KI – Zwischen Perfektion und Überraschung
Wer sich in den vergangenen zwei Jahren als Architekt oder Ingenieur mit Künstlicher Intelligenz befasst hat, konnte ebenso faszinierende wie widersprüchliche Ergebnisse erleben: Schnelligkeit, Vielfalt, Perfektion, aber auch Missverständnisse, Irrtümer und Enttäuschungen. Sowohl die Anwender als auch die KIs haben eine steile Lernkurve hinter sich. Die Vielzahl der KI-Tools für unterschiedliche Leistungsphasen ist nur schwer zu überschauen. Einige haben einen erstaunlichen Reifegrad erreicht.
Wie können bildgenerierende KIs als Sparringpartner im Entwurfsprozess eingesetzt werden, um uns auf Ideen zu bringen, auf die wir selbst nicht gekommen wären? Wo kann Künstliche Intelligenz helfen, uns die Arbeiten zu erleichtern, die wir nicht gerne machen oder die echte Zeitfresser sind?
Einen großen Überblick speziell für Architekten und Ingenieure bietet die englischsprachige Website www.aiinaec.com – „AI in AEC – Artificial Intelligence in architecture, engineering, construction“. Das Online-Portal listet mehr als 1 500 AI-Tools für die Baubranche, gesammelt von Stjepan Mikulic. Woche für Woche kommen neue hinzu. Natürlich braucht kein Mensch 1 500 KIs, sondern ein gut ausgewähltes und aufeinander abgestimmtes Set, das seiner Arbeitsweise entspricht. Doch dieser Überblick gibt einen guten Eindruck von der ganzen Dimension, die diese Technologie allein für die Baubranche bereits erreicht hat.
Das Portal bietet eine strukturierte Übersicht in 15 Kategorien wie Design Creation, Data Analysis, Structural Design, Surveying, Construction oder Specification. Zur Vertiefung gibt es ein wachsendes Seminarangebot. Der größte Nutzen für Einsteiger besteht in den Fallbeispielen, die eine Idee davon vermitteln, in welchem Bereich die Anwendung von KI weiterhelfen kann. Wieweit die dort vorgestellten KI-Tools tatsächlich helfen, ist im Einzelfall zu prüfen. Die Sammlung ist stark im englischsprachigen Raum verortet und es ist festzustellen, dass KIs sich nicht ohne weiteres von einem Sprach- oder Kulturraum auf den anderen übertragen lassen. Denn die Trainingsdaten, die den Modellen zugrunde liegen, sind nicht international und interkulturell ausbalanciert. Und auch die Sprache, in der die Prompts an eine KI formuliert werden, macht einen Unterschied. Auf deutsch formulierte Prompts können zu ganz anderen Ergebnissen führen als englische oder spanische.
Getestet und für gut befunden
Vor allem geht es aber um die Frage: Wie wollen wir arbeiten? Welche Methoden wenden wir an in Entwurf, Nachhaltigkeitsmanagement, Kommunikation und Mitarbeiterführung? „Wir können KI nicht länger von der Seitenlinie beobachten, dafür sind die Entwicklungen zu schnell“, erklärt KI-Pionier Philipp Eichstädt. „KI lässt sich nicht an junge Mitarbeiter delegieren“, empfiehlt der Berliner Architekt, „KI ist Führungsaufgabe, da der Einsatz von Künstlicher Intelligenz entscheidende Fragen zu Methodik und Unternehmenskultur aufwirft.“ Mit seinem Büro se.g architekten – Studio Eichstädt Gresser – hat er mehr als ein Jahr lang intensiv KI-Tools getestet. Dafür wurde eine eigene Arbeitsumgebung eingerichtet, in der die Leistungsfähigkeit an konkreten Planungsaufgaben überprüft wurde. Viele vollautomatische Werkzeuge sind dabei durchgefallen.
Als wesentlich leistungsfähiger haben sich die Werkzeuge erwiesen, bei denen man Einfluss nehmen und die Rahmenbedingungen mitgestalten kann. „Meist sind die KI-Tools so spezialisiert, dass man mehrere Werkzeuge kombinieren und in Reihe schalten muss“, resümiert Eichstädt. Auf der Webseite seines Architekturbüros findet sich der Hinweis „Recherche…könnte Spuren von KI enthalten“. Dahinter verbirgt sich eine umfassende Liste mit getesteten oder zu testenden KI-Tools für alle Leistungsphasen: www.se-g.com/digital. Wertvolles Know-how, das das Büro öffentlich macht, um den Erfahrungsaustausch unter Architekten anzuregen.
Zu den KI-Tools für Ideenfindung und Modellierung, die sich in seinem Büro behaupten konnten, zählen Giraffe für Stadtplanung, Spacio und Snaptrude für Baumassenfindung und Finch für Grundrisskonzepte. „Wir müssen aus der konkreten Anwendung berichten“, ist Eichstädt überzeugt und: „Wir müssen als Architekten die Anforderungen formulieren, welche Werkzeuge wir wozu brauchen.“ Deshalb empfiehlt er, viel auszuprobieren, vor allem die KIs von deutschen Start-ups wie Syte für die Grundstücksbewertung, Plan4Better für die Standortanalyse, FormFollowsYou für Baumassen und Planungskonzepte, Specter für die Bauablaufplanung, BIMpermit für den Digitalen Bauantrag oder thinkBIC für die regelbasierte BIM-Prüfung. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Bauens im Bestand sind KIs wie Airteam für die Bestandserfassung interessant. Eine weitere Besonderheit „made in Germany“ sind KIs zur Nachhaltigkeitsbewertung wie Metabuild, CAALA oder r3leaf.
Es geht aber um mehr als nur darum, Planung mit KIs schneller, schlanker und effizienter zu gestalten. Es geht um Fragen, wie wir die Regularien in den Griff bekommen, wie wir in Zukunft Honorare kalkulieren und wie sich der Werkbegriff verändert, wenn Planung künftig zu Teilen auf Knopfdruck aus der KI kommt. Um den Austausch zu fördern, initiiert Eichstädt auch Werkstattgespräche und bietet KI-Schulungen an. „Ich gehöre zum Team Enthusiasmus“, bekennt der Berliner Architekt und hat „keine Ängste, dass der Wesenskern unseres Schaffens wegfällt. Wir müssen weiterhin bewerten und entscheiden, wir müssen mit KI spezifische Lösungswege und Lösungsräume entwickeln.“
Werte und Verantwortung
Davon ist auch Andreas Fritzen überzeugt. Als Professor für Städtebau an der Hochschule Bochum ist er „optimistisch, dass KI die nötige Transformation beschleunigen wird“. Er glaubt, dass die Stadt in 20 Jahren ein ganz anderer Ort als heute sein wird. Die Stadt werde sich massiv verändern, wenn sie als Datenmenge genutzt wird. „Dazu müssen wir KI-basierte Anwendungen mit Werten hinterlegen und beurteilen“, mahnt Fritzen, denn „es ist die soziale Nachhaltigkeit, nach der wir streben und das wird auch die KI nicht ändern.“
An diesem Thema arbeitet auch die Adhoc-Gruppe Künstliche Intelligenz der Bundesarchitektenkammer. Wie ihr Sprecher Florian Scheible von Schöne Neue Welt Ingenieure berichtet, soll ein KI-Codex für Planerinnen und Planer entwickelt werden, der Orientierung bietet, um bürospezifisch ein eigenes Mensch-Maschine-Leitbild zu formulieren. Als erste, praxisnahe Handreichung hat die Architektenkammer zehn Fragen und Antworten zur KI in der Architektur zusammengestellt. Darin beschreibt sie, was die Kernkompetenz des Berufs ausmacht: „Architektonische Praxis basiert in ihren wesentlichsten Aspekten auf menschlichen Fähigkeiten, die […] von Maschinen nicht geleistet werden können. Dazu gehören u. a.: […] spezifisch und empathisch auf die Wünsche und Anforderungen von Auftraggeberinnen und Bauherren einzugehen; mit diplomatischem Geschick zwischen Unternehmen, Behörden, Kundinnen und Projektbeteiligten zu vermitteln; mit menschlichem Verstand ethische Standards einzuhalten und einer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen sowie kreativ und flexibel unvorhergesehene Probleme im Projektablauf zu lösen.“
Bewusstsein und Ambition
Nach anfänglicher Sorge, dass Architekten und Ingenieure in kürzester Zeit durch Künstliche Intelligenzen ersetzt werden, hat sich inzwischen die Auffassung verfestigt, dass KIs nützliche Werkzeuge sein werden, nicht aber Ersatz sein können. Wunschdenken einer in Zeiten digitaler Transformation schon oft totgesagten Berufsgruppe? Oder realistische Einschätzung von Menschen mit einem hohen Maß an sozialer Verantwortung für den baukulturellen Rahmen, der gesellschaftlichen Zusammenhalt schafft? Vielleicht beides. Eins haben kreativ denkende und verantwortungsbewusst handelnde Menschen der Künstlichen Intelligenz voraus: Sie haben Werte. Sie haben Ambitionen. Die KI kann viel. Aber sie hat keine Ambition. Und sie übernimmt keine Verantwortung. Auf der Startseite von ChatGPT werden wir mit den Warnhinweisen begrüßt, die für alle KIs gelten, aber meist übersehen werden. Erstens: Ich kann mich irren. Zweitens: Ich kann gelegentlich schädliche Inhalte erzeugen. Drittens: Ich habe nur begrenztes Wissen von der Welt. Auf die Frage, wo die KI an ihre Grenzen stößt, antwortet ChatGPT bemerkenswert ehrlich: „Ich habe kein Bewusstsein. Ich verstehe nicht wie ein Mensch. Meine Antworten basieren auf Wahrscheinlichkeiten und Mustern aus Trainingsdaten, nicht auf einem tiefen Verständnis. Im Idealfall würde eine KI klärende Fragen stellen, wenn der Benutzer eine mehrdeutige Anfrage stellt. Stattdessen erraten unsere aktuellen KI-Modelle in der Regel, was der Benutzer beabsichtigt.“ Damit ist das Funktionsprinzip einer KI gut erklärt. Die KI macht uns Vorschläge – wie das Navigationssystem im Auto – welche Routen wir beim Entwerfen einschlagen könnten. Doch die Entscheidung treffen immer noch wir. Noch steuern die KI-generierten Entwürfe nicht autonom durch die Städte. Noch tragen wir Menschen die Verantwortung für Gestalt, Konstruktion, Technik, Ausstattung, Kosten und Umweltauswirkungen. Noch sprechen wir von „schwacher KI“. Schwache KI nutzt Methoden der Künstlichen Intelligenz, um spezifische, klar definierte Aufgaben zu lösen. Obwohl sie in bestimmten Bereichen menschliche Fähigkeiten übertreffen kann, bleibt sie bei komplexeren Aufgaben oder solchen, die ein breites Weltwissen erfordern, hinter dem menschlichen Niveau zurück. „Starke KI“ steht für die Vision, mit KI-Techniken menschliche Intelligenz vollumfänglich nachzubilden, existiert aber ausschließlich in Science-Fiction-Geschichten.
3D-Grid ableiten zu:
Abb.: AMM Bochum | Mehmet Turgut
Training und Erfahrung
Was bedeutet das für Architektur und Ingenieurskunst? Wir können KI-Tools als Sparringspartner im Entwurf einsetzen, als Beschleuniger in der Visualisierung, als Arbeitserleichterung in administrativen Prozessen, als Kalkulationshilfe für Kosten-ermittlung und LCA-Berechnung und als Textmaschine mit erstaunlichem Reifegrad. Aber wir müssen wissen, wonach wir suchen, Kriterien für unsere Entscheidungen entwickeln und mit unserem Erfahrungswissen die Plausibilitätskontrolle durchführen können. Denn bei aller Kreativität haben KIs drei Schwächen: Sie können halluzinieren, das heißt sie erfinden manchmal plausibel erscheinende, aber falsche Fakten oder Quellen. Sie haben kein emotionales Verständnis, können Emotionen nicht nachvollziehen oder angemessen darauf reagieren, sondern nur simulieren. Und sie haben – auch wenn es anders erscheinen mag – Defizite in der Originalität. Die KI kann uns nur liefern, was sie kennt. Sie kann nur aus bestehenden Daten neue Kombinationen erstellen, nichts aber wirklich neu denken, daher sind kreative Vorschläge oft nicht wirklich originell. Stefan Cadosch, CEO des KI-Startups keeValue nennt ein schönes Beispiel: „Es ist wahnsinnig schwer, der KI zu sagen, mach mir ein Bild von einem Pferd, das auf einem Menschen reitet. Das kriegt die KI nicht hin, weil sie mit Bildern von Menschen, die auf Pferden reiten, trainiert ist. Die KI dreht automatisch die Reihenfolge um.“
Deswegen ist es wichtig, KIs selbst zu trainieren, mit eigenen Texten, eigenen Bildwelten, eigenen Daten. Dann werden die Ergebnisse spezifischer und genauer. Neben dem individuellen Training liegt der zweite Schlüssel zum erfolgreichen Einsatz von KIs im Promptmanagement. Dies kann von einfachen Fragen bis zu komplexen Anweisungen reichen, aus reinen Texten oder aus der Kombination von Bild und Text bestehen. Ziel ist es, die Ausgabe der KI durch die Formulierung des Prompts möglichst genau zu lenken. Das ist nicht so trivial und braucht viel Erfahrung.
Fehlerkultur und Sicherheit
Gerade in den unfreiwilligen Fehlern kann beim Entwerfen aber auch das kreative Potenzial liegen. So schildert der Münchner Architekt Peter Haimerl seinen Ansatz: „Mich fasziniert an der Arbeit mit Algorithmen der Moment der Überraschung: Man kann sie lediglich ein bisschen ‚anstupsen‘ und organisieren, das Ergebnis jedoch nicht vollständig kontrollieren oder nachvollziehen, genau hier beginnt für mich Architektur, zwischen Perfektion und Überraschung.“ Auch Harald Schaack von der Düsseldorfer Grotesk Group empfiehlt, die KI als kreativen Sparringspartner zu nutzen, aber sich den kreativen Prozess niemals durch Künstliche Intelligenz abnehmen oder abkürzen zu lassen: „Der kreative Dialog ist das Letzte, was gepromptet oder wegoptimiert werden sollte.“ Deswegen empfiehlt er, auch wenn es nicht der Erwartungshaltung der Kunden entspricht, von Anfang an klarzustellen: „Wir sind durch KI nie günstiger“.
Günstiger soll im besten Fall nicht die Planungsleistung, wohl aber das Bauen werden. Ziel ist es, ressourcenschonender zu bauen, Flächen effizienter zu nutzen, den Energiebedarf zu minimieren, Photovoltaikerträge zu maximieren, Baumaterialien wiederzuverwerten und entwurfsbegleitend jederzeit auskunftsfähig zu sein über Kosten- und Umweltauswirkungen. Für diese Aufgaben gibt es bereits leistungsfähige KIs. Das mit dem Deutschen KI-Award ausgezeichnete Start-up Syte aus Münster wurde von Architekten für Architekten konzipiert. Syte-CEO Matthias Zühlke erläutert: „Unsere KI bietet eine Lösung, um die optimale Grundstücksausnutzung zu ermitteln und maximale Solarerträge zu errechnen. Auch für das Bauen im Bestand kann die KI Potenziale aufzeigen und Bewertungen abgeben.“ Es ist beeindruckend, zu sehen, wie in kürzester Zeit eine komplexe Wirtschaftlichkeitsbetrachtung erstellt und visualisiert wird.
Um Kosten geht es auch beim Schweizer Start-up keeValue. Stefan Cadosch, selbst Architekt und CEO des Unternehmens, erläutert seine Motivation zur Entwicklung dieser KI: „Es war ein echter Schock, als ich mir bewusst gemacht habe, dass ich als Büroinhaber 35 Prozent meiner Arbeitszeit mit Baukosten verbringe. Ziel der KI-Entwicklung ist, dass ich Baukosten in 5 Prozent meiner Zeit abhandeln kann und dabei doppelt so präzise bin wie vorher.“
Ebenso wichtig wie die Baukosten ist die Betrachtung der Lebenszykluskosten. „Investoren erwarten von uns Architekten, dass wir in einer frühen Planungsphase hierzu auskunftsfähig sind“, schildert Cadosch die künftigen Anforderungen. Seine KI kann das leisten. In der Schweiz ist sie bereits bei 1 000 Architekten im Einsatz. Grundvoraussetzung für eine verlässliche KI ist die Qualität der Daten. „Daten sind nichts wert ohne Validierung“, erläutert Cadosch, „sie müssen korrigiert, indexiert, validiert werden.“ Das gilt auch für die LCA-Daten über die Umweltauswirkungen. Neben der Ökonomie erstellt die KI auch die Ökobilanz zum Entwurf. Am Ende des Lebenszyklus schließt die neue KI der Materialdatenbank Concular an. Mithilfe Künstlicher Intelligenz lassen sich BIM-Modelle filtern und mit dem Bestand wiederverwendbarer Bauteile in der Datenbank von Concular abgleichen, um automatisiert Elemente abbruchreifer Häuser vorzuschlagen. Julius Schäufele, Co-Founder von Concular, erklärt dazu: „Ziel unseres Projekts ist, dass man frühzeitig herausfindet, welche Bauteile aus sekundären Quellen zu den Anforderungen im neuen Gebäudeentwurf passen und welche Einsparungen sie bringen.“
Vision und Wirklichkeit
Was wäre, wenn die KI-gestützte Planung von der Potenzial-ermittlung bis zur Baustelle eine geschlossene digitale Prozesskette wäre? Die großen CAD-Software Anbieter machen es bereits vor und integrieren immer mehr KI-Funktionen in ihre Anwendungen, etwa, um aus einfachen Konzeptmodellen variantenreiche Visualisierungen zu erzeugen. Michiel Gieben, Head of Marketing & Communication beim Modulbauhersteller Daiwa Modular Europe, hat eine noch größere Vision. Er stellt sich vor, dass mithilfe von KIs auf Basis demografischer Daten der Bedarf zum Beispiel an Seniorenwohnungen ermittelt wird, auf dieser Grundlage KI-gestützt geeignete Grundstücke gefunden werden, die sich insbesondere zur Bebauung in Modulbauweise eignen, um dann in KI-optimierten Planungsprozessen maßgeschneiderte Raummodule in weitgehend automatisierter Fertigung zu erstellen und auf der Baustelle einschweben zu lassen. Die cloudbasierte Erfassung aller Daten eines Moduls ermöglicht die digitale Begleitung während des gesamten Lebenszyklus: von Produktion, Transport und Positionierung auf der Baustelle über Pflege, Wartung und Revision während der Nutzungsdauer bis zu Umnutzung oder Umbau, Rückbau und Recycling. Die komplette Dokumentation darüber, welches Modul wo eingesetzt und verfügbar ist, eröffnet interessante Dimensionen für die Kreislaufwirtschaft von Gebäuden. „Cradle to Cradle ist bei Daiwa House Modular Europe ein gelebtes Prinzip. Hier gilt es nicht nur für einzelne Produkte oder Werkstoffe, sondern für ganze Räume“, erläutert Andreas Göbel, Architekt und Head of Acquisition des Unternehmens.
Schon heute werden 80 Prozent der Module wiederverwendet. Aus den einzelnen Elementen lassen sich neue Häuser für neue Anforderungen entwickeln. Für ganze Gebäude bietet der Hersteller eine Rücknahmegarantie. Denn jedes Modul hat einen Restwert – auch wenn es in seinem originären Einsatz nicht mehr benötigt wird. Die hier beschriebenen, teilweise KI-gestützten Prozesse sind fragmentarisch schon Realität. Am Anfang dieser Prozesskette steht der Einsatz von KI-Tools in den Geschäftsprozessen bei Capital Bay. Tanya Pinto aus dem Transaction Management berichtet, wie mit dem Datenmodell Relas von 21st Real Estate aus Millionen Daten individuelle Aussagen zur Lagebewertung gewonnen werden können: „Mit einem maßgeschneiderten Score Index lassen sich makroökonomische Daten wie Leerstandsquote, Kaufkraft und demografische Entwicklung ebenso abbilden wie Mikrodaten zu Infrastruktur, ÖPNV, Apothekendichte und auch 50 ESG-Scores.“ Das Ganze wird anschaulich als Dashboard aufbereitet und bietet Inves-toren eine nützliche Entscheidungshilfe. Auch im Produktionsprozess hat sich KI-gestützte Planung bereits etabliert. So erfolgt beispielsweise die Trockenbauplanung weitgehend automatisiert. Das Programm übersetzt die Wand im BIM-Modell in konstruktive Baupläne, ermittelt eigenständig die optimierten Profilabstände, Profilquerschnitte und Plattenformate und erzeugt automatisierte Listen für Kalkulation und Beschaffung. Daiwa-Planungsleiter Julius Müller zieht Bilanz: „Eine Ausarbeitung, für die wir zuvor drei bis vier Monate gebraucht haben, schaffen wir jetzt in einem Drittel der Zeit.“
Bauen im Bestand und Interior
Nicht nur der Neubau, auch das Bauen im Bestand und der individuelle Innenausbau sind von steigenden Anforderungen an Effizienz, Qualität, Anpassungsfähigkeit und Nachhaltigkeit geprägt. „Komplexe und unstrukturierte Probleme erfordern interdisziplinäre Ansätze. Heterogene und isolierte Datenquellen sowie Informationsinseln erschweren Transparenz und behindern eine effiziente Planung und Entscheidungsfindung“, schildert Tobias Hiemenz, Unternehmensstratege der Deutschen Werkstätten, die Herausforderungen. Er ist davon überzeugt, „dass Künstliche Intelligenz großes Potenzial bietet, diese Herausforderungen durch (Teil-)Automatisierung, Wissensmanagement und datenbasierte Entscheidungsunterstützung zu adressieren.“ Bereits 2018 haben die Deutschen Werkstätten gemeinsam mit der TU Dresden einen ersten Versuch gestartet, mittels Deep-Learning-Algorithmen Designzeichnungen und komplexe Anforderungen zu analysieren und präzise Zeit- und Kostenschätzungen zu erstellen. Weitere Ideen sind KI-gestützte Supply-Chain-Modelle zur Priorisierung von Materialien und Komponenten basierend auf deren Verfügbarkeit, Kosten und Projektanforderungen. Auch für Projektplanung und Fehlervermeidung sieht Hiemenz erhebliches Potenzial: „Mithilfe von KI-gestützter Analyse von historischen Projektdaten ließen sich Zeitpläne und kritische Pfade optimieren, potenzielle Fehler vor der Umsetzung identifizieren, proaktiv Kollisionen in Planungsprozessen erkennen sowie Risiken im Projekt managen. Ziel ist die Reduzierung von Bauverzögerungen und die Reduzierung der Bauzeiten über ein Streamlining aller Abläufe und Koordination aller Gewerke.“ Dabei stellt die Verfügbarkeit und Standardisierung ausreichender Daten für das Training von Modellen eine Kernherausforderung dar, insbesondere um spezifisches Wissen im jeweiligen Gewerk einzubeziehen. Eine weitere Problematik besteht in der Integration in bestehende Systeme: Die Heterogenität der genutzten Software und Datenplattformen erschwert eine nahtlose Einbettung. Hiemenz fordert einen Wandel im Mindset der Unternehmer: „Mir erscheint die Förderung einer datenorientierten Unternehmenskultur ein nicht zu unterschätzender Faktor für die erfolgreiche Implementierung von KI zu sein.“ Sicherheit und Compliance bei der Datenverarbeitung und -nutzung müssen dabei stets gewährleistet sein.
Urheberrecht und Datenschutz
Angesichts der mangelnden Transparenz über die Funktionsweise von Algorithmen und Trainingsdaten gibt es eine große Verunsicherung über die rechtlichen Rahmenbedingungen beim Einsatz Künstlicher Intelligenz. Hierzu gibt der Marken- und Urheberrechtsanwalt Moritz Ott Orientierung: „Paragraph 44b des Urheberrechtsgesetzes erlaubt KI-Anbietern, urheberrechtlich geschützte Werke für das Training ihrer KI-Systeme zu verwerten.“ Was beim Input zunächst unbedenklich klingt, kann aber beim Output urheberrechtliche Relevanz bekommen. Denn „die Imitation eines künstlerischen Stils durch eine KI ist zwar zulässig, der KI generierte Output darf geschützte Werke Dritter jedoch nur enthalten, soweit sie bei einer Gesamtbetrachtung des KI Outputs nicht in ihrer Eigenart wiedererkennbar sind“, erläutert Ott. Ähnliches gilt, wenn ein Nutzer geschützte Werke in seinem Prompt nutzt. Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob die dafür erforderliche vertragliche oder gesetzliche Erlaubnis vorliegt. Die Anweisung eines Nutzers an die KI, der Prompt, ist in der Regel nicht urheberrechtlich geschützt, weil die Gestaltung von Prompts durch den technischen Zweck vorgegeben ist. Auch das KI-generierte Werk ist grundsätzlich gemeinfrei. Denn das geltende Urheberrecht geht von einem Menschen aus, der eine persönliche geistige Schöpfung hervorbringt. Das Werk einer Künstlichen Intelligenz kann nach diesem Verständnis nicht geschützt sein, weil ihm die Bindung an einen menschlichen Urheber fehlt, die Ausgangspunkt und zugleich Legitimation für den Ausschließlichkeitsschutz ist. „Von diesem Grundsatz gibt es jedoch drei Ausnahmen“, stellt Moritz Ott klar: „Erstens sind Werke geschützt, bei denen ein Mensch das KI-System nur als Werkzeug einsetzt und der Mensch selbst die gestalterischen Entscheidungen trifft. Zweitens kann ein KI-generiertes Erzeugnis als Teil eines Gesamtprojekts geschützt sein. Und drittens greift punktuell urheberrechtlicher Leistungsschutz ein, der als Investitionsschutz ausgestaltet und nicht an eine menschlich geistige Leistung gebunden ist.“ Diese wichtigen Aspekte des rechtssicheren Umgangs mit Künstlicher Intelligenz sind unter den Anwendern weitgehend unbekannt. Architekten und Ingenieure, die nicht nur für die eigenen Daten Verantwortung tragen, sondern auch für sensible Daten ihrer Auftraggeber oder Nutzer, sind hier gut beraten, sich umfassend aufklären zu lassen.
Kommunikation und Lust auf mehr
Gute Architektur braucht auch gute Architekturvermittlung. Mithilfe von Video-KIs lassen sich Fotos oder Filme erzeugen. NeRF hat hier hohe Standards gesetzt. Für die Bildbearbeitung bieten sich neben den einschlägigen Adobe Tools weitere KIs wie Deep AI, Runway oder Clipdrop an. Für Logo-Entwicklung und Branding gibt es verschiedene KI-Konfiguratoren. Und auch inspirierende Moodboards lassen sich mit KIs erzeugen. Auf der Textebene ist die Wolf Schneider-KI eine überzeugende Entwicklung von Journalisten für Journalisten. Wolf Schneider gilt als der Neufert für Journalisten. Er hat nützliche Regeln notiert für gutes Storytelling und stilsicheres Formulieren. Mit diesen Regeln trainiert macht die nach ihm benannte KI aus nüchternen Erläuterungstexten eine atmosphärische Geschichte.
Wer neugierig geworden ist auf mehr, der findet auf der Website There’s an AI for that https://theresanaiforthat.com/ tausende nützliche KI-Tools. Bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten, die sich mit der neuen Technologie eröffnen, bleibt aber auch eine Sorge. KIs verbrauchen enorm viel elektrische Energie und die Rechenzentren müssen mit großen Wassermengen gekühlt werden. „Die für KI-Technologien benötigte Infrastruktur und Elektrizität schaffen neue Herausforderungen für die Einhaltung der Nachhaltigkeitsverpflichtungen im gesamten Technologiesektor“, heißt es in einer Mitteilung bei der Vorstellung von Microsofts Nachhaltigkeitsreport. Wenn dies nicht gelöst wird, könnte sich der große Nutzen von KI zu einem großen Problem entwickeln. Der Astrophysiker Stephen Hawkings sagte 2017 voraus: „Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz könnte entweder das Schlimmste oder das Beste sein, was den Menschen passiert ist.“ Setzen wir darauf, dass verantwortungsbewusste Architekten und Ingenieure das Beste daraus machen werden – für eine ressourcenschonende, kreislauffähige Architektur mit hoher Aufenthalts- und Gestaltqualität.
Autor: Jan R. Krause
Wer sich in den vergangenen zwei Jahren als Architekt oder Ingenieur mit Künstlicher Intelligenz befasst hat, konnte ebenso faszinierende wie widersprüchliche Ergebnisse erleben: Schnelligkeit, Vielfalt, Perfektion, aber auch Missverständnisse, Irrtümer und Enttäuschungen. Sowohl die Anwender als auch die KIs haben eine steile Lernkurve hinter sich. Die Vielzahl der KI-Tools für unterschiedliche Leistungsphasen ist nur schwer zu überschauen. Einige haben einen erstaunlichen Reifegrad erreicht.