Von der Ehrlichkeit der Konstruktion

Mehrzweckhalle Ingerkingen

Hier geschah Upcycling im besten Sinne – im oberschwäbischen Ingerkingen hat eine schlichte Mehrzweckhalle nach ihrer Sanierung und Erweiterung eine völlig neue Ästhetik erhalten. Und das, obwohl Architekten und Tragwerksplaner den Großteil des Bestands bewahrten und mit einem eleganten Holztragwerk ergänzten.

Die Aufstockung und Erweiterung in leichter Holzrahmenbauweise wird mit einer hinterlüfteten
Holzfassade ablesbar gemacht. Insbesondere an der West- und Nordfassade wird so die Baugeschichte
der Halle erzählt
Foto: Brigida González

Die Aufstockung und Erweiterung in leichter Holzrahmenbauweise wird mit einer hinterlüfteten
Holzfassade ablesbar gemacht. Insbesondere an der West- und Nordfassade wird so die Baugeschichte
der Halle erzählt
Foto: Brigida González

Die kleine Gemeinde Ingerkingen südwestlich von Ulm hatte im Wettbewerb offengelassen, ob die bestehende Mehrzweckhalle in eine Neukonzeption integriert oder einem Neubau weichen sollte. In direkter Nachbarschaft zu Grundschule, Musikerheim und Feuerwehr ist die Halle Zentrum des Dorf­lebens. Neben dem Schulsport dient sie den ortsansässigen Vereinen als Treffpunkt, Veranstaltungs- und Trainingsort. Sie wurde 1964 nach den Plänen der Architekten Pfalzer und Schenk als Schulsporthalle errichtet. Nach ihrer Fertigstellung wurde sie mehrfach umgebaut und zu einer Mehrzweckhalle mit Bühne erweitert. Bei dem 2020 ausgeschriebenen Wettbewerb setzte sich Atelier Kaiser Shen (Stuttgart) mit dem Entwurf eines maximalen Bestandserhalts durch und bewahrte so die Mehrzweckhalle vor dem Abriss.

Die große Dachauskragung vor der Südfassade erzeugt eine wettergeschützte Terrasse, die bei gutem Wetter direkt mit der Halle verbunden werden kann
Foto: Brigida González

Die große Dachauskragung vor der Südfassade erzeugt eine wettergeschützte Terrasse, die bei gutem Wetter direkt mit der Halle verbunden werden kann
Foto: Brigida González

Wenngleich der Bestandsbau keinen herausragenden künstlerischen Wert besaß, suchte Atelier Kaiser Shen unter der Projektleitung von Kilian Juraschitz einen pragmatischen Umgang damit. Sie interessierte das Potenzial des Um- und Weiterbauens. Dabei hatten sie das Bild einer zerbrochenen Porzellanschüssel vor Augen, die, nach asiatischem Vorbild mit Goldlack repariert, erst ihre unverwechselbare Ästhetik erhält.  Um den Abriss auf ein Minimum zu reduzieren, wurden Fundamente und Bodenplatte, Decken und die massiven Wände im nördlichen Teil sowie der straßenseitige Bühnentrakt in die Planung integriert.

So blieb insgesamt 60 % der Baumasse erhalten. Da die Hallenlänge des Vorgängerbaus exakt den DIN-Anforderungen einer Einfeldsporthalle entsprach, musste allein die ­Südfassade rückgebaut und versetzt werden. So entstand mit wenigen Eingriffen eine normgerechte Halle.

Hinter der durchlaufenden Lattung an der Nordfassade verbergen sich Fenster, Lüftungsauslässe und die Wartungstüren der Lüftungsanlage. Somit wirkt die Aufstockung und Erweiterung wie ein monolithisches Holzvolumen, das den verputzten Bestand umfasst
Foto: Brigida González

Hinter der durchlaufenden Lattung an der Nordfassade verbergen sich Fenster, Lüftungsauslässe und die Wartungstüren der Lüftungsanlage. Somit wirkt die Aufstockung und Erweiterung wie ein monolithisches Holzvolumen, das den verputzten Bestand umfasst
Foto: Brigida González

Einhüftiger Zweigelenkrahmen

Der Bestandserhalt konnte nur durch die Entwicklung eines innovativen Tragwerks realisiert werden. Hierzu holten sich Atelier Kaiser Shen das Stuttgarter Tragwerksplanungsbüro str.ucture mit an Bord. Entwurfsprägend war, die Schräge der Bestandsgiebelwand aufzunehmen. „Die Leitidee war, das Holztragwerk so zu konzipieren, dass sich die Lasten auf die neuen Fundamente in der Achse der Fassade konzentrieren und wir geringere Auflagerlasten im Bereich des Bestands absetzen“, sagt Julian Lienhard, Partner bei str.ucture.

Dazu ist ein einhüftiger Zweigelenkrahmen aus Brettschichtholz auf Stahlbetonstützen aufgelagert, die in den Bestand eingestellt sind. Aufgrund der Trägergeometrie und der biege­steifen Rahmenecke werden rund 60 % der Vertikal- und alle Horizontallasten in die neuen Fundamente im Süden eingeleitet. Die Hallenrahmen geben lediglich 40 % der Vertikal- und keine Horizontallasten an den Bestand ab. Durch dieses Tragwerk konnten die bestehenden Fundamente erhalten und die Lasten trotz erhöhter Spannweiten aufgenommen werden.

Die Binder zeichnen mit einer geschwungenen Unterseite den Momentenverlauf nach. Sie liegen mit einer Schattenfuge auf den Betonstützen auf
Foto: Brigida González

Die Binder zeichnen mit einer geschwungenen Unterseite den Momentenverlauf nach. Sie liegen mit einer Schattenfuge auf den Betonstützen auf
Foto: Brigida González

Binder-Ausführung und Schattenfuge

Auch die Ausführung der Zweigelenkrahmen ist material­optimiert entwickelt: Die Stützen weiten sich trapezförmig zur biegesteifen Rahmenecke und die Binder zeichnen mit einer geschwungenen Unterseite den Momentenverlauf nach. Sie liegen mit einer Schattenfuge leicht auf den Betonstützen auf und rhythmisieren den Hallenraum. Die Ausbildung der Rahmenecke in ihrer Einfachheit sei besonders, sagt Projektleiter Philipp Längst, der ebenfalls Partner bei str.ucture ist. Im Holzbau ist man oft mit Zangenkonstruktionen unterwegs, wo an der biegesteifen Ecke entweder die Stütze oder der Riegel aufgelöst wird. „Aber hier haben wir eine ganz schlichte, reduzierte Verbindungsvariante entwickelt“, so Längst. Dies sei auch dem Architekturteam ein großes Anliegen gewesen. In den Rahmenecken verstecke sich viel Technik. Die Gewindestangen wurden 90 cm tief eingeklebt. Hier habe man sich knapp an den ausführbaren Parametern bewegt. Denn 90 cm war das Maximum, was das Werk, das die Binder hergestellt hat, habe bohren können.

Rund 60 % des Bestands der alten Halle blieb erhalten
Foto: str.ucture GmbH

Rund 60 % des Bestands der alten Halle blieb erhalten
Foto: str.ucture GmbH

Dachauskragung mit mehreren Funktionen

Die Dachauskragung vor der Südfassade erzeugt eine wettergeschützte Terrasse, die bei gutem Wetter direkt mit der Halle verbunden werden kann. In frühen Wettbewerbsmodellen gab es den Überstand noch nicht, der kam erst später hinzu. Er hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen entlaste er durch das Eigengewicht der Auskragung das Feld. Der Querschnitt konnte optimiert werden und gleichzeitig wurden dadurch auch Holzschutzmaßnahmen umgesetzt. Die Wippe nimmt noch einmal Last von der Bestandachse runter. „Das war eine Win-Win-Win-Situation“, so Philipp Längst. Das eigentlich Innovative ist aber, wie sich bei diesem hybriden Tragwerk alles zusammenfügt: der Bestand, der instandgesetzte Beton – teilweise mit Carbonfaser-Lamellen als Verstärkung der Zugbewehrung – sowie Mauerwerks- und Holzbauelemente in verschiedener Form.

Durch ein innovatives Tragwerk konnten die bestehenden Fundamente erhalten und die Lasten trotz erhöhter Spannweiten aufgenommen werden
Foto: Atelier Kaiser Shen

Durch ein innovatives Tragwerk konnten die bestehenden Fundamente erhalten und die Lasten trotz erhöhter Spannweiten aufgenommen werden
Foto: Atelier Kaiser Shen

Überzeugende Lebenszyklusanalyse

In den LPH 1-2 ging es zunächst darum, ob der Bestand überhaupt erhalten werden könnte. Dazu wurde zunächst viel beprobt, aufgemessen und nachgerechnet. Im Bereich des neuen Aufzugskern z. B. wäre der Bestanderhalt zu aufwändig gewesen, hier wurde zurückgebaut, erinnert sich Längst. Dass im Rahmen der Tragwerksanalyse auch eine Lebenszyklus­analyse gemacht wurde, war eine entscheidende Argumentationsgrundlage für den Erhalt des Bestandsbaus. Der Erhalt der grauen Energie und der CO2-Fußabdruck habe zum Umdenken des Gemeinderats geführt. Aber auch die emotionale Bindung vieler Dorfbewohnerinnen und -bewohner an die Halle habe eine Rolle gespielt, erinnert sich Lienhard.

Innere Werte: die biegesteife Rahmen­ecke mit eingeklebten Gewindestangen
Foto: str.ucture GmbH

Innere Werte: die biegesteife Rahmen­ecke mit eingeklebten Gewindestangen
Foto: str.ucture GmbH

Herausforderungen bei den Verbindungen

Ursprünglich sollte der Hallenrahmen statt auf Stahlbetonstützen auf Holzstützen stehen. Aber dann wären die Anschlüsse der Bestandsmauer und der Brandschutz in der Ausführung zu kompliziert geworden. So wurden es letztlich Ortbetonstützen. Diese wiesen jedoch eine gewisse Toleranz auf. Dass man das Holztragwerk in die Köcherfundamente an den Fußpunkten und die Stützen in der Achse am Übergang zum Bestand einfügen konnte, war noch mal ein spannender Punkt. Die Stahlbetonköcher sind in der Flucht mit den Querschnittkanten der Holzstützen gesetzt. Dazu mussten die Kanten noch einmal nachbearbeitet werden. Man hat die Ausführung der Stahlbetonstützen mit erhöhten Toleranzanforderungen ausgeschrieben, anschließend nochmal ein Aufmaß gemacht und dann den Kopfanschluss so ausgeführt, dass der darauf reagieren konnte. Wichtig war immer, dass die Stütze und der Sockel in einer Flucht lagen. Die Schattenfuge ist 1 cm stark, mit dem bloßen Auge sieht man nicht, dass es da Versätze gibt. Mit Blick auf die Wärmebrücken haben die Tragwerksplaner es umgangen, mit Stahlbetonbauteilen von innen nach außen zu arbeiten. Das ist immer mit konstruktivem Holzbau gelöst worden, da das Brettschichtholz dies gut zulässt.

Lageplan, M 1 : 3 000

Lageplan, M 1 : 3 000

Umgang mit den Querschnitten

Die Fischbauchträger haben Tragwerksplaner und Architekten gemeinsam entwickelt. Auch dies ist keine Designentscheidung gewesen. „Wir sprechen da gern von der Ehrlichkeit der Konstruktion: Wir bauen nichts aus Gestaltungsgründen dazu, sondern zeigen die Materialität und die Elemente, wie sie erforderlich sind für eine Konstruktion, die Dauerhaftigkeitsanforderungen und statische wie bauphysikalische und technische Erfordernisse erfüllt, die daneben aber auch eine ästhetische Qualität mit sich bringt“, erläutert Längst. Vor den ersten und den letzten Rahmen, die nicht durch einen Dachüberstand vor der Witterung geschützt sind, habe man eine hinterlüftete Opferholzschicht vorgehängt, welche die konstruktiv aufwendigen Bauteile schütze. Dies sei lange diskutiert worden, sei aber letztlich kaum zu sehen.

Grundriss EG, M 1 : 500
1 Einfeldhalle
2 Bühne
3 Foyer
4 Küche/Theke/Kühlraum
5 Geräteraum
6 Technik
7 Stuhllager
8 Umkleide
9 Vereinsraum

Grundriss EG, M 1 : 500
1 Einfeldhalle
2 Bühne
3 Foyer
4 Küche/Theke/Kühlraum
5 Geräteraum
6 Technik
7 Stuhllager
8 Umkleide
9 Vereinsraum

Überraschungen im Bauprozess

Beim Aufmaß stellten die Tragwerksplaner fest, dass das Bestandsgebäude um zwei Achsen länger gebaut worden war als in den Unterlagen dokumentiert. Als bereits Teile abgebrochen wurden, kamen noch weitere Überraschungen hinzu. So waren Betonbauteile zum Teil 5 cm dicker ausgeführt worden als in den alten Unterlagen dokumentiert. Bei den drei Beprobungsterminen stellte sich zudem heraus, dass die
Tragfähigkeit der Deckenfelder laut Aktenstudium einer ­Auf­stockung nicht gewachsen gewesen wäre. Proben ergaben jedoch, dass die Decken 18 cm statt der dokumentierten 14 cm dick waren und dass die Bewehrung an der richtigen Stelle lag, erinnert sich Projektleiter Längst.

Bauphasen, M 1 : 500

Bauphasen, M 1 : 500

Alt und Neu ergänzen sich

Innen wie außen sind Bestand und Neubau durch ihre Konstruktion und Materialisierung gewollt ablesbar. Der massive Bestand wurde gedämmt und entsprechend dem Original verputzt. Die Aufstockung und Erweiterung wird mit einer hinterlüfteten Holzfassade ablesbar gemacht. Insbesondere an der West- und Nordfassade wird so die Baugeschichte der Halle erzählt. Die bestehende Giebelwand wird Richtung Süden erweitert und mit zwei gegenläufigen Pultdächern der Aufstockung und des Hallendachs überbaut. Im Norden wird die durchlaufende Linie zwischen Alt und Neu nur durch die neue Türe des Sportlereingangs und einer leichten Stahltreppe getrennt. Der Versatz von rund 12 cm, der aus der schlankeren Wandkonstruktion im Holzrahmenbau im Vergleich zum außen gedämmten Mauerwerk resultiert, schärft die Plastizität des Bauwerks zusätzlich.

Schnitt BB, M 1 : 500

Schnitt BB, M 1 : 500

Unbehandelte Holzfassade

Die Boden-Leisten Schalung wurde in Fichtenholz aus unbehandelten, säge­rauen Standardprofilen mit 60/40 mm erstellt, die günstig und austauschbar sind. Die Leisten sind immer in Nord-Süd Richtung verbaut – also am West- und Ostgiebel liegend und an der Nord- und Südfassade stehend. So wird die Plastizität weiter gesteigert und der Lichteinfall variiert. Hinter der durchlaufenden Lattung verbergen sich Fenster, Lüftungsauslässe und die Wartungstüren der Lüftungsanlage. Somit wirkt die Aufstockung und Erweiterung wie ein monolithisches Holzvolumen, das den verputzten Bestand umfasst. Die Wahrnehmung der Holzfassade wandelt sich mit dem Standpunkt des Betrachtenden. Je frontaler sich dieser zu der Nordfassade befindet, desto sichtbarer werden die Fenster hinter der Holzlattung. Im Laufe der Zeit wird die unbehandelte Holzfassade vergrauen.

Schnitt AA, M 1 : 500

Schnitt AA, M 1 : 500

Geschichte auch im Innern ablesbar

Im Inneren ergibt sich ein einheitlicher Raumeindruck. Doch auch hier sind die Zeitschichten sichtbar. So sind im Bühnenraum bauzeitliches Mauerwerk, Reparaturen und Ergänzungen aus Hochlochziegeln und Beton unverputzt und mit einer Kalkschlämme egalisiert. Die glatt verspachtelten Oberflächen der Holzrahmenbauwände lassen die Aufstockung und Erweiterung erkennen. Der Bühnenzugang erfolgt durch die halb­hohe ehemalige Außenwand, deren Bestandsputz eindrücklich die Geschichte des Weiterbauens erzählt. In dieser räumlichen Situation wird die Verbreiterung der Halle, die bereits von außen erahnt werden kann, erlebbar. Auch die sichtbar belassene Schnittkante der ehemaligen Treppe im anschließenden Stuhllager erzählt von der Geschichte der Halle.

Querschnitt Anschluss Binder-Stütze, M 1 : 20
1 je Seite 2 x 2 Gewindestangen M16 mm FKL 8.8 mit Mutter und Kontermutter
2 Mutter bündig an OK Aussparung, Ausgleich mittels U-Scheiben bis Flansch Stahlbauprofil
3 Langloch 18 x 25 mm
4 zug- und druckfester Anschluss an das Blech mit Mutter M16 + UScheibe
5 Stütze BSH Gl24c, b = 240 mm
6 Frästasche zumJustieren vorsehen
7 Binder BSH Gl24c, b = 240 mm
8 T-Profil Stahl S355
9 Abdeckung aus Holz
10 je 2 x VGS-Z Ø12-380 mit Winkelscheiben

Querschnitt Anschluss Binder-Stütze, M 1 : 20
1 je Seite 2 x 2 Gewindestangen M16 mm FKL 8.8 mit Mutter und Kontermutter
2 Mutter bündig an OK Aussparung, Ausgleich mittels U-Scheiben bis Flansch Stahlbauprofil
3 Langloch 18 x 25 mm
4 zug- und druckfester Anschluss an das Blech mit Mutter M16 + UScheibe
5 Stütze BSH Gl24c, b = 240 mm
6 Frästasche zumJustieren vorsehen
7 Binder BSH Gl24c, b = 240 mm
8 T-Profil Stahl S355
9 Abdeckung aus Holz
10 je 2 x VGS-Z Ø12-380 mit Winkelscheiben

Technik als gestalterisches Element

Das Energiekonzept basiert auf der Reduktion von technischen Einbauten und deren einfacher Revisionierbarkeit. Unter Berücksichtigung der natürlichen Belüftung wurde die Lüftungsanlage auf ein notwendiges Minimum reduziert und weitestgehend als Sichtinstallation ausgeführt. Die Metallkonstruktionen für Tore, Sportgeräte und Bühne sowie sämtliche technischen Einbauten sind einheitlich schwarz lackiert. Die Schichtung der technischen Einbauten ermöglicht einerseits eine einfache Wartung und wird andererseits zum gestalterischen Element – so auch bei der revisionierbaren Deckenbekleidung in Foyer und Treppenraum, bei der sämtliche Elektroinstallationen sichtbar in die offenen Fugen gesetzt wurden.

Baustoffe sortenrein trennbar

Den Beweis der Vorzüge von trennbaren Konstruktionen lieferten die Nutzerinnen und Nutzer selbst. Um Kosten zu sparen, wurde die alte Halle vorab von örtlichen Vereinen ehrenamtlich entkernt und ausgebaute Sanitärobjekte sowie die Kücheneinrichtung weiterverkauft. Auch die Leistenschalung der ehemaligen Holzbekleidung des Hallenraums fand als Fassade einer nahegelegenen Waldhütte eine zweite Nutzung. Atelier Kaiser Shen wählten bei der Sanierung die Materialien und Fügungen so, dass ein Großteil der Baustoffe bei einem möglichen Rückbau sortenrein trennbar und in die Kreislaufwirtschaft zurückgeführt werden können.


Übertragbar auf viele Hallen

Bei der Mehrzweckhalle Ingerkingen zeigen Architektur- und Tragwerksbüro die Vorteile einer behutsamen Sanierung und Erweiterung im Vergleich zu einem Neubau. Neben der im Bauwerk gebundenen grauen Energie und dem Erinnerungswert des Gebäudes bietet der Dialog zwischen Alt und Neu einen ästhetischen Mehrwert. Im gesamten Gebäude prägt das Holztragwerk so den architektonischen Entwurf. Im Vergleich zu einem möglichen Ersatzneubau stellte sich die Sanierung der Mehrzweckhalle Ingerkingen zudem als wirtschaftlicher heraus. Somit kann sie als Vorbild für viele sanierungsbedürftige Hallen in Deutschland dienen.

Heide Teschner/DBZ

Ein effizientes Holztragwerk ermöglicht die Rettung von mehr als der Hälfte der Bausubstanz. Die neuen Zweigelenkrahmen aus Brettschichtholz leiten Lasten gezielt in neue Fundamente und entlasten den Bestand. So entsteht ein gelungenes Zusammenspiel aus Alt und Neu – technisch präzise gelöst und gestalterisch überzeugend mit Wiedererkennungswert.«
DBZ-Heftpartner Schöne Neue Welt Ingenieure, Berlin

Baudaten

Objekt: Mehrzweckhalle Ingerkingen

Standort: Schlägweidestraße 2, 88433 Schemmerhofen

Typologie: Mehrzweckhalle (mit Vereinsraum)

Bauherr/Nutzer: Gemeinde Schemmerhofen

Architektur: Atelier Kaiser Shen, www.atelierkaisershen.de

Team: Kilian Juraschitz (Projektleitung), T.T. Prof. Florian Kaiser, Guobin Shen († 2024), Matthias Stauch, Johannes Schreiner, Tim Kölle, Patrick Schneider

Bauleitung: Markus Lerch

Bauzeit: November 2021-Juli 2024

Grundstücksgröße: 20 200 m²

Nutzfläche: 1 064,87 m²

Technikfläche: 83,39 m²

Verkehrsfläche: 190,13 m²

Brutto-Grundfläche: 1 584,71 m²

Brutto-Rauminhalt: 7 921 m³

Überdachte Fläche: 1 200 m² Spannweite: 15 m

Baukosten (nach DIN 276):

Gesamt brutto: 7,0 Mio. €

Hauptnutzfläche: 6 570 €/m² brutto

Brutto-Rauminhalt: 883,7 €/m³

Fachplaner (Auswahl)

Tragwerk: str.ucture GmbH, Stuttgart, www.str-ucture.com

Bauphysik (inkl. Raumakustik): GN Bauphysik, Stuttgart, www.gn-bauphysik.de

Brandschutz: Wurm Gesamtplanung, Ravensburg, www.sichergutbauen.de 

HLSE: Paul Gampe + Partner GmbH, Esslingen, www.pgp-ingenieure.de

Küchenplanung: Ingenieurbüro GhL GmbH, Bad Schussenried,

www.ib-ghl.de

Landschaftsplanung: Jedamzik + Partner, Stuttgart, www.jedamzikundpartner.de 

Betonsanierung: Muhsau & Kindl Ingenieurgesellschaft mbH, Biberach, www.muhsau-ig.de

Energie

Primärenergiebedarf: 202,2 kWh/(m²a) nach GEG

Endenergiebedarf: 166,3 kWh/(m²a) nach GEG

Jahresheizwärmebedarf: 174,662 kWh/m²a nach GEG

Energiekonzept:

- Dämmung der bestehenden massiven Außenwände

- Aufstockung mit gedämmten Holzrahmenbauelementen

- Tragwerk aus Holz

- Südfassade als PR-Umkehrfassade

- minimale Lüftungsanlage aufgrund Querlüften/Nachtlüften der Halle (Oberlicht im Norden)

U-Werte Gebäudehülle:

Außenwand = Neubau 0,14/ Bestand 0,22 W/(m²K)

Fassadenpaneel = 0,60 W/(m²K)

Bodenplatte = Neubau: 0,21 W/(m²K) / Bestand: 0,45 W/(m²K)

Dach = 0,21 W/(m²K)

Fenster (Uw) = 0,85 W/(m²K) / PR-Fassade 0,77 W/(m²K)

Verglasung (Ug) = 0,60 W/(m²K)

Haustechnik:

- Gasabsorbtionswärmepumpe

- maximale Auslegung des südgeneigten Pultdachs der Halle

- technische Einbauten/Lüftungsanlagen auf das notwendige Minimum reduziert und revisionierbar

Produktliste (Auswahl)

Blechdach: Kalzip, www.kalzip.com

Aluminium Pfosten-Riegel-Fassade: Gutmann, www.gutmann.de

Holz-Schiebetüren: Typ EKU Porta 100 HM, www.hawa.com

Fenster- / Türgriffe: FSB 1076, www.fsb.de

Fliesen Umkleideräume: Agrob Buchtal Plural, www.agrob-buchtal.de

Fliesen WC-Bereiche: Villeroy & Boch Unit Four, www.villeroy-boch-tiles.com

Abhangdecke Foyer, Treppe: Heradesign, Knauf, www.knauf.com

Bühnenvorhang: Gerriets GmbH, www.gerriets.com

Leuchten Foyer, Treppe: LTS/LK045, www.lts-light.com

Leuchten Halle: Glamox/C52, www.glamox.com

Leuchten Außenraum: BEGA/50, www.bega.com,

RZB/Flat Slim, www.rzb.de

Lichtschalter/Steckdosen: JUNG, www.jung-group.com

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