Knapp, knapp, knapp!
Spricht man von Energie – wie wir es hier im Heft ja machen – kommt unweigerlich der Begriff der Knappheit auf. Was ist das aber, das aktuell so sehr besprochene und überall präsente (!) knappe Gut Energie? Mit der Lektüre von „Design der Knappheit“ (adocs 2017) im Kopf wandte ich mich an dessen Autoren. Deren bereits 2014 auf englisch veröffentlichte Gedanken zur Knappheit könnten nicht passender als genau in diesen Krisenzeiten wiederhervorgeholt und aktualisiert werden. Knappheit als Bedrohung? Oder doch eher als eine Chance?
Text: Michael Klein, Andreas Rumpfhuber
„Das Gas wird knapp!“, war die Prognose in den Medien im Frühsommer 2022 für den kommenden Winter. Mit der angekündigten Energieknappheit war plötzlich auch die sich seit der Pandemie erholende Wirtschaft in Gefahr. Mit Argusaugen wurden die sukzessive reduzierten Gaslieferungen Russlands über die unterschiedlichen Pipelines beobachtet. Minutiös berichteten die Medien über die Füllstände der Vorratsspeicher. Fachleute diskutierten öffentlich über mögliche Rationierungsmaßnahmen für die Industrie, aber auch für Privatverbraucher:innen (einmal mehr wird der Ruf nach staatlichen Interventionen laut). Ende des Sommers explodierten dann an den Energiemärkten die Preise für den Rohstoff. Einige Energieversorger mussten daraufhin milliardenhohe staatliche Finanzstützen beantragen, um die Termingeschäfte für Gas absichern zu können. Die städtische WIEN ENERGIE wurde zum Beispiel mit 1,4 Mrd. Euro seitens der Wiener Stadtregierung und später mit über 6 Mrd. Euro vom österreichischen Staat gestützt. Man las aber auch Berichte darüber, dass Russland an der finnischen Grenze in großen Mengen Gas abfackele, das es nicht nach Europa liefere; dass Ersatzteile für Gaspumpen von Nordstream 1 fehlten, oder wegen der Sanktionen nicht nach Russland geliefert werden und damit die vertraglich gesicherten Mengen seitens Russland nicht bereit gestellt werden könnten. Im September riss dann eine Serie von Explosionen Löcher in die für die deutsche Energieversorgung wichtige Gaspipeline.
Politiker:innen adaptierten ihre finanziellen staatlichen Unterstützungen, aber auch ihre Botschaften und Strategien in Relation zu den jeweiligen (nationalen) Abhängigkeiten der Wirtschaft und ihrer Businessmodelle, aber auch den lokalen und regionalen Befindlichkeiten einer Wähler:innenschaft.Wurde in Deutschland schon im Sommer öffentlich und nachdrücklich zum Energiesparen aufgefordert und im Herbst dann die Laufzeit von AKWs kurzfris-tig verlängert, sah die österreichische Bundesregierung zum Beispiel weitgehend von Energiespartipps ab und reaktivierte bereits stillgelegte Kohlekraftwerke. Frankreich dagegen lobbyierte für die Nachhaltigkeit seiner Atommeiler. Andere Expert:innen plädierten wiederum für ein kurzfristiges Fracking von Erdöl, um die vorausgesagte Verknappung von Rohstoffen zur Energiegewinnung zumindest kurzfristig zu überbrücken. Neben verhaltenen Ansagen, zumindest mittelfristig die Energieversorgung auf lokale Quellen umzurüsten und den Energieumbau voranzutreiben, bedeutet die Entwicklung eines Krieges, der an verschiedenen Fronten geführt wird und der plötzlich auch die Sicherheit fernab der Frontlinien zu betreffen scheint, einen Umbau der Versorgungsnetze und den Bezug von Gas aus anderen Quellen.
Monate später, die Vorratsspeicher sind voll, der Gaspreis mittlerweile wieder auf ein Fünftel der Preise des Sommers gefallen, kreuzen LNG-Tanker mit Flüssiggas im Wert von mehreren Milliarden Dollar an Bord im Mittelmeer. Entladen werden sie vorerst nicht. Sie warten darauf, dass die Füllstände der Speicher sich senken, die gedrosselte Produktion, vor allem jene von Stahl und Beton (die Bauindustrie stellt einen der größten Energiekonsumenten dar) wieder hochgefahren wird: Sie warten, dass die Preise wieder in die Höhe gehen.
Dieser kurze Abriss des Diskurses über die Knappheit von Gas des letzten halben Jahres ist sicher subjektiv und unvollständig. Doch er bietet ein aktuell greifbares und viele in Europa direkt betreffendes Beispiel, das exemplarisch zeigt, wie sehr Knappheit gleichzeitig eine Bedrohung und eine Wirklichkeit für das Zusammenleben darstellt. Er verdeutlicht, wie sehr Knappheit als Grundannahme des dominanten ökonomischen Denkens und Handelns unsere politische, ökologische Zukunft beeinflusst. Er veranschaulicht, wie real und wie konstruiert zugleich Knappheiten und Abhängigkeiten sind: Der Mangel von Gas ist insofern real und bedrohlich, weil zum Beispiel in Wien die Fernwärme zu zwei Drittel mit Gas produziert wird. Diese Knappheit muss jedoch als konstruiert verstanden werden, weil dieser Abhängigkeit von Gas eine (unternehmerische) Entscheidung vorausgegangen war, aber auch, weil die Knappheit von Gas schlussendlich nur eine Prognose darstellte.
Signifikant in diesem Beispiel ist aber noch etwas anderes: wie sehr Knappheit oftmals als unausweichliche Tatsache hingenommen wird und wie darauf reagiert wird (oder werden kann). So blieb es in den Debatten des letzten halben Jahres auffallend ruhig im Bezug auf die notwendigen Lösungen zur Energiewende und damit auch hin zu neuen Businessmodellen. Vielleicht liegt es eben darin, dass Knappheit – gemeinhin verstanden als neutraler (ökonomischer) Begriff und damit als unabänderlicher Mangel – ein negatives und begrenzendes Verständnis bedingt, das direkt mit Verzicht in Verbindung gebracht wird und uns somit hemmt, darüber hinaus zu denken.
Es ist die behauptete „Wissenschaftlichkeit“, die diesem ökonomischen Begriff seit jeher eine absolute und unentrinnbare Aura verlieh. Bereits die erste Darstellung von Knappheit 1805 durch Thomas Robert Malthus stellte ein behauptetes exponentielles Bevölkerungswachstum einer linear wachsenden Nahrungsmittelproduktion gegenüber und suggerierte einen absoluten Punkt, ab dem es unausweichlich zu einer Hungersnot kommen würde. Ausschließlich rigorose Bevölkerungskontrollen und radikale Einsparungen würden es ermöglichen, den prognostizierten Mangel zu vermeiden, so die Schlussfolgerungen Malthus‘. Er gilt damit als einer der Begründer der Lehre der Ökonomie, der sein Bevölkerungsgesetz aber tatsächlich als politische Polemik gegen einen Optimismus entwarf, der sich in der Folge der französischen Revolution ausbreitete.
Der Begriff und insbesondere der Umgang mit der Knappheit wandelte sich über die Zeit hinweg. Regelten im Feudalismus noch wechselseitige Verpflichtungen und Verbote die Verteilung von Nahrungsmittel zwischen Adel und Bauern, entwickelten sich im Merkantilismus systematische Instrumente, mit denen der Staat die komplette Nahrungsmittelproduktion und -verteilung übernahm, um ein Gleichgewicht in der Verteilung zu garantieren, also allfällige Knappheiten zu verwalten und damit die Bevölkerung zu befrieden. Diese durchdachte Verwaltung schützte jedoch nicht vor Missernten oder Dürren und kam schlussendlich zunehmend in die Kritik. Im aufkommenden Liberalismus des 19. Jahrhunderts und seiner Laissez-faire-Doktrin war die Ideologie, die Versorgung zunehmend dem freien Markt zu überlassen, der von einer „unsichtbaren Hand“ geleitet würde.
In der darauffolgenden ungleichen Entwicklung der Weltwirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts entstand damit eine uneinheitliche Geografie der Knappheit, die verschiedene Teilgruppen menschlicher Gesellschaften bis heute jeweils anders betrifft. Und schenkt man den Argumenten einer dominanten liberalen Wirtschaftsgeschichte Aufmerksamkeit, sind deren Bewohner:innen selbst für ihre Misere verantwortlich. Vollständig überzeugen konnten diese Behauptungen nicht: Zwischen verschiedenen ökonomischen Denkschulen bestand und besteht ein langandauernder, letztlich ungelöster Konflikt. Und die Wirklichkeit des von technologischer Entwicklung, wirtschaftlichen Krisen, von städtischem Wachstum und Krieg geprägten 19. und frühen 20. Jahrhunderts machte zahlreiche Interventionen notwendig: etwa in die Produktion, in Energiemärkte, in die Nahrungsmittelversorgung oder ins Wohnen. Diese Einigung über notwendige regulierende Eingriffe wich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend der Vorstellung vom Markt als idealem Verteilungsinstrument und der fortschreitenden Kommodifizierung sämtlicher Lebensbereiche.
Mit dem Ende des Bretton-Woods Abkommens in den 1970er-Jahren und der damit einhergehenden Auflösung der gegenseitig fixierten Wechselkurse in Relation zu den Goldreserven nahm der Liberalismus sowie das Verständnis von und der Umgang mit Knappheit eine weitere Wendung. Knappheit nahm eine geradezu phantasmatische, von den realen Produkten abgekoppelte Gestalt an. Knappheit ist heute das Ergebnis einer bis dahin unbekannten Form immaterieller Spekulationen.
War Knappheit historisch, in vorindustriellen Zeiten, eng mit der Getreide- und Lebensmittelproduktion verknüpft und damit auch zu einem bestimmten Grad immer abhängig von unbeeinflussbaren, „transzendenten“ Wetterereignissen, so wird im Laissez-faire-Modell im Zuge der Industrialisierung Knappheit weiter gefasst und zunehmend individualisiert. Seit den 1970er-Jahren entwickelt Knappheit dann eine ungeahnte Dynamik durch die virtuelle Auflösung von Grenzen in der Spekulation an den Börsen, die in der Realwirtschaft neue soziale Ungleichheiten sowie unsoziale Formen des Wirtschaftens und der nicht nachhaltigen Gewinnung von Rohstoffen und biologischen Produkten befeuerte.
Diese ökonomische Dynamik, die sich über das Schüren von immer neuen Bedürfnissen perpetuiert, zeigt jedoch auch, dass Knappheit in Abhängigkeit zu ihrer jeweiligen Umgebung steht. Dies macht klar, dass Knappheit einen relationalen Charakter hat und damit eine andere als die absolute Deutung von Mangel möglich ist. Knappheit ist also stets in Beziehung zu ihrem Kontext und der Art ihrer Erzeugung zu betrachten.
Dieses relationale Verständnis hat Parallelen zu avancierten Diskussionen in der politischen Geo-grafie, wie sie etwa von Neil Smith oder David Harvey vertreten werden. Entgegen einem absoluten Verständnis von Raum, der als unveränderlich und statisch wahrgenommen wird, der lediglich vermessen werden kann und in dem Dinge hin- und herbewegt werden können, konstituiert sich ein relationaler Raum immer erst im Zusammenhang mit (sozialen) Prozessen. Im Verständnis von Harvey gibt es in einem solchen Verständnis keinen Raum und keine Zeit außerhalb dieser Prozesse.
Ein solches Verständnis bedeutet, dass die Architektur (und die Bauindustrie) diese definierenden Prozesse des Raumes wie der Knappheit mitkonstruiert, eröffnet aber gleichzeitig auch die Möglichkeit einer Perspektive auf einen anderen Umgang, eine andere Praxis. Geht man von einem absoluten Knappheitsbegriff aus, bleibt nur der Imperativ von Einsparung und Kontrolle, also Verzicht. Versteht man hingegen Knappheit als etwas Konstruiertes und Kontextuelles, als Herausforderung, eröffnen sich neue Perspektiven. Knappheit wandelt sich von einer Bedrohung zu einer Chance.
Doch um diese Chance wahrzunehmen, gilt es, überholte Vorstellungen von Fortschritt und Wachstum hinter sich zu lassen, um die sich das Design der Knappheit bisher stets gedreht haben. In anderen Worten, wir müssen uns von dem bekannten Bild eines Graphen als Sinnbild des Fortschritts und Wachstums verabschieden, dessen Ideal sich als gerade Diagonale von links unten nach rechts oben entwickelt, der Wachstum beschreibt und austauschbar das Bruttosozialprodukt, den Lebensmittelkonsum, oder die Wohnungsgröße darstellt. Wie zum Beispiel in der Statistik zur Wiener Wohnungssituation: Seit den 1920er-Jahren wuchs die Quadratmeterzahl pro Person linear um das Vierfache. Die inhärente Fortschritts- und Wachstumslogik suggeriert hier implizit, dass der Flächenverbrauch idealerweise weiterhin steigen wird. Fortschritt und damit Wohlstand hieß, dass Wohnungen immer größer werden mussten. Trotz der Kritik an der Vorstellung und trotz alternativer Modelle löst sich unsere Denkweise, unser Wirtschaften und auch unser Entwerfen nur schwer von der bereits falsifizierten Idee des linearen Fortschritts und des ewig wachsendem Wohlstands.
Aber es bieten sich durchaus auch andere Perspektiven an, die zeigen, dass an der heute gängigen Praxis von Ökonomie und ihrer dominanten Ideologie als „rationaler“ Wissenschaft zur Steuerung von Geld- und Ressourcenflüssen sowie ihrer Vorstellung von starren, voneinander getrennten Systemen nichts natürlich ist und die andere Denkansätze zur Knappheit eröffnen. So bezeichnet der altgriechische Begriff „oikos“ die Hausgemeinschaft als ein System, in dem die knappen Ressourcen in einem zyklischen Modell aus Jahreszeiten, Lagerung und Verteilung verwaltet werden. Es ist ein Denkmodell, in dem Ökonomie und Ökologie eng geführt werden. Es ermöglicht damit ein relationales, geschichtliches und kontingentes Verständnis der Welt, das auf der Beschreibung komplexer interagierender Systeme fußt und mithin umwelt- und raumpolitische Bewegungen der letzten 50 Jahre beeinflusst hat.
Im ökologischen Blick auf Knappheit wird die Einbindung des Verbrauchs von Ressourcen und die Erzeugung unterschiedlichster Knappheiten in ein System stofflicher und sozialer Prozesse sichtbar. So kann man verstehen, wie Knappheit in makroökonomischen und geopolitischen Maßstäben seine Ursache hat, sich jedoch auf Mikroebenen manifestiert und wie umgekehrt sich zum Beispiel die Addition kleiner oder lokaler Knappheiten überregional auswirkt. Dieser systemische Charakter der Knappheit zeigt, dass Designer:innen und Architekt:innen sich vom Schema eines linearen Problemlösungshandelns verabschieden müssen. Jede „Lösung“ des Problems der Knappheit bleibt höchst unvollständig, beachtet sie doch zumeist nicht deren eigentliche Hintergründe.
Anstatt zu versuchen, Knappheit durch Design zu beseitigen, liegt nahe, ihr anders zu begegnen, sie anders zu verstehen – eben als eine Beschränkung, mit der es sinnvoll umzugehen gilt. Wir sollten uns fragen, ob es überhaupt notwendig ist, ein bestimmtes Gebäude zu bauen. Es ginge aber auch darum, gegebene Parameter für die bestmögliche Umsetzung eines Projektes zu hinterfragen. Wären andere Maßstäbe denkbar? Und welche kontextuellen Kräfte sind für die jeweilige Knappheit verantwortlich? Jede dieser Fragen fordert von uns, den Rang der Knappheit als his-torische, a priori gegebene Wahrheit infrage zu -stellen. Und nicht zuletzt fordert ein relationaler Ansatz, die systemische Relevanz und Auswirkung von Knappheit zu beachten.
Dass das Einlassen auf die von Knappheiten aufgeworfenen Beschränkungen produktiv sein kann, zeigen Experimente der frühen Moderne, die sich unter anderem mit Fragen der (Um-)Verteilung oder dem minimalen Wohnen widmeten. Im Rückblick zeigen diese aber auch die Vereinnahmung und Verkehrung durch das aktuell dominante ökonomische System.
Im Umgang mit knappen Ressourcen wurden räumliche und gestalterische Werte geschaffen, die eine neue kollektive Sprache der Architektur und Gestaltung gründeten. Werte, die in heutigen dominanten, kapitalistischen Narrativen verkehrt werden und wirken: Mies van der Rohes’ Diktum „Weniger ist mehr“, dessen Praxis ein ästhetisches Prinzip der Gestaltung war, wurde zum ökonomischen Imperativ erhoben, dessen oberstes Ziel das (Ein-)Sparen von Mittel zum Zwecke der Gewinnmaximierung ist und in einer weiteren Wendung Anfang der 2010er-Jahre auch noch als „minimalistischer“ Stil für die Politik der Austerität fungierte, die jedoch jede räumlich-organisatorische Problemlösung dem Markt überließ.
Dieses Beispiel zeigt das Paradox einer jeden gestalterischen Praxis, auch im Umgang mit Knappheit. Eine lineare, allzu einfache Problemlösung führt unweigerlich zu neuen, verschobenen oder anders gelagerten Problemen. Ein erfolgreiches Design wird unweigerlich in der Wiederholung von der bestehenden Dynamik von Bedürfnisgenerierung und -stillung vereinnahmt und verkehrt. Ein Design kann der guten Intention folgend ein bestimmtes, lokal isoliertes Problem lösen und damit andere und neue Probleme gründen oder verschärfen. Das Design und die Architektur sind an der Entstehung von Knappheiten nicht nur durch ihren Fetischcharakter aktiv beteiligt. Dies müssen wir uns eingestehen. Neue und oftmals nichtlineare Strategien im Entwurf, neue Formen der Kollaboration und auch der Partizipation schließen dabei nicht aus, vereinnahmt und verkehrt zu werden.
Wir halten es für unumgänglich, unsere Rolle als Planer:innen und Gestalter:innen unserer Umwelt, der Prozesse des gemeinsamen Zusammenlebens von Grund auf neu zu denken. Um eine solche, andere Praxis zu entwickeln, wird es notwendig sein, sich der eingangs beschriebenen, konstanten Reproduktion von Knappheit als einer gesellschaftlich geschaffenen Wirklichkeit gewahr zu werden, die den Kontext unseres Handelns herstellt. Zugleich wird es notwendig, sich von einem Denksystem zu lösen, dass diese Knappheit absolut setzt, als einen unausweichlichen Mangel, dem wir ergeben sind. Möglich wird das nur, wenn wir uns – anstatt dem Mangel – unseren Bedürfnissen und Wünschen zuwenden. Nicht jenen der Einzelnen, sondern den gemeinsamen Wünschen; wenn wir Prozesse in Bewegung setzen, die uns erstrebenswert und sinnvoll erscheinen: eine Wunschproduktion eines anderen und besseren gemeinsamen Lebens. Denn nimmt man Knappheit als unveränderliches Naturgesetz hin, so rechtfertigt sie von vornherein jede Ungleichheit. Auch die unterschiedlichen Versuche, die Strukturen der Knappheit zu verändern, Waren und Kapitalflüsse anders zu gestalten und zu verteilen, vermögen nichts gegen die Setzung von Knappheit, verstanden als unabhängige, ewige Wahrheit, auszurichten. Wenn Knappheit auf der Ebene des Naturwüchsigen und Ursprünglichen angesiedelt wird, gibt es vermeintlich keinerlei Ungleichheit: So ist eben die Natur. Dieser scheinbaren Zwangsläufigkeit der Ungleichheit lässt sich nur entkommen, wenn das Design von Knappheit und Mangel unmissverständlich herausgestellt und entsprechend gehandelt wird und der Knappheit der kollektive Wunsch vom anderen Leben entgegengestellt wird.↓
Referenzen und Literatur
Dieser Text basiert auf Argumenten des mit Jon Goodbun und Jeremy Till kollaborativ verfassten, bei Strelka Press erschienenen Buches „The Design of Scarcity” (2017 bei adocs „Das Design der Knappheit“).
David Harvey, „Raum als Schlüsselbegriff“, in: ders., Räume der Neoliberalisierung, Hamburg 2007, S. 125-157, hier S. 130.
Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I und II, Vorlesungen am Collège de France 1977/78 und 1978/79, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004,
Deuleuze und Guattari: Anti-Ödipus: Kapitalismus und Schizophrenie I, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000
J.K. Gibson-Graham: A Postcapitalist Politics, University of Minnesota Press: 2006
Autoren: Michael Klein,
arbeitet an den Schnittstellen zwischen Architektur, Kunst, Urbanismus und Theorie, derzeit in der Abteilung Wohnbau und Entwerfen der TU Wien, für dérive – Zeitschrift für Stadtforschung sowie für die Österreichische Gesellschaft für Architektur. Seine Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen Wohnen und Alltagsleben, Planung und Design, Stadt, Geschichte, politische Theorie und Vermittlung. Autor und Herausgeber versch. Bücher, Textbeiträge für u.a. Arch+, dérive, krisis – journal of contemporary philosophy, oder NZZ
Foto: Michael Klein
Andreas Rumpfhuber, praktizierender Architekt und Theoretiker mit Arbeitsschwerpunkten Neue Formen der Arbeit und des Wohnens sowie Wechselbeziehung von Architektur und Ökonomie. Zuletzt Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Zur Zeit realisiert er einen geförderten Wohnungsbau in Wien. Autor und Herausgeber versch. Bücher, Textbeiträge für u.a. AA Files, Arch+, Footprint, The Guardian oder Der Standard
Foto: Katarina Šoškić