwürdig, wie die Studenten heutzutage recherchieren. Wenn man einen Namen nennt wie Luis Barragán, dann klick klick klick im Internet, ein Foto von Barragán und es heißt „ja, ich kenne Barragán“. Das ist eine oberflächliche Denkweise.
Wie macht man es besser?
Studenten sollten sich ein Bilderuniversum aufbauen, sich so viel anschauen und auch verstehen wie möglich! Sie sollten mit offenen Augen durch die Welt gehen. Wenn sie eine Farbe sehen, die ihnen gefällt, dann sollten sie es dokumentieren, als Handyfoto oder, noch besser, als Skizze. Für eine eigene Farbsammlung mit den Lieblingsfarben.
Peter Wilson führt zusammen mit Prof. Julia B. Bolles-Wilson das Architekturbüro BOLLES+WILSON in Münster. Er hat an verschiedenen Hochschulen gelehrt und ist Ehrenbürger der Stadt Korça, Albanien
Foto: Thomas Rabsch